Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 20.12.2012, Az.: 8 U 157/12

Eintrittspflicht des Rechtsschutzversicherers

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
20.12.2012
Aktenzeichen
8 U 157/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 31387
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2012:1220.8U157.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 16.05.2012

Redaktioneller Leitsatz

Macht der Versicherungsnehmer in der Rechtsschutzversicherung Ansprüche gegen einen Lebensversicherer geltend mit der Begründung, er sei bei Vertragsschluss nicht ausreichend über seine Rechte aufgeklärt worden, so ist die Rechtsschutzversicherung nicht eintrittspflichtig, wenn der Versicherungsvertrag zeitlich erst nach dem Lebensversicherungsvertrag abgeschlossen worden ist.

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das am 16. Mai 2012 verkündete Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Urteile sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 7.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Der Kläger macht einen Anspruch auf Versicherungsschutz aus einem Rechtsschutzversicherungsvertrag geltend.

2

Zwischen den Parteien besteht ein Vertrag, der seit 2010 auch privaten Rechtsschutz umfasst (Versicherungsschein Bl. 79 ff., Bedingungen - GKA RVB 2000.1 - Bl. 50 ff.).

3

Der Kläger unterhielt zwischen 1996 und 2007 eine Lebensversicherung bei der SV S.versicherung L.versicherung AG (Bl. 9). Er beabsichtigt die Geltendmachung weiterer Ansprüche und erklärte zu diesem Zweck mit Anwaltsschreiben vom 22. Juli 2011 den Widerspruch gemäß § 5 a VVG a. F. (Bl. 116). Die S.versicherung widersprach mit Schreiben vom 8. August 2011 (Bl. 15).

4

Mit Anwaltsschriftsatz vom 22. September 2009 bat der Kläger um Deckungszusage (Bl. 16 ff.). Mitgeteilt worden ist dort, dass der Rechtsverstoß der S.versicherung in der fehlenden bzw. unvollständigen Aufklärung bei Abschluss des Vertrages liege.

5

Die Beklagte lehnte die Übernahme des Rechtsschutzes wegen Vorvertraglichkeit ab (Schreiben vom 5. Oktober 2009, Bl. 19, außerdem vom 27. Juni 2011, Bl. 30).

6

In der Klagschrift vom 20. September 2011 hat der Kläger seinen Hinweis auf Fehler der S.versicherung bei Vertragsabschluss wiederholt; er sei nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht i. S. v. § 5 a VVG a. F. belehrt worden. Für die Frage des Anspruchs auf Rechtsschutz sei auf den Zeitpunkt der Ablehnung des Widerspruchsrechts abzustellen, so dass der Vorvertragseinwand der Beklagten nicht greife.

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Dem hat die Beklagte widersprochen und u. a. auf den Inhalt der Deckungsanfrage vom 22. September 2009 verwiesen.

8

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

9

Die Frage der Vorvertraglichkeit sei zu Lasten des Klägers zu entscheiden gewesen. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 c) ARB gelte der Versicherungsfall von dem Zeitpunkt an als eingetreten, in dem der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten begangen habe oder begangen haben solle.

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Für die vorzunehmende Festlegung des Versicherungsfalls komme es auf den Tatsachenvortrag an, mit dem der Versicherungsnehmer den Verstoß begründe. Vorliegend sei nicht die Ablehnung der Widerrufsberechtigung der Verstoß. Im Schreiben vom 22. September 2009 gegenüber der Beklagten habe der Kläger ausdrücklich den Rechtsverstoß in der fehlenden bzw. unvollständigen Aufklärung bei Abschluss des Vertrages gesehen. Zu dieser Zeit habe die S.versicherung den Widerruf mangels Ausübung noch nicht abgelehnt, so dass der mit der Deckungsanfrage vom 22. September 2009 gemeldete Rechtsschutzfall nur die fehlerhafte bzw. unvollständige Aufklärung habe betreffen können, wie es der Kläger in diesem Schreiben auch ausdrücklich selbst behauptet habe. Soweit der Kläger sich nun mit der Klagschrift auf die Ablehnung der S.versicherung berufe, handele es sich nicht um einen neuen Rechtsschutzfall, sondern um die Erweiterung des ursprünglichen. Dazu habe die Beklagte zu Recht darauf abgestellt, dass der Einwand der Vorvertraglichkeit gerade davor schützen solle, dass in Ansehung eines bereits existenten Versicherungsfalles eine Versicherung abgeschlossen werde. So verhalte es sich vorliegend.

