Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 21.05.2008, Az.: 1 A 553/06

Billigkeit; Einspruch; Erlass; Gewerbesteuer; Gewerbesteuermessbescheid; Nachzahlungszinsen; Steuererklärung, verzögerte Bearbeitung

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
21.05.2008
Aktenzeichen
1 A 553/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 46049
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOSNAB:2008:0521.1A553.06.0A

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Billigkeit der Steuerfestsetzung ist - unabhängig von einer vorausgehenden Antragstellung des Steuerpflichtigen - grundsätzlich von Amts wegen schon im Festsetzungsverfahren zu prüfen, soweit zu diesem Zeitpunkt die Gründe für einen möglichen Billigkeitserlass auf der Hand liegen.

  2. 2.

    Soweit der steuerfestsetzende Bescheid noch nicht bestandskräftig ist, hat das Verfahren nach § 163 AO Vorrang vor einem späteren Erlass im Steuererhebungsverfahren gemäß § 227 AO.

  3. 3.

    Die verzögerte Bearbeitung eines Einspruchs gegen den Gewerbesteuermessbescheid durch das Finanzamt rechtfertigt auch dann keinen Erlass von Nachzahlungszinsen, wenn die Gewerbesteuer erhebende Kommune die Möglichkeit hatte, auf eine beschleunigte Bearbeitung des Einspruchs gegenüber dem Finanzamt hinzuwirken.

Tatbestand:

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten einen Erlass von Nachzahlungszinsen aus Billigkeitsgründen.

2

Mit Bescheid unbekannten Datums (vermutlich November 2003) setzte das Finanzamt Osnabrück-Stadt gegen die Klägerin den Gewerbesteuermessbetrag für das Veranlagungsjahr 2001 in Höhe von 1 295,00 € und für Vorauszahlungen ab 2002 in Höhe von 0,00 € fest. Es änderte hierdurch - auf einen Einspruch der Klägerin vom 24. Oktober 2003 - seinen vorangegangenen Festsetzungsbescheid vom 25. September 2003. Der geänderte Bescheid über die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages ging der Klägerin sowie der Gemeinde Bissendorf am 21. November 2003 zu. Diese setzte in der Annahme, aufgrund des Sitzes der Klägerin für die Erhebung der Gewerbesteuer zuständige Steuergläubigerin zu sein, durch Abgabebescheid vom 28. November 2003 die Gewerbesteuer für das Veranlagungsjahr 2001 gegenüber der Klägerin in unbekannter Höhe fest.

3

Die Klägerin erhob hiergegen bzw. gegen den geänderten Messbescheid des Finanzamtes fristgerecht Einspruch mit der Begründung, nicht die Gemeinde Bissendorf, sondern die Beklagte sei für die Erhebung der Gewerbesteuer zuständig. Gleichzeitig bat die Klägerin im Einspruchsverfahren das zuständige Finanzamt bzw. die Gemeinde Bissendorf, die Beklagte über deren Zuständigkeit zu informieren und sie zu veranlassen, von dort aus die Gewerbesteuer 2001 neu festzusetzen.

4

Mit Schreiben vom 19. September 2006 teilte das Finanzamt Osnabrück-Stadt unter Übersendung der bisher ergangenen Messbescheide und Korrespondenz mit der Gemeinde Bissendorf der Beklagten mit, sie - die Beklagte - werde um Neufestsetzung der Gewerbesteuer 2001 gegenüber der Klägerin gebeten. Zur Begründung - so geht aus dem an die Gemeinde Bissendorf gerichteten Schreiben des Finanzamtes vom 22. August 2006 hervor - verweist das Finanzamt darauf, dass sich nach Aktenlage der Ort der Geschäftsleitung der Klägerin zu keinem Zeitpunkt in Bissendorf, sondern immer in Osnabrück, E., befunden habe. Bissendorf sei lediglich der Wohnort des Geschäftsführers der Klägerin. Aufgrund dessen widersprüchlicher Angaben sei es - das Finanzamt - zunächst davon ausgegangen, dass sich auch die Geschäftsleitung der Klägerin dort befinde.

5

Aus dem der Beklagten mit Schreiben vom 19. September 2006 übersandten Verwaltungsvorgang des Finanzamtes ergibt sich weiterhin, dass die Gemeinde Bissendorf ausweislich ihres Schreibens vom 14. September 2006 ihren Gewerbesteuerbescheid vom 28. November 2003 mit Bescheid vom 14. September 2006 ersatzlos aufgehoben hatte.

