Landgericht Lüneburg
Beschl. v. 16.11.2004, Az.: 25 Ns 47/03 H
Ausschluss eines vorsitzenden Richters von der Ausübung des Richteramtes; Bestehen der Möglichkeit zur Vernehmung des Richters als Zeuge in einer erneuten Hauptverhandlung
Bibliographie
- Gericht
- LG Lüneburg
- Datum
- 16.11.2004
- Aktenzeichen
- 25 Ns 47/03 H
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 37072
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGLUENE:2004:1116.25NS47.03H.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Dannenberg - 18.03.2003
Rechtsgrundlagen
- § 22 Nr. 5 StPO
- § 30 StPO
Fundstelle
- StV 2005, 77-78 (Volltext mit amtl. LS)
In der Strafsache
...
hat die 5. Strafkammer des Landgerichts Lüneburg
am 16. November 2004
durch
den RiLG v. Hugo
beschlossen:
Tenor:
Der Vorsitzende Richter am Landgericht ist in dieser Sache gemäß § 22 Nr. 5 StPO von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen.
Gründe
Dem Angeklagten wird von der Staatsanwaltschaft sexueller Missbrauch seiner Stieftochter vorgeworfen. Das Amtsgericht Dannenberg hat den Angeklagten mit Urteil vom 18.3.2003 freigesprochen. Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Über diese Berufung hat die Kammer ab dem 15.10.2003 an 5 Tagen verhandelt. xxx wurde ausweislich des Protokolls am ersten Tag von 10.57 Uhr bis 15.51 Uhr und am 2. Verhandlungstag von 12.06 bis 12.48 Uhr vernommen. Am 5. Verhandlungstag wurde die Hauptverhandlung ausgesetzt, nachdem die Kammer beschlossen hatte, ein Glaubwürdigkeitsgutachten bezüglich der Zeugin xxx einzuholen. Zur Sachverständigen wurde Frau Dr. bestimmt. Deren Gutachten liegt vor. Sie kommt zu dem Ergebnis, daß die Aussage eine hohe Gewähr dafür biete, glaubhaft zu sein (Bl. 67/ 68 Gutachten). Zu diesem Ergebnis ist die Sachverständige unter anderem aufgrund einer Analyse der Aussagekonstanz gelangt, wobei sie die Zeugenvernehmungen vor der Polizei, der Aussage vor dem Amtsgericht Dannenberg und den Aussagen im Rahmen der Exploration verwertet hat ( Bl. 59 Gutachten ); eine Berücksichtigung der Aussage der Zeugin in der Hauptverhandlung vor der Kammer war ihr naturgemäß nicht möglich, weil sich über diese Aussage keine Inhaltliche Widergabe im Protokoll befindet. Der frühere und zugleich jetzige Vorsitzende der Kammer hat nunmehr erneut Termin zur Hauptverhandlung bestimmt.
In Vorbereitung der Hauptverhandlung hat der Verteidiger darauf hingewiesen, daß von der Sachverständigen auch die Aussage der Zeugin in der ersten Hauptverhandlung mit zu berücksichtigen sei und deshalb in der neuen Hauptverhandlung die Vernehmung des Vorsitzenden der Kammer erforderlich werde (Schriftsatz vom 19.10.2004).
Mit Verfügung vom 11.11.2004 hat der Vorsitzende der Kammer Selbstanzeige gemäß § 30 StPO erstattet. Er meint, daß der Aussagekonstanz und damit auch der Aussage der Zeugin in der ersten Hauptverhandlung vor der Kammer besondere Bedeutung zukomme und er deshalb vom Richteramt ausgeschlossen sei. Wegen des weiteren Inhalts wird auf die Selbstanzeige verwiesen.
Der Vorsitzende ist von der Ausübung des Richteramtes in entsprechender Ausübung des § 22 Nr. 5 StPO ausgeschlossen. Grundsätzlich verlangt § 22 Nr. 5 StPO, daß der ausgeschlossene Richter als Zeuge vernommen worden ist. Die bloße Benennung als Zeuge reicht hingegen nicht aus, weil andernfalls der Angeklagte hierdurch die Möglichkeit hätte, ohne sachlichen Grund einen ihm unliebsamen Vorsitzenden von der weiteren Mitwirkung im Verfahren auszuschließen. Auch die bloße Möglichkeit, daß es zu einer Zeugenvernehmung des Vorsitzenden kommt, reicht für einen Ausschluss grundsätzlich nicht aus (Pfeiffer in KK, § 22, Rnr. 14 m.w.N.). Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, daß der Vorsitzende auch nach seiner eigenen - zutreffenden - Einschätzung, wie sie sich aus der Selbstanzeige ergibt, Zeuge in diesem Verfahren seien wird, zumal eine völlige Erinnerungslosigkeit an die Vernehmung der Zeugen weder vom Vorsitzenden dargetan noch sonst wie ersichtlich ist. Er ist somit auch nach eigener Einschätzung zugleich Richter und Zeuge in der erneuten Hauptverhandlung. Dies will jedoch § 22 Abs. 5 StPO gerade vermeiden. Dem sich aus dieser Vorschrift ergebenden Grundsatz, daß niemand in der selben Sache zugleich Richter und Zeuge seien kann, kann nur dadurch Rechnung getragen werden, daß der Vorsitzende vom Richteramt ausgeschlossen ist. Insoweit ist es nicht erforderlich, daß der Vorsitzende zuvor noch förmlich vernommen wird, da seine Vernehmung in der neuen Hauptverhandlung sicher bevorsteht.
Der Umstand, daß in der neuen Hauptverhandlung auch die anderen Beteiligten an der ersten Hauptverhandlung, wie z.B. der Staatsanwalt, aber auch die Schöffen und Protokollführer Zeugen seien werden, lässt entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft die Zeugeneigenschaft des Vorsitzenden nicht entfallen.