Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 05.10.2018, Az.: L 2 R 117/18

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
05.10.2018
Aktenzeichen
L 2 R 117/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 35462
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 15.12.2017 - AZ: S 39 R 614/14

Tenor:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Tatbestand

Die am 1. September 1963 geborene Klägerin begehrt die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.

Einen am 13. März 2013 von der Klägerin gestellten Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17. September 2013 ab, nachdem der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie I. die Klägerin am 19. August 2013 begutachtet und ausgehend von einem Verdacht auf eine generalisierte Angststörung und Medikamentenabhängigkeit die Durchführung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation mangels erkennbarer Motivation zu einer Suchttherapie sowie zu einem psychotherapeutischen Vorgehen wegen der Angsterkrankung nicht empfohlen hatte.

Den am 17. April 2014 gestellten Erwerbsminderungsrentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Mai 2014 ab, weil die Klägerin auch unter Berücksichtigung der bei ihr vorliegenden psychischen Störung sowie Medikamentenabhängigkeit noch leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten arbeitstäglich sechs Stunden und mehr ausüben könne. Den hiergegen am 21. Juni 2014 eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass sie seit 2007 an einer Borrelioseerkrankung mit progredientem Verlauf und ständigen starken Kopf- und Rückenschmerzen leide und auf die Einnahme von Schmerzmitteln angewiesen sei. Auch die Wegefähigkeit sei stark eingeschränkt. Eine gegebenenfalls ergänzende Begründung des Widerspruchs erfolge nach der Einsichtnahme in die Verwaltungsakte. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sandte mit Schriftsatz vom 18. Juli 2014 die Verwaltungsakte an die Beklagte zurück und erhob am 10. Oktober 2014 Untätigkeitsklage bei dem Sozialgericht Braunschweig (S 2 R 521/14), weil die Beklagte ohne zureichenden Grund innerhalb der Frist von drei Monaten über den Widerspruch nicht entschieden habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. November 2014 wies die Beklagte den Widerspruch sodann zurück, nachdem der sozialmedizinische Dienst der Beklagten durch den beratenden Arzt J. in der ärztlichen Stellungnahme vom 22. Oktober 2014 zu der Einschätzung gelangte, dass die Leiden der Klägerin durch nervenärztliche Fachbegutachtung beurteilt und gewürdigt worden seien und dabei weder für den neurologischen noch für den psychisch-kognitiven Bereich Funktionsdefizite erhoben worden seien, welche eine quantitative Leistungsminderung rechtfertigen würden.

Auf die am 1. Dezember 2014 hiergegen bei dem Sozialgericht Braunschweig erhobenen Klage hat das Sozialgericht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Befundberichte des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin K. vom 29. März 2015 sowie des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie L. vom 17. März 2017 eingeholt und Beweis erhoben durch Einholung eines neuropsychiatrisch-psychosomatischen Gutachtens des Arztes für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin und Psychoanalyse Dr. M., dass dieser nach einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 21. Juni 2017 erstattet hat. Der Sachverständige Dr. N. diagnostizierte bei der Klägerin: 1. Somatisierungsstörung, 2. sonstige phobische Störung, 3. keine Anhaltspunkte für eine Neuroborreliose, 4. kein Anhalt für eine Medikamentenabhängigkeit, 5. Halswirbelsäulensyndrom mit leicht- bis mittelgradigen Bewegungseinschränkungen ohne Schmerzen, 6. Wirbelsäulenfehlstatik mit Rundrücken und Hohlkreuz und Skoliosehinweisen, ohne größere Funktionseinschränkungen, mit Schmerzen und muskulären Verspannungen und 7. eine vordiagnostizierte Borreliose. Die Klägerin könne noch körperlich leichte bis zeitweise mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr unter Vermeidung von Arbeiten unter Zeitdruck durch Akkord- und Fließbandarbeit, Wechselschicht, Nachtschicht und Arbeiten mit herausgehobener Verantwortung für Menschen und Maschinen ausüben. Auch Arbeiten mit häufigem Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 5 kg bis 10 kg hinaus sowie Zwangshaltungen und Arbeiten mit häufigem Bücken oder Knien seien der Klägerin nicht mehr zumutbar. Erkrankungen, welche die Gehfähigkeit einschränkten, seien nicht ersichtlich. Das Rückenleiden sei undiagnostiziert und orthopädisch unbehandelt, die psychisch-psychosomatischen Erkrankungen führten nicht zu einer Einschränkung der Gehfähigkeit. Bei der Untersuchung fanden sich zudem deutliche negative Antwortverzerrungen und Anhaltspunkte für mögliche Aggravation.