6

Mit hier streitgegenständlichem Bescheid vom 28. September 2006 setzte die Beklagte gegenüber der Klägerin die Gewerbesteuer für das Veranlagungsjahr 2001 in Höhe von 2 714,45 € fest. Gleichzeitig setzte sie Nachzahlungszinsen für die zur Berechnung auf 2 700,- € abgerundete Steuerforderung für den Zeitraum vom 1. April 2003 bis 2. Oktober 2006 in Höhe von 567,00 € fest.

7

Gegen diese Festsetzung hat die Klägerin am 30. Oktober 2006 Klage mit der Begründung erhoben, die Festsetzung der Nachzahlungszinsen sei unbillig. Sie seien deshalb zu erlassen. Die zur Bedienung der Gewerbesteuerforderung 2001 vorgesehenen Mittel hätten ihr während der gesamten Dauer des Einspruchsverfahrens (2003 - 2006) nicht ertragsmehrend zur Verfügung gestanden, da sie jederzeit mit einem Steuerbescheid der Beklagten gerechnet habe. Hierzu verweist die Klägerin auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes, wonach Nachzahlungszinsen eine Gegenleistung für eine mögliche Kapitalnutzung darstellten. Ihr sei indes keine Kapitalnutzung möglich gewesen. Zudem seien die verwirkten Nachzahlungszinsen einzig auf das Fehlverhalten der Steuerbehörden zurückzuführen. Es sei kein Grund zu erkennen, warum die Beklagte so lange mit der Bescheidung der Gewerbesteuer 2001 zugewartet habe. Ihr müsse der Vorwurf mangelnder Kommunikation mit dem zuständigen Finanzamt gemacht werden. Jedenfalls müsse sie sich ein Fehlverhalten der beteiligten Behörden, insbesondere die verzögerte Bearbeitung des Einspruchs vom November 2003 durch das Finanzamt bzw. die Gemeinde Bissendorf, zurechnen lassen.

8

Nachdem die Klägerin die Klage mit Schriftsatz vom 17. April 2007 hinsichtlich eines Betrages von 122,00 € zurückgenommen und mit Schriftsatz vom 8. Januar 2008 den einen Billigkeitserlass ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 2007 zum (weiteren) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gemacht hat, beantragt sie nunmehr

  1. den Bescheid der Beklagten vom 28. September 2006 aufzuheben, soweit sie hierdurch zur Zahlung von Zinsen in Höhe von 445,00 € verpflichtet wird, sowie

  2. den Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 2007 aufzuheben.

9

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

10

Sie verteidigt den angefochtenen Steuerbescheid. Die Klage sei - jedenfalls ursprünglich - bereits unzulässig (gewesen), da das Erlassverfahren nach § 227 Abgabenordnung ein eigenständiges Verfahren darstelle, das vor Klageerhebung einen entsprechenden Antrag der Klägerin auf Erlass voraussetze. Dieser Antrag sei erst im Zuge des vorliegenden Klageverfahrens mit Schreiben der Klägerin vom 29. November 2007 gestellt worden.

11

In der Sache sei der gegen sie erhobene Vorwurf verspäteter Festsetzung nicht haltbar. Sie habe erst mit Schreiben vom 19. September 2006 den Vorgang vom Finanzamt Osnabrück-Stadt erhalten. Ihre Festsetzung habe nur gut eine Woche auf sich warten lassen. Selbst wenn sie sich die verzögerte Bearbeitung des Einspruchs der Klägerin vom November 2003 durch das Finanzamt bzw. die Gemeinde Bissendorf zurechnen lassen müsse, rechtfertige die Verzögerung nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes keinen Billigkeitserlass. Nachzahlungszinsen seien weder vom Verschulden des Steuerpflichtigen noch des Finanzamtes abhängig. Entscheidend sei vielmehr, dass der Klägerin während des streitgegenständlichen Zeitraums die Nutzung des Kapitals und damit der Zinsvorteil verblieben sei. Aus den entsprechenden Vorschriften des Anwendungserlasses zu § 233a AO ergebe sich insoweit, dass es nicht entscheidungserheblich darauf ankomme, ob die Klägerin das ihr verbliebene Kapital während dieses Zeitraums auch tatsächlich zinsbringend genutzt habe. Im Übrigen verweist sie auf die Gründe ihres den Billigkeitserlass ablehnenden Bescheids vom 5. Dezember 2007 sowie zur Zinsberechnung auf die Erläuterungen in ihrem Schriftsatz vom 9. Januar 2008. Hierauf wird jeweils Bezug genommen.