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Gegen das Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung unter Aufrechterhaltung seines erstinstanzlich gestellten Antrages.

12

Der Kläger wiederholt seine Auffassung, wonach Rechtsschutzfall die Zurückweisung des Widerspruchs durch die S.versicherung sei. Das Vorliegen eines Verstoßes im Sinne von § 4 Abs. 1 c) RVB werde ausschließlich nach der objektiven Zuwiderhandlung gegen Rechtsvorschriften bestimmt, auf subjektive Elemente komme es nicht an. Bei der Beurteilung des Rechtsschutzfalls sei auf den vorgetragenen Sachverhalt abzustellen. Objektiv sei durch den Kläger bereits im Schreiben vom 22. September 2009 vorgetragen worden, dass beabsichtigt sei, einen Widerspruch zu erklären und als Folge dessen die nicht zurückerstatteten Versicherungsbeiträge zzgl. Nutzungen herauszuverlangen. Entscheidend sei der Tatsachenvortrag. Eine rechtliche Fehleinschätzung könne dem Kläger nicht angelastet werden, zumal er keinen Rechtsvortrag schulde. Die Rechtsmeinung im Schriftsatz vom 22. September 2009 sei daher für die tatsächliche Bestimmung des Rechtsschutzfalls irrelevant, was das Landgericht Hannover verkannt habe.

13

Der sich aus dem objektiven Tatsachenkern ergebende Rechtsverstoß liege in der Zurückweisung der Widerspruchsberechtigung durch die S.versicherung im Schreiben vom 8. August 2011. Der Hinweis des Klägers auf eine fehlerhafte Widerspruchsbelehrung bei Vertragsschluss sei lediglich Beiwerk gewesen. Nicht der zeitlich erste rechtliche Angriffspunkt sei entscheidend, sondern der erste Rechtsschutzfall nach dem Vortrag des Klägers.

14

Den Rechtskonflikt ausgelöst habe die Zurückweisung des Widerspruchsrechts. Diese sei ursächlich für die angestrebte Streitigkeit gegen die S.versicherung. Hätte diese den Widerspruch nicht zurückgewiesen, wäre auch keine Klage geboten gewesen.

15

Vorsorglich verweist der Kläger auf § 4 Abs. 2 RVB. Erstreckt sich danach der Rechtsschutzfall über einen Zeitraum, ist dessen Beginn maßgeblich. Sind für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen mehrere Rechtsschutzfälle ursächlich, ist der erste entscheidend, wobei jedoch jeder Rechtsschutzfall außer Betracht bleibt, der länger als ein Jahr vor Beginn des Versicherungsschutzes für den betroffenen Gegenstand der Versicherung eingetreten ist. Dazu verweist der Kläger darauf, dass Versicherungsschutz bei der Beklagten erstmals mit Datum vom 20. Dezember 2002 eingetreten sei.

16

Falsch sei die Auffassung des Landgerichts, dass es sich bei der fehlerhaften Widerspruchsbelehrung und der Zurückweisung des Widerspruchsrechts durch die S.versicherung nicht um zwei voneinander unabhängige Rechtsverstöße handele. Die mangelhafte Widerspruchsbelehrung stelle für den Versicherungsnehmer noch keinen zwingenden Anlass für einen Rechtsstreit dar, weil die Möglichkeit des Widerspruchs bestehe. Erst die Ablehnung des Widerspruchsrechts berge das Konfliktpotential.

17

Der Kläger beantragt (Bl. 156 f., 194, 196),

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1. unter Abänderung des am 16. Mai 2012 verkündeten Urteils des Landgerichts Hannover, Az.: 6 O 237/11, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, bedingungsgemäß Versicherungsschutz für den Rechtsstreit des Klägers gegen die SV S.versicherung L. AG im Rahmen der Rückabwicklung des Lebensversicherungsvertrages Nr. 2087250660 (bisher 90.8725060.2) zu gewähren und die außergerichtlich und in erster Instanz anfallenden Kosten dieses Rechtsstreits zu übernehmen,

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2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 603,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt (Bl. 144, 196),

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die Berufung zurückzuweisen.

