Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 25.05.2011, Az.: 3 A 825/09

Laufbahnrechtliche Schadlosstellung eines Soldaten im Hinblick auf eine verspätete Beförderung

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
25.05.2011
Aktenzeichen
3 A 825/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 23784
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2011:0525.3A825.09.0A

Amtlicher Leitsatz

Keine laufbahnrechtliche Schadlosstellung im Hinblick auf eine verspätete Beförderung eines Soldaten

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die laufbahnrechtliche Schadlosstellung im Hinblick auf die wegen eines gegen ihn durchgeführten disziplinargerichtlichen Verfahrens verspätete Beförderung zum Oberleutnant.

2

Der 1979 geborene Kläger trat nach seinem Abitur am 1. Juli 2000 als Offiziersanwärter in die Bundeswehr ein. Am selben Tag wurde er zum Soldaten auf Zeit ernannt und seine Dienstzeit auf zwölf Jahre festgesetzt. Nach regelmäßigen Beförderungen erhielt der Kläger am 1. Juli 2003 den Dienstgrad Leutnant. Nach erfolgreicher Ausbildung zum Truppenoffizier - ohne Studium - und zwischenzeitlichen Versetzungen wurde der Kläger vom 1. November 2004 bis zum 19. April 2005 im Rahmen der E. - Truppen als Staffelführer der mobilen Staffel F. E. im G. eingesetzt.

3

Dort kam es in der Nacht vom 2. auf den 3. April 2005 zu einem ihm im Rahmen eines disziplinargerichtlichen Verfahrens zur Last gelegten Vorfalls mit einer ihm im Dienstrang untergebenen Soldatin. Nach der Anschuldigungsschrift vom 1. März 2006 wurde ihm vorgeworfen, seine Dienstpflichten schuldhaft wie folgt verletzt zu haben:

"In der Nacht vom 2. auf den 3. April 2005 forderte der Soldat als Angehöriger der H. E., in I. /G. die zu seinem Zug gehörige HG (w) J. auf, ihm einen Kuss auf den Mund und anschließend auch auf sein Geschlechtsteil zu geben. Nachdem die HG J. (w) den Soldaten mehrmals abgewiesen hatte, entblößte dieser sein Geschlechtsteil und manipulierte in ihrer unmittelbaren Gegenwart daran herum."

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Mit Urteil vom 15. November 2006 verhängte das Truppendienstgericht Nord gegen den Kläger wegen eines Dienstvergehens ein Beförderungsverbot für die Dauer von 15 Monaten und kürzte seine jeweiligen Dienstbezüge um 1/20 für die Dauer von sechs Monaten. Auf die Berufung des Klägers hob das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 17. April 2008 - 2 WD 10.07 - das Urteil des Truppendienstgerichts Nord vom 15. November 2006 auf und sprach den Kläger vom Vorwurf des Dienstvergehens frei, weil ein sicherer Nachweis des angeschuldigten Vorwurfs nicht mit der erforderlichen Gewissheit erbracht sei.

5

Am 23. Juni 2008 wurde der Kläger zum Oberleutnant ernannt und mit Wirkung zum 1. Mai 2008 in eine Planstelle derBesoldungsgruppe A 10 eingewiesen.

6

Unter dem 6. August 2008 beantragte der Kläger beim Personalamt der Bundeswehr die vollständige Schadlosstellung rückwirkend zum 1. Januar 2006 durch rückwirkende Zahlung seiner Geld- und Sachbezüge für den Dienstgrad Oberleutnant zum 1. Januar 2006. Zur Begründung führte er an, dass er zum 1. Januar 2006 zum Oberleutnant hätte befördert werden können und diese Beförderung aufgrund des Beförderungsverbotes während des schwebenden Disziplinarverfahrens nicht durchgeführt worden sei. Diesen Antrag lehnte das Personalamt der Bundeswehr mit Bescheid vom 14. August 2008 ab. Auf die Beschwerde des Klägers hin hob das Personalamt der Bundeswehr mit Bescheid vom 19. Januar 2009 den Bescheid vom 14. August 2008 auf und lehnte seinen Antrag, soweit es die laufbahnrechtliche Schadlosstellung betraf, ab. Ferner teilte das Personalamt dem Kläger mit, dass man seinen Antrag, soweit darin die finanzielle Schadlosstellung begehrt werde, zuständigkeitshalber an die WBV West abgegeben habe.

