Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 18.07.1978, Az.: 5 UF 48/78
Anwaltszwang in Verfahren des Versorgungsausgleichs bei Anhängigkeit eines Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit in erster Instanz oder Folgesache
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 18.07.1978
- Aktenzeichen
- 5 UF 48/78
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1978, 16623
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1978:0718.5UF48.78.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Oldenburg - 06.04.1978 - AZ: 5 F 1050/77 AG Oldb
Rechtsgrundlagen
- § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ZPO
- § 621 Abs. 1 Nr. 1-3, 6, 7, 9 ZPO
Fundstelle
- NJW 1979, 113-114 (Volltext mit amtl. LS)
In der Familiensache
...
hat der 5. Zivilsenat - 2. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 18. Juli 1978
durch
die unterzeichneten Richter
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der beteiligten Landesversicherunganstalt gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Oldenburg vom 6. April 1978 wird auf deren Kosten als unzulässig verworfen.
Gründe
Mit Urteil vom 6.4.1978 hat das Amtsgericht die Ehe der Parteien geschieden sowie die elterliche Gewalt geregelt und den Versorgungsausgleich vorgenommen. Gegen die Entscheidung über den Versorgungsausgleich richtet sich die Beschwerde der beteiligten Landesversicherungsanstalt.
Die nach §§ 629 a II 1, 621 e ZPO statthafte, von der rechtsmittelbefugten Landesversicherungsanstalt fristgerecht erhobene Beschwerde war, weil nicht in rechter Form eingelegt, als unzulässig zu verwerfen. Das Rechtsmittel hätte durch einen beim Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden müssen.
Die Frage des Anwaltszwangs in den der freiwilligen Gerichtsbarkeit zugehörenden Familiensachen des §§ 621 I Nr. 1-3, 6, 7 und 9 (im folgenden FGG - Sachen genannt) , zu denen das Verfahren des Versorgungsausgleichs gehört, stellt sich bei der Rechtsmitteleinlegung sowohl dann, wenn schon in erster Instanz lediglich ein FGG-Verfahren anhängig war (sogenannte isolierte FGG-Sache), als auch dann, wenn es sich um eine im Verbund mitentschiedene FGG-Sache (Folgesache) handelt, die gemäß § 629 a II 1 isoliert angefochten wird. Obwohl vorliegend nur die letztere Fragestellung entscheidungserheblich ist, kann die Frage des Anwaltszwangs im Hinblick auf eine saubere systematische Erfassung und Abgrenzung sinnvoll nur bei Berücksichtigung beider Fälle beantwortet werden.
Ausgangspunkt ist die Vorschrift des § 621 a I ZPO. Hiernach finden in FGG-Sachen, gleichgültig ob isoliert oder im Verbund betrieben, die Vorschriften des FGG Anwendung, sofern nicht Satz 2 dieser Vorschrift oder sonstige Vorschriften der ZPO oder des GVG etwas anderes bestimmen. Dies gilt auch für das Beschwerdeverfahren des § 621 e ZPO. Das bedeutet für das isolierte FGG-Verfahren, daß nur die weitere Beschwerde dem Anwaltszwang unterliegt (§ 621 e IV ZPO). Für die erste Instanz und für das Verfahren der Erstbeschwerde dagegen besteht kein Anwaltszwang, weil das FGG insoweit keinen Anwaltszwang kennt und auch in der ZPO und im GVG nichts anderes bestimmt ist.
Dieses Ergebnis entspricht dem erklärten Willen des Gesetzgebers (Begründung des Regierungsentwurfs BT-Brucksache 7/ 650 S. 85), der auch im Gesetz Ausdruck gefunden hat, nämlich in der Vorschrift des § 621 e IV, die für die weitere Beschwerde den Anwaltszwang statuiert, also im übrigen offenbar dessen Fehlen voraussetzt. Das Ergebnis entspricht auch der, soweit ersichtlich, einmütig vertretenen Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (s.BGH FamRZ 78, 232 mit Nachweisen).