Mit Urteil vom 15. Dezember 2017 wies das Sozialgericht Braunschweig die Klage gestützt insbesondere auf das als schlüssig angesehene Gutachten des Sachverständigen Dr. M. ab.

Gegen das der Klägerin am 15. Februar 2018 zugestellte Urteil hat diese durch ein am 14. März 2018 an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Sozialgericht Braunschweig übermitteltes elektronisches Dokument vom selben Tag Berufung eingelegt. Die dabei verwendete qualifizierte elektronische Signatur (qeS) bezog sich nach dem Transfermerk vom 14. März 2018 nicht auf das elektronische PDF-Dokument selbst, sondern auf den Nachrichtencontainer mit den Inhaltsdaten "nachricht.xml, nachricht.xsl, visitenkarte.xml, visitenkarte.xsl, herstellerinformation.xml" und dem Anhang "RA-MICRO TV.pdf". Alle Dokumente in dem Container (Berufungsschriftsatz vom 14. März 2018 gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 15. Dezember 2017, Vorblatt des Urteils des Sozialgerichts Braunschweig vom 15. Dezember 2017) betrafen ausschließlich das vorliegende Verfahren. Das Berufungsschreiben wurde mit den Prozess- und Verwaltungsakten der Beklagten mit Schriftsatz vom 15. März 2018 vom Sozialgericht Braunschweig an das LSG weitergeleitet.

Auf die gerichtliche Hinweisverfügung vom 26. März 2018 zur Formwirksamkeit der mit elektronischem Schriftsatz vom 14. März 2018 eingelegten Berufung und der im vorliegenden Fall für die Signierung der Berufungsschrift eingesetzten Container-Signatur hat die Klägerin am 27. März 2018 den Berufungsschriftsatz vom 14. März 2018 nochmals per Telefax übermittelt und zur Glaubhaftmachung an Eides statt versichert, dass dieser Berufungsschriftsatz mit dem zuerst eingereichten Dokument vom 14. März 2018 übereinstimme. Hilfsweise sei dies als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auszulegen.

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 15. Dezember 2017 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Mai 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2014 aufzuheben und

  2. 2.

    die Beklagte zur Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab Antragstellung zu verpflichten und

  3. 3.

    hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Eine Unzulässigkeit der Container-Signatur liege sowohl in dem Fall vor, in dem mehrere Dokumente in dem Container verschiedene Verfahren betreffen, als auch in dem Fall, in dem diese ausschließlich auf ein Verfahren bezogen seien.

Die Beteiligten haben mit Schriftsatz vom 13. Juni 2018 und 14. Juni 2018 ihr Einverständnis erteilt, über die Zulässigkeit der Berufung vorab durch Zwischenurteil zu entscheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet - mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung - über die Zulässigkeit der Berufung durch Zwischenurteil gem. § 130 Abs. 2 SGG, weil es aus der Sicht des Senats aus prozessökonomischen Gründen angezeigt ist, die zwischen den Beteiligten umstrittene Zulässigkeit der Berufung vorab einer Klärung zuzuführen.

Die Berufung ist vorliegend zulässig und insbesondere fristgemäß und formwirksam durch das am 14. März 2018 im EGVP des SG Braunschweig eingegangene elektronische Dokument eingelegt worden.

Gemäß § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist gemäß § 151 Abs. 2 SGG auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Das Urteil vom 15. Dezember 2017 ist dem Bevollmächtigten der Klägerin ausweislich des aktenkundigen Empfangsbekenntnisses am 15. Februar 2018 zugestellt worden. Damit endete die einmonatige Berufungsfrist nach § 64 Abs. 2 und 3 SGG am Donnerstag, dem 15. März 2018, 24 Uhr.

Die Berufung kann gemäß § 65a Abs. 1 SGG in der ab 1. Januar 2018 geltenden Fassung nach Maßgabe der Abs. 2 bis 6 auch als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht werden. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein (§ 65a Abs. 2 Satz 1 SGG). Das elektronische Dokument muss zudem mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (qeS) der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 65a Abs. 3 und 4 SGG).

