Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 04.07.2019, Az.: 13 U 4/19

Befreiung von der Darlegung und Glaubhaftmachung der Dringlichkeit in einem Eilverfahren

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
04.07.2019
Aktenzeichen
13 U 4/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 43252
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - AZ: 2 O 179/18

Amtlicher Leitsatz

1. Der sachliche Anwendungsbereich des § 83 EEG (einstweiliger Rechtsschutz) erfasst die Geltendmachung eines isolierten Anspruchs aus dem Katalog des § 83 Abs.1 EEG auch dann, wenn der Anspruch nicht im Zusammenhang mit der Neuerrichtung bzw. der erstmaligen Inbetriebnahme von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien steht.

2. § 83 Abs. 2 EEG besagt nicht, dass es eines Verfügungsgrundes überhaupt nicht bedarf. Vielmehr besteht nur eine widerlegliche tatsächliche Vermutung für das Vorliegen eines Verfügungsgrundes, d.h. der Anlagenbetreiber wird von der Darlegung und Glaubhaftmachung einer Dringlichkeit befreit.

3. An die Erschütterung eines Verfügungsgrundes durch den Antragsgegner (den Netzbetreiber) sind gegenüber § 12 Abs. 2 UWG erhöhte Anforderungen zu stellen.

Tenor:

Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 25.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Nachdem die Parteien den Rechtsstreit im Termin am 2. Juli 2019 übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist gemäß § 91 a Abs. 1 ZPO über die Kosten durch Beschluss nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden. Grundsätzlich entspricht es billigem Ermessen, der Partei, die ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses unterlegen wäre, die Kosten aufzuerlegen. Das wäre hier die Verfügungsklägerin gewesen, weil es bereits an dem für den Erlass einer einstweiligen Verfügung notwendigen Verfügungsgrund fehlte.

Der Verfügungsklägerin hat geltend gemacht, die Verfügungsbeklagte sei nach §§ 8 Abs. 1, 11 Abs. 1 EEG verpflichtet gewesen, die EEG-Anlage der Verfügungsklägerin an ihr Netz anzuschließen und den Strom abzunehmen. Bei Ansprüchen auf Netzanschluss und Stromabnahme nach diesen Vorschriften kann das Gericht gemäß § 83 Abs. 1 EEG auf Antrag des Anlagenbetreibers "bereits vor Errichtung der Anlage unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles durch einstweilige Verfügung regeln, dass der Schuldner ... die Anlage vorläufig anschließen, ... den Strom abnehmen und einen als billig und gerecht zu erachtenden Betrag als Abschlagszahlung ... leisten muss." Diese Regelung gilt nicht nur dann, wenn Ansprüche im Zusammenhang mit der Neuerrichtung bzw. erstmaligen Inbetriebnahme einer Anlage geltend gemacht werden, sondern sie erfasst auch Sachverhalte, bei denen es - wie hier - nach der Netztrennung einer EEG-Anlage um den Wiederanschluss und die Stromabnahme geht (1.). Sie begründet allerdings nur eine widerlegliche tatsächliche Vermutung der Dringlichkeit (2. a)). Hier war die Vermutung bei Eintritt des erledigenden Ereignisses - Wiederanschluss der Anlage nach Ausgleich der offenen Stromrechnungen - widerlegt (2. b)).

1. Wie der Senat bereits entschieden hat (Beschluss vom 2. Juli 2019 - 13 W 25/19), erfasst der sachliche Anwendungsbereich des § 83 EEG die Geltendmachung eines isolierten Anspruchs aus dem Katalog des § 83 Abs.1 EEG in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auch dann, wenn der Anspruch nicht im Zusammenhang mit der Neuerrichtung bzw. der erstmaligen Inbetriebnahme von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien steht (so auch: OLG Naumburg, Urteil vom 8. Dezember 2011 - 2 U 100/11, juris Rn. 31 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 23. Januar 2013 - 5 U 1276/12, juris Rn. 45; Reich, ER 03/2018, S. 103, 104 f.; Reshöft in Reshöft/Schäfermeier, EEG 2012, § 59 Rn. 7 ff.; Lehnert in: Altrock/Oschmann/Theobald, EEG 2012, § 59 Rn. 19; a.A.: OLG Braunschweig, Beschluss vom 6. Oktober 2015 - 2 U 85/15, juris Rn. 8 f.). Der Zweck des § 83 EEG, wonach es dem Gesetzgeber in erster Linie um die Beseitigung von Hindernissen für die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien ging, indem Anlagenbetreiber ihre Ansprüche möglichst schnell und effektiv durchsetzen können (vgl. BT-Drs. 16/8148, S. 74, zu der Vorgängervorschrift § 59 EEG), gilt nicht nur für den Zeitpunkt der erstmaligen Inbetriebnahme der Anlage. Vielmehr kann auch eine Gefährdung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und Existenz des Anlagenbetreibers im laufenden Betrieb die Gefahr der Einstellung und Beendigung der Stromeinspeisung begründen, die über § 83 EEG (vorläufig) beseitigt werden sollen. Zudem würde der beabsichtigte effektive Rechtsschutz leerlaufen, wenn sich der Netzbetreiber dem Eilrechtsschutz durch Leistung der ersten Abschlagszahlung und anschließende Verweigerung weiterer Zahlungen entziehen könnte (vgl. OLG Naumburg, a.a.O., Rn. 34; Reich, a.a.O., S. 105).