Nun wird von manchen die Auffassung vertreten daß gemäß § 621 a I 2 ZPO die Vorschrift des § 13 FGG durch die Vorschriften der §§ 78 - 90 ZPO ersetzt werde (so etwa Baumbach/Lauterbach, ZPO, 36. Aufl., § 621 a Anm. 3 B a; Thomas/Putzo, ZPO, 9. Aufl., § 621 a Anm. 3 b; Stein/Jonas, ZPO, 20. Aufl., § 621 a Rz 3; Brüggemann FamRZ 77, 20). Wenn das richtig ist und somit in den FGG-Sachen auch § 78 I 1 ZPO Anwendung findet, dann kann allerdings das Fehlen des Anwaltszwangs bei Erstbeschwerden in isolierten FGG-Sachen aus dem Gesetz nicht einleuchtend begründet werden. Dann ist man, wenn der Anwaltszwang verneint werden soll, genötigt, ein Versehen des Gesetzgebers anzunehmen (so etwa OLG Celle FamRZ 78, 139) oder diese systematische Unstimmigkeit durch eine andere zu ersetzen. Auf das letztere läuft der mit der abschliessenden Sonderregelung des § 621 e III unvereinbare Vorschlag von Hornhardts (FamRZ 78, 170) hinaus, die Anfechtung durch Protokollerklärung zuzulassen, damit der unerwünschte Anwaltszwang über § 78 II entfalle. Es trifft jedoch nicht zu, daß an die Stelle des § 13 FGG u.a. auch § 78 ZPO tritt. § 13 FGG betrifft nicht wie § 78 ZPO die Frage der Postulationsfähigkeit. Jene Vorschrift regelt nicht, ob und wann die Beteiligten sich vertreten lassen müssen, sondern nur, ob sie sich vertreten lassen dürfen. Die entsprechenden Vorschriften der ZPO sind die §§ 79 und 90. Diese nicht dagegen auch § 78, rücken an die Stelle des § 13 FGG (in diesem Sinne auch Bastian u.a., 1. EheRG, § 621 a Rz 25;Ambrock, Ehe und Ehescheidung, § 621 a Anm. IV). Eher gegen als für eine Ersetzung des § 13 FGG durch § 78 ZPO spricht auch die Begründung des Regierungsentwurfs (a.a.O. S. 205). Gegen ein Nachrücken des § 78 an die Stelle des § 13 FGG spricht aber vor allem, daß das vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollte Fehlen des Anwaltszwangs in isolierten FGG-Sachen ebenso wie die Vorschrift des § 621 e IV nur so sinnvoll zu erklären ist.
Anders ist die Rechtslage bei der isolierten Anfechtung von FGG-Folgesachen. Allerdings gelten all jene Erwägungen auch hier. Aus den Vorschriften der §§ 621 a, 621 e, 629 a ZPO folgt auch insoweit der Anwaltszwang nicht. § 78 I 1 gilt hier ebenso wenig wie dort. Hier kommt jedoch auch für das Verfahren der Erstbeschwerde die Vorschrift des § 78 I 2 ZPO unmittelbar zum Zuge, indem sie in Ehe- und Folgesachen den Anwaltszwang "vor den Familiengerichten" eingreifen läßt. Denn zu den Familiengerichten gehören, wie aus §§ 119 II, 23 b I GVG hervorgeht, auch die Familiensenate der Oberlandesgerichte. Daß der Anwaltszwang für das Verfahren der Erstbeschwerde in Folgesachen unmittelbar aus § 78 I 2 ZPO folgt, läßt sich im übrigen auch der amtlichen Begründung (a.a.O. S. 85) entnehmen. Dort wird wegen des für Folgesachen "in allen Rechtszügen" einzuführenden Anwaltszwangs einzig auf § 78 I 2 ZPO Bezug genommen.