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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

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Sie meint, die Zurückweisung des Widerspruchs könne nicht den hier maßgeblichen Rechtsschutzfall darstellen, wie sich auch darin zeige, dass der Kläger seinen Rechtsanwalt bereits vor Ausübung des Widerspruchs beauftragt habe. Deckungsschutz für das außergerichtliche Tätigwerden sei daher von vornherein ausgeschlossen. Mehrere selbständige Verstöße lägen nicht vor, so dass § 4 Abs. 2 RVB nicht eingreife. Zu den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten fehle jeder Vortrag.

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Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen, das angefochtene Urteil sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen verwiesen.

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II. Die zulässige Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg; durchgreifende Einwände bestehen gegen das angefochtene Urteil nicht.

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1. Zwischen den Parteien besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag. Dazu, seit wann dieser auch den hier in Rede stehenden Rechtsschutz umfasst, haben die Parteien vorgerichtlich und im Laufe dieses Rechtsstreits ganz unterschiedliche Angaben gemacht. Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen und dabei auch auf den vorgelegten zweiten Nachtrag zum Versicherungsschein (Bl. 79 ff.) verwiesen, der auf S. 1 zum Stichwort "Rechtsschutz" einen handschriftlichen Zusatz zu Privat- und Familienrechtsschutz mit einem ebenfalls handschriftlich eingetragenen Beginn ab 5. März 2010 enthält. Der Senat betrachtet den Streit darüber als erledigt, zumal die Ausführungen des Klägers auf S. 2 der Berufungsbegründung (Bl. 157) ohnehin nahe legen, dass er selbst davon ausgeht, dass das geltend gemachte Risiko erst ab 5. März 2010 versichert gewesen sei.

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2. Der Vorvertragseinwand, der letztlich der einzige Streitpunkt in dieser Sache ist, ist von der Beklagten zu Recht erhoben worden.

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An sich ist der Gedanke des Klägers, jedenfalls soweit es um die zuletzt bemühte Argumentation zum Versicherungsfall in Gestalt der Zurückweisung des Widerspruchs des Klägers geht, nicht fernliegend und mindestens gut vertretbar. Der Senat hat in einem Beschluss vom 3. Mai 2012 (8 U 58/12 = 8 O 152/11 LG Hannover) zu einem Sachverhalt, den man für vergleichbar halten darf, im Sinne des Versicherungsnehmers entschieden. Dort ging es um einen Darlehensvertrag, der zu einer Zeit vor Abschluss des Rechtsschutzversicherungsvertrages geschlossen worden war. Nach Abschluss des Rechtsschutzversicherungsvertrages war dieser Vertrag vom Versicherungsnehmer/Darlehensnehmer gegenüber dem Darlehensgeber widerrufen worden. Das Argument der Vorvertraglichkeit hat der Senat zurückgewiesen. Der Sachverhalt, wie der Senat weiter ausgeführt hat, sei von vornherein anders zu würdigen als etwa bei der Sittenwidrigkeit eines Vertrages, weil dieser Mangel zur Nichtigkeit ex nunc führe, ohne dass es noch auf ein irgendwie ablehnendes Verhalten des Vertragspartners ankäme. Maßgebliches Ereignis sei in dem zu entscheidenden Fall nicht eine "Ablehnung der Widerrufsberechtigung", sondern der Umstand, dass die Darlehensgeberin die Rückabwicklung verweigert habe. Die Parallelität zur vorliegenden Sache kann man darin sehen, dass die S.versicherung sich nach dem im Jahr 2010 erfolgten Widerspruch durch den Kläger auf die Position zurückgezogen hat, dass der Vertrag im Jahr 2007 erloschen sei und deswegen dem Kläger keine weiteren Ansprüche zustünden.