12

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13

Das Verfahren ist gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Klägerin die Klage hinsichtlich Zinsen in Höhe von 122,00 € zurückgenommen hat.

14

Im Übrigen hat das Gericht über die durch Einbeziehung des Ablehnungsbescheides der Beklagten vom 5. Dezember 2007 erweiterte Klage - die Voraussetzungen des § 44 VwGO liegen insoweit vor - zu entscheiden, denn diese Klageänderung ist gemäß § 91 Abs. 1 VwGO zulässig. Die Beklagte hat in die Klageänderung eingewilligt, denn sie hat sich, ohne ihr zu widersprechen, in der mündlichen Verhandlung auf die geänderte Klage eingelassen, § 91 Abs. 2 VwGO. Das Gericht erachtet die Klageänderung auch als sachdienlich, denn der Streitstoff bleibt im Wesentlichen derselbe und die Einbeziehung des Ablehnungsbescheides der Beklagten fördert die endgültige Beilegung des Streites zwischen den Beteiligten.

15

Die geänderte, als Versagungsgegenklage gemäß §§ 86 Abs. 3, 88 VwGO ausgelegte Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf einen Erlass der festgesetzten Nachzahlungszinsen aus Billigkeitsgründen, denn die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung ( BFH, Urteil vom 12. April 2000 - XI R 21/97 -, BFH/NV 2000, 1178 m.w.N.). Gründe für eine Ermessensreduktion auf Null sind nicht erkennbar.

16

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, § 113 Abs. 5 Sätze 1 und 2 VwGO. Die Bescheide der Beklagten vom 28. September 2006 und 5. Dezember 2007 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

17

Rechtsgrundlage der Festsetzung von Nachzahlungszinsen in dem angefochtenen Abgabenbescheid der Beklagten vom 28. September 2006 ist § 233a AO in der hier anzuwendenden Fassung der Neubekanntmachung vom 1. Oktober 2002 (BGBl I, S. 3866). Absatz 1 dieser Vorschrift bestimmt:

"Führt die Festsetzung der Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- oder Gewerbesteuer zu einem Unterschiedsbetrag im Sinne des Absatzes 3, ist dieser zu verzinsen. Dies gilt nicht für die Festsetzung von Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträgen."

18

Absatz 3 lautet:

"Maßgebend für die Zinsberechnung ist die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die bis zum Beginn des Zinslaufs festgesetzten Vorauszahlungen (Unterschiedsbetrag). Bei der Vermögensteuer ist als Unterschiedsbetrag für die Zinsberechnung die festgesetzte Steuer, vermindert um die festgesetzten Vorauszahlungen oder die bisher festgesetzte Jahressteuer, maßgebend. Ein Unterschiedsbetrag zugunsten des Steuerpflichtigen ist nur bis zur Höhe des zu erstattenden Betrags zu verzinsen; die Verzinsung beginnt frühestens mit dem Tag der Zahlung."

19

Der Unterschiedsbetrag entspricht im vorliegenden Fall der festgesetzten Steuer (2 714,45 €), da die Klägerin vor der Festsetzung keine Vorauszahlungen auf die Gewerbesteuer für das Jahr 2001 an die Beklagte geleistet hat.

20

Hinsichtlich der Höhe der Zinsen bestimmt § 233a Abs. 2 AO:

"Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist. Er beginnt für die Einkommen- und Körperschaftsteuer 21 Monate nach diesem Zeitpunkt, wenn die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft bei der erstmaligen Steuerfestsetzung die anderen Einkünfte überwiegen. Er endet mit Ablauf des Tages, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird."

21

Zur Berechnung der vorliegend festgesetzten Nachzahlungszinsen (567,- €) hat die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 9. Januar 2008 zutreffend ausgeführt:

"Nach § 18 Gewerbesteuergesetz (GewStG) entsteht die Gewerbesteuer mit Ablauf des Erhebungszeitraums, für den die Festsetzung vorgenommen wird. Erhebungszeitraum ist nach § 14 Satz 2 GewStG das Kalenderjahr.