Ein elektronisches Dokument ist eingegangen, sobald es auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs und die geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen. Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt (§ 65a Abs. 5, 6 SGG)

Seit dem 1. Januar 2018 gilt aufgrund der Verordnungsermächtigung in § 65a Abs. 2 Satz 2 SGG zudem die Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) vom 24. November 2017 (BGBl I 2017, 3803), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 9. Februar 2018 (BGBl I 2018, 200). Auf Grundlage der ERVV wurde an allen niedersächsischen Gerichten die Möglichkeit geschaffen, in gerichtlichen Verfahren eine rechtsverbindliche elektronische Kommunikation durchzuführen. Zu diesem Zweck sind beim LSG und den Sozialgerichten EGVP eingerichtet. Da jedoch beim einfachen EGVP eine Identifizierung der Postfachinhaber nicht gesichert ist, muss das elektronische Dokument dabei weiterhin mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein. Das elektronische Dokument ist an das vom jeweiligen Gericht dazu bestimmte EGVP-Postfach zu übermitteln (§ 2 Nds. ERVVO-Justiz).

Das Rechtsmittel vom 14. März 2018 ist vorliegend als elektronisches PDF-Dokument nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 1 ERVV i.V.m. § 65a Abs. 4 SGG, sondern über das EGVP i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 2 ERVV eingereicht worden. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat die Rechtsmittelschrift jedoch nicht unmittelbar mit qeS versehen, er hat vielmehr den Berufungsschriftsatz vom 14. März 2018 zusammen mit dem Vorblatt des angefochtenen Urteils und einer sog. Visitenkarte elektronisch zu einem sog. Nachrichtencontainer verbunden und dann diesen Container mit qeS versehen. Dieses Vorgehen entspricht nicht dem Wortlaut der Vorgaben des § 4 Abs. 2 ERVV, wonach eine solche Container-Signatur gerade nicht verwendet werden soll. Im Ergebnis reicht in Fallgestaltungen der vorliegend zu beurteilenden Art aber auch die zum Einsatz gelangte Containersignatur aus, um einen fristwahrenden Zugang der Rechtsmittelschrift sicherzustellen.

1. Der Senat kann offenlassen, inwieweit in Fallgestaltungen der vorliegend zu beurteilenden Art Formmängel nach Maßgabe des § 65a Abs. 6 SGG als geheilt anzusehen sein können. Ist ein elektronisches Dokument entgegen § 65a Abs. 2 Satz 1 SGG für das Gericht nicht zur Bearbeitung geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs und die geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen (§ 65a Abs. 6 Satz 1 SGG). Ein solches Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt (§ 65a Abs. 6 Satz 2 SGG).

Im vorliegenden Fall hat der Senat den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Verfügung vom 26. März 2018 auf das in § 4 Abs. 2 ERVV ausgesprochene Verbot einer Containersignatur hingewiesen, woraufhin dieser am 27. März 2018 die Berufungsschrift noch einmal (formgerecht, aber bereits nach Ablauf der gesetzlichen Berufungsfrist) per Telefax übermittelt hat.

Das BSG vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass die Frage, ob Rechtsmittelschriften einer eigenständigen qeS bedürfen oder ob sie auch vermittels einer entsprechend qualifizierten Containersignatur authentifiziert werden können, die für ihre "Übermittlung" "geeigneten technischen Rahmenbedingungen" im Sinne von § 65a Abs. 2 Satz 2 SGG betreffe (da es anderenfalls an der Ermächtigung des Verordnungsgebers zum Erlass der Vorschrift des § 4 Abs. 2 ERVV fehlen würde). Da nur die für ihre "Übermittlung", nicht aber auch die für ihre "Bearbeitung" "geeigneten technischen Rahmenbedingungen" durch diese Frage berührt würden, seien die Regelungen des § 65a Abs. 6 SGG, welche sich allein auf "zur Bearbeitung" nicht geeignete Dokumente beziehen würden, nicht anwendbar (BSG, Beschluss vom 09. Mai 2018 - B 12 KR 26/18 B -, SozR 4-1500 § 65a Nr. 4).

Der Senat kann im vorliegenden Zusammenhang offenlassen, ob die Frage der Zulässigkeit einer Containersignatur überhaupt die Frage der geeigneten "technischen" Rahmenbedingungen für eine Übermittlung eines Dokuments betrifft oder ob es sich in der Sache um Rahmenbedingungen für die Bearbeitung des (im vorliegenden Fall ohnehin in "technischer" Hinsicht völlig problemlos gut leserlich übermittelten) Dokuments im Sinne der verlässlichen Überprüfbarkeit der Urheberschaft des ausgewiesenen Absenders handelt.

2. Auch ausgehend von der Nichtanwendbarkeit des § 65a Abs. 6 SGG ist die im vorliegenden Fall zu beurteilende Berufungsschrift jedenfalls fristgerecht eingereicht worden, da sie bereits am 14. März 2018 und damit vor Ablauf der einmonatigen Berufungsfrist versehen mit einer qualifizierten elektronischen Signatur in Form der in Fällen der vorliegenden Art als zulässig anzusehen Containersignatur über das EGVP an das Sozialgericht übermittelt worden ist.