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Dagegen legte der Kläger am 22. Januar 2009 Beschwerde ein. Mit Bescheid vom 30. Januar 2009 lehnte die Wehrbereichsverwaltung West den Antrag des Klägers auf finanzielle Schadlosstellung für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 17. April 2008 wegen Aussetzung der Beförderung aufgrund des anhängig gewesenen gerichtlichen Disziplinarverfahrens ab. Gegen diesen Bescheid der Wehrbereichsverwaltung West legte der Kläger am 4. Februar 2009 ebenfalls Beschwerde ein. Unter dem 5. März 2009 setzte die Wehrbereichsverwaltung West dieses Beschwerdeverfahren in Anwendung von § 12 Abs. 2 WBO bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Beschwerde gegen die mit Bescheid des Personalamtes der Bundeswehr vom 19. Januar 2009 abgelehnte laufbahnrechtliche Schadlosstellung aus.

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Die Beschwerde des Klägers gegen den Bescheid des Personalamtes der Bundeswehr vom 19. Januar 2009 wies das Personalamt der Bundeswehr mit Beschwerdebescheid vom 12. Mai 2009 zurück. Zur Begründung führte das Personalamt an, die Beschwerde sei unzulässig, soweit sie sich gegen die Ablehnung einer rückwirkenden Beförderung richte. Die rückwirkende Verleihung eines Dienstgrads sei rechtlich unmöglich, weil eine förmliche Ernennung erst durch die dienstliche Bekanntgabe wirksam werde. Seine Beförderung zum Oberleutnant sei in der Vergangenheit unter Beachtung der ZDv 20/7 Nr. 135 in rechtmäßiger Weise unterblieben. Das gegen ihn geführte Disziplinarverfahren habe einer Beförderung entgegengestanden. Würde die personalbearbeitende Stelle im Rahmen der Ausübung ihres Beförderungsermessens eine Bewertung des dem gerichtlichen Disziplinarverfahren zu Grunde liegenden Sachverhalts vornehmen, würde eine etwaige Entscheidung des Truppendienstgerichts vorweggenommen und damit in die Befugnisse von Rechtsprechungsorganen eingegriffen. Für die personalbearbeitende Stelle sei im Rahmen der Prüfung einer Beförderung eines Soldaten ausschließlich und allein der Umstand der Einleitung disziplinarer Vorermittlungen und eines Disziplinarverfahrens entscheidend, weil allein schon aus der Tatsache, dass eines der genannten Verfahren betrieben werde, Zweifel an der charakterlichen Eignung abzuleiten gewesen seien. Nur bei vorliegen atypischer Umstände sei ausnahmsweise eine andere vom grundsätzlichen Verbot der Beförderung abweichende Verfahrensweise zulässig. Als in diesem Sinne atypische Umstände könnten solche gelten, die in der Person des Betroffenen zu Härtefällen führten. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Härtefalls seien hier nicht erfüllt. Schon allein dadurch, dass gegen den Kläger der Vorwurf der Verletzung der Ehre und Würde eines Untergebenen und Kameraden durch sexuell bezogene Verhaltensweisen erhoben worden sei, lasse die Annahme des Tatbestands einer einmaligen situationsbedingten und nicht charakterlich bedingten Verfehlung von geringer Schwere nicht zu, da die sexuelle Nötigung in § 177 Abs. 1 StGB als Verbrechenstatbestand ausgestaltet sei und mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter 1 Jahr belegt sei.