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3. Damit aber ist die Frage nach Pflichtverletzung und eventueller Vorvertraglichkeit noch nicht abschließend beantwortet. Zutreffend hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass es für die Festlegung des Versicherungsfalls als die dem Vertragspartner vorgeworfene Pflichtverletzung auf den Tatsachenvortrag ankomme, mit dem der Versicherungsnehmer den Verstoß begründe (BGH, VersR 2003, 638[BGH 19.03.2003 - IV ZR 139/01]). Keinen anderen Inhalt hat es, wenn es heißt, es komme auf den Verstoß an, den der Versicherungsnehmer seinem Vertragspartner anlaste (BGH, VersR 2008, 113[BGH 17.10.2007 - IV ZR 37/07]). Entscheidend sind jedenfalls immer allein die Behauptungen des Versicherungsnehmers (BGH, VersR 2009, 109[BGH 19.11.2008 - IV ZR 305/07]).

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Dabei trifft es zu, dass es nicht auf subjektive Wertungen und Rechtsansichten ankommt. "Anknüpfend an den Wortlaut wird dem Versicherungsnehmer zunächst klar, dass sich ein Verstoß schon begrifflich auf einen im tatsächlichen Geschehen wurzelnden Vorgang beziehen muss. Ihm wird daher einleuchten, dass sein Vortrag nicht nur ein Werturteil enthalten darf, sondern einen Tatsachenkern haben muss, der die Beurteilung erlaubt, ob der damit beschriebene Vorgang den zwischen den Parteien ausgebrochenen Konflikt jedenfalls mit ausgelöst hat, und dass es insofern weiterer qualifizierender Voraussetzungen nicht bedarf, also ein adäquater Ursachenzusammenhang ausreicht" (BGH, VersR 2005, 1684[BGH 28.09.2005 - IV ZR 106/04]). Das hat aber auch das Landgericht nicht verkannt.

31

Daraus, dass die Bestimmung des Versicherungsfalls Sache des Versicherungsnehmers ist, ergibt sich, dass es an sich dem Kläger freistand, diese Pflichtverletzung darin zu sehen, dass die S.versicherung sich weigerte, die Ausübung des Widerspruchs durch den Kläger zu akzeptieren.

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Der Kläger hatte freilich bereits im Jahr 2009 den Versicherungsfall abweichend bestimmt. Es heißt im Anwaltsschreiben vom 22. September 2009 (Bl. 16 ff.), mit dem um Rechtsschutz für die außergerichtliche Tätigkeit sowie für die Vertretung vor Gerichten erster Instanz gebeten wird, u. a.:

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"Unsere Mandantschaft beabsichtigt, den Differenzbetrag (...) im Klagewege geltend zu machen, da (...) bei Abschluss des Vertrages nicht alle für die Willensbildung maßgeblichen Informationen, insbesondere die AVB zur Verfügung standen. Diese vertragsrelevanten Informationen wurden ihr vielmehr erst mit Übersendung der Vertragsurkunde übermittelt (sog. Policenmodell nach § 5 a VVG). Diese Vorgehensweise stellt einen Verstoß gegen (...) dar, mit der Folge, dass der Mandantschaft ein unbefristetes Widerspruchsrecht zusteht (...). Folge des Widerspruches, welcher auch noch nach einer etwaigen Kündigungserklärung ausgesprochen werden kann, ist, dass der Versicherungsnehmer einen Anspruch auf vollständige Rückzahlung aller seiner Prämien nach § 812 Abs. 1, 1. Alt. BGB hat. (...) Der Rechtsverstoß liegt in der fehlenden bzw. unvollständigen Aufklärung bei Abschluss des Vertrages."

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Dazu heißt es in einer vom Senat bereits in dem genannten Beschluss in 8 U 58/12 herangezogenen Entscheidung des BGH vom 17. Oktober 2007 (IV ZR 37/07):

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"Ob der Vorvertragseinwand (...) durchgreift, weil die Widerrufsbelehrung nach dem HWiG bei Vertragsschluss 1993 und damit vor Abschluss der Rechtsschutzversicherung 1999 nicht erteilt worden ist, begegnet allerdings Bedenken. Dabei wird außer Acht gelassen, dass es für den Eintritt des Rechtsschutzfalles gemäß § 4 Ziff. 1 c) ARB 94 auf den Verstoß ankommt, den der Versicherungsnehmer seinem Vertragspartner anlastet. (...) Bei der danach vorzunehmenden Festlegung des Versicherungsfalles als die dem Vertragspartner vorgeworfene Pflichtverletzung kommt es dann auf den Tatsachenvortrag an, mit dem der Versicherungsnehmer den Verstoß begründet. Als frühestmöglicher Zeitpunkt kommt das dem Anspruchsgegner vorgeworfene pflichtwidrige Verhalten in Betracht, aus dem der Anspruch hergeleitet wird."

