Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 23.04.2010, Az.: 2 A 21/09

Andachtsraum; Anlage; Ausnahme; Baugebietsunverträglichkeit; Bauvoranfrage; Einäscherung; Gebietsunverträglichkeit; Gewerbegebiet; Hinterbliebener; Krematorium; Kremierung; Kultur; kultureller Zweck; Religiosität; Sitte; Sterbefall; technischer Vorgang; Trauer; Trauerarbeit; Unverträglichkeit; Weltanschauung; Zulassung; Zulässigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
23.04.2010
Aktenzeichen
2 A 21/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 47977
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Das derzeit bestehende sittliche, religiöse und weltanschauliche Empfinden der Allgemeinheit verbietet es, die Einäscherung Verstorbener als reinen technischen Vorgang, losgelöst von der mit dem Sterbefall verbundenen Trauerarbeit der Hinterbliebenen zu betrachten.
2. Deshalb ist auch ein Krematorium ohne Andachtsraum in einem Gewerbegebiet nicht zulässig.
3. Ein Krematorium ist in einem Gewerbegebiet auch nicht ausnahmsweise zulässig, weil es sich dabei nicht um eine Anlage für kulturelle Zwecke handelt.

Gründe

1

Die Klage ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Erteilung der beantragten Bebauungsgenehmigung.

2

Nach § 74 Abs. 1 NBauO kann auf Antrag über einzelne Fragen, über die im Baugenehmigungsverfahren zu entscheiden wäre und die einer selbständigen Beurteilung zugänglich sind, insbesondere auch über die Frage, ob eine Baumaßnahme nach städtebaulichem Recht zulässig ist, durch einen Bauvorbescheid entschieden werden. Ein positiver Bescheid über eine Bauvoranfrage (Bebauungsgenehmigung) ist dann zu erteilen, wenn das beabsichtigte Vorhaben in dem zur Überprüfung gestellten Umfange dem öffentlichen Baurecht entspricht (§ 74 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 75 Abs. 1 NBauO). Das ist hier nicht der Fall.

3

Allerdings trägt die vom Beklagten gegebene Begründung, soweit sie auf § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO gestützt ist, die ablehnende Entscheidung nicht. Die Versagung der begehrten Bebauungsgenehmigung erweist sich jedoch im Ergebnis als richtig.