Allerdings ist zu fragen, ob denn eine FGG-Verbundsache, wenn sie isoliert angefochten wird, noch als Folgesache anzusehen ist, wie für die Annahme des Anwaltszwangs nach § 78 I 2 ZPO unerlässlich. Diese Frage ist aber zu bejahen. Folgesachen sind die in § 621 I aufgeführten Familiensachen, sofern die Entscheidung für den Fall der Ehescheidung zu treffen ist, und die Sache, falls nicht schon von Amts wegen einzuleiten, bis zum Schluß der erstinstanlichen mündlichen Verhandlung in der Scheidungssache anhängig gemacht wird (§ 623 I, II). Diese Definition erfasst auch die aus dem Verbund heraus isoliert angefochtenen Folgesachen, Auch hier ist die Entscheidung wie in erster Instanz für den Fall der regelmässig noch nicht rechtskräftigen, weil unter dem Vorbehalt der Anschlußanfechtung stehenden Ehescheidung zu treffen. Der weiterbestehende Folgesachencharakter der isoliert angefochtenen FGG-Sache zeigt sich z.B. darin, daß auch die Beschwerdeentscheidung gemäß § 629 d ZPO unter dem Wirksamkeitsvorbehalt der rechtskräftigen Entscheidung stehen muß. Allerdings ist es denkbar, daß während die Folgesache in die Beschwerdeinstanz gelangt, die Ehescheidung rechtskräftig wird, wenn nämlich die Parteien insoweit auf Rechtsmittel verzichten. Wenn dies geschieht, mag bei sehr genauer Betrachtung der Folgesachencharakter der isoliert angefochtenen Sache zweifelhaft sein. Da es jedoch nicht angeht, den Anwaltszwang vom jeweiligen Verfahrensstand abhängig zu machen, ist § 78 I 2 ZPO dahin zu verstehen, daß die einmal im Verbund entschiedenen Sachen für das gesamte weitere Verfahren Folgesachen bleiben (jedenfalls i. S. des § 78 I 2 Nr. 2 ZPO).
Demgemäß unterliegt die isolierte Anfechtung einer FGG-Folgesache generell dem Anwaltszwang, und zwar für die Erstbeschwerde nach § 78 I 2 Nr. 2 und für die weitere Beschwerde nach § 629 a II 2, § 621 e IV. Auch hier befindet der Senat sich im Einklang mit der im Schrifttum wohl einmütig vertretenen Auffassung (Baumbach/Lauterbach § 621 a Anm. 3, Stein/Jonas § 629 a N 1; Ambrock § 621 e Anm. 3;; K.H. Schwab, FamRZ 76, 658/660 N 22 a; Brüggemann FamRZ 77, 289/291 N 8; Bassenge, FGG 2. Aufl., § 64 Anm. IV 3).
Der durch § 78 I 2 Nr. 2 ZPO begründete Anwaltszwang gilt auch nicht etwa, nur für die Parteien der Scheidungssache, sondern in den FGG-Verfahren auch für sonstige Beteiligte (so Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts Rz 469; Bassenge § 53b Anm. 3 b; Diederichsen NJW 77, 649/657). Das gilt zumindest für die sog. materiell Beteiligten, d.h. diejenigen Personen, "deren Rechte und Pflichten durch das Verfahren unmittelbar beeinflußt werden können" (Bärmann, Freiwillige Gerichtsbarkeit und Notarrecht S. 68). Ob nur formell beteiligte Rechtsmittelberechtigte - wie etwa das Jugendamt in Sorgerechtssachen - ebenfalls dem Anwaltszwang unterliegen, kann hier dahingestellt bleiben. Denn der betroffene Rentenversicherungsträger gehört jedenfalls zu den materiell Berechtigten (vgl. Bassenge § 53b Anm. 3 a; Schwab, Handbuch Rz 469). Er unterliegt damit dem Anwaltszwang. Der gegenteiligen Auffassung (Bastian § 53b FGG Rz 3; Bergerfurth, Der Ehescheidungsprozeß in Stichworten, 3. Aufl., Rz 339), die damit begründet wird, Drittbeteiligte seien nicht Parteien i. S. des § 78 ZPO, ist nicht zu folgen. Zum einen ist der Begriff der Partei im Rahmen des § 78 ZPO in weitem Sinn zu verstehen (vgl. Baumbach/Lauterbach § 78 Anm.1 B b). Auch der Streithelfer etwa gehört dazu. Des weiteren ist bei der Anwendung des § 78 ZPO im FGG-Verfahren zu bedenken, daß den Parteien des Zivilprozesses im FGG-Verfahren die Beteiligten entsprechen. Die zur Rechtsmitteleinlegung befugten (materiell) Beteiligten des FGG-Verfahrens haben eine Stellung wie die dem Anwaltszwang unterfallenden Parteien des Zivilprozesses. Es besteht deshalb kein Grund, solche Drittbeteiligten, als welche nicht etwa nur Behörden, sondern z.B. gemäß § 7 HausrVO auch Privatpersonen in Betracht kommen, vom Anwaltszwang auszunehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Maßgeblichkeit der ZPO-Vorschriften für die Kostenentscheidung ist den §§ 1 II, 54 Nr. 1 GKG zu entnehmen.