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Damit ist ohne weiteres davon auszugehen, dass jedenfalls im Jahr 2009 mit dem Anwaltsschreiben vom 22. September 2009 der Versicherungsfall im Sinne der damaligen Argumentation des Klägers festgelegt wurde. Dass es nicht um rechtliche Würdigung geht, hat der Kläger in seiner Berufungsbegründung zwar ausgeführt. Das Schreiben vom 22. September 2009 enthält aber gerade nicht nur rechtliche Würdigungen, sondern vor allem in tatsächlicher Hinsicht eine Festlegung dahingehend, dass der Versicherungsfall in der fehlenden bzw. unvollständigen Aufklärung bei Abschluss des Vertrages und damit im Jahr 1996 liegt, was den Vorvertragseinwand ohne weiteres begründet. In dem Schreiben vom 22. September 2009 ist zwar davon die Rede, dass ein unbefristetes Widerspruchsrecht zustehe, mithin ein solches vom Kläger noch geltend gemacht werden kann. Dieser Umstand verdrängt aber nicht die unmissverständliche Aussage, der dem Vertragspartner, der S.versicherung, angelastete Rechtsverstoß liege in der fehlenden bzw. unvollständigen Aufklärung bei Abschluss des Vertrages im Jahr 1996. Überdies wird Deckungsschutz gerade nicht erst für den Fall eines zukünftigen Widerspruchs, der auch nicht kurzfristig erfolgte, gewährt. Soweit im Mai 2010 offenbar die Korrespondenz mit der S.versicherung aufgenommen wurde, geschah dies, wie sich dem Antwortschreiben der S.versicherung vom 8. Juni 2010 (Bl. 9) entnehmen lässt, im Zusammenhang mit der Höhe der dem Kläger zustehenden Ansprüche und der von ihm erbrachten Leistungen. Für einen erfolgten oder auch nur angedachten Widerspruch zu dieser Zeit ist noch nichts ersichtlich. Dasjenige Ereignis, das der Kläger nunmehr als den relevanten Pflichtenverstoß ansieht, ist nach seinem eigenen Vortrag (Bl. 114) das Ablehnungsschreiben der S.versicherung vom 8. August 2011 (Bl. 115). Dieses Ereignis liegt zwei Jahre nach der Deckungsanfrage des Klägers.

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Einem Versicherungsnehmer kann nicht das Recht zugestanden werden, seine - ohnehin nie beliebige - Wahl des Versicherungsfalls mehrfach oder sonstwie abweichend voneinander zu definieren. Ob ein solches Neubestimmungsrecht bestehen kann, wenn der ursprünglich vorgetragene Sachverhalt gar keinen Versicherungsfall darstellt, und dann dem Versicherungsnehmer möglicherweise das Recht zugestanden werden muss, erstmalig einen Versicherungsfall zu definieren, kann dahingestellt bleiben, weil der vom Kläger ursprünglich vorgetragene Sachverhalt einen Versicherungsfall darstellt, allerdings einen solchen, für den der Vorvertragseinwand greift.

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4. Es ergibt sich für den Kläger letztlich auch nichts aus § 4 Abs. 2 RVB. Es ist von einem einheitlichen Versicherungsfall auszugehen.

39

Für einen sich über einen Zeitraum erstreckenden Versicherungsfall ist nach § 4 Abs. 2 RVB dessen Beginn maßgeblich. Im Falle mehrerer Rechtsschutzfälle ist der erste entscheidend, wobei aber jeder außer Betracht bleibt, der länger als ein Jahr vor Beginn des Versicherungsschutzes für den betroffenen Gegenstand der Versicherung eingetreten oder, soweit sich der Rechtsschutzfall über einen Zeitraum erstreckt, beendet ist.

