Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 20.07.2005, Az.: 1 B 41/05
Bibliographie
- Gericht
- VG Osnabrück
- Datum
- 20.07.2005
- Aktenzeichen
- 1 B 41/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 43286
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOSNAB:2005:0720.1B41.05.0A
In der Verwaltungsrechtssache
Streitgegenstand: Kommunalrecht
hat das Verwaltungsgericht Osnabrück - 1. Kammer - am 11. Juli 2005
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 20.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Bei der im Jahre 2001 durchgeführten Kommunalwahl zum Rat der Stadt I. entfielen auf die CDU 19 Sitze, auf die SPD 7 Sitze, auf das Bündnis 90/Die Grünen 2 Sitze und auf die FDP 1 Sitz. Im April 2003 spaltete sich von der Fraktion der CDU die "Gemeinschaft für I. " (GfB) mit sieben Sitzen ab. Seit Juni 2003 besteht zwischen den Fraktionen der CDU, des Bündnis 90/Die Grünen und der FDP eine Vereinbarung über eine interfraktionelle Zusammenarbeit. Der Zusammenschluss umfasst mithin 15 der 29 Sitze. Im Jahre 2003 trat der seinerzeitige Bürgermeister J. K. (CDU) zurück und verzichtete auf sein Ratsmandat. Ein CDU-Mitglied rückte nach und der Rat der Stadt I. wählte die Antragsgegnerin zu 3) zur Bürgermeisterin. Im Januar 2005 bildete sich ein "Initiativkreis Neuwahlen", dessen Ziel ist es, dass die Ratsmitglieder und deren Nachrücker auf ihre Ratsmandate verzichten und dadurch der Rat aufgelöst wird, so dass noch in der laufenden Legislaturperiode Neuwahlen durchgeführt werden können.
Der Antragsgegner zu 2), der gewählter Stadtdirektor für die Zeit bis zum 31.03.2007 in der bis dahin noch zweigleisig geführten Stadtverwaltung ist, war für die im Jahre 2001 durchgeführte Kommunalwahl gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 NKWG zum Wahlleiter berufen worden. Unter dem 10.2.2005 schrieb er - als Stadtdirektor der Stadt I. - die Ratsmitglieder an und wies diese daraufhin, dass die Mitgliedschaft im Rat gemäß § 37 Abs. 1 NGO u. a. durch Verzicht ende, und fügte jeweils eine vorformulierte Verzichtserklärung (Verzicht mit Wirkung vom 15.7.2005) bei. Daraufhin erklärten 23 der 29 Ratsmitglieder - zum Teil unter Verwendung des vom Antragsgegner zu 2) zugesandten Vordrucks - ihren Verzicht auf das Ratsmandat mit Wirkung zum 15.7.2005. In seiner Sitzung am 17.3.2005 stellte der Rat gemäß § 37 Abs. 2 NGO fest, dass diese 23 Ratsmitglieder ihre Mitgliedschaft im Rat durch Verzicht verloren haben. In der Folgezeit erklärten 4 weitere Ratsmitglieder ihren Mandatsverzicht zum 15.7.2005. Die Antragsteller zu 2) und 3) gehören der Antragstellerin zu 1) an und haben - als einzige der 29 Ratsmitglieder - nicht auf ihr Ratsmandat verzichtet.
In seiner Sitzung am 5.7.2005 hat der Verwaltungsausschuss der Stadt I. unter TOP 5 "Feststellung von Mandatsverzichten" die Feststellung der 27 Mandatsverzichte behandelt und hat beschlossen, dem Rat die Feststellung des Verlustes dieser 27 Sitze vorzuschlagen. Die nächste Ratssitzung findet am 12.7.2005 statt. Die Tagesordnung und die Beschlussvorlagen sehen die Feststellung des Verzichts der 27 Ratsmitglieder und damit nochmals die Feststellung des Verzichts auch derjenigen 23 Ratsmitglieder vor, deren Verzicht bereits in der Sitzung am 17.3.2005 festgestellt worden war.
Die Antragsteller haben am 1.7.2005 bei der erkennenden Kammer Klage erhoben, die Gegenstand des Verfahrens 1 A 335/05 ist. Mit der Klage begehren sie die Feststellung, dass die beim Rat der Stadt I. eingegangenen Verzichtserklärungen unwirksam seien, sowie die Verpflichtung des Rates, die Feststellung der Mandatsverzichte zu unterlassen. Des weiteren begehren sie die Verpflichtung der Stadt I, die Ratsentscheidungen über die Mandatsverzichte nicht zur Feststellung der Auflösung des Rates an die Kommunalaufsichtsbehörde weiterzuleiten sowie die Verpflichtung des Landkreises L., die Feststellung der Auflösung des Rates zu unterlassen.
