Landgericht Hannover
Beschl. v. 20.04.2009, Az.: 46 AR 3/09

Verstoß gegen das Bundesnaturschutzgesetz durch unerlaubtes Handeltreiben mit besonders geschützten Schildkröten; Beschlagnahme und Einziehung einer Strahlenschildkröte

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
20.04.2009
Aktenzeichen
46 AR 3/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 36256
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2009:0420.46AR3.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
StA Hannover - 05.01.2009 - AZ: 1252 Js 105714/07

Verfahrensgegenstand

Verstoß gegen das Bundesnaturschutzgesetz

In dem Ermittlungsverfahren
hat die 12. große Strafkammer des Landgerichts Hannover
auf den Antrag der Beschuldigten vom 05.02.2009
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft
am 20.04.2009
beschlossen:

Tenor:

Auf den Antrag der Beschuldigten auf gerichtliche Entscheidung wird die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 05.01.2009 bestätigt.

Gründe

1

Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt gegen die Beschuldigte wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Bundesnaturschutzgesetz. Die Beschuldigte ist verdächtig, gemeinsam mit ihrem Vater, dem gesondert verfolgten ..., unerlaubt mit besonders geschützten Schildkröten im Sinne der VO (EG) 338/97 gehandelt zu haben. Es besteht u.a. hinreichender Tatverdacht, dass die Beschuldigte eine Strahlenschildkröte illegal angekauft und dass der gesondert verfolgte ... oder die Beschuldigte das Tier ohne ausreichende Papiere zum Verkauf angeboten haben. Durch Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 23.11.2007 (9 Gs 341+342/07) wurde daher die Beschlagnahme der Schildkröte angeordnet. Seither befindet sich das Tier im Gewahrsam der Staatsanwaltschaft, die es zur Unterbringung und Pflege an die Wildtier- und Artenschutzstation ... übergeben hat. Die monatlichen Betreuungskosten werden der Staatsanwaltschaft in Rechnung gestellt. Diese hat mit Verfügung vom 05.01.2009 die Strahlenschildkröte unentgeltlich im Rahmen einer Notveräußerung analog §111 I StPO an das Land Niedersachsen abgegeben.

2

Gegen diese Verfügung der Staatsanwaltschaft hat die Beschuldigte die gerichtliche Entscheidung gem. §98 Abs. 2 StPO beantragt.

3

Der Antrag der Beschuldigten ist zulässig. Er ist richtigerweise als Antrag gemäß §111 I Abs. 6 i.V.m.§161 a Abs. 3 S. 2 bis 4 StPO auszulegen. Der Irrtum in der Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels ist indes unschädlich (§300 StPO).

4

Der Antrag ist in der Sache jedoch nicht begründet. Die Staatsanwaltschaft hat insoweit gegenüber der Strafkammer wie folgt Stellung genommen:

"Die in dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung aufgeworfenen Probleme sind bereits Gegenstand der Entscheidung des Landgerichts gewesen vom 27.10.2009 gewesen, so dass darauf zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen werden kann. Zur Beweiswürdigung beziehe ich mich ergänzend auf die Stellungnahme des NLWKN vom 29.10.2008. ( ...)

Zwar ist der Verteidigung dahingehend Recht zu geben, dass eine Gesetzeslücke besteht. Eine entsprechende Anwendung der Vorschriftenüber die Notveräußerung ist aber zulässig, da es sich um prozessuale Normen handelt, denen das Analogieverbot nicht entgegen steht.

Sinn und Zweck der Regelung de §111 I StPO ist es, weder den Beschuldigten (im Falle der Verurteilung) noch den Steuerzahler (im Falle des Freispruchs) mit hohen Kosten zu belasten. Die Einschätzung des Verteidigers, mit einer Gerichtsverhandlung sei alsbald zu rechnen, wird hier insbesondere deshalb nicht geteilt, weil die Auswertung der sichergestellten Sachen noch nicht vollständig abgeschlossen ist."

5

Im Übrigen hat die Staatsanwaltschaft in ihrem Vermerk vom 05.12.2007 ausgeführt:

"Die Kosten für die Unterbringung der Strahlenschildkröte seit dem 17.01.2008 betragen inzwischen fast 1.600,00 ?. Es fallen monatlich weitere Kosten von 150,00 bis 155,00 € an. Der Wert des Tieres wird bei 2.000,00 €, möglicherweise etwas mehr, liegen. Ein Verfahrensabschluss ist wegen der Notwendigkeit der PC-Auswertung nicht in Sicht. Eine Teilanklage hinsichtlich der Strahlenschildkröte ist nicht möglich, weil dann möglicherweise Strafklageverbrauch im Hinblick auf weitere - noch nicht feststehende - Teilakte eintreten könnte. Unter diesen Umständen erscheint die "Notveräußerung" des Tieres in entsprechender Anwendung des §111 I Abs. 1 StPO geboten. ( ...)"

