Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 01.04.2011, Az.: 2 VA 2/11
Zulässiges Rechtsmittel gegen Beschwerdeentscheidungen des dienstaufsichtsführenden Präsidenten im Hinterlegungsverfahren
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 01.04.2011
- Aktenzeichen
- 2 VA 2/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 36334
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2011:0401.2VA2.11.0A
Rechtsgrundlagen
- § 3 HintO,NI
- § 13 HintO,NI
- § 16 HintO,NI
- § 3 HintO,NI
- § 16 HintO,NI
- § 23 EGGVG
Amtlicher Leitsatz
Gegen Beschwerdeentscheidungen des dienstaufsichtsführenden Präsidenten gegen die Fristsetzung zur Klageerhebung gemäß § 16 HintO ND durch die Hinterlegungsstelle ist auch nach Aufhebung der HintO Bund durch Art. 17 Abs. 2 Nr.1 des Zweiten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht (BGBl. I 2007, 2614 ff) der Antrag gemäß § 23 EGGVG statthaft.
Tenor:
Der Antrag der Antragstellerin auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 EGGVG wird auf ihre Kosten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Frist zur Erhebung der Klage und zum Nachweis der Klageerhebung 6 Wochen beträgt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Wert des Verfahrens: Wertstufe bis 3.000 €
Gründe
I. Die Antragstellerin ist Gläubigerin des Schuldners S, der bei der Firma A (im Folgenden: Arbeitgeberin) beschäftigt ist. Sie erwirkte einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts X, mit dem die pfändbaren Ansprüche des Schuldners bei der Arbeitgeberin gepfändet wurden. Dieser Beschluss ist der Arbeitgeberin als Drittschuldnerin am 7.8.2003 zugestellt worden. Der Schuldner hatte einer weiteren Gläubigerin G bereits am 7.8.1988 zur Sicherheit für ein Darlehen u.a. seine pfändbaren Lohnansprüche abgetreten. Am 23.7.2003 vereinbarte der Schuldner mit seiner Arbeitgeberin, dass das arbeitsvertraglich geregelte Abtretungsverbot nicht gelten sollte. Die weitere Gläubigerin legte die Abtretung mit am 29.7.2003 bei der Arbeitgeberin eingegangenem Schreiben offen.
Nachdem die Antragstellerin im Jahr 2008 die Abtretung an die weitere Gläubigerin und ggf. deren Vorrang in Zweifel gezogen hat, hat die Arbeitgeberin am 18.8.2008 beim Amtsgericht Einbeck (11 HL 10/08) beantragt, die pfändbaren monatlichen Arbeitslohnbeträge zu hinterlegen, was mit Annahmeanordnung vom 25.8.2008 angenommen wurde. Im Jahr 2009 beantragte die Antragstellerin, der weiteren Gläubigerin eine Frist gemäß § 16 HintO zu setzen, was vom Amtsgericht Einbeck und im Beschwerdeverfahren vom Präsidenten des Landgerichts Göttingen abgelehnt wurde.
Auf Grund eines Herausgabeantrages der weiteren Gläubigerin setzte die Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Einbeck mit Verfügung vom 13.8.2010 der Antragstellerin gemäß § 16 HintO eine Frist zur Klageerhebung und deren Nachweis von 2 Wochen. Hinsichtlich der Einzelheiten der Begründung wird auf diese Verfügung (Bl. 97 Akte AG Einbeck 11 HL 10/08) verwiesen. Hiergegen wandte sich die Antragsstellerin mit der Beschwerde, die vom Präsidenten des Landgerichts Göttingen als Antragsgegner (Geschäftszeichen: 386 E) mit Bescheid vom 28.1.2011 (Bl. 120 Akte AG Einbeck 11 HL 10/08) als unbegründet zurückgewiesen wurde. Dieser Bescheid wurde der Antragstellerin am 4.2.2011 zugestellt.
Hiergegen wendet sich die Antragsstellerin mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung, der am 3.3.2011 beim Oberlandesgericht Braunschweig eingegangen ist. Die Voraussetzungen für eine Fristsetzung gemäß § 16 HintO zu Lasten der Antragstellerin seien nicht gegeben. Vielmehr habe die weitere Gläubigerin ihre Berechtigung nachzuweisen.
II. Der Antrag der Antragstellerin ist gemäß § 23 EGGVG zulässig, insbesondere innerhalb der Frist in § 26 EGGVG eingelegt und auch statthaft. Die Verfügung des Amtsgerichts Einbeck zur Fristsetzung gemäß § 16 HintO, die vom Antragsgegner im Beschwerdeverfahren bestätigt worden ist, stellt einen Justizverwaltungsakt auf dem Gebiet des Bürgerlichen Rechts dar. Das Verfahren gemäß § 23 EGGVG ist auch nicht gemäß § 23 III EGGVG subsidiär, denn die nunmehr maßgebliche niedersächsische Hinterlegungsordnung enthält keine abschließende anderweitige Regelung.