Zugleich haben sie bei der erkennenden Kammer um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.
Die Antragsteller beantragen,
1. den Antragsgegner zu 4) im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, es zu unterlassen, eine Beschlussfassung zur Feststellung von Mandatsverzichten der Ratsmitglieder M. N., O. N., P. Q., R. S., T. U., V. W., X. W., Y. Z., AA. AB., AC. AD., AE. AF., AG. AH., AI. AJ., AK. AL, AM. AN., AO. AP., AQ. AR., AS. AT., AU. AV., AW. AX., T. AY., AW. AZ., BA. BB., BC. BD., BE. BF" BG. BH. und BI. BJ. zu fassen;
hilfsweise,
2. die Antragsgegnerin zu 3) im Wege der einstweiligen Anordnung in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende des Rates der Stadt I. zu verpflichten, gemäß Antrag 1) es zu unterlassen, an einer Beschlussfassung zur Feststellung von Mandatsverzichten der im Antrag 1) aufgeführten Ratsmitglieder mitzuwirken, darüber hinaus in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende des Rates der Stadt I. den Rat darauf hinzuweisen, dass eine Beschlussfassung wie im Antrag 1 beschrieben zu einer rechtswidrigen Beschlusslage führen würde;
weiter hilfsweise,
3. den Antragsgegner zu 2) zu verpflichten, im Falle einer Beschlussfassung zur Feststellung von Mandatsverzichten - wie im Antrag 1 beschrieben - den von dem Antragsgegner zu 4) gefassten Beschluss als rechtswidrig zu beanstanden;
weiter hilfsweise,
4. den Antragsgegner zu 1) zu verpflichten, es zu unterlassen, die Auflösung des Rates der Stadt I. in seiner Eigenschaft als Kommunalaufsichtsbehörde festzustellen vor dem Hintergrund der Mandatsverzichtserklärungen der im Antrag 1 genannten Ratsmitglieder und diesbezüglicher etwaiger Feststellungsbeschlüsse des Rates der Stadt I..
Die Antragsteller sind der Auffassung, die Verzichtserklärungen seien unwirksam. Die Verzichtserklärungen enthielten die zeitliche Bestimmung, dass sie erst mit dem 15.7.2005 wirksam werden sollten. Darin liege eine Bedingung. Da Verzichtserklärungen nicht mit einer - Bedingung versehen werden könnten, seien die vorliegenden Verzichtserklärungen schon deshalb ungültig. Des weiteren seien die Verzichtserklärungen auch deshalb ungültig, weil sie im Rahmen einer abgesprochenen Kampagne abgegeben worden seien, um die Auflösung des Rates zu erzwingen und Neuwahlen herbeizuführen. Das Instrument des Mandatsverzichts sei hier missbraucht worden, um ein Ziel zu erreichen, dass das Kommunalverfassungsrecht nicht vorsehe. Der Verzicht auf das Mandat sei nach der Regelung der NGO eine persönliche Entscheidung des jeweiligen Ratsmitglieds. Es sei rechtsmissbräuchlich, wenn auf der Grundlage von Absprachen innerhalb des Rates und auf Veranlassung des Stadtdirektors, der zugleich der Wahlleiter sei, nahezu alle Ratsmitglieder einen Verzicht erklärten, um Neuwahlen herbeizuführen. Hierbei handele es sich letztlich um einen Akt der rechtswidrigen Selbstauflösung des Rates.
