Amtsgericht Osterode am Harz
Beschl. v. 16.03.2015, Az.: 3b OWi 257/14

Bemerkbarkeit; Bußgeld; Kosten; Ordnungswidrigkeit; Parklücke; Sachverständigengutachten; Unfallflucht

Bibliographie

Gericht
AG Osterode am Harz
Datum
16.03.2015
Aktenzeichen
3b OWi 257/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 44909
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Betroffene eines Bußgeldverfahrens trägt nicht zwangsläufig die Kosten eines durch die Staatsanwaltschaft eingeholten Sachverständigengutachtens zur Frage der Unfallverursachung und -bemerkbarkeit, wenn letzten Endes eine verbliebene Ordnungswidrigkeit lediglich ein Bußgeld von 30 € rechtfertigt.

Tenor:

Gegen die Betroffene wird wegen Beschädigung eines stehendes Fahrzeuges beim Fahren aus einer Parklücke durch Außer-Acht-Lassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt eine Geldbuße in Höhe von 30,00 € festgesetzt.

Sie hat die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten für das Gutachten der D vom 21.02.2014 zu tragen.

Angewendete Vorschriften: §§ 1 Abs. 2, 49 StVO; § 24 StVG; § 46 Abs. 1 OWiG, § 465 Abs. 2 StPO; 1.5 BKatV

Gründe

Von der Begründung zum Bußgeld wird gemäß § 72 Abs. 6 OWiG abgesehen.

In diesem Fall reicht der Hinweis auf den Inhalt des Bußgeldbescheides; das Gericht kann unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen zusätzliche Ausführungen machen.

Das Gericht übt sein Ermessen dahingehend aus, dass zur Verdeutlichung der Rechtsansichten gegenüber den Verfahrensbeteiligten weitere Ausführungen angezeigt sind.

1. Das Gericht wertet den festgestellten Sachverhalt aufgrund des Akteninhaltes als eine Beschädigung eines anderen PKW bei einem Ein- oder Ausparkvorgang, sodass vorliegend nach Nr. 1.5 der Anlage zu § 1 Absatz 1 BKatV ein Regelbußgeld von lediglich 30 € zu verhängen ist, nicht wie von der Bußgeldbehörde angenommen 35 €.

2. Gegen die Betroffene wurde ursprünglich ein Strafverfahren wegen des Verdachts auf unerlaubtes Entfernen vom Unfallort geführt, nachdem sie einen am Straßenrand parkenden PKW beim Ausparken gestreift haben soll. Sie bestritt den Tatvorwurf und wies darauf hin, dass sie einen Unfall nicht bemerkt habe. Daraufhin holte die Staatsanwaltschaft ein Gutachten ein zur Frage der Unfallverursachung und Bemerkbarkeit. Der Sachverständige kam in seinem Gutachten vom 21.02.2014 zu dem Ergebnis, dass die Betroffene den Unfall verursacht habe, sie dies jedoch weder optisch noch akustisch oder taktil bemerken konnte. Das Strafverfahren wurden daraufhin eingestellt und an die Bußgeldbehörde abgegeben.

Diese erließ unter dem 23.05.2014 einen Bußgeldbescheid. Die Behörde verhängte ein Bußgeld in Höhe von 35,00 €, begehrte überdies Gebühren in Höhe von 25,00 € und weitere 1.336,90 € als „Auslagen“ für das o.g. Gutachten.

Sowohl im Bescheid als auch in ihrer Stellungnahme vom 16.01.2015 begründete die Behörde diese Forderung aus §§ 107 Abs. 3 Nr. 13, 107 Abs. 3 Nr. 5 OWiG i.V.m. § 464a Abs. 1 S. 2 StPO, 105 Abs. 1 OWiG. Das Gutachten sei zur Feststellung der Ordnungswidrigkeit herangezogen worden, da es die objektive Verursachung des Unfalls durch die Betroffene belege.

Die Staatsanwaltschaft legte sodann eine Stellungnahme der Bezirksrevisorin vom 27.01.2015 vor. Hiernach seien unter Zugrundelegung der behördlichen Begründung die Kosten für das Gutachten jedenfalls teilweise der Betroffenen aufzuerlegen.

3. Das Gericht hat bereits erhebliche Bedenken, ob die Kosten für das Gutachten überhaupt in dogmatisch rechtmäßiger Art und Weise von der Verwaltungsbehörde geltend gemacht werden können. Die Behörde verweist insoweit auf §§ 107 Abs. 3 Nr. 13, 107 Abs. 3 Nr. 5 OWiG i.V.m. § 464a Abs. 1 S. 2 StPO, 105 Abs. 1 OWiG. Nach § 107 Abs. 3 Nr. 13 OWiG werden Gebühren, die an deutsche Behörden für die Erfüllung von deren eigenen Aufgaben zu zahlen sind, und Beträge, die diesen Behörden, öffentlichen Einrichtungen oder deren Bediensteten als Ersatz für Auslagen der in den Nummern 1 bis 11 bezeichneten Art zustehen, als Auslagen erhoben. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich hierbei um Gebühren, die durch Behörden für deren Aufgabenerfüllung zustehen. Die Kosten eines Sachverständigengutachtens stellen keine Gebühren der Staatsanwaltschaft dar, die diese für die Erfüllung ihrer Aufgaben verlangen kann.