2. a) Nach herrschender Meinung, der der Senat folgt, besagt § 83 Abs. 2 EEG nicht, dass es eines Verfügungsgrundes überhaupt nicht bedarf. Vielmehr besteht nur eine widerlegliche tatsächliche Vermutung für das Vorliegen eines Verfügungsgrundes, d.h. der Anlagenbetreiber wird von der Darlegung und Glaubhaftmachung einer Dringlichkeit befreit (Oberlandesgericht Naumburg, Urteil vom 08. Dezember 2011 - 2 U 100/11 -, juris Rn. 36 ff.; LG Görlitz, Urteil vom 11. Juni 2012 - 1 O 168/12 EV -, juris Rn. 18; Salje, EEG 2017, § 83 Rn. 18; BerlKommEnR/Hoffman, § 83 Rn. 24ff.; BeckOK EEG/Siegel, EEG 2017 § 83 Rn. 10; Altrock/Oschmann/Theobald, Erneuerbare-Energien-Gesetz, 4. Auflage 2013, § 83 EEG Rn. 27; Düsing/Martinez/Wernsmann, Agrarrecht, EEG § 83 Rn. 4; a.M. Lamy, IR 2016, 38, beck-online).

Zwar ist der Wortlaut des § 83 Abs. 2 EEG ("... kann erlassen werden, auch wenn die in den §§ 935 und 940 der Zivilprozessordnung bezeichneten Voraussetzungen nicht vorliegen") nicht eindeutig. Er könnte auch so zu verstehen sein, dass ein Verfügungsgrund vollständig entbehrlich ist. Nach den Gesetzesmaterialien zur gleichlautenden Vorgängerregelung des § 59 EEG 2009 sollte aber nur eine widerlegliche Vermutung der Dringlichkeit geschaffen werden. In der Begründung des Gesetzesentwurfs heißt es, die Vorschrift ermögliche es einem Anlagenbetreiber, eine einstweilige Verfügung auf Anschluss, Abnahme und Vergütung zu erwirken, "ohne darlegen zu müssen", dass die Verwirklichung seines Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte oder zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung einer drohenden Gefahr oder aus anderen Gründen notwendig erscheine. Dieses Verständnis entspricht der Regelung in § 12 Abs. 2 UWG ("... können einstweilige Verfügungen auch ohne die Darlegung und Glaubhaftmachung der in den §§ 935, 940 der Zivilprozessordnung bezeichneten Voraussetzungen erlassen werden"), für die es anerkannt ist, dass nur eine widerlegliche tatsächliche Vermutung der Dringlichkeit begründet wird (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, § 12 Rn. 3.13 m. Nachw.). Ebenso wie bei wettbewerblichen Unterlassungsansprüchen, bei denen nach der gesetzgeberischen Wertung aus dem Vorliegen eines unlauteren Wettbewerbsverhaltens regelmäßig auf eine Dringlichkeit der vorläufigen Unterbindung dieses Verhaltens geschlossen werden kann, ist die gesetzgeberische Entscheidung nachvollziehbar, dass bei der Vereitelung eines der genannten Ansprüche eines Anlagenbetreibers grundsätzlich ein kurzfristiges Einschreiten geboten ist. Es ist allerdings im Einzelfall zu prüfen, ob nicht konkrete Anhaltspunkte gegen die Dringlichkeit vorliegen (vgl. OLG Naumburg Urt. v. 8.12.2011 - 2 U 100/11, juris Rn. 38).

An die Erschütterung eines Verfügungsgrundes durch den Antragsgegner (den Netzbetreiber) sind jedoch gegenüber § 12 Abs. 2 UWG erhöhte Anforderungen zu stellen. Entscheidendes Ziel des Abs. 2 ist nämlich der Schutz des Anlagenbetreibers, dessen Rechte in der Auseinandersetzung mit dem Netzbetreiber gestärkt werden sollen, indem er die Möglichkeit erhält, die in Abs. 1 genannten Rechte über eine einstweilige Verfügung durchzusetzen (Altrock/Oschmann/Theobald/Lehnert, a.a.O).