Dass dieser Zweck erstrebt werde, ergebe sich daraus, dass alle Verzichtserklärungen praktisch den gleichen Wortlaut hätten und sämtlich ihre Wirkung erst für die Zeit ab 15.7.2005 erlangen sollten. Zur Selbstauflösung sei den Ratsmitgliedern ein Mandat vom Wähler nicht erteilt worden und dafür gebe es auch keine rechtliche Grundlage. Ratsmitglieder - wie sie, die Antragsteller zu 2) und 3) - würden auf der Grundlage einer missbräuchlichen Verhaltensweise ihr Mandat verlieren, also in ihren Rechten verletzt werden. Dass es den ihren Verzicht erklärenden Ratsmitgliedern nicht schlechthin um die Aufgabe ihres Mandats gehe, sei bereits daraus ersichtlich, dass fast alle diese Ratsmitglieder bei den von ihnen angestrebten Neuwahlen erneut kandidieren würden. Eine solche Verfahrensweise verstoße gegen die grundlegenden Regeln der Demokratie. Sie - die Antragsteller - gingen davon aus, dass hier "ein Verfahren im Rahmen einer Wahlprüfung durchgeführt" werde. Würden rechtswirksame Verzichtserklärungen vorliegen, müsste der Wahlleiter überprüfen, wer als Nachrücker in Betracht komme. Das sei vorliegend allerdings nicht notwendig, weil die vorgelegten Verzichtserklärungen bereits rechtsunwirksam seien. Dementsprechend werde der Rat der Stadt I. zu verpflichten sein, es zu unterlassen, einen Beschluss zum Verzicht auf den Ratssitz der 27 Ratsmitglieder herbeizuführen. Daher müsse dem Antrag zu Ziffer 1) entsprochen werden.
Hinsichtlich des hilfsweise gestellten Antrages zu Ziffer 2) liege es auf der Hand, dass die Antragsgegnerin zu 3) in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Rates der Stadt I. in gleicher Weise davon Abstand nehmen müsse, an einer derartigen Beschlussfassung mitzuwirken. In ihrer Eigenschaft als die die Ratssitzung leitende Bürgermeisterin müsse sie den Rat der Stadt I. darauf hinweisen, dass eine die Mandatsverzichte betreffende Feststellung des Rates zu einem rechtswidrigen Beschluss führen würde, da die Antragsgegnerin zu Ziffer 3) spätestens seit dem am 4.7.2005 vor dem Verwaltungsgericht durchgeführten Erörterungstermin wisse, dass die vorgelegten Verzichtserklärungen rechtsunwirksam seien. Für den Fall einer Beschlussfassung durch den Rat werde auch der Antragsgegner zu 2) hilfsweise zu verpflichten sein, den Beschluss zu beanstanden. Dessen Verhalten stelle - in Bezug auf seine Funktionen als Stadtdirektor und zugleich als Gemeindewahlleiter - zudem ein Amtsmissbrauch dar, indem er Ratsmitglieder und etwaige Nachrücker zu rechtswidrigen Verzichtserklärungen animiert und angestiftet habe. Für den Fall, dass der Rat der Stadt I. gleichwohl einen Beschluss über die Feststellung der Mandatsverzichte fassen sollte, die Antragsgegnerin zu 3) den Rat nicht auf die Rechtswidrigkeit einer derartigen Beschlussfassung hingewiesen haben sollte und der Antragsgegner zu Ziffer 2) den Beschluss nicht beanstandet haben sollte, sei der Antragsgegner zu 1) zu verpflichten, in seiner Eigenschaft als Kommunalaufsichtsbehörde den Beschluss zu beanstanden und die Rechtsunwirksamkeit des Beschlusses festzustellen. Die erstrebten Anordnungen seien zur Erreichung effektiven Rechtsschutzes erforderlich. Zu beachten sei im Übrigen auch, dass die Initiatoren der Verzichtserklärungen der Auffassung seien, dass der Verwaltungsausschuss bis zu einer für den 6.11.2005 vorgesehenen Neuwahl seine Funktion weiterhin ausüben könne; wären die Verzichtserklärungen und die Auflösung des Rates der Stadt l. mit Wirkung vom 15.7.2005 wirksam, könnten die aus dem Rat ausgeschiedenen Mitglieder auch nicht weiter dem Verwaltungsausschuss angehören.
Die Antragsgegner beantragen,
die Anträge abzulehnen.
Sie sind der Auffassung, die Rechtschutzbegehren seien bereits unzulässig, da den Antragstellern für die begehrten Anordnungen kein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite stehe, und dass die Verzichtserklärungen im Übrigen rechtmäßig und wirksam seien und die Antragsbegehren deshalb auch in der Sache keinen Erfolg haben könnten. Der Antragsgegner zu 4) rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs. Die Antragsgegner zu 3) und zu 4) halten eine Beiladung der ihren Verzicht erklärenden Ratsmitglieder für erforderlich.