Soweit die Behörde auf § 107 Abs. 3 Nr. 5 OWiG abstellt, geht dies ebenfalls fehl. Denn hiernach sind Auslagen auch nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz zu zahlende Beträge. Die Verwaltungsbehörde selbst hat solche Beträge nicht verauslagt.

Auch aus dem Zusammenspiel der Nrn. 13 und 5 des § 107 Abs. 3 OWiG ergibt sich nichts anderes. Zwar ist aufgrund dieser Normenkette durchaus denkbar, dass die Verwaltungsbehörde Auslagen der Staatsanwaltschaft nach Nr. 5 geltend macht. Allerdings spricht Nr. 13 explizit von Beträgen, die „diesen Behörde als Ersatz für Auslagen der in den Nummern 1 bis 11 bezeichneten Art zustehen“.

Streng dogmatisch betrachtet steht der Staatsanwaltschaft jedoch ein Ersatz ihrer Auslagen nicht zu, denn nach § 467 Abs. 1 StPO hat die Kosten des Verfahrens nach einer Einstellung die Staatskasse zu tragen. Soweit also kein Erstattungsanspruch der Staatsanwaltschaft gegen den Betroffenen für das Gutachten vorliegt, kann auch die Verwaltungsbehörde keinen solchen Erstattungsanspruch über das Ordnungswidrigkeitengesetz „konstruieren“.

4. Selbst wenn man dies aufgrund einer pragmatischeren Herangehensweise anders sehen würde, so sind die Kosten für das Gutachten nach § 465 Abs. 2 StPO jedenfalls nicht von der Betroffenen zu tragen. Dies ergibt sich aus § 465 Abs. 2 StPO, welcher nach § 46 Abs. 1 OWiG Anwendung findet. Hiernach hat das Gericht die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, wenn durch Untersuchungen zur Aufklärung bestimmter belastender oder entlastender Umstände besondere Auslagen entstanden und sind diese Untersuchungen zugunsten des Angeklagten ausgegangen sind, wenn es unbillig wäre, den Angeklagten damit zu belasten. Dies gilt namentlich dann, wenn der Angeklagte wegen einzelner abtrennbarer Teile einer Tat oder wegen einzelner von mehreren Gesetzesverletzungen nicht verurteilt wird. So verhält es sich hier.

a) Bei den Kosten für das Gutachten handelt es sich um „besondere Auslagen“ i.S.v. § 465 Abs. 2 StPO, welche durch Untersuchungen zur Aufklärung bestimmter belastender oder entlastender Umstände entstanden. Denn die Staatsanwaltschaft hat das Gutachten zur Frage der Verursachung und Bemerkbarkeit des Unfalls wegen des Verdachts auf eine Straftat eingeholt. Die Untersuchung ging zugunsten der Betroffenen aus, da ihr eine Straftat nicht nachgewiesen werden konnte.

b) Eine Belastung mit diesen Kosten wäre zudem unbillig. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn der ursprüngliche Vorwurf und die letztlich getroffene Entscheidung eklatant voneinander abweichen. So verhält es sich hier. Der Vorwurf einer Straftat wurde nicht nachgewiesen, vielmehr ist die Betroffene lediglich wegen der fahrlässigen Verursachung eines Unfalles zu einem Bußgeld von 30,00 € zu verurteilen. Dieser Vorwurf, der bereits aufgrund seiner Manifestation in § 1 Abs. 2 StVO als unterste Stufe des Unrechts zu bewerten ist, rechtfertigt nicht die Einholung eines Gutachtens für 1.336,90 €. Die Einholung eines so kostenintensiven Gutachtens wegen der Begehung einer solch marginalen Ordnungswidrigkeit wäre unter Verhältnismäßigkeitsgerichtspunkten schwer vertretbar, ebenso, dass die Verwaltungsbehörde die hierfür anfallenden Kosten, die nach § 467 Abs. 1 StPO eigentlich der Staat zu tragen hat, über die Umwege des Ordnungswidrigkeitenrechts geltend macht.

Auch ist entgegen der Auffassung der Bezirksrevisorin und der Bußgeldbehörde eine Teilung der Kosten nicht angezeigt. Dies auch unter dem soeben erwähnten Aspektes, dass die Einholung eines solchen Gutachtens für so marginale Schäden wie im vorliegenden Fall bereits dem Grunde nach unverhältnismäßig wäre. Es kann auch nicht zu Lasten der Betroffenen gehen, dass sie den Vorwurf nicht eingeräumt hat. Denn das Gutachten belegt, dass die Betroffene die Beschädigung des anderen PKW nicht gemerkt hat. Insofern ist das Verhalten der Betroffenen nur logisch. Denn wer die Beschädigung nicht bemerken kann, muss diese auch nicht einräumen.

c) Grundsätzlich ist eine weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 465 Abs. 2 StPO, dass die Betroffene einen Bußgeldbescheid von vornherein hingenommen hätte (vgl. hierzu LG Berlin, Beschluss vom 29. Dezember 2003 – 505 Qs 228/03 –, juris m.w.N.). Dabei ist darauf abzustellen, ob die Betroffene beim Bemerken der Beschädigung ein Bußgeld akzeptiert hätte. Das Gericht wertet die Einspruchsbegründung dahingehend, dass dies der Fall ist. Denn sie richtet sich inhaltlich gegen die Geltendmachung der Sachverständigenkosten, nicht jedoch gegen den Vorwurf als solches.