Vorliegend genügt die Berufung vom 14. März 2018 dem Erfordernis einer qualifizierten Signatur im Sinne von § 65a Abs. 3 SGG i.V.m. § 4 Abs. 2 ERVV, da sämtliche Dokumente in dem mit einer qeS versehenen Container ausschließlich das vorliegende Verfahren betrafen, und somit die Container-Signatur sowohl die Überprüfung als auch die Sicherstellung von Authentizität und Integrität der zur Einlegung des Rechtmittels übermittelten elektronischen Dokumente zulässt.

§ 4 Abs. 2 ERVV bedarf bezogen auf solche Fallgestaltungen unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben einer einschränkenden Auslegung. Die qualifizierte elektronische Signatur tritt an die Stelle der eigenhändigen Unterschrift im Sinne etwa der §§ 130 Nr. 6 ZPO, 92 Abs. 1 Satz 3 SGG. Neben den sonstigen Funktionen der Unterschrift soll sie auch gewährleisten, dass das elektronische Dokument nicht spurenlos manipuliert werden kann (Perpetuierungs- oder Integritätsfunktion). Diesen Anforderungen genügt auch eine -im vorliegenden Fall von dem Bevollmächtigten der Klägerin eingesetzte - qualifizierte Container-Signatur (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - VI ZB 7/13 -, BGHZ 197, 209 mwN; BVerwG, Urteil vom 04. November 2010 - 2 C 16/09 -, BVerwGE 138, 102).

Auch mit einer solchen qualifizierten Containersignatur werden Sinn und Zweck der qualifizierten Signatur - die Sicherstellung von Authentizität und Integrität des Dokuments - erreicht. Die qualifizierte Container-Signatur ist dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht nur die jeweils übersandte Einzeldatei, sondern die gesamte elektronische Nachricht umfasst, mit der die Datei an das Gericht übermittelt wird. Ebenso wie die Einzelsignatur stellt sie sicher, dass die Nachricht auf dem Weg vom Sender zum Empfänger nicht manipuliert worden ist. Sie ermöglicht die Feststellung, ob der Inhalt der übersandten Dateien verändert wurde. Darüber hinaus bietet die qualifizierte Container-Signatur eine der Einzelsignatur vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen des Verfassers, die übersandten Dokumente in den Rechtsverkehr zu bringen (BGH, aaO, mwN).

Ein Verbot der Container- oder Umschlagsignatur, um die Integrität und Authentizität einer qualifizierten elektronischen Signatur uneingeschränkt sicherzustellen, ist jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn der Absender mit ihr nur elektronische Dokumente verbindet, die - wie im vorliegenden Fall - alle dasselbe Verfahren betreffen.

Es ist Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, ob Rechtsmittel gegen Gerichtsentscheidungen statthaft sein sollen; das Grundgesetz selbst trifft dazu keine Bestimmungen. Sieht er allerdings ein Rechtsmittel vor, so ist er in der Ausgestaltung der Zugangs- und Zulässigkeitsvorschriften nicht völlig frei. Insbesondere darf er den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren. Die Grundsätze über die Einlegung und Begründung von Rechtsmitteln müssen sich daher durch ein besonderes Maß an Gleichheit, Klarheit und innerer Logik auszeichnen (BVerfG, Beschluss vom 11. Februar 1987 - 1 BvR 475/85 -, BVerfGE 74, 228 [BVerfG 11.02.1987 - 1 BvR 475/85] mwN). An die Beachtung formeller Voraussetzungen für die Geltendmachung eines Rechtsschutzbegehrens dürften keine überspannten Anforderungen gestellt werden (vgl. BVerfG NJW 2002, 3534 [BVerfG 04.07.2002 - 2 BvR 2168/00][BVerfG 04.07.2002 - 2 BvR 2168/00]; vgl. auch Brandenburgisches OLG, B.v. 06.03.2018 - 13 WF 45/18 -).

Ein Verbot der Container- oder Umschlagsignatur, wie es im Wortlaut des § 4 Abs. 2 ERVV umfassend ausgesprochen worden ist, lässt die erforderliche Sachbegründung und innere Logik jedenfalls insoweit vermissen, als es sich auch auf Fallgestaltungen wie der vorliegenden beziehen soll, in denen in dem Container nur elektronische Dokumente verbunden sind, die alle dasselbe Verfahren betreffen.