Die Kammer hat die Sach- und Rechtslage am 4.7.2005 - und damit vor der am 7.7.2005 erfolgten Erstreckung des Rechtsschutzbegehrens auf den Antragsgegner zu 4) - mit den Beteiligten erörtert. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Niederschrift vom 4.7.2005 verwiesen.
Wegen des weiteren Vertrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Mit dem streitgegenständlich gemachten Begehren können die Anträge keinen Erfolg haben.
Im kommunalverfassungsrechtlichen Organstreitverfahren kann jedes einzelne Ratsmitglied die behauptete Verletzung jedes Rechts, das mit seinem Status als Ratsmitglied kommunalrechtlich verbunden ist, im eigenen Namen geltend machen. An diesen Rechten hat auch die Dauer der Wahlperiode Anteil. Da auch die Fraktion kommunalverfassungsrechtlich Trägerin eigener Rechte ist und die Verkürzung der Wahlperiode ihren Status gleichermaßen betrifft, ist auch sie antragsbefugt.
Im Kern - so ausdrücklich auch in dem Hauptsacheverfahren - ist das Begehren der Antragsteller darauf gerichtet, dass die Unwirksamkeit der vorliegenden 27 Verzichtserklärungen festgestellt wird und mithin diejenigen Rechtsfolgen nicht eintreten, die rechtswirksame Verzichtserklärungen auslösen würden. Rechtswirksame Verzichtserklärungen würden dazu führen, dass der Rat der Stadt BK. nach § 37 Abs. 2 NGO rechtmäßig den Verlust der Mandate feststellt bzw. festgestellt hat und dass der Rat der Stadt I. gemäß § 54 NGO aufgelöst wird. Auch wenn die Rechtswirksamkeit der Feststellung eines Mandatsverlustes und die Entscheidung über das Nachrücken eines Mitgliedes in den Rat Gegenstand eines Wahlprüfungsverfahrens nach § 46 ff NKWG zu sein hätte, nimmt die Kammer gleichwohl für das vorliegende einstweilige Rechtsschutzverfahren an, dass das streitgegenständliche Rechtschutzbegehren - soweit es die Wirksamkeit von Mandatsverzichten, die die Rechtsfolge der Auflösung des Rates nach § 54 Absatz 1 Satz 1 NGO auslösen bzw. auslösen können, betrifft - Gegenstand eines kommunalverfassungsrechtlichen Streites zu sein hat.
Mit den streitgegenständlichen Anträgen muss das Begehren aber erfolglos bleiben, weil nicht ersichtlich ist, dass die Antragsteller der hier erstrebten einstweiligen Anordnungen zur Wahrung ihrer Interessen bedürfen.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht - bei Vorliegen eines streitigen Rechtsverhältnisses - eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Nach Satz 2 sind einstweilige Anordnungen - vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen - auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes zulässig, wenn die Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile, Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Für den Erlass der einstweiligen Anordnung gelten die §§ 920, 921, 923, 926, 928 - 932, 939, 941 und 945 ZPO entsprechend (Abs. 3). In Anwendung der Regelung des § 929 ZPO sind im Anordnungsverfahren nach § 123 VwGO das Vorliegen der Voraussetzungen des Anordnungsgrundes und des Anordnungsanspruchs glaubhaft zu machen, durch Beweismittel oder auch durch eine Versicherung an Eides statt ist (also) eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür zu begründen, dass die Anordnung zur Vermeidung einer Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung der Rechtsverfolgung eilbedürftig ist und dass die Voraussetzungen des zu sichernden Rechts oder des geltenden gemachten Anspruchs tatsächlich bestehen bzw. bestehen können.
Ausgehend von dem Kern des Begehrens der Antragsteller, die Feststellung des Verlustes der Mandate der 27 Ratsmitglieder nach § 37 Abs. 2 NGO und die Auflösung des Rates nach § 54 Abs. 1 Satz 1 NGO zu verhindern und damit den Verlust ihres eigenen Ratssitzes bzw. ihrer Existenz als Fraktion zu vermeiden, droht ihnen durch die für die Ratssitzung am 12.7.2005 vorgesehenen Beschlüsse nach § 37 Abs. 2 NGO keine Rechtsbeeinträchtigung, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes notwendig machen könnte.