Nach der bundesrechtlichen Hinterlegungsordnung (im Folgenden: HintO Bund) waren die Rechtsmittel für das Hinterlegungsrecht in § 3 HintO Bund umfassend geregelt, wobei in § 3 II HintO Bund (wie im Hinterlegungsrecht der meisten Länder) gegen die Entscheidungen der Gerichtspräsidenten im Beschwerdeweg ausdrücklich auf das Verfahren gemäß § 23 EGGVG verwiesen wurde und für die Fälle der Ablehnung eines Antrages auf Herausgabe gemäß § 3 III HintO Bund der Klageweg gegen das Land gegeben war. Darauf beziehen sich die bisherige Rechtsprechung und die Kommentierungen zu den Hinterlegungsvorschriften. Soweit in § 16 III 2 HintO Bund angeordnet war, dass eine weitere Beschwerde gegen die Entscheidung des Präsidenten des Landgerichts nicht zulässig sei, ging diese aus der ursprünglichen reichsrechtlichen Regelung übernommene Vorschrift ins Leere, da es nach der HintO Bund das Rechtsmittel der weiteren Beschwerde gar nicht mehr gab (vgl. OLG Koblenz MDR 1976, 234 [OLG Koblenz 13.08.1975 - 1 VA 2/75] zur HintO Bund, die insofern wörtlich der damaligen Rheinland-pfälzischen HintO entsprach).
Allerdings ist die HintO Bund mit Wirkung zum 30.11.2010 durch Art. 17 Abs. 2 Nr.1 des Zweiten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht (BGBl. I 2007, 2614 ff) ohne Übergangsvorschriften aufgehoben worden. Damit sollte die ungeklärte Frage, ob die reichsrechtliche Hinterlegungsordnung als Bundes- oder Landesrecht fortgilt und wo die Gesetzgebungskompetenz für erforderliche Gesetzesänderungen liegt, geklärt werden (vgl. BT Drucksache 16/5051 S. 34f). Maßgeblich ist nunmehr die Niedersächsische Hinterlegungsordnung (im Folgenden: HintO ND), die die reichsrechtliche Regelung der Hinterlegungsordnung vom 10.3.1937 in der Fassung des § 1 des niedersächsischen Gesetzes über die Verzinsung hinterlegten Geldes vom 21.7.1956 als Landesrecht fortführt. Anders als die meisten anderen Bundesländer hat Niedersachsen in der Übergangsfrist das Hinterlegungsrecht nicht neu geregelt.
Gemäß § 3 HintO ND ist gemäß Absatz 2 die Beschwerde zum dienstaufsichtsführenden Präsidenten und gemäß Absatz 3 die weitere Beschwerde zum Oberlandesgerichtspräsidenten gegeben, wobei die Entscheidung über letztere gemäß Absatz 4 "im Aufsichtsweg" nicht mehr angefochten werden kann. Gemäß Absatz 5 ist wie in § 3 III HintO Bund gegen die Entscheidung über die Ablehnung der Herausgabe die Herausgabeklage im ordentlichen Rechtsweg gegeben. § 16 HintO ND entspricht § 16 HintO Bund, wobei ebenfalls in § 16 III 2 HintO ND die weitere Beschwerde ausgeschlossen ist.
§ 3 Abs. 1 bis 4 HintO ND regeln nur den justizverwaltungsinternen Beschwerdeweg, nicht jedoch die gerichtliche Kontrolle der Justizverwaltungsakte im Hinterlegungsrecht (vgl. OLG Koblenz MDR 1976, 234 [OLG Koblenz 13.08.1975 - 1 VA 2/75] zum Beschwerdeweg nach § 3 I HintO Bund und der damaligen gleichlautenden HintO Rheinland-Pfalz). § 3 V HintO ND entspricht § 3 III HintO Bund und betrifft die Ablehnung der Herausgabe, und zwar nur die endgültige (vgl. zu § 3 III HintO Bund KG NJW-RR 2008, 1540 [KG Berlin 22.04.2008 - 1 VA 16/06]). Für den Streit mehrerer Forderungsprätendenten untereinander, der in § 16 HintO geregelt wird, passt der Verweis in § 3 V HintO ND bzw. § 3 III HintO Bund auf eine Klage gegen das Land, in dem hinterlegt worden ist, nicht, wie die ausdrückliche Regelung in § 3 II HintO Bund und die darauf beruhende einhellige Rechtsprechung und Literatur zur Anwendbarkeit von § 23 EGGVG auf Fälle gemäß § 16 HintO Bund zeigen.