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Dagegen hat der Kläger mit einem am 11. Juni 2009 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben. Zur Begründung führt er an, die Beklagte habe vor Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens das Vorliegen eines Anfangsverdachts nur unzureichend geprüft. Der Beklagten sei anzulasten, dass sie die gravierenden Unregelmäßigkeiten in der Aussage der Belastungszeugin schon im Rahmen der Vorermittlungen hätte erkennen können und erkennen müssen. Spätestens nach Abschluss der Vorermittlungen hätte das Verfahren eingestellt werden müssen. Eine Anschuldigungsschrift hätte gar nicht erst erstellt werden dürfen. Diese dürfe nur gefertigt werden, wenn die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung vorliege, was hier von Anfang an nicht der Fall gewesen sei. Schon die schriftlich fixierten Aussagen der vernommenen Zeugen zeigten genau diejenigen Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten, die letztlich zum Freispruch geführt hätten. Insbesondere die Aussage der Belastungszeugin sei von vornherein nicht mit denklogischen Gesichtspunkten in Einklang zu bringen gewesen. Bereits früh habe es Anhaltspunkte für ein Eigeninteresse der Zeugin an einer belastenden Aussage gegeben. Sämtliche Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten seien von vornherein erkennbar gewesen und hätten sich nicht erst im Rahmen der gerichtlichen Vernehmung herausgestellt. Der Kläger habe keine Möglichkeit gehabt, sich durch vorgeschaltete Rechtsbehelfe gegen das Verfahren an sich zur Wehr zu setzen. Ein Antrag auf Beförderung trotz laufenden gerichtlichen Disziplinarverfahrens sei infolge der Nr. 135 der ZDv 20/7 aussichtslos gewesen.

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Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Personalamtes der Bundeswehr vom 19. Januar 2009 in Gestalt des Beschwerdebescheides vom 12. Mai 2009 aufzuheben, und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger laufbahn-, dienst- und versorgungsrechtlich so zu stellen, als wenn er zum 01. Januar 2006 zum Oberleutnant ernannt worden wäre,

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hilfsweise,

über seinen Antrag vom 06. August 2008 ermessensfehlerfrei unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

12

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

13

Die Beklagte verweist auf die angefochtenen Bescheide und ergänzt, die Ausnahmevorschrift in der ZDv 20/7 Nummer 135 sei restriktiv auszulegen. Nur ausnahmsweise sei während eines Disziplinarverfahrens eine Beförderung möglich. Der Kläger erfülle schon nicht die erste Voraussetzung für die Annahme eines Härtefalls, weil er sich ausweislich seiner Beurteilungen nicht besonders bewährt habe, sondern eher durchschnittliche Leistungen gezeigt habe. Aufgrund der von ihm erbrachten Leistungen sei er nicht als Berufssoldat in Betracht gezogen worden. Die zweite Voraussetzung für die Annahme eines Härtefalls sei ebenfalls nicht erfüllt, weil das durchgeführte Disziplinarverfahren keine Verfahrensverzögerung erkennen lasse. Weiter betreffe der erhobene Vorwurf einen Verbrechenstatbestand und sei schon daher nicht von geringer Schwere.

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Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.

16

Der Kläger hat keinen Anspruch auf laufbahnrechtliche Schadlosstellung. Der dieses Begehren ablehnende Bescheid des Personalamtes der Bundeswehr vom 19. Januar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Mai 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

17

Die Beförderung des Klägers zum Oberleutnant mit Wirkung zum 1. Mai 2008 erfolgte nicht verspätet. Denn die vom Kläger gewünschte Beförderung mit Wirkung zum 1. Januar 2006 ist zu Recht unterblieben.

18

Grundsätzlich hat ein Soldat, selbst wenn er alle Voraussetzungen hierfür erfüllt, keinen Rechtsanspruch auf Beförderung, auch dann nicht, wenn er längere Zeit auf einer höheren Planstelle verwendet wird oder die Bewertung des bisherigen Dienstpostens eine Verbesserung erfährt. Er kann lediglich verlangen, dass über seine Beförderung sachbezogen und ohne Rechtsfehler, insbesondere nicht unter Verstoß gegen den Leistungsgrundsatz desArt. 33 Abs. 2 GG, entschieden wird (VG München, Urteil vom 17.3.2009 - M 21 K 07.3529 - zitiert nach [...]).