Rechtsschutz begehren die Antragsteller im vorliegenden Verfahren allein gegen den bevorstehenden Beschluss vom 12.7.2005 und nicht (auch) gegen etwa bevorstehende Folgen des Beschlusses vom 17.3.2005. Die Kammer vermag jedoch - jedenfalls bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage - nicht zu erkennen, dass der für den 12.7.2005 vorgesehene Ratsbeschluss die Rechtspositionen der Antragsteller in einem rechtserheblich weiteren Maße beeinträchtigen könnte, als dies bereits durch den Beschluss vom 17.3.2005 bewirkt wird.
Der Rat der Stadt I. hat bereits in seiner Sitzung am 17.3.2005 nach § 37 Abs. 2 NGO den Verlust von 23 Ratssitzen festgestellt. Sind diese Feststellungen rechtmäßig, ist bereits dadurch konstitutiv der jeweilige Ratssitzverlust festgestellt und die Rechtsfolge des § 54 Abs. 1 Satz 1 NGO ausgelöst worden mit der Folge, dass die Antragsteller ihre Ratssitze bzw. ihre Existenz als Fraktion - unabhängig von dem für den 12.7.2005 vorgesehenen Beschluss - mit Wirkung vom 15.7.2005 verlieren. Für die erkennende Kammer ist im streitgegenständlichen Verfahren nicht ersichtlich, dass dem Beschluss vom 17.3.2005 Wirksamkeitsmängel anhaften können, die der für den 12.7.2005 vorgesehene Beschluss nicht hätte. Nur wenn dies gegenteilig zu beurteilen wäre, könnte der für den 12.7.2005 vorgesehene Beschluss die Antragsteller in ihren Rechten verletzen und zur Vermeidung von Rechtsnachteilen der Erlass einer darauf gerichteten einstweiligen Anordnung notwendig sein.
Der für den 12.7.2005 vorgesehene Beschluss unterscheidet sich von dem Beschluss vom 17.3.2005 nur insoweit, als der Verwaltungsausschuss bei dem Beschluss vom 17.3.2005 mit der Angelegenheit nicht vorbefasst gewesen war. Als innerorganisatorischer Beschluss bedarf er jedoch einer Vorbefassung durch den Verwaltungsausschuss nicht (vgl. Wefelmeier in Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, § 37 NGO Anm. 26 sowie § 54 NGO Anm. 22).
Soweit der Antragsteller zu 2) der Wirksamkeit des Ratsbeschlusses vom 17.3.2005 zusätzlich entgegenhalten will, dass der Rat in dieser Sitzung überhaupt keinen diesbezüglichen Beschluss gefasst habe, vermag die Kammer dem für das auf die Gewährung bloß vorläufigen Rechtsschutzes gerichtete Verfahren nicht zu folgen. Dass Protokoll der Ratssitzung vom 17.3.2005 weist unter TOP 9 die "Feststellung von Mandatsverzichten" und sodann Folgendes aus:
"Ratsherr AJ. merkt an, dass er es nicht verstehen kann, dass Ratsmitglieder ihren Mandatsverzicht nicht erklärt haben, obwohl sie es vorher angekündigt haben und feststeht, dass durch einen Mandatsverzicht nicht automatisch auch das Mandat im Verwaltungsausschuss verloren geht.
Ratsherr BF. erklärt, dass seine Fraktion den Weg für Neuwahlen frei gemacht hat.
Ratsfrau AP. und Ratsherr AV. schließen sich den Äußerungen von Ratsherr AJ. an.
Ratsherr BL. bezeichnet das Vorgehen als traurige Provinzposse und erklärt, dass seine Fraktion sich nicht an der Abstimmung beteiligen wird; Ratsfrau BM. und Ratsherr BL. nehmen im Zuschauerraum Platz.
Für Ratsherrn BH. ist es rechtlich nicht eindeutig, dass mit dem Mandatsverzicht auch das Mandat im Verwaltungsausschuss erhalten bleibt.
Bürgermeisterin BD. schlägt vor, einen Beschlussvorschlag zu verlesen und danach die einzelnen Ratsmitglieder, die ihren Mandatsverzicht erklärt haben, aufzurufen. Gegen diese Vorgehensweise erhebt sich keinen Widerspruch."
Sodann erfolgt unter TOP 9.1 - und gleichlautend entsprechend unter TOP 9.2 bis 9.23 -Folgendes:
"9.1 Feststellung eines Mandatsverzichtes des Ratsherrn M. N.