Da der niedersächsische Gesetzgeber seit dem Erlass des Zweiten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht aus dem Jahre 2007 untätig geblieben ist und die HintO ND insofern noch der alten reichsrechtlichen HintO entspricht, besteht auch kein Anhaltspunkt für eine bewusste Entscheidung des niedersächsischen Gesetzgebers für eine von der bisherigen Praxis abweichende Anwendbarkeit des § 3 V HintO auf alle Streitigkeiten nach der HintO ND. Damit ist in § 3 HintO ND keine abschließende Regelung der Rechtsmittel in Hinterlegungssachen im Sinne des § 23 III EGGVG enthalten, so dass § 23 EGGVG eingreift.
Der Antrag ist jedoch in der Sache nur bezüglich der Länge der Frist begründet. Die Entscheidung der Hinterlegungsstelle über die Fristsetzung zur Klageerhebung nach § 16 HintO ND ist in deren pflichtgemäßes Ermessen gestellt. Sie ist sowohl vom Präsidenten des Landgerichts auf die Beschwerde als auch vom Senat auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 28 III EGGVG nur dahin zu überprüfen, ob die Hinterlegungsstelle die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
Dies ist im Falle des § 16 HintO ND dann nicht der Fall, wenn der Antragsteller des Herausgabeanspruchs einen gewissen aber noch nicht voll ausreichenden Nachweis seiner Empfangsberechtigung erbracht hat, wozu, insbesondere dann, wenn nur zwei Prätendenten miteinander um die Herausgabe streiten, ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit nicht unbedingt erforderlich ist. Ausreichend ist vielmehr, dass mit der im praktischen Leben möglichen Wahrscheinlichkeit mehr für die materielle Berechtigung des einen als die des anderen Prätendenten zu sprechen scheint und es deshalb der Billigkeit entspricht, demjenigen, der dem Herausgabeverlangen nicht zustimmt, die Last aufzuerlegen, wegen seiner angeblichen Berechtigung Klage zu erheben. Eine abschließende Entscheidung über eine ernstlich zweifelhafte Empfangsberechtigung hat nur im Prozessweg zu erfolgen. Weder die Hinterlegungs- noch die Beschwerdestelle noch das nach § 23 EGGVG angerufene Oberlandesgericht sind dazu berufen, ernstliche Zweifel bezüglich der Empfangsberechtigung abschließend zu klären, insbesondere eine insoweit notwendige Sachaufklärung durchzuführen (vgl. zu § 16 HintO Bund: OLG Celle NdsRPfl 2006, 128; OLG Hamm OLGR 1996, 22; OLG Köln OLGR 2002, 346).
Im vorliegenden Fall ist die Anordnung der Fristsetzung zur Klageerhebung nach Maßgabe der genannten Kriterien ohne Ermessensfehler und damit in rechtmäßiger Weise getroffen worden. Für die weitere Gläubigerin, die den Antrag auf Herausgabe des hinterlegten Arbeitslohnes gestellt hat, spricht das Prioritätsprinzip. Nach den vorgelegten Unterlagen erfolgte die Pfändung für die hiesige Antragstellerin durch Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bei der Arbeitgeberin als Drittschuldnerin erst nach der Abtretungsvereinbarung zwischen dem Schuldner und der weiteren Gläubigerin, der Vereinbarung über die Aufhebung des arbeitsvertraglichen Abtretungsverbots und der Offenlegung der Abtretung gegenüber der Arbeitgeberin. Soweit die Antragstellerin geltend macht, dass eine strafbare Gläubigerbegünstigung vorliege und Anfechtungstatbestände nach dem Anfechtungsgesetz vorlägen, weil der Schuldner überschuldet sei, hat die Antragstellerin dies nicht näher vereinzelt. Die Klärung dieser Fragen hat auch nicht im Hinterlegungsverfahren sondern zwischen den beteiligten Parteien zu erfolgen. Dem dient gerade die Fristsetzung gemäß § 16 HintO ND. Im Übrigen ist für die Darlegungs- und Beweislast für diese Tatbestände die Parteirolle und damit auch die Frage, welchem der beiden Forderungsprätendenten die Hinterlegungsstelle die Frist setzt, ohne Bedeutung.
Der Antrag der Antragsstellerin hat jedoch insofern Erfolg, dass die von der Hinterlegungsstelle gesetzte, der gesetzlichen Mindestfrist entsprechende Frist von 2 Wochen zu kurz ist. Angesichts der Komplexität der Rechtsfragen und der erforderlichen Recherchen bei Dritten ist auch vor dem Hintergrund, dass die Beteiligten schon seit längerem korrespondieren und die in der Schweiz ansässige Antragstellerin sich schon länger auf einen Prozess einzustellen hatte, die gesetzliche Mindestfrist von 2 Wochen zu kurz bemessen und auf 6 Wochen zu verlängern.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 30 I 2 EGGVG. Der Wert des Verfahrens entspricht der Höhe der Forderung der Antragstellerin gemäß dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts X.