Die angefochtenen Nachzahlungszinsen für das Jahr 2001 wurden mit Bescheid vom 28. September 2006 festgesetzt. Die Gewerbesteuer für dieses Jahr ist entsprechend den vorstehend zitierten Bestimmungen des GewStG mit Ablauf des Kalenderjahres 2001 entstanden. Der Zinslauf für die Nachzahlungszinsen 2001 beginnt nach den o.g. Bestimmungen des § 233a AO somit mit dem 1. April 2003 und endet mit dem Wirksamwerden der Steuerfestsetzung.

Nach § 124 Abs. 1 Satz 1 AO wird ein Verwaltungsakt und somit auch ein Steuerbescheid gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegen wird. Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein durch die Post übermittelter schriftlicher Verwaltungsakt bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben.

Nach § 108 Abs. 1 AO gelten für die Berechnung von Fristen und für die Bestimmung von Terminen die §§ 187 bis 193 BGB entsprechend. Der angefochtene Gewerbesteuer- und Zinsbescheid datierte vom 28. September 2006 (Donnerstag). Der dritte Tag nach Aufgabe zur Post war der 1. Oktober 2006. Da dieser Tag jedoch auf einen Sonntag fiel, galt der Bescheid daher am nächsten Werktag, also dem 2. Oktober 2006, als bekannt gegeben. Mit diesem Tag ist somit die Steuer- bzw. Zinsfestsetzung wirksam geworden und endete daher nach § 233a AO gleichzeitig auch der Zinslauf."

22

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erlass der so berechneten und von der Beklagten festgesetzten Zinsen.

23

Das Gericht geht zunächst davon aus, dass als Anspruchsgrundlage für einen Erlass der festgesetzten Nachzahlungszinsen aus Billigkeitsgründen hier § 163 AO - nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO sind auf Zinsen die für die Steuern geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden; insofern stellt § 239 AO eine besondere Bestimmung i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 2 AO dar (vgl. Rüsken in: Klein, Kommentar zur Abgabenordnung, 9. Aufl. 2006, § 163 Rn. 15 und § 233a Rn. 50) - heranzuziehen ist. Denn während § 227 AO den Erlass einer zuvor festgesetzten Steuer im nachfolgenden Steuererhebungsverfahren regelt, eröffnet § 163 AO der Finanzverwaltung die Möglichkeit, bereits im Festsetzungsverfahren aus Billigkeitsgründen die Steuer - hier die Nachzahlungszinsen - niedriger als berechnet festzusetzen (zur eigenständigen Bedeutung des § 227 AO im Erhebungsverfahren: Rüsken, a.a.O., § 227 Rn. 1). Obgleich der Beklagten zuzugeben ist, dass die Steuerfestsetzung und die Entscheidung über die abweichende Festsetzung der Steuer aus Billigkeitsgründen grundsätzlich zwei gesonderte - ggf. aber zeitgleich ablaufende - Verwaltungsverfahren darstellen und diese in zwei verschiedene Verwaltungsakte münden (vgl. Rüsken, a.a.O., § 163 Rn. 2 m.w.N. aus der Rspr. des BFH), ist anerkannt, dass die Billigkeit der Steuerfestsetzung grundsätzlich von Amts wegen sogleich bei der Festsetzung zu prüfen ist, soweit die Gründe hierfür - wie vorliegend der Fall - zu diesem Zeitpunkt offen auf der Hand liegen (vgl. zum Billigkeitserlass nach § 135 Abs. 5 BauGB: BVerwG, Beschluss vom 8. Januar 2001 - 11 B 59/00 -, NVwZ-RR 2001, 398; Rüsken, a.a.O., § 163 Rn. 125 ff.). Die Prüfung der Billigkeitsgründe darf deshalb nicht von einem vorherigen Antrag des Steuerpflichtigen auf Erlass der festzusetzenden Steuern abhängig gemacht werden.

24

Soweit der Steuerpflichtige die Steuer- bzw. hier die Zinsfestsetzung noch nicht hat bestandskräftig werden lassen, sondern einen Rechtsbehelf gegen den die Steuer und gem. § 233a Abs. 4 AO die Nachzahlungszinsen festsetzenden Abgabenbescheid mit der Begründung erhebt, die Festsetzung der Zinsen sei aus persönlichen oder sachlichen Gründen unbillig, kann der (teilweise) Erlass dieser Zinsen nur nach Maßgabe des § 163 AO erfolgen. Dagegen dient die Vorschrift des § 227 AO als Rechtsgrundlage für einen Billigkeitserlass im späteren Steuererhebungsverfahren für diejenigen Billigkeitsgründe, die erst nach Bestandskraft des angefochtenen Abgabenbescheides einschließlich der auf den dagegen erhobenen Rechtsbehelf hin nach § 163 AO getroffenen Billigkeitsentscheidung entstehen bzw. vorliegen. Denn wegen derselben Billigkeitsgründe, die schon im Festsetzungsverfahren vorgebracht und nach Prüfung derselben gemäß § 163 AO ein Erlass von der Behörde bestandskräftig abgelehnt wurde, kann ein Billigkeitserlass nach § 227 AO nicht mehr erfolgen ( FG Hamburg, Urteil vom 31. Oktober 1994 - III 193/90 -, EFG 95, 408; FG München, Urteil vom 17. Januar 2006 - 6 K 2292/04 -, juris; Rüsken, a.a.O., § 163 Rn. 2 und § 227 Rn. 18). Würde der von der Klägerin angefochtene Abgabenbescheid der Beklagten vom 28. September 2006 bestandskräftig, hätte dies zur Folge, dass über einen Billigkeitserlass aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes im Festsetzungsverfahren abschließend entschieden wäre. Einer weiteren Billigkeitsmaßnahme nach § 227 AO stünde die Rechtskraft der hier getroffenen Entscheidung als Prozesshindernis entgegen (FG München, a.a.O.).

25

Gemäß § 163 AO können Steuern - bzw. vorliegend Nachzahlungszinsen - niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer - bzw. der Zinsen - nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Unbilligkeit aus sachlichen Gründen - wie sie von der Klägerin allein geltend gemacht wird - kommt in Betracht, wenn die Erhebung der Nachforderungszinsen im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Regelung, nicht zu rechtfertigen ist, obwohl der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Erhebung der Zinsen aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, rechtfertigen dagegen keinen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen ( BFH, Urteil vom 5. Juni 1996 - X R 234/93 -, BFHE 180, 240 [BFH 05.06.1996 - X R 234/93]  m.w.N.).

26

Mit der allgemeinen Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen wollte der Gesetzgeber einen Ausgleich dafür schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen "aus welchen Gründen auch immer" zu unterschiedlichen Zeiten festgesetzt und fällig werden. Wegen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sollten Liquiditätsvorteile, die aus dem verspäteten Erlass des Steuerbescheides entstanden sind, jedenfalls für die Zeit nach Ablauf von 15 Monaten nach Entstehung der Steuer abgeschöpft werden (vgl. BT-Drs. 11/2157, S. 194). "Aus Gründen der Praktikabilität" wurde am festen Zinssatz des geltenden Rechts festgehalten (BT-Drs. 11/2157, S. 194). Diese typisierenden Grundannahmen des Gesetzgebers sind bereits bei der Auslegung der Vorschrift zu beachten; sie sind in gleicher Weise Maßstab für die Entscheidung der Frage, ob besondere Umstände vorliegen, die im Einzelfall die Erhebung der Nachforderungszinsen als sachlich unbillig erscheinen lassen (BFH, Urteil vom 5. Juni 1996, a.a.O.).

27

Der Gesetzgeber konnte, ohne gegen das Willkürverbot zu verstoßen, im Interesse einer einfachen Erhebung der Nachforderungszinsen den aus der Verfügung über Bargeld herrührenden Liquiditätsvorteil - wie im übrigen auch den Liquiditätsnachteil des Steuerpflichtigen bei Erstattungsansprüchen - typisierend bewerten und damit die Berufung auf besondere Umstände des Einzelfalles - wie etwa den marktüblichen Zinssatz und eine fehlende Möglichkeit zinsgünstiger Anlageformen - ausschließen. Diese Umstände allein rechtfertigten deshalb auch keinen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen (BFH, Urteil vom 5. Juni 1996, a.a.O., unter Hinweis auf die Entscheidung in BFHE 178, 555 ).

28

Der durch die Verzinsung bezweckte Vorteilsausgleich behält grundsätzlich auch dann seinen Sinn, wenn staatliche Stellen für deren Entstehung und Höhe (mit-)verantwortlich sind (BFH, Urteil vom 5. Juni 1996, a.a.O.). So hat der BFH in seinem Urteil vom 8. September 1993 - I R 30/93 - ( BFHE 172, 304 [BFH 08.09.1993 - I R 30/93] ) bereits entschieden, dass selbst das Prinzip von Treu und Glauben einer Festsetzung von Nachforderungszinsen gemäß § 233a AO grundsätzlich auch dann nicht entgegen stehe, wenn der Veranlagungsbeamte die Bearbeitung der Steuererklärung schuldhaft verzögere. Dies gelte selbst dann, wenn der Steuerpflichtige die für die Nachzahlung benötigten Geldbeträge im Hinblick auf bevorstehende Steuernachzahlungen unverzinslich bereitgehalten oder mit einem niedrigeren Zinssatz als in § 238 AO vorgeschrieben angelegt habe. Lediglich für den Fall, dass zweifelsfrei fest steht, dass ein Steuerpflichtiger durch die verspätete Steuerfestsetzung keinen Vorteil einer Kapitalnutzung erlangt hat, ist für einen Ausgleich in Form der Verzinsung der Steuernachforderung kein Raum (BFH, Urteil vom 12. April 2000, a.a.O.).

29

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist ein Erlass von Nachzahlungszinsen angesichts der vom Gesetzgeber beabsichtigten Typisierung des Zinsvorteils - es genügt für diesen die schlichte Möglichkeit der Kapitalnutzung bis zur Steuerfestsetzung; ein Verschulden des Steuerpflichtigen (z.B. verspätete Abgabe der Steuererklärung) oder des Steuergläubigers (z.B. verzögerte Festsetzung der Steuer) ist prinzipiell irrelevant - nur in den (wenigen) Fällen vorzunehmen, in denen der Steuerpflichtige aufgrund atypischer bzw. außergewöhnlicher Umstände keinen Zinsvorteil hatte (Rüsken, a.a.O., § 233a Rn. 50). Anerkannte Fallgruppen sind in Ziffer 70 ff. AEAO (freiwillige Leistungen vor Festsetzung der zu verzinsenden Steuer, Verzinsung bei der Umsatzsteuer, Gewinnveranlagungen) exemplarisch angeführt.

30

Derart außergewöhnliche Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Klägerin hat lediglich vorgetragen, sie habe die von der unzuständigen Gemeinde Bissendorf im November 2003 festgesetzte Gewerbesteuer aufgrund ihres Einspruchs gegen den Steuerbescheid nicht gezahlt, sondern das betreffende Kapital bis zur aus ihrer Sicht ungewissen Gewerbesteuerfestsetzung durch die Beklagte jederzeit bereitgehalten. Sie hat damit eine bewusste kaufmännische Entscheidung getroffen, die ihr auch ohne eine Verzinsung etwa als Tagesgeld zumindest Liquiditätsvorteile verschafft hat. Sie genoss dabei auch kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass ihr durch diese Entscheidung kein Zinsnachteil entsteht. Gemäß § 18 GewStG entsteht die Gewerbesteuer mit Ablauf des Erhebungszeitraums, für den die Festsetzung vorgenommen wird. Erhebungszeitraum ist gemäß § 14 Satz 2 GewStG das Kalenderjahr. Der Steuermessbetrag wird nach § 14 Satz 1 GewStG für den Erhebungszeitraum nach dessen Ablauf festgesetzt. Gleichwohl darf der Gewerbesteuerpflichtige mit seinen Zahlungen nicht bis zur Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages zuwarten, denn er ist gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 GewStG verpflichtet, Vorausleistungen auf die künftige Gewerbesteuerschuld jeweils zur Mitte eines Quartals zu leisten. Der Klägerin hätte es daher oblegen, auf Grundlage der dem Kalenderjahr vorangegangenen Gewerbesteuerveranlagung jeweils ein Viertel der zuletzt festgesetzten Gewerbesteuer zu diesen Terminen an die ihrer Auffassung nach als Steuergläubigerin zuständige Beklagte unaufgefordert zu leisten. Sie hätte zumindest eine Anpassung der Vorauszahlungen von der Beklagten nach § 19 Abs. 3 und 4 GewStG erwirken können, um der Gefahr späterer Nachzahlungszinsen wirksam zu begegnen. Die Klägerin kann deshalb auch nicht mit Erfolg darauf verweisen, sie habe in dem Einspruchsverfahren 2003 die Gemeinde Bissendorf bzw. das zuständige Finanzamt gebeten, die Beklagte über ihre Zuständigkeit zu informieren und sie zu bitten, die Gewerbesteuer für 2001 von dort aus neu festzusetzen.

31

Ihre Klage unterliegt somit der Abweisung.

32

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO.

33

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

34

Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.