19

Das dem Dienstherrn in § 3 Abs. 1 SG eingeräumte Ermessen ist von dem Bundesministerium der Verteidigung in der Vorbemerkung Nr. 8 zur ZDv 20/7 dahin konkretisiert worden, dass die Chancengerechtigkeit gebiete, alle Soldatinnen und Soldaten nach ihren Anlagen und ihrer Bewährung zu fördern. Einschränkend ist in ZDv 20/7 Nr. 134 jedoch festgelegt, dass jedes Dienstvergehen Auswirkungen auf eine mögliche Förderung einer Soldatin oder eines Soldaten haben kann, weil sie oder er grundsätzlich durch jedes Fehlverhalten ihre oder seine Eignung in Frage stellt. ZDv 20/7 Nr. 135 Abs. 1 Satz 1 bestimmt deshalb ermessensbindend, dass die Betroffenen während der Ermittlungen der Disziplinarvorgesetzten, disziplinarer Vorermittlungen gemäß § 92 WDO, eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens oder eines strafrechtlichen Ermittlungs- oder Gerichtsverfahrens nicht gefördert werden "sollen". Die Ausgestaltung einer Vorschrift als "Soll-Vorschrift" verpflichtet dabei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Regelfall die mit ihrer Durchführung betraute Stelle dazu, grundsätzlich so zu verfahren, wie es in der Vorschrift bestimmt ist; im Regelfall bedeutet das "Soll" ein "Muss" bzw. - hier - ein "Nichtdürfen" (BVerwG vom 27.02.2003 - 1 WB 57.02 - BVerwGE 118, 25 = DVBl 2003, 754 = NVwZ-RR 2003, 512 = NZWehrr 2003, 212 = Buchholz 252 § 23 SBG Nr. 2). ZDv 20/7 Nr. 135 Abs. 1 Satz 1 enthält insofern ein "Förderungsverbot".

20

Ausnahmsweise ist bei Vorliegen anderer Umstände eine andere Verfahrensweise zulässig. Als in diesem Sinne atypisch können Umstände gelten, die in der Person des Betroffenen zu Härtefällen führen (BVerwG, Beschluss vom 27.7.2006 - 1 WB 15/06 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 37). Dazu hat das Bundesministerium der Verteidigung in Nr. 135 Satz 2 und 3 ZDv 20/7 festgelegt, dass Ausnahmen in Härtefällen im Ermessenswege vertretbar sind; solche Härtefälle liegen vor, wenn die Soldatin oder der Soldat sich besonders bewährt hat, der bestandskräftige Abschluss eines der in Satz 1 genannten Verfahren sich erheblich verzögert und die Soldatin oder der Soldat dies nicht zu vertreten hat und wenn der Tatbestand eine einmalige situationsbedingte und nicht charakterlich bedingte Verfehlung von geringer Schwere darstellt. Diese drei Härtefallkriterien müssen nach dem unmissverständlichen Wortlaut der Nr. 135 Abs. 1 Satz 3 ZDv 20/7 kumulativ erfüllt sein, um Raum für eine Ermessensentscheidung nach Nr. 135 Abs. 1 Satz 2 ZDv 20/7 zu bieten (BVerwG, Beschluss vom 27.7.2006 - 1 WB 15/06 - a.a.O.).

21

Daran gemessen hat das Personalamt der Bundeswehr den Antrag des Klägers auf laufbahnrechtliche Schadlosstellung zu Recht abgelehnt und die Voraussetzungen für die Annahme eines Härtefalls zutreffend verneint.

22

Das dem Kläger seinerzeit im gerichtlichen Disziplinarverfahren vor seinem Freispruch vorgeworfene Fehlverhalten stellt keine einmalige situationsbedingte und nicht charakterlich bedingte Verfehlung "von geringer Schwere" dar. Der dem Kläger vorgehaltene Vorwurf der sexuellen Belästigung einer untergebenen Soldatin war von nicht unerheblichem disziplinaren Gewicht. Die unwürdige und ehrverletzende Behandlung einer Untergebenen ist für einen Soldaten in Vorgesetztenstellung stets ein sehr ernst zu nehmendes Fehlverhalten.

23

Die besondere Eigenart und Schwere der ihm vorgeworfenen Verfehlungen waren vorliegend durch Eingriffe in die persönliche Würde einer untergebenen Kameradin und unfürsorgliches Fehlverhalten gekennzeichnet. Dies darf einem Soldaten, zumal in Vorgesetztenstellung, keinesfalls passieren. Denn Eingriffe in die persönliche Würde einer Untergebenen und Kameradin können und dürfen schon im Hinblick das in der Verfassung gewährleistete Grundrecht der menschlichen Würde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie der daraus resultierenden staatlichen Schutzverpflichtungen keinesfalls geduldet werden. Welche Bedeutung der Gesetzgeber dem Schutz Untergebener beimisst, ergibt sich aus der Tatsache, dass die entwürdigende Behandlung Untergebener mit Freiheitsstrafe bedroht ist (§ 31 Abs. 1 WStG). Die dem Kläger angelastete Verletzung der Fürsorgepflicht (§ 10 Abs. 3 SG) gehört zu den vornehmsten Pflichten eines Vorgesetzten gegenüber seinen Untergebenen, die das berechtigte Gefühl haben müssen, dass sie vom Vorgesetzten nicht nur als Befehlsempfänger betrachtet, sondern in ihrer Personenwürde geachtet und mit menschlicher Rücksichtnahme behandelt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.10.2005 - 2 WD 33/04 - NVwZ 2006, 947).

24

Die hier dem Kläger während des Disziplinarverfahrens vorgeworfenen Pflichtverletzungen sind zudem einem ordnungsgemäßen militärischen Dienstablauf abträglich. Ein Soldat, und zwar insbesondere ein Vorgesetzter, bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebenen sowie des Vertrauens seiner militärischen Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfüllen, dass der geordnete Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist (BVerwG, Urteil vom 24.11.2005 - 2 WD 32/04 - zitiert nach [...]). Unter diesem Blickwinkel war das dem Kläger zur Last gelegte Fehlverhalten geeignet, seine Zuverlässigkeit und sein persönliches Ansehen gravierend in Frage zu stellen. Erfüllt ein Soldat die dienstlichen Erwartungen nicht und verstößt er möglicherweise sogar in strafbarer Weise im dienstlichen Bereich gegen die Rechtsordnung, so stört er das Vertrauensverhältnis zu seinem Dienstherrn nachhaltig und begründet schwere Zweifel an seiner Zuverlässigkeit und Integrität. Das Bundesverwaltungsgericht hat auch im Falle einer unwürdigen und/oder ehrverletzenden Behandlung Untergebener ohne sexuellen Hintergrund entschieden (vgl. u.a. Urteile vom 18. Januar 1991 - BVerwG 2 WD 24.89 - <BVerwGE 93, 19[BVerwG 18.01.1991 - 2 WD 24/89] = NZWehrr 1991, 163 = NVwZ 1992, 168 = ZBR 1991, 274 [BVerwG 18.01.1991 - 2 WD 24/89]> und vom 12. November 1998 - BVerwG 2 WD 12.98 - <a.a.O.> m.w.N.), dass im Regelfall die Herabsetzung im Dienstgrad als erforderliche und angemessene Maßnahmeart anzusehen ist.

