Anwaltsgerichtshof Niedersachsen
Beschl. v. 05.06.2003, Az.: AGH 27/02
Verfassungsmäßigkeit des § 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO (Bundesrechtsanwaltsordnung); Widerruf einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft auf Grund eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz; Voraussetzungen für den Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter
Bibliographie
- Gericht
- AGH Niedersachsen
- Datum
- 05.06.2003
- Aktenzeichen
- AGH 27/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 31350
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO
- Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG
- § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG
- § 45 Abs. 1 StGB
Fundstellen
- BRAK-Mitt 2004, 236
- BRAK-Mitt 2003, 239 (red. Leitsatz)
Verfahrensgegenstand
Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Prozessführer
Rechtsanwalt W. G., B-Str. 27, S.
Rechtsanwälte R., G-Straße 9 - 10, H.
Prozessgegner
Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk Celle
vertreten durch den Präsidenten, Bahnhofstraße 5, 29221 Celle
Der 2. Senat des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs in Celle hat
durch
den Rechtsanwalt Prof. Dr. V. als Vorsitzenden
die Rechtsanwälte P. und Dr. B. als anwaltliche Beisitzer sowie
den Richter am Oberlandesgericht H. und die Richterin am Oberlandesgericht Frau Dr.
W.
auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 19. Mai 2003
am 5. Juni 2003
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
- 2.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens,
- 3.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
- 4.
Der Geschäftswert wird auf 60.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist geboren am .. . .. .1950. Er wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1980 zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwalt bei dem Amtsgericht H. und zugleich bei dem Landgericht H. zugelassen.
Seit 1985 ist der Antragsteller zugleich Fachanwalt für Sozialrecht. Mehr als 15 Jahre war er Vorsitzender des Fachausschusses für Sozialrecht der Rechtsanwaltskammern Celle, Oldenburg und Braunschweig. Der Antragsteller war auch als Mitglied des Gründungsausschusses der Rechtsanwaltsversorgung Niedersachsen tätig.
Der Antragsteller ist seit 1994 geschieden. Er hat einen inzwischen 20-jährigen Sohn, der an einem Gehirntumor erkrankt ist. Hierdurch hat sich seit 1985 das Leben des Antragstellers erheblich verändert. Der Sohn musste mehrfach operiert werden. Der Antragsteller kümmerte sich sehr intensiv um seinen Sohn. Der Antragsteller nahm Psychopharmaka. Er nahm dann später auch fortschreitend Kokain, um schwere Gedanken zu verdrängen. Daneben kam es zu erheblichem Alkoholgenuss. Ferner musste der Antragsteller auch Insulin spritzen wegen einer Diabetes-Erkrankung.
Durch Urteil des Amtsgerichts H. vom 11. Juni 2002 wurde der Antragsteller wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 462 Fällen, unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, in einem minderschweren Fall wegen Geldwäsche und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und 4 Monaten verurteilt. Die erlittene Untersuchungshaft wurde angerechnet. Die Vollstreckung der Reststrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Dem Antragsteller wurde für die Dauer von 2 Jahren strafrechtliche Beratung und Strafverteidigung untersagt.
Gegen dieses Urteil hatte der Antragsteller zunächst Berufung eingelegt. In der Berufungsverhandlung vom 5. September 2002 wurde die Berufung von ihm zurückgenommen.
Das Amtsgericht H. hat durch Beschluss vom 20. September 2002 das Urteil vom 11. Juni 2002 infolge von Schreibfehlern wie folgt berichtigt:
- a)
Rubrum:
Angewendete Vorschriften: §§ 1 Abs. 1, 29 Abs. 1 Nr. 1, 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, §§ 53, 261 Abs. 1, 70 StGB
- b)
In den Gründen:
Auf Seite 4, vorletzter Absatz muss es heißen:
Verbrechen nach §§ 1 I, 3 I, 29 I 1, 29 a, I Nr. 2 BtMG schuldig gemacht.
Vorher war dort ausgeführt: "Vergehen" nach ...
Durch Bescheid vom 17. Oktober 2002, zugestellt am 18. Oktober 2002, widerrief die Antragsgegnerin die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft, da dieser infolge strafrechtlicher Verurteilung die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter verloren habe (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO).
Die Antragsgegnerin wies in dem Bescheid darauf hin, dass der Antragsteller zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden ist. Bei § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG handele es sich um einen Verbrechenstatbestand. Bei einer Gesamtstrafe komme es darauf an, dass eine Einzelstrafe wegen eines Verbrechens die Höhe von mindestens einem Jahr erreicht. In dem Strafurteil heiße es insoweit:
Für das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen hat das Gericht in dem minderschweren Fall eine Einsatzfreiheitsstrafe von 6 Monaten und für den zweiten Fall eine solche von einem Jahr festgesetzt.
Das Urteil sei nicht widersprüchlich und unklar. Sowohl aus der Anklageschrift als auch aus den Urteilsgründen sei ganz klar, dass es sich um einen Schreibfehler handele, wenn im Urteilstenor auf § 29 c Abs. 1 Nr. 2 BtMG verwiesen worden sei. Gemeint sei hier § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG.
In dem Schriftsatz vom 18. Dezember 2002 wies die Antragsgegnerin noch darauf hin, dass zu dem Urteil des Amtsgerichts H. inzwischen der Berichtigungsbeschluss vorliege vom 26. September 2002 (Blatt 185 der Personalakte).
Gegen den Bescheid vom 17. Oktober 2002 legte der Antragsteller durch seine Verfahrensbevollmächtigten per Telefax vorab am 15. November 2002 beim Anwaltsgerichtshof in Celle den Antrag auf gerichtliche Entscheidung ein und beantragt:
- 1.
die Widerrufsverfügung der Antragsgegnerin vom 17. Oktober 2002 aufzuheben,
hilfsweise,
- 2.
die sofortige Beschwerde an den Bundesgerichtshof zuzulassen.
Mit Schriftsatz vom 2. Januar 2003 wurde dieser Antrag näher begründet. Es wird gerügt:
1.
Es fehle die Grundlage für den Widerruf der Zulassung.
Aus dem Urteil des Amtsgerichts H. könne nicht festgestellt werden, dass der Antragsteller wegen eines Verbrechens im Sinne des § 12 Abs. 1 StGB verurteilt worden ist.
2.
Die Verfassungsmäßigkeit des § 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO sei an Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen. Zweck der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO sei der Schutz der Rechtssuchenden und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege vor Gefahren. Es sei daher primär zu prüfen, ob zum Zeitpunkt des Widerrufs der Zulassung eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege bestehe. Die strafrechtlichen Verurteilungen seien rein privater Natur. Das Berufsleben des Antragstellers, der seit 22 Jahren als Anwalt tätig sei, sei untadelig.
Es sei auch fraglich, ob die Elemente des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei dem Widerruf der Zulassung des Antragstellers gewahrt seien. Von einer reellen und aktuellen Gefahr für das rechtsuchende Publikum könne im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Eventuellen Gefahren für die Rechtspflege sei bereits durch die strafrechtliche Verurteilung ausreichend Rechnung getragen. Das Verbot, für zwei Jahre im strafrechtlichen Bereich tätig zu sein, stelle eine ausreichende Strafe bzw. Vorbeugung vor Gefahren dar.
Hingegen werde durch den Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft die berufliche Existenzgrundlage entzogen. Der Antragsteller werde praktisch doppelt bestraft. § 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO sehe auch nicht vor, dass durch eine Ermessensentscheidung eine angemessene Möglichkeit zur Korrektur von Grundrechtseingriffen mit extremer Härte möglich ist und damit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden kann. Außerdem verstoße die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 BRAO gegen Art. 3 des GG. Bei anderen Berufsgruppen, z.B. Ärzten, gebe es eine entsprechende einschneidende Vorschrift nicht.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen und dem Hilfsantrag nicht stattzugeben.
Sie verweist darauf, dass § 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO ein zwingender Widerrufsgrund sei und der Rechtsanwaltskammer kein Beurteilungsspielraum zur Verfügung stehe.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, aber nicht begründet.
Durch das Urteil des Amtsgerichts H. vom 11. Juni 2002 ist der Antragsteller wegen eines Verbrechens, nämlich eines Verstoßes gegen § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden.
Dabei ist in einem Falle eine Einzelstrafe von einem Jahr festgesetzt worden. Nach § 14 Abs. 2 Ziffer 2 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt infolge strafgerichtlicher Verurteilung die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter verloren hat. Diese Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter verliert, wer wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist (§ 45 Abs. 1 StGB). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
Ein Schreibfehler in dem strafgerichtlichen Urteil, in dem im Rubrum zunächst § 29 c I Nr. 2 BtMG angegeben wurde, ist durch Berichtigungsbeschluss des Amtsgerichts klargestellt worden. Hierbei ist auch klargestellt worden, dass es sich um die Verurteilung wegen eines Verbrechens handelt und nicht, wie vorher fälschlich geschrieben war, wegen eines Vergehens.
