Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 15.08.2016, Az.: 5 B 120/16
einstweilige Anordnung; Exklusivität der Wahlprüfung; Kommunalwahl; Wahlliste; Zulassung zur Wahl
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 15.08.2016
- Aktenzeichen
- 5 B 120/16
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 43269
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 37 Abs 7 KomWO ND
- § 46 Abs 2 KomWO ND
- § 48 KomWO ND
- Art 19 Abs 4 GG
- § 123 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Gegen die Nichtzulassung einer Wahlliste zur Kommunalwahl ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht statthaft, da es aufgrund der Exklusivität der Wahlprüfung lediglich die Möglichkeit der nachträglichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Wahl gibt.
Gründe
I.
Der Antragsteller, der Kreisverband einer politischen Partei, die derzeit mit mehreren Abgeordneten im Stadtrat der Antragsgegnerin vertreten ist, begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Zulassung ihrer Wahlliste zur Kommunalwahl am 11. September 2016.
Am 21. Mai 2016 stimmte die Mitgliederversammlung des Antragstellers über eine Wahlliste für die Kommunalwahl ab, wobei der erste Listenplatz einzeln gewählt und die Plätze 2 bis 9 in einem Wahlgang bestimmt wurden. Vor Durchführung der Wahl wurde die ursprünglich vorgesehene Reihenfolge der Liste hinsichtlich der Plätze 2, 4 und 6 noch geändert und die so geänderte Liste von den Mitgliedern gewählt. Die geänderte Liste wurde in der Folge auf der Homepage des Antragstellers veröffentlicht.
Am 18. Juli 2016 reichte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin seinen Wahlvorschlag für die Gemeindewahl am 11. September 2016 ein. In diesem Wahlvorschlag waren für die Plätze 2, 4 und 6 jedoch die ursprünglich auf dem jeweiligen Platz vorgesehenen Kandidatinnen aufgeführt und nicht die von der Mitgliederversammlung beschlossene Reihenfolge.
Am 27. Juli 2016 (das Datum in der Niederschrift über die Sitzung, das mit dem „27.06.2016“ angegeben wird, ist offensichtlich fehlerhaft) trat der Gemeindewahlausschuss der Antragsgegnerin zusammen und beschloss u.a. die Zulassung des Wahlvorschlags des Antragstellers. Die zugelassenen Wahlvorschläge wurden am 30. Juli 2016 öffentlich bekannt gemacht.
Am 1. August 2016 setzte der Bürgermeister der Antragsgegnerin, der zugleich Mitglied beim Antragsteller ist und auf Platz 1 der Wahlliste gewählt worden war, den Wahlleiter der Antragsgegnerin darüber in Kenntnis, dass mit dem Wahlvorschlag eine falsche Liste eingereicht worden sei, bei der die Reihenfolge der Kandidaten teilweise von der Reihenfolge abweiche, die in geheimer Wahl von der Mitgliederversammlung gewählt worden sei.
Auf einer zweiten Sitzung des Gemeindewahlausschusses der Antragsgegnerin am 3. August 2016 wurde beschlossen, in Abänderung des bereits gefassten Wahlausschuss-Beschlusses nach § 10 Abs. 5 NKWO den Wahlvorschlag des Antragstellers nachträglich zurückzuweisen. Dieser Beschluss wurde am 4. August 2016 öffentlich bekannt gemacht.
In einem Schreiben vom 5. August 2016 forderte der Antragsteller von der Antragsgegnerin eine erneute Sitzung des Gemeindewahlausschusses, um über die Sache erneut zu beraten. Dieses Ansinnen wurde von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 8. August 2016 zurückgewiesen.
Am 9. August 2016 hat der Antragsteller den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.