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Liegen mehrere Rechtsschutzfälle vor, ist an sich der erste entscheidend, dann aber nicht, wenn - was wohl eigentlich zum Schutze des Versicherers gedacht war - dieser bei Beginn des Versicherungsschutzes mehr als ein Jahr zurücklag. Es kommt dann auf den zweiten an, hier die Weigerung des Lebensversicherers zur Rückabwicklung.

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Das Landgericht ist ersichtlich von einem einheitlichen Versicherungsfall ausgegangen. Das vom Landgericht bemühte teleologische Argument lässt sich zwar hören, vermengt möglicherweise aber unterschiedliche Fragen, nämlich zum einen diejenige nach dem Versicherungsfall selbst, zum anderen diejenige nach der Vorvertraglichkeit.

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Dass ein einheitlicher (Lebensversicherungs-)Vertrag vorliegt, genügt für sich genommen nicht, um einen Dauerverstoß anzunehmen. Es müsste ein Verstoß fortdauern oder dieser sich wiederholen (BGH, VersR 1983, 125). Es ist aber denkbar, dass ganz unterschiedliche Pflichtverletzungen eines Vertragspartners Gegenstand von Auseinandersetzungen sein können, so dass die Annahme eines Dauerverstoßes eher fern liegt (s. z. B. - differenzierend - OLG Hamm, VersR 2011, 258[OLG Hamm 27.10.2010 - I-20 U 71/10] für einen ärztlichen Behandlungsvertrag).

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Es geht vorliegend nicht mehr um die anfängliche Behauptung von Pflichtverstößen bei Antragstellung, sondern um die Weigerung der Rückabwicklung. Eine solche Weigerung lässt sich an sich als eigener - bedingungsgemäßer - Verstoß gegen Rechtspflichten verstehen. Eine solche Weigerung ist nicht notwendige (aber selbstverständlich mögliche) Folge von Pflichtverstößen bei Antragstellung, sondern kann unabhängig von Vorkommnissen bei Vertragsbeginn einen Versicherungsfall darstellen.

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Das ist aber nicht zwingend und gilt insbesondere auch nicht für den vorliegend zu entscheidenden Sachverhalt, und zwar schon deshalb nicht, weil das Anwaltsschreiben vom 22. September 2009, mit dem der Kläger um Deckungsschutz nachsuchte und dazu aus seiner Sicht den Rechtsschutzfall schilderte, auf sein - angeblich - unbefristetes Widerspruchsrecht Bezug nahm. Es geht hier nicht um einen "freien" Widerruf, den der (europäische) Normgeber für Verbraucher vorgesehen hat, um ihnen ein Überdenken ihrer Willenserklärung zu ermöglichen, sondern um einen Widerruf oder Widerspruch vor dem Hintergrund, dass der Vertragspartner nach dem Vortrag des Klägers seine Pflichten verletzt habe, hier in Gestalt der Nichtübergabe von Unterlagen (wobei dahingestellt bleiben kann, ob das dann die Zugrundelegung der - zweifelhaften - Prämisse bedeutete, dass nach dem VVG a. F. der Versicherer an sich dem Antragsmodell verpflichtet war und nur zur Beseitigung von Unterlassungen, also ausnahmsweise, dem Policenmodell hätte folgen dürfen). Vorliegend jedenfalls lässt sich der Kreis vom Vertragsschluss bis zum erklärten Widerspruch schließen. Denn der Grund für die - behauptete - zweite Pflichtverletzung des Lebensversicherers lässt sich nicht von der - behaupteten - ersten Pflichtverletzung trennen. Nach dem maßgeblichen Vortrag des Klägers hat die Vertragswidrigkeit mit Vertragsschluss begonnen und dann fortgedauert. Die Ablehnung der Rückabwicklung ist von der behaupteten Vertragswidrigkeit nicht zu trennen, sondern beruht auf ihr. Aus der Sicht des Lebensversicherers ist die Ablehnung konsequent; lag bereits bei Vertragsschluss keine Pflichtwidrigkeit im Hinblick auf ein mögliches Widerspruchsrecht vor, gab es auch nunmehr keinen Grund, dem Rückabwicklungsverlangen des Klägers nachzukommen.

45

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 708 Nr. 10, § 711, 713 ZPO.

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Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen.