Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 14.07.2006, Az.: 3 B 19/06
Anlassbeurteilung; Binnendifferenzierung; Konkurrentenstreit
Bibliographie
- Gericht
- VG Osnabrück
- Datum
- 14.07.2006
- Aktenzeichen
- 3 B 19/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 53374
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Anlassbeurteilungen müssen bei Auswahlentscheidungen nicht neben nachfolgenden Regelbeurteilungen herangezogen werden.
Unzulässige Binnendifferenzierungen lassen sich nicht "im Ergebnis" durch Rückgriff auf textliche Ausführungen in der Beurteilung aufrechterhalten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen zwei Auswahlentscheidungen der Antragsgegnerin.
Die Antragsgegnerin hatte den mit der Besoldungsgruppe A 9 m. Z. bewerteten Dienstposten eines Sachbearbeiters im mittleren allgemeinen Verwaltungsdienst im Dezernat 10 „ Lehrerpersonalien“ sowie einen weiteren vergleichbaren Dienstposten im Dezernat 11 „Verwaltung der Abteilung“ ausgeschrieben. Wegen der Einzelheiten der für die Stellen erforderlichen Qualifikationen wird auf die Ausschreibungen verwiesen. Es wurde neben den Beigeladenen auch der Antragsteller in die jeweilige Auswahl einbezogen.
Die Regelbeurteilung zum 01.02.2002 lautete bei dem Antragssteller auf „gut“, bei den Beigeladenen auf „gut (teilweise sehr gut)“. Zum Stichtag 30.06.2004 erhielten alle drei Beamte für den Zeitraum 02.02.2002 bis 30.06.2004 anlässlich der Auflösung der Bezirksregierung eine weitere Beurteilung. Diese ergab bei dem Beigeladenen zu 2. das Gesamturteil „13 Punkte (gut)“, bei dem Antragssteller „14 Punkte (sehr gut)“ und bei dem Beigeladenen zu 1. „15 Punkte (sehr gut)“. Die folgenden zum Stichtag 01.12.2005 ergangenen und den Zeitraum 02.02.2002 bis 01.12.2005 beinhaltenden, aktuellen Beurteilungen des Antragsstellers und der Beigeladenen lauteten auf die Note „sehr gut“.
Die Auswahlentscheidungen ergingen hinsichtlich der Stelle im Dezernat 10 zugunsten des Beigeladenen zu 2., bezüglich der Stelle im Dezernat 11 zugunsten des Beigeladenen zu 1.. Dies wurde dem Antragssteller durch zwei Schreiben vom 08.05.2006 bekannt gegeben und damit begründet, dass sich aus der vorletzten Beurteilung ein Leistungsvorsprung der Beigeladenen ergäbe. Wegen der Einzelheiten wird auf die beiden Schreiben verwiesen.
Gegen die Auswahlentscheidung hat sich der Antragsteller im Wege des Widerspruches gewandt, über den bisher nicht entschieden ist, und zeitgleich mit folgender Begründung die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt: Bei den Auswahlentscheidungen seien zu Unrecht neben den aktuellen Beurteilungen, die drittletzten herangezogen worden und die vorletzte, die zum Stichtag 30.06.2004 ergangen sei, unberücksichtigt geblieben. Da er aber in der vorletzten bereits ein „sehr gut (14 Punkte)“ erhalten habe, sei er auszuwählen.
Der Antragsteller beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die bei der Landesschulbehörde Abt. Osnabrück, Dezernat 10 und Dezernat 11 ausgeschriebenen Stellen der Besoldungsgruppe A 9 m. Z. bis zur Entscheidung in der Hauptsache mit den Beigeladenen oder einem anderen Bewerber als dem Antragssteller zu besetzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt vor, die vorrangig berücksichtigten aktuellen Beurteilungen umfassten den Beurteilungszeitraum 02 02.2002 bis 31.11.2005. Es seien zwar zuvor im Zusammenhang mit der Auflösung der Bezirksregierung in einem vereinfachten Verfahren Beurteilungen für den Zeitraum 02.02.2002 bis 30.06.2004 gefertigt worden, um den zu versetzenden Mitarbeitern eine aktuelle Beurteilung zu verschaffen. Diesen Beurteilungen komme jedoch für alle Mitarbeiter der früheren Schulabteilung der Bezirksregierung Weser-Ems, die in die Abteilung Osnabrück der neu errichteten Landesschulbehörde aufgegangen sei, keine eigenständige Bedeutung zu, da der Zeitraum von der nachfolgenden Regelbeurteilung umfasst werde. Selbst wenn man aber als vorletzte Beurteilung auf die vom 30.06.2004 abstellte, sei der Antragssteller nicht auszuwählen gewesen. Er hätte dort zwar ein „sehr gut (14 Punkte) erhalten, drei seiner Mitbewerber jedoch ein „sehr gut (15 Punkte)“.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist hinsichtlich der im Dezernat 10 ausgeschriebenen Stelle zulässig und begründet, weil der Antragsteller - wie es für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Absatz 1 und 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Absatz 2, 294 ZPO erforderlich ist, glaubhaft gemacht hat, dass sein Anspruch auf eine verfahrens- und ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung verletzt ist (vgl. 1.); hinsichtlich der im Dezernat 11 der Antragsgegnerin ausgeschriebenen Stelle ist der Antrag dagegen unbegründet (vgl. 2.).
1. Vorliegend ist der Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers hinsichtlich der Auswahl der Stelle im Dezernat 10 (Lehrerpersonalien) dadurch verletzt, dass die Antragsgegnerin bei der Auswahlentscheidung zu Unrecht die in den Beurteilungen vom 30.06.2004 zum Ausdruck kommende Leistungsentwicklung des Antragsstellers im Verhältnis zu der des Beigeladenen zu 2. völlig außer Acht gelassen hat.
Die der Übertragung eines höherwertigen Dienstpostens vorangehende Auswahlentscheidung ist ein Akt wertender Erkenntnis, der nur in eingeschränktem Maße einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften oder mit höherrangigem Recht übereinstimmende Richtlinien (Verwaltungsvorschriften) verstoßen hat (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 26.8.2003, 5 ME 162/03 m.w.N.). Dabei gebietet es die Beachtung des gesetzlichen Rahmens, bei Anwendung des Art. 33 Abs. 2 GG und des § 8 NBG die den Bewerbern erteilten dienstlichen Beurteilungen in erster Linie zu berücksichtigen, wobei der letzten dienstlichen Beurteilung regelmäßig besondere Bedeutung zukommt, weil für die zu treffende Entscheidung hinsichtlich von Leistung, Befähigung und Eignung auf den aktuellen Stand abzustellen ist. Ergibt dies, dass einer der Bewerber um eine oder mehrere Notenstufen besser beurteilt ist, kann von einer im wesentlichen gleichen Beurteilung nicht ausgegangen werden und ist grundsätzlich der mit der besseren Notenstufe beurteilte Bewerber der nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung geeignetste auszuwählen. Enthalten diese Beurteilungen für beide Bewerber das gleiche Gesamturteil und ist deshalb von einer im wesentlichen gleichen Beurteilung auszugehen, ist für die Auswahlentscheidung auf weitere unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen. Diese können sich insbesondere aus älteren dienstlichen Beurteilungen ergeben, deren zusätzliche Berücksichtigung geboten ist, wenn eine Stichentscheidung unter zwei oder mehr aktuell im wesentlichen gleich beurteilten Beamten zu treffen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.192002, 2 C 31.01, IÖD 2003, 147).
Die Begründung der getroffenen Auswahlentscheidung hinsichtlich der Stelle im Dezernat 10 gelangt unter Heranziehung des Gesamturteils der aktuellen Regelbeurteilungen der Bewerber zur Annahme eines Leistungsgleichstands, um sodann unter Heranziehung der Beurteilung vom 01.02.2002, in der der Antragssteller mit „gut“, der Beigeladene zu 2. mit „gut (teilweise sehr gut)“ bewertet wurde, eine Entscheidung zugunsten des Beigeladenen zu fällen. Insofern erweist sich die Auswahlentscheidung jedoch als fehlerhaft, weil die Antragsgegnerin die Beurteilung zum Stichtag 01.06.2004 vollständig außer Acht gelassen hat. Zwar wird der Beurteilungszeitraum 02.02.2002 bis 30.06.2004 auch von der zum Stichtag 01.12.2005 ergehenden, aktuellen Beurteilung mitumfasst. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass damit die Beurteilung vom 30.06.2004 gegenstandlos würde. Denn nach der Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts verliert auch eine Anlassbeurteilung, die mit der hier vorliegenden Beurteilung aus Anlass der Auflösung der Bezirksregierung vergleichbar ist, bei voller Ausschöpfung des enthaltenen Beurteilungszeitraums durch eine anschließende Regelbeurteilung nicht ihren Wert als eigenständige Beurteilung und besteht nur noch als Beurteilungsbeitrag weiter, sondern behält vielmehr für den von ihr erfassten Zeitraum ihre Bedeutung (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.02.2001, 2 C 41/00, NVwZ-RR 2002, 201 [BVerwG 18.07.2001 - BVerwG 2 C 41.00]).
