Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 20.12.2012, Az.: 23 SchH 15/12
Anwendung des Art. 23 S. 6 Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren bei Vorsehen einer Ausschlussfrist für abgeschlossene Verfahren bei Anhängigkeit eines Verfahrens vor dem EGMR vor Ablauf der Frist
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 20.12.2012
- Aktenzeichen
- 23 SchH 15/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 29776
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2012:1220.23SCHH15.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - AZ: 33 KLs 22/02
Rechtsgrundlagen
- Art. 23 S. 6 ÜVerfBesG
- § 198 GVG
- § 199 GVG
Fundstelle
- VRR 2013, 42
Amtlicher Leitsatz
Art. 23 Satz 6 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, der eine Ausschlussfrist für abgeschlossene Verfahren vorsieht, findet auch in den Fällen Anwendung, in denen der Kläger vor Ablauf der Frist ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig gemacht hat
In dem Rechtsstreit
H.-J. P., A., W.,
Kläger,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte W., G., Go., G.straße, H.,
Geschäftszeichen: Wi/Ta 2l.837/00
gegen
Land N., vertreten durch die Generalstaatsanwaltschaft C., S., C.,
Beklagter,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro Dr. B. | C., T., C.,
Geschäftszeichen: 52/2485/12B
hat der 23. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 18. Dezember 2012 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht xxxxxx, den Richter am Oberlandesgericht xxxxxx und den Richter am Oberlandesgericht xxxxxx
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, soweit nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags geleistet hat.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von dem Beklagten im Wesentlichen Entschädigung wegen überlanger Dauer eines gegen ihn gerichteten Strafverfahrens. Gegen den Kläger wurde seitens der Staatsanwaltschaft Hannover seit dem 22. Februar 1999 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Diebstahls und der Hehlerei durchgeführt (Az.: 172 Js 20866/00). Die Ermittlungen führten zu einer Anklageschrift vom 30. Juni 2000 und zu einer Verurteilung durch das Landgericht Hannover vom 26. März 2001. Auf die Revision des Klägers hob der Bundesgerichtshof dieses Urteil mit Beschluss vom 7. Mai 2002 auf und verwies das Verfahren zur erneuten Verhandlung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Hannover zurück. Nach drei Hauptverhandlungsterminen am 7. Dezember 2009, 16. Dezember 2009 und 6. Januar 2010 wurde das Verfahren gegen den Kläger rechtskräftig eingestellt. Die Kostenentscheidung ist seit dem 6. April 2010 rechtskräftig. Bereits am 15. November 2008 hat der Kläger Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhoben. Unter dem 10. Juli 2012 hat der Kläger vorgerichtlich wegen der Dauer des Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 11.300 € geltend gemacht. Die von ihm gesetzte Frist ist fruchtlos verstrichen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zur Zahlung von 11.300 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 27. Juli 2012,
sowie zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 773,73 € zu verurteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klageschrift ist am 10. August 2012 bei Gericht eingegangen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Par-teien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Dem Kläger steht kein Anspruch gemäß § 199 i. V. m. § 198 GVG wegen überlanger Dauer des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens zu. Diese Anspruchsgrundlage kommt gemäß Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zwar auch bei schon zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes am 3. Dezember 2011 abgeschlossenen Verfahren in Betracht. Gemäß Art. 23 Satz 6 ist ein Anspruch aber ausgeschlossen, wenn die Klage nicht spätestens am 3. Juni 2012 erhoben worden ist (vgl. auch BT-Drs. 17/3802, S. 41). Diese Frist ist hier nicht eingehalten. Das Strafverfahren ist seit 2010 abgeschlossen, die Klage aber erst am 10. August 2012 beim Oberlandesgericht Celle eingegangen. Die Regelung findet nach ihrem eindeutigen Wortlaut entgegen der Rechtsauffassung des Klägers auch auf Verfahren Anwendung, die noch Gegenstand einer beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängigen Beschwerde sind. Nach Art. 23 Satz 1 ist zwischen "anhängigen" und "abgeschlossenen" Verfahren zu unterscheiden, wobei im letzteren Fall die (mögliche) Anhängigkeit einer "Beschwerde" zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hinzukommen muss. Hieran knüpfen die folgenden Sätze des Art. 23 an. Die Sätze 2 bis 4 sind für "anhängige Verfahren" maßgeblich, die Sätze 5 und 6 für "abgeschlossene Verfahren". Dies hat zur Folge, dass zwar die Frist des § 198 Abs. 5 GVG bei nach nationalem Recht abgeschlossenen Verfahren keine Anwendung findet (Art. 23 Satz 5), wohl aber die Ausschlussfrist des Art. 23 Satz 6.
Mit der Verneinung des Hauptanspruchs stehen dem Kläger auch die geltend gemachten Nebenansprüche nicht zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache bzw. Bedürfnisses einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung war die Revision gemäß § 201 Abs. 2 Satz 3 GVG i. V. m. § 543 ZPO nicht zuzulassen.