2. b) Nach diesen Grundsätzen ist die Vermutung für das Vorliegen eines Verfügungsgrundes widerlegt. Die Verfügungsklägerin hat durch ihr Verhalten selbst zu erkennen gegeben, dass es ihr nicht eilig ist.

Bereits mit Schreiben der E. V. GmbH vom 27. November 2017 und erneut mit Schreiben vom 18. Dezember 2017 hatte die Verfügungsklägerin von der Stromversorgungsgesellschaft eine Ankündigung der Versorgungseinstellung erhalten, falls sie die Strombezugsrechnung nicht ausgleiche. Die Verfügungsklägerin war nicht bereit, die Rechnung auszugleichen. Sie trägt vor, dass die Androhung der Einstellung sie "nicht besonders zu beeindrucken vermochte", und dass sie die Androhung "nicht besonders ernst genommen" habe, weil ihre Photovoltaikanlage tatsächlich keinen Strom verbrauche, und weil es im Geschäftsbereich der Antragstellerin noch nie eine Anweisung des Grundversorgers gegeben habe, die Anlage nach § 19 StromGVV vom Netz zu trennen; stattdessen hätten die Grundversorger in vergleichbaren Fällen überhöhte Forderungen ausgebucht. Hier buchte die Stromversorgungsgesellschaft die Forderung aber nicht aus, sondern ließ die Stromversorgung der Anlage durch die Verfügungsbeklagte am 18. Januar 2018 sperren. Erst gut zwei Monate später, mit Anwaltsschreiben vom 22. März 2018, wandte sich die Verfügungsklägerin an die Versorgungsgesellschaft mit der Aufforderung, die Anlage spätestens binnen Wochenfrist wieder an das Netz anzuschließen. Wiederum einen Monat später, mit Anwaltsschreiben vom 17. April 2018, forderte sie die Verfügungsbeklagte auf, die Messeinrichtung wieder einzubauen und den Strom abzunehmen, und zwar spätestens binnen zehn Tagen. Obwohl beide Schreiben unbeantwortet blieben, ließ die Verfügungsklägerin weitere zweieinhalb Monate verstreichen, bis sie am 5. Juli 2018 einen Verfügungsantrag bei dem Landgericht einreichte.

In dem erstinstanzlichen Verfahren beantragte die Verfügungsbeklagte, den Termin zur mündlichen Verhandlung am 29. August 2018 auf den 26. September 2018 zu verlegen. Das Landgericht lehnte dies ab, weil der Termin auch von einem Kanzleivertreter anstelle des verhinderten sachbearbeitenden Rechtsanwalts wahrgenommen werden könne. Dennoch fand eine Verlegung des Termins auf den 26. September 2018 statt, nachdem die Verfügungsklägerin ihre Zustimmung dazu erteilte. Auch damit hat die Verfügungsklägerin zu erkennen gegeben, dass es ihr mit der Anspruchsverfolgung nicht eilig ist. Weiteres Indiz hierfür ist, dass die Verfügungsklägerin nach Einlegung der Berufung die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat beantragt und diese Frist ausgeschöpft hat.

Soweit die Verfügungsklägerin geltend macht, der Vorwurf, dass sie monatelang zugewartet habe, treffe nicht zu, weil die Verfügungsbeklagte nach § 19 Abs. 3 StromGVV verpflichtet gewesen wäre, den Beginn der Unterbrechung drei Werktage im Voraus anzukündigen, verkennt sie, dass sich diese Vorschrift an den Stromlieferanten und nicht an den Netzbetreiber richtet. Außerdem enthält § 19 Abs. 3 StromGVV keine Voraussetzung für die Versorgungsunterbrechung, sondern begründet nur - neben der Pflicht zur Androhung der Unterbrechung gem. § 19 Abs. 2 StromGVV - eine gesonderte Verpflichtung des Stromlieferanten, die den Verbraucher vor Schäden aufgrund der Unkenntnis des Termins der Versorgungsunterbrechung schützen soll. Das Unterlassen der Ankündigung steht daher dem Anspruch auf Duldung der Unterbrechung nicht entgegen, sondern kann nur zu einem Schadensersatzanspruch führen (LG Dortmund, Versäumnisurteil vom 10. April 2014 - 11 S 186/12 -; LG Kiel, Beschluss vom 15. Februar 2013 - 10 S 56/12 -; Hartmann in Danner/Theobald, Energierecht, § 19 GasGVV Rn. 27; Paulus/Matzke, NJW 2018, 1905, 1907; zu § 24 Abs. 4 NAV: Danner/Theobald/Hartmann/Blumenthal-Barby, Energierecht, NAV § 24 Rn. Randnummer 37).

II.

Der Streitwert von 25.000,00 € entspricht dem durch die Stromsperre verursachten, im Verfügungsantrag angegebenen jährlichen Verlust der Einspeisevergütung.