Aus dem strafgerichtlichen Haftbefehl, der Anklageschrift und den Urteilsgründen des Amtsgerichts H. war klar erkennbar, dass es sich um bloße Schreibfehler handelte und damit von einer Unklarheit oder fehlenden Grundlage keine Rede sein kann.
§ 14 Abs. 2 Nr. 2 BRAO verstößt auch nicht gegen Art. 12 GG. Richtig ist zwar, dass mit dieser Bestimmung nicht noch eine weitere Abwägung der einzelnen Umstände der Verurteilung erfolgt. Dies stellt aber keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dar. Der Gesetzgeber hat von vornherein schon eine so hohe Messlatte angelegt für den Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, nämlich die Verurteilung wegen eines Verbrechens zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe, dass darüber hinaus eine weitere Differenzierung und Abwägung nicht erforderlich ist.
Die Tatsache, dass sich der Antragsteller bei den Straftaten im "privaten Bereich" bewegt hat und ihm berufsrechtliche Verstöße nicht vorzuwerfen sind, kann sicherlich berücksichtigt werden im Rahmen der Strafzumessung im Strafverfahren. Hierbei kann auch berücksichtigt werden, welche sonstigen Folgen mit einer Verurteilung wegen eines Verbrechens und zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verbunden sind, nämlich ggf. den zwingenden Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Dem Gesetzgeber kann aber insoweit nicht vorgeworfen werden, dass er in § 14 Abs. 2 Ziffer 2 BRAO nicht noch Ausnahmen zulässt, wenn er einmal eine Grenze gezogen hat und diese Grenzziehung schwer wiegende Verstöße gegen strafrechtliche Vorschriften zur Voraussetzung hat.
Es kann daher auch nicht der Umstand zu Gunsten des Antragstellers berücksichtigt werden, dass durch den Widerruf der Zulassung der Wert der Praxis, die er sich als Rechtsanwalt aufgebaut hat, verloren gehen kann. Dies ist nicht einmal zwingend, da ein Verkauf der Praxis durchaus möglich und vom Antragsteller ja auch angestrebt worden ist.
Es liegt auch kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vor. Es mag richtig sein, dass andere Berufsgruppen wie beispielsweise Ärzte nicht einer derartigen Vorschrift unterliegen, also mit dem Verlust der Approbation nicht ohne weiteres rechnen müssen, wenn sie wegen eines Verbrechens verurteilt werden. Bei der Beurteilung dieser Frage kann aber nicht außer Betracht bleiben, dass der Antragsteller eben kein Arzt ist, sondern Rechtsanwalt. Als Rechtsanwalt hat er mit der Rechtsanwendung und mit der Justiz tagtäglich zu tun. So gibt es für Steuerberater mit § 46 Abs. 2 Ziffer 2 Steuerberatungsgesetz oder für Wirtschaftsprüfer mit § 20 Abs. 2 Ziffer 2 der Wirtschaftsprüferordnung ähnliche Vorschriften wie für Rechtsanwälte. Sowohl die Bestellung eines Steuerberaters als auch eines Wirtschaftsprüfers ist zu widerrufen, wenn dieser infolge strafgerichtlicher Verurteilung die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter verloren hat. Diejenigen Berufsgruppen, die von Berufs wegen bei der Beratung und Vertretung ihrer Mandanten laufend auf die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften zu achten haben, unterliegen daher mit Recht auch insoweit einer besonderen Verpflichtung.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung war daher zurückzuweisen.
Die Kosten des Verfahrens waren gem. § 201 Abs. 1 BRAO dem Antragsteller aufzuerlegen. Es bestand kein Anlass, die Erstattung außergerichtlicher Kosten anzuordnen (§§ 40 Abs. 4 BRAO i.V.m. § 13 a FGG).
Einer Zulassung der sofortigen Beschwerde an den Bundesgerichtshof bedarf es nicht. Die Voraussetzungen, unter denen eine Entscheidung des Anwaltsgerichtshofes mit der sofortigen Beschwerde angegriffen werden können, sind in § 42 BRAO abschließend geregelt.
Streitwertbeschluss:
Der Geschäftswert ist entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Senats auf 60.000,00 EUR festgesetzt worden.