4

Der Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei dem geplanten Krematorium nicht um einen in einem Gewerbegebiet generell zulässigen Gewerbebetrieb handelt. – Nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO sind in einem Gewerbegebiet nicht erheblich belästigende Gewerbebetriebe aller Art zulässig. Unter diese Kategorie von Gewerbebetrieben fällt das Vorhaben der Klägerin nicht. Zwar ist ein Krematorium, das von einer Privatperson mit der Absicht der Gewinnerzielung betrieben wird, als Gewerbebetrieb einzustufen. Aus dieser Zuordnung folgt jedoch nicht, dass eine solche Anlage in einem Gewerbegebiet nach Maßgabe der e.g. Vorschrift allgemein zulässig wäre. Welche Betriebe bei der insoweit gebotenen typisierenden Betrachtung in einem Gewerbegebiet zulässig sind, richtet sich nicht nur nach dem Wortlaut des § 8 BauNVO, sondern auch nach der Zweckbestimmung des Baugebietes (vgl. BVerwG, U.v. 29.04.1992 - 4 C 43.89 -, BVerwGE 90, 140). Danach kann ein Krematorium nicht als ein in einem Gewerbegebiet allgemein zulässiger Gewerbebetrieb angesehen werden. Gewerbegebiete sind nach dem Leitbild der Baunutzungsverordnung produzierenden und artverwandten Nutzungen vorbehalten. Für diese Baugebiete ist kennzeichnend, dass in ihnen gearbeitet wird und sie alle damit zusammenhängenden Lebensäußerungen aufweisen, insbesondere die durch die verschiedenen gewerblichen Betätigungen verursachten Arbeitsgeräusche, den herrschenden, regelmäßig erheblichen Straßenverkehr, Werbungen, möglicherweise Geruchsimmissionen etc.. In Bezug auf ein in einem Gewerbegebiet geplantes Krematorium, das -anders als hier- mit einem Trauer-/Abschiedsraum für die Angehörigen des jeweiligen Verstorbenen und andere Teilnehmer an Trauerfeiern versehen war, hat das Bundesverwaltungsgericht entscheiden, dass eine solche Einrichtung mit dem einem Gewerbegebiet zugrunde liegenden Leitbild nicht vereinbar und deshalb wegen seiner Baugebietsunverträglichkeit dort nicht zulässig ist (vgl. BVerwG, B. v. 20.12.2005 - 4 B 71/05 -, Baurecht 2006, 659). Letzteres gilt auch für ein Krematorium, in dem -wie im vorliegenden Falle- lediglich der technische Vorgang des Verbrennens von Leichen stattfindet. Der Betrieb einer solchen Anlage in einem durch stete Geschäftigkeit und Unruhe geprägten Gewerbegebiet ist mit dem sittlichen Empfinden der Allgemeinheit, insbesondere mit der in Deutschland vorherrschenden Anschauung in Bezug auf den Umgang mit Verstorbenen nicht vereinbar. Nach § 1 des Niedersächsischen Gesetzes über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen sind Leichen und Aschen Verstorbener so zu behandeln, dass die gebotene Ehrfurcht vor dem Tod gewahrt und das sittliche, religiöse und weltanschauliche Empfinden der Allgemeinheit nicht verletzt wird. Auch den Verstorbenen verbleibt hinsichtlich der Art und Weise ihrer Bestattung sowie deren Vorbereitung aufgrund der nachgehenden Wirkung des Anspruches auf Achtung der Menschenwürde noch ein über den Tod hinauswirkender Schutz (vgl. E. v. 24.02.1971 - 1 BvR 435/68 -, BVerfGE 30, 173), der es auch verbietet, die Einäscherung völlig losgelöst von der mit dem Sterbefall verbundenen Trauerarbeit der Hinterbliebenen zu betrachten. Dieser Achtungs-/Schutzanspruch liefe leer, wenn man den technischen Vorgang des Verbrennens von Humanleichen in einem Krematorium bauplanungsrechtlich z.B. mit einer Tierkörperbeseitigungsanlage oder einer Anlage zur Verwertung tierischer Abfälle i.S. v. § 2 Abs. 1 Buchstabe a Nr. 7.12 des Anhanges zur 4. BImSchV auf die gleiche Stufe stellte (siehe auch Fickert/Fieseler, BauNVO, 11. Aufl., Vorbem. § 2 - 9, 12 - 14 RdNr. 13. 1. m.w.N.).

5

Die geplante Anlage kann auch nicht nach Maßgabe der Regelungen des § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ausnahmsweise zugelassen werden. Das scheitert bereits daran, dass es sich bei dem Krematorium entgegen der Ansicht des Beklagten nicht um eine Anlage für kulturelle Zwecke im Sinne der Vorschrift handelt. Anlagen für kulturelle Zwecke dienen nach der der e.g. Regelung zugrunde liegenden Vorstellung des Verordnungsgebers traditionell der Kunst, der Wissenschaft und der Bildung, nicht aber dem Gedenken der Toten und der Bestattungskultur (vgl. Fickert/Fieseler, a.a.O., m.w.N.). Das deckt sich mit dem Empfinden des ganz überwiegenden Teiles der Gesellschaft. - Abgesehen davon spricht gegen die Qualifizierung eines Krematoriums als Anlage für kulturelle Zwecke, dass eine solche Einrichtung dann nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO in Kleinsiedlungsgebieten, nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO auch in reinen Wohngebieten ausnahmsweise zulässig und nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO in allgemeinen Wohngebieten sogar allgemein zulässig wäre. Nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 und § 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO könnte ein Krematorium ferner ausnahmsweise in einem Gewerbe- und in einem Industriegebiet zugelassen werden. Eine solche allgemeine oder ausnahmsweise Zulässigkeit von Krematorien als Anlage für kulturelle Zwecke in nahezu allen in der Baunutzungsverordnung bezeichneten Baugebieten hat der Verordnungsgeber offenkundig nicht gewollt. Sie stünde zu dem Leitbild der Baunutzungsverordnung, eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung und eine dem Wohl der Allgemeinheit entsprechende, geordnete Bodennutzung zu gewährleisten (§ 1 Abs. 5 Satz 1 BauNVO), im Widerspruch (vgl. Fickert/Fieseler, a.a.O., m.w.N.). § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO kommt deshalb als Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch von vornherein nicht in Betracht. Zwar hat der Beklagte die Bauvoranfrage unter Anwendung der e.g. Norm negativ beschieden; er hat sie damit jedoch im Ergebnis zu Recht abgelehnt.