Die technische Eignung der qualifizierten Containersignatur entsprechend der zu der bis 2017 maßgeblichen Rechtslage ergangenen vorstehend bereits erläuterten Rechtsprechung ist zum Jahreswechsel 2017/18 nicht entfallen. Bezeichnenderweise stellt auch die Verordnungsbegründung ausdrücklich darauf ab, dass von "Dritten" mehrere elektronische Dokumente mit einer Container-Signatur untrennbar verklammert werden könnten (BR-Drs. 645/17, S. 15).

Soweit in der Begründung der Verordnung darauf abgestellt wird, dass eine nachträgliche Prüfung der Authentizität und Integrität der elektronischen Dokumente bei Einsatz einer Containersignatur "unmöglich" würde, wenn auf diesem Wege mehrere Verfahren betreffende elektronische Dokumenten im Zuge der (geplanten) verbindlichen Einführung der elektronischen Akte eingereicht würden, da dann aus datenschutzrechtlichen Gründen nur die das einzelne Verfahren betreffenden elektronischen Dokumente zur (dann elektronischen) Akte genommen werden dürfen (BR-Drs. 645/17, S. 15; vgl. auch Tiedemann, jurisPR-ITR 17/2018 Anm. 3), betreffen die aufgezeigten Bedenken gar nicht Fallgestaltungen wie die vorliegend zu beurteilende, in denen alle in dem Container enthaltenen Dokumente dasselbe Verfahren betreffen.

Der Verordnungsgeber hat des Weiteren darauf abgestellt (BR-Drs. 645/17), dass die mit § 4 Abs. 2 ERVV normierten Einschränkungen nicht mit "erheblichen Nachteilen" für die Absender verbunden seien, da insbesondere eine gleichzeitige Übermittlung mehrerer elektronischer Dokumente vor allem für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie Behörden und andere professionelle Prozessbeteiligte von Bedeutung sei, die diese jedoch ab dem 1. Januar 2018 ohne qualifizierte elektronische Signatur auf sicheren Übermittlungswegen (besonderes elektronisches Anwaltspostfach, besonderes elektronisches Behördenpostfach, De-Mail) einreichen könnten. Auch dieser Ansatz lässt die mit einer wortgetreuen umfassenden Anwendung des Verbots von Containersignaturen verbundene Missachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht entfallen.

Es ist schon in tatsächlicher Hinsicht keine verlässliche Grundlage für die Annahmen des Verordnungsgebers erkennbar. Auch für Bürger, die sich ohne anwaltliche Vertretung auf elektronischem Wege an die Sozialgerichte wenden wollen, ergibt sich häufig ein Anlass zur Übermittlung mehrerer elektronischer Dokumente. Eine Beifügung - nur beispielsweise - der angefochtenen Bescheide bei einer Erhebung einer Klage ist nicht nur üblich, sondern wird vom Gesetzgeber im Rahmen einer Sollvorschrift sogar ausdrücklich gefordert (§ 92 Abs. 1 Satz 4 SGG). Bei dieser Ausgangslage ist nur ergänzend anzumerken, dass auch für Anwälte entgegen den vorausgegangenen Annahmen des Verordnungsgebers in den ersten Quartalen des Jahres 2018 noch gar nicht das besondere elektronische Anwaltspostfach als sicherer Übertragungsweg zur Verfügung stand.

Ohnehin ist in rechtlicher Hinsicht angesichts der erläuterten verfassungsrechtlichen Vorgaben festzuhalten, dass formale Anforderungen nicht schon deshalb zulässig wären, weil ihre Beachtung nicht mit "erheblichen Nachteilen" verbunden wäre. Das Ausbleiben von schweren Nachteilen bringt als solches weder einen Sachgrund noch eine innere Logik der Zugangsvoraussetzungen im Sinne der erläuterten verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Ausdruck. Mit dieser Rechtsprechung soll vielmehr im Ergebnis sichergestellt werden, dass auch eine versehentliche Verkennung von formalen Zugangsvoraussetzungen, wie sie nicht zuletzt in Fällen einer Änderung eben dieser Voraussetzungen immer in Betracht zu ziehen ist, im Ergebnis unschädlich bleibt, solange keine hinreichend gewichtigen Sachgründe deren verlässlich Einhaltung erfordern.

3. Auf die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 Abs. 1 SGG kommt es demzufolge mangels Fristversäumnis vorliegend nicht mehr an.

Einer Kostenentscheidung bedarf es für das Zwischenurteil nicht; sie bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Diese Entscheidung kann nicht selbstständig, sondern nur mit dem Endurteil angefochten werden (vgl. BSG, Beschluss vom 19. September 2007 - B 9/9a SB 49/06 B - SozR 4-1500 § 130 Nr 2).