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Die Beachtung der Kameradschaftspflicht ist nicht minder wichtig; denn der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht wesentlich auf Kameradschaft (§ 12 Satz 1 SG). Ein Vorgesetzter, der die Rechte, die Ehre oder die Würde seiner Kameraden verletzt, untergräbt den dienstlichen Zusammenhalt, stört den Dienstbetrieb und beeinträchtigt damit letztlich auch die Einsatzbereitschaft der Truppe (u.a. Urteile vom 28.10.2003 - 2 WD 10.03 - DokBer 2004, 193 und vom 17.3.2004 - 2 WD 17.03 - NZWehrr 2005, 38 = ZBR 2005, 133 [BVerwG 17.03.2004 - 2 WD 17.03] m.w.N.).

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Demgegenüber greift die vom Kläger vorgetragene Argumentation, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe seien derart haltlos gewesen, dass bereits die Anschuldigungsschrift nicht hätte gefertigt werden dürfen, nicht anspruchsbegründend durch. Sie überzeugt schon deshalb nicht, weil das erstinstanzliche Truppendienstgericht Nord immerhin in seinem Urteil vom 15. November 2006 zu dem Schluss gekommen ist, dass der Kläger ein Dienstvergehen begangen hat. Er habe vorsätzlich gegen seine Pflichten verstoßen, für seine Untergebenen zu sorgen, die Würde, Ehre und die Rechte der Kameraden zu achten und der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordere. Im Ergebnis hat das Truppendienstgericht gegen den Kläger wegen eines Dienstvergehens ein Beförderungsverbot für die Dauer von 15 Monaten verhängt. Zudem hat es seine jeweiligen Dienstbezüge ein Zwanzigstel für die Dauer von sechs Monaten gekürzt. Von daher war die Anfertigung der Anschuldigungsschrift in jeder Hinsicht geboten und gerechtfertigt.

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Entgegen der Auffassung des Klägers ist sein Freispruch durch die das Urteil des Truppendienstgerichts aufhebende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht ein Beleg dafür, dass das ihm während des Disziplinarverfahrens zur Last gelegte Verhalten als solches von geringer Schwere einzuordnen ist. Denn das Bundesverwaltungsgericht betont in seiner Entscheidung, dass es erst auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme und der vorgenommenen Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Beweismittel nicht die erforderliche Gewissheit für die Annahme habe gewinnen können, dass der Kläger das ihm zur Last gelegte Fehlverhalten begangen habe, obwohl viel dafür spreche. Weiter führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Einlassungen des Klägers wenig glaubhaft seien. Sie könnten ihm jedoch nicht mit der erforderlichen Gewissheit widerlegt werden. Trotz der dargelegten, für eine Täterschaft des Klägers sprechenden Anhaltspunkte und Umstände sei im Rahmen der Gesamtwürdigung aller zur Verfügung stehenden Beweismittel dennoch nicht gänzlich auszuschließen, dass der Soldat die Tat, zumindest so wie angeschuldigt, nicht begangen habe. Nicht ausräumbare vernünftige Zweifel am Wahrheitsgehalt der den Soldaten belastenden Aussagen der Zeugin J. lägen vor allem in deren Aussageverhalten und ihrer daraus resultierenden mangelnden Glaubwürdigkeit begründet. Die Tatsache, dass die Zeugin den Senat des Bundesverwaltungsgerichts in der Berufungshauptverhandlung bewusst belogen habe, lasse sie nicht in dem Maße glaubwürdig erscheinen, wie es für eine letztlich auf ihren Aussagen basierende Verurteilung des Soldaten notwendig gewesen wäre. Da andere Beweismittel zum Nachweis des angeschuldigten Verhaltens nicht ersichtlich seien, sei der Soldat nach dem auch im Wehrdisziplinarrecht geltenden rechtsstaatlichen Zweifelssatz ("in dubio pro reo") von dem Vorwurf eines Dienstvergehens freizusprechen. Aus diesen Äußerungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil wird unmissverständlich deutlich, dass zahlreiche Anhaltspunkte und Umstände für die Annahme eines disziplinarrechtlich zu würdigenden Fehlverhaltens des Klägers sprechen, diese aber für eine die Verurteilung tragende Überzeugungsgewissheit nicht ausreichten.

28

Zudem hat der Kläger - die Entscheidung selbstständig tragend - eine "besondere Bewährung" im Sinne des ersten Härtefallkriteriums nach Nr. 135 Abs. 1 Satz 3 ZDv 20/7 nicht dargelegt.

29

Der Begriff der "besonderen Bewährung" ist in der ZDv 20/7 nicht näher erläutert. Er knüpft inhaltlich an die Begriffe der Eignung, Befähigung und Leistung in § 3 Abs. 1 SG an. Um die "besondere Bewährung" als Härtefallkriterium überprüfen zu können, benötigt die zuständige personalbearbeitende Stelle Anhaltspunkte, die der antragstellende Soldat zumindest glaubhaft machen muss. Solche Anhaltspunkte können sich aus einer (noch) aktuellen planmäßigen Beurteilung, aus dem Vorschlag des beurteilenden Vorgesetzten auf Anforderung einer Sonderbeurteilung im Sinne der Nr. 206 Buchst. a Abs. 1 Satz 2 ZDv 20/6 oder aus dem Vorschlag für eine förmliche Anerkennung ergeben. Auch der Inhalt einer auf Anforderung eines Wehrdienstgerichts oder eines Wehrdisziplinaranwalts erstellten Beurteilung nach Nr. 206 Buchst. b und Nr. 406 Buchst. b Abs. 1 Satz 1 ZDV 20/6 kann einen derartigen Anhaltspunkt bieten, die besondere Bewährung des Betroffenen glaubhaft zu machen (BVerwG, Beschluss vom 27.7.2006 - 1 WB 15/06 - zitiert nach [...]).

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Im vorliegenden Fall lag die planmäßige Regelbeurteilung vom 6. Juli 2004 bereits geraume Zeit zurück. Die darauf folgende Regelbeurteilung vom 6. März 2007 wurde vom Personalamt der Bundeswehr am 18. Juli 2007 mit der Begründung aufgehoben, dass vor Erstellung der Beurteilung keine Entscheidung der personalbearbeitenden Stelle erwirkt worden sei und eine Beurteilung zu diesem Zeitpunkt nicht erforderlich sei, sondern nach Abschluss des schwebenden Disziplinarverfahrens neu zu erstellen sei. Darüber wurde der Kläger unterrichtet. Eine besondere Bewährung hat der Kläger demnach nicht glaubhaft gemacht. Sie ist auch nicht ersichtlich. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung betont, dass der Kläger nur durchschnittliche Leistungen gezeigt habe, die allenfalls bei wohlwollender Betrachtung als überdurchschnittlich einzuordnen seien, indes die Annahme einer besonderen Bewährung nicht rechtfertigten.

31

Ebenso wenig vermag die Kammer eine erhebliche Verzögerung des bestandskräftigen Abschlusses des gerichtlichen Disziplinarverfahrens feststellen. Nachdem dem Kläger der Antrag auf Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens am 30. November 2005 eröffnet worden war und ihm die unter dem 1. März 2006 erstellte Anschuldigungsschrift zugestellt wurde, fand bereits am 15. November 2006 die Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht Nord statt. Nach Einlegung der Berufung durch den Kläger am 5. Januar 2007 erging das Berufungsurteil des Bundesverwaltungsgerichts sodann bereits am 17. April 2008. In Anbetracht dieses Zeitablaufs ist eine Verzögerung in der Bewältigung des Disziplinarverfahrens nicht erkennbar.

32

Der Hilfsantrag muss gleichfalls ohne Erfolg bleiben. Für eine über die Prüfung eines Härtefalls im Rahmen von Nr. 135 Satz 2 und 3 ZDv 20/7 hinausgehende Ermessensentscheidung der Beklagten ist nämlich kein Raum mehr, weil sich diese Prüfung als Ausdruck der Ermessensausübung erweist, die keinen rechtlichen Bedenken begegnet.

33

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

34

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

35

Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.