6

Die Strafkammer schließt sich diesen zutreffenden Erwägungen an. Soweit die Verteidigung weiter geltend macht, dass die Schildkröte legal erworben worden sei habe und diese nicht aus einer Straftat stamme, so besteht nach Aktenlage gleichwohl weiterhin der hinreichende Verdacht eines Verstoßes gegen das Bundesnaturschutzgesetz besteht. Entgegen den Angaben der Beschuldigten liegt keine glaubhafte Identitätsbestätigung des angeblichen Züchters ... der notveräußerten Strahlenschildkröte vor. Vielmehr hat Herr ... eingeräumt, dass er die am 02.10.2007 ausgefertigte "Identitäts- und Verkaufsbestätigung" lediglich auf Zuruf erstellt habe und diese die tatsächlichen Gegebenheiten nicht wiedergebe. Er habe das Tier wahrscheinlich an einen Herrn ... aus ... verkauft, jedenfalls nicht an die Beschuldigte. Die Zuordnung der beschlagnahmten Schildkröte zu der von der Beschuldigten vorgelegten Vermarktungsgenehmigung ist nicht möglich. ImÜbrigen wird zur Vermeidung von. Wiederholungen auf den Beschluss der Kammer vom 27.10.2008, Az.: 46 Qs 124/08 verwiesen, in dem sich diese ausführlich mit der Identität des Tieres befasst hat. Die Kammer hält an den dortigen Feststellungen fest, insbesondere hält sie auch entgegen des Vorbringens der Beschuldigten weiterhin die Eröffnung des Hauptverfahrens nach derzeitiger Aktenlage für wahrscheinlich.

7

Die Voraussetzungen des §111 I Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung sind erfüllt: Die Strahlenschildkröte ist als Einziehungsgegenstand gemäß §§74 StGB, 67 Bundesnaturschutzgesetz rechtmäßig beschlagnahmt worden. Ihre Pflege ist mit unverhältnismäßigen Kosten von mindestens 150,00 € im Monat verbunden. Eine baldige Gerichtsentscheidung und damit ein Ende dieser Kosten sind derzeit nach dem Vortrag der Staatsanwaltschaft nicht absehbar. Üblicherweise werden Tiere, die nicht dem Artenschutz unterliegen, bei Einziehung gemäß §§19 Tierschutzgesetz, 74 StGB notveräußert, wenn die Kosten der Unterbringung den Wert des Tieres alsbald zu übersteigen drohen, weil die Pflege mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist. Die Besonderheit besteht im Fall der Einziehung von artgeschützten Tieren wie hier darin, dass eine Notveräußerung nicht möglich ist, weil diese Tiere nicht vermarktet werden dürfen (vgl. AG Hannover, B. v. 25.05.2000, Az.: 204 Ds 160 Js 56227/99). In einem solchen Fall ist die unentgeltliche Abgabe des Tieres an eine geeignete Organisation analog §111 I Abs. 1 StPO zulässig, denn die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung liegen vor. Es besteht eine Gesetzeslücke; im Rahmen einer teleologischen Auslegung ist §111 I StPO dahingehend zu verstehen, dass die Vorschrift nach Sinn und Zweck auch den vorliegenden Fall umfasst. Wie von der Staatsanwaltschaft zutreffend dargestellt, ist Ziel der Vorschrift, im Falle der Verurteilung den Verurteilten nicht mit zu hohen Kosten zu belasten, im Falle des Freispruchs hingegen den Steuerzahler zu entlasten. Das Analogieverbot des Art. 103 GG bzw. des §1 StGB erfasst nicht das Strafprozessrecht (BGH, B. v. 25.11.2006, Az.: 1 BGs 184/06), so dass es der analogen Anwendung nicht entgegen steht.

8

Die Notveräußerung ist entgegen des Vorbringens der Beschuldigten auch nicht unverhältnismäßig. Unter Berücksichtigung des bisherigen finanziellen Aufwands für die Pflege des Tieres ist die Abgabe der Schildkröte das geeignete Mittel, die erheblichen Kosten einzudämmen. Da die Ausgaben den Wert der Strahlenschildkröte zu übersteigen drohen, ist die Notveräußerung unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten auch erforderlich. Ein milderes Mittel ist insbesondere nicht ersichtlich, wenn man das Wohl des Tieres in Betracht zieht. Eine kostengünstigere Unterbringung könnte die für die Pflege und Versorgung des Tieres erforderlichen Standards kaum wahren. Eine leihweise Überlassung der Schildkröte an ein geeignetes Artenschutzzentrum für 20 Jahre, wie in der Vergangenheit praktiziert, käme jedenfalls derzeit für die Beschuldigte faktisch zum selben Ergebnis wie die endgültige Überlassung.

9

Gegen diese Entscheidung ist gemäß §111 I Abs. 6 S. 2 i.V.m. §161 a Abs. 3 S. 4 StPO keine Beschwerde zulässig; sie ist unanfechtbar.