Der Grund dafür, dass nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung grundsätzlich frühere dienstliche Beurteilungen als zusätzliche Erkenntnismittel gegenüber Hilfskriterien vorrangig zu berücksichtigen sind, liegt darin, dass die daraus ableitbaren Entwicklungstendenzen bedeutsame Rückschlüsse und Prognosen für die künftige Bewährung in dem Beförderungsamt ermöglichen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.192002, 2 C 31.01, IÖD 2003, 147). Da sich solche Erkenntnisse hinsichtlich der Leistungsentwicklung des einzelnen Beamten auch aus Anlassbeurteilungen ergeben, sind auch solche bei Beförderungsentscheidungen zu berücksichtigen. Auf welche Weise eine solche Berücksichtigung der in der Beurteilung zum Stichtag 30.06.2004 zum Ausdruck kommenden Leistungsentwicklung des Antragsstellers (14 Punkte „sehr gut“) im Verhältnis zu der des Beigeladenen zu 1. (13 Punkte „gut“) zu erfolgen hat und welche Bedeutung diesem Umstand im Rahmen einer in Anwendung des Leistungsgrundsatzes zu treffenden Auswahlentscheidung zukommt, kann dahinstehen, da dies der Einschätzungsprärogative der Antragsgegnerin unterfällt, die dies ausweislich der Begründung der Auswahlentscheidung jedoch rechtsfehlerhaft gar nicht in den Blick genommen hat.
Auch vor dem Hintergrund, dass weitere Beamte in der aktuellen Beurteilung das gleiche Gesamturteil wie der Antragssteller aufweisen und zum Stichtag 30.06.2004 mit „sehr gut (15 Punkte)“ beurteilt wurden, ist in Anbetracht dieser Einschätzungsprärogative der Antragsgegnerin jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Antragsteller bei einer rechtmäßigen Auswahlentscheidung unter Berücksichtigung der Beurteilung zum 30.06.2004 ausgewählt werden könne.
2. Hinsichtlich der Stelle im Dezernat 11 ist dagegen ein Anordnungsanspruch des Antragsstellers ausgeschlossen, da der ausgewählte, aktuell wie der Antragssteller mit „sehr gut“ beurteilte Beigeladene zu 1. sowohl zum Stichtag 30.06.2004 als auch in der vorangegangenen Regelbeurteilung besser beurteilt wurde als der Antragssteller (30.06.2004: sehr gut (15 Punkte), 01.02.2002: „gut (teilweise sehr gut))“.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die Kostenquote folgt dem Ausmaß des Obsiegens bzw. Unterliegens.
Es entspricht der Billigkeit, außergerichtliche Kosten der Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären, da diese keinen Antrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 5 S. 2 GKG. Die Festsetzung des Streitwertes erfolgt ausgehend von der im Klageverfahren zugrunde zu legenden Hälfte des 13-fachen Betrages des Endgrundgehaltes des vom Antragsteller angestrebten Amtes der Besoldungsgruppe A 9 m. Z. zuzüglich etwaiger ruhegehaltsfähiger Zulagen. Wegen der im Vergleich zum Hauptsacheverfahren geringeren Bedeutung der erstrebten einstweiligen Anordnung wird der Streitwert in Höhe der Hälfte des im Klageverfahren maßgebenden Werts festgesetzt, wie es den Empfehlungen des Streitwertkataloges entspricht. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung betrug das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 9 2533,80 €, die Amtszulage 227,76 € und die allgemeine Stellenzulage belief sich auf 64,08 €. Die Summe dieser Beträge lautet auf 2825,64 € pro Monat. Ein Viertel des 13-fachen Monatsbetrags ergibt den festgesetzten Streitwert.