Er trägt vor, dass die Nichtzulassung des Wahlvorschlags rechtswidrig sei und ihn in seinen Rechten verletze. Der Fehler in der Listenreihenfolge sei offensichtlich gewesen, da die korrekte Reihenfolge bereits vorher auf seiner Homepage veröffentlicht worden sei. Den Fehler habe der Wahlleiter bei seiner Vorprüfung erkennen müssen. Darüber hinaus habe er zumindest eine korrekte Liste bezüglich Platz 1 vorgelegt, weshalb eine Zurückweisung der gesamten Liste unrechtmäßig sei. Die Zulassung sei nur insoweit zu versagen, wie einzelne Bewerber von dem Mangel betroffen seien.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, im Wahlbereich Stadt Bad Bevensen die auf der Aufstellungsversammlung vom 21. Mai 2016 gewählte Liste zur Kommunalwahl am 11. September 2016 zuzulassen,
hilfsweise,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, im Wahlbereich Stadt Bad Bevensen die Liste mit der laufenden Listennummer 1 zur Kommunalwahl am 11. September 2016 zuzulassen.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt vor, dass der Antrag unzulässig sei, da der Antragsteller aufgrund seines erst am 9. August 2016 gestellten Antrags sein Klagerecht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verwirkt habe, weil der Wahlausschuss bereits am 3. August 2016 entschieden habe. Darüber hinaus sei die nachträgliche Wahlprüfung vorrangig. Zudem hätte der in der falschen Angabe der Reihenfolge der Kandidatinnen liegende Mangel des Wahlvorschlags bis spätestens zur Sitzung des Gemeindewahlausschusses am 27. Juli 2016 geheilt werden müssen, weshalb kein mit den kommunalwahlrechtlichen Vorschriften in Einklang stehender Wahlvorschlag vorgelegen habe. Deshalb sei der Gemeindewahlausschuss verpflichtet gewesen, den Wahlvorschlag in seiner erneuten Sitzung zurückzuweisen. Die vorherige Veröffentlichung auf der Homepage des Antragstellers ändere nichts an der Sachlage, da nicht erwartet werden könne, dass der Wahlleiter über die eingereichten Unterlagen hinausgehende Prüfungen und Recherchen vornehme.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Er ist unzulässig, da der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO nicht statthaft ist.
Grundsätzlich kann nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen (Regelungsanordnung).
Eine solche vorläufige Anordnung kommt vorliegend nicht in Betracht, da die Rechtsbehelfe der VwGO durch die in § 46 Abs. 2 des Niedersächsischen Kommunalwahlgesetzes in der Fassung vom 28. Januar 2014 (Nds. GVBl. S. 35), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes zur Neuordnung des Meldewesens vom 17. September 2015 (Nds. GVBl. S. 186) - NKWG - normierte Exklusivität der Wahlprüfung verdrängt werden. Demnach können Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, nur mit einem Wahleinspruch angefochten werden. Der exklusiven Anfechtung im Wahlprüfungsverfahren unterliegen also nicht nur der eigentliche Wahlakt sowie die Feststellung des Wahlergebnisses und der gewählten Bewerber, sondern auch z.B. die Entscheidung über die Zulassung von Wahlvorschlägen (vgl. Steinmetz, Kommunalwahlrecht Niedersachsen, 4. Aufl. 2016, S. 269 f.). Ausnahmen von dem Grundsatz der Exklusivität der Wahlprüfung bestehen nur, soweit andere Rechtsbehelfe ausdrücklich normiert sind (vgl. z.B. die Beschwerdemöglichkeit in § 29 Satz 1 der Niedersächsischen Kommunalwahlordnung vom 5. Juli 2006 (Nds. GVBl. S. 280, ber. S. 431), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO vom 10. November 2015 (Nds. GVBl. S. 320) - NKWO). Angesichts der Vielzahl von Einzelentscheidungen der Wahlorgane und Wahlbehörden kann eine Wahl nur dann termingerecht durchgeführt werden, wenn die Rechtskontrolle der während des gesamten Wahlverfahrens getroffenen Entscheidungen begrenzt wird und einem nach der Wahl stattfindenden Wahlprüfungsverfahren vorbehalten bleibt (vgl. Thiele/Schiefel, Niedersächsisches Kommunalwahlrecht, 4. Aufl. 2016, § 46 Rn. 10; BVerfG, Beschl. v. 14.04.1994 - 2 BvR 2686/93 u.a. -, juris, Rn. 17; LVerfG Brandenburg, Beschl. v. 23.05.2014 - 6/14 EA -, juris, Rn. 6; Nds. OVG, Beschl. v. 20.08.2001 - 10 MA 2815/01 -, V.n.b.; VG Münster, Urt. v. 10.08.2009 - 1 K 1447/09 -, juris, Rn. 14; VG Würzburg, Beschl. v. 09.01.2002 - W 2 E 02.7 -, juris, Rn. 8). Insofern steht die Rechtsschutzkonzeption im Wahlverfahren auch einer in das einstweilige Anordnungsverfahren vorverlegten Wahlprüfung entgegen (vgl. im Hinblick auf eine Bundestagswahl: BVerfG, Beschl. v. 24.08.2009 - 2 BvQ 50/09 -, juris, Rn. 16; VG Bremen, Beschl. v. 16.03.2011 - 1 V 152/11 -, juris, Rn. 8). So wird zugleich die Gefahr ausgeschlossen, dass die Wahlorgane auf der Grundlage gerichtlicher Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, die bei vertiefter Prüfung in einem Hauptsacheverfahren keinen Bestand haben, gesetzliche Verfahrensvorschriften nicht einhalten und es dadurch zu einer Ungültigkeit der Wahl kommt (vgl. VG Münster, Urt. v. 10.08.2009 - 1 K 1447/09 -, juris, Rn. 18).
Diese Auffassung wird gestützt durch die Regelungen der NKWO, die ebenfalls vom Grundsatz der Exklusivität der Wahlprüfung ausgehen. So regelt § 37 Abs. 7 NWKO für die Zulassung der Wahlvorschläge, dass die Wahlleitung die Entscheidung des Wahlausschusses über die Zulassung im Anschluss an die Beschlussfassung unter kurzer Angabe der Gründe verkündet und darauf hinweist, dass die Entscheidung vorbehaltlich einer Nachprüfung im Wahlprüfungsverfahren endgültig ist. Ähnliche Regelungen über die Endgültigkeit von Entscheidungen im Vorfeld der Wahl - vorbehaltlich einer Nachprüfung im Wahlprüfungsverfahren - enthalten § 20 Abs. 6 und § 29 Satz 4 NKWO.
Entgegen der Ansicht des Antragstellers folgt aus der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (Beschl. v. 30.04.2014 - 10 B 10415/14 -, juris) nichts anderes. Zwar hat das Gericht ausgeführt, dass einstweiliger Rechtsschutz im Vorfeld einer Kommunalwahl in Ausnahmefällen zulässig sein kann. Allerdings kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Rechtslage in Rheinland-Pfalz eine andere ist als in Niedersachsen. Anders als in § 46 Abs. 2 NKWG findet sich im Kommunalwahlgesetz Rheinland-Pfalz keine Regelung, die die Exklusivität der Wahlprüfung gesetzlich festschreibt. Stattdessen stützt sich das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz auf den allgemeinen wahlrechtlichen Grundsatz, dass Entscheidungen und Maßnahmen, die sich auf das Wahlverfahren beziehen, nur nachträglich im Rahmen der Wahlprüfung angefochten werden können. Angesichts der eindeutigen Rechtslage im NKWG sieht die Kammer jedoch keinen Anlass, für Ausnahmefälle die Möglichkeit eines einstweiligen Rechtsschutzes im Vorfeld einer Wahl zuzulassen, soweit diese nicht ausdrücklich im geltenden Wahlrecht vorgesehen ist.
Auch der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG erfordert keine andere Bewertung. Das Wahlprüfungsverfahren bietet dem Antragsteller einen den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügenden effektiven Rechtsschutz (vgl. Thiele/Schiefel, a.a.O., § 46 Rn. 10), indem es zum einen der objektiven Gewährleistung einer dem Wählerwillen entsprechenden Sitzverteilung im Parlament dient, zum anderen aber auch der Verwirklichung des subjektiven aktiven und passiven Wahlrechts (vgl. VG Bremen, Beschl. v. 16.03.2011 - 1 V 152/11 -, juris, Rn. 12). Mögliche Rechtsverletzungen des Antragstellers durch Entscheidungen im Vorfeld der Wahl können durch die Entscheidung im Rahmen des Wahlprüfungsverfahrens beseitigt werden (vgl. zur Rechtmäßigkeit der Verweisung auf das Wahlprüfungsverfahren VG Cottbus, Beschl. v. 23.09.2009 - 4 L 281/09 -, juris, Rn. 8). Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 NKWG kann jede Partei oder Wählergruppe, die für die betreffende Wahl einen Wahlvorschlag eingereicht hat, also auch der Antragsteller, gegen die Gültigkeit der Wahl mit der Begründung Einspruch erheben, dass diese nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechend vorbereitet oder durchgeführt oder in unzulässiger Weise in ihrem Ergebnis beeinflusst worden ist. Eine solche Wahlprüfung kann nach § 48 Abs. 2 NKWG zu dem Ergebnis führen, dass die Wahl ganz oder teilweise für ungültig erklärt und deshalb wiederholt wird, so dass die Rechte des Antragstellers durch das nachträgliche Wahlprüfungsverfahren hinreichend geschützt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG. Wegen der Vorwegnahme der Hauptsache hat die Kammer von einer Halbierung des Streitwerts abgesehen.