Der Rat nimmt Kenntnis und stellt gem. § 37 Abs. 2 NGO fest, dass Herr M. N. sein Ratsmandat durch Verzicht mit Wirkung vom 15.7.2005 aufgegeben hat."
Auch wenn dazu im Protokoll kein Stimmverhalten - wie etwa einstimmig - ausgewiesen ist, geht die Kammer davon aus, dass damit der Feststellungsbeschluss nach § 37 Abs. 2 NGO gefasst worden ist. Wie sich aus den Protokollierungen im Übrigen ergibt, gingen die Ratsmitglieder davon aus, dass sie auf diese Weise den Beschluss nach § 37 Abs. 2 NGO fassen. Dass dazu im Protokoll nicht etwa "einstimmig beschlossen" wiedergegeben ist, dürfte sich (auch) daraus erklären, dass die abstimmenden Mitglieder der Auffassung gewesen waren, für diesen Beschluss könne und dürfe man von Rechts wegen nur mit "Ja" stimmen. Das hat der Antragsteller zu 2) im Erörterungstermin am 4.7.2005 - unwidersprochen - so dargelegt und dies bestätigt sich auch darin, dass sich wegen des vermeintlichen Erfordernisses, mit "Ja" stimmen zu müssen, der Antragsteller zu 2) und die Antragstellerin zu 3) der Abstimmung dadurch entzogen haben, dass sie im Zuschauerraum Platz genommen haben.
Da sich die Antragsteller mit ihrem Rechtsschutzbegehren auch nach dem Erörterungstermin vom 4.7.2005 weiterhin ausdrücklich nicht gegen die Feststellungen der Verzichtswirkung des Ratsbeschlusses vom 17.03.2005 wenden, dieser Entscheidung aber nach Auffassung der Kammer im Verhältnis zu einem Beschluss vom 12.7.2005 die konstitutive Wirkung zukommt, bleibt ihr Begehren auf vorläufigen Rechtsschutz erfolglos. Die noch offenen 4 Verzichtserklärungen können für sich betrachtet die Auflösungswirkung nach § 54 Abs. 1 Satz 1 NGO nicht herbeiführen.
Muss das auf die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gerichtete Antragsbegehren bereits aus diesem Grunde erfolglos bleiben, kommt es auf die sonstigen rechtlichen Erwägungen der Beteiligten nicht mehr an. Unter Bezugnahme auf die Erörterungen im Termin vom 4.7.2005 weist die Kammer aber ergänzend auf Folgendes hin:
Die Kammer hat erhebliche Zweifel, ob hier tatsächlich ein Rechtsschutzbedürfnis für bereits vorbeugenden Rechtsschutz der hier erstrebten Art gegeben sein kann. Vielmehr könnte Überwiegendes dafür sprechen, dass die Antragsteller - unabhängig davon, dass sie Rechtschutzbegehren wohl in erster Linie gegen den Beschluss vom 17.3.2005 richten müssen - die Entscheidungen selbst, also die Beschlussfassung vom 12.7.2005 und gegebenenfalls daran anschließend die Feststellungsentscheidung des Antragsgegners zu 1) nach § 54 Abs. 1 Satz 2 NGO, abzuwarten haben und dagegen Rechtsschutz zu begehren haben. Die Kammer ist einstweilen nicht der Auffassung, dass ein vorläufiger Rechtsschutz gegen diese Entscheidungen von vornherein ausgeschlossen ist.
Hinsichtlich des Antrages zu 2) dürften zudem erhebliche Zweifel daran bestehen, ob den Antragstellern überhaupt ein Anspruch auf die Unterbindung derartiger Verfahrenshandlungen zustehen kann. Gleiches gilt in Bezug auf den Antrag zu 3). Jedenfalls dürfte ein solches Begehren im Rahmen eines auf die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gerichteten Verfahrens dann nicht durchgreifen können, wenn die Antragsteller die rechtsbeeinträchtigenden Entscheidungen unmittelbar zum Gegenstand eines darauf gerichteten Rechtsschutzbegehrens machen können.
In der Sache selbst, unterliegen die Verzichtserklärungen und damit auch die nach § 37 Abs. 2 NGO ergangenen bzw. ergehenden Ratsentscheidungen allerdings mutmaßlich durchgreifenden Bedenken und dürften demzufolge die Auflösung des Rates nach § 54 Abs. 1 Satz 1 NGO nicht auslösen können.
Berücksichtigt man die im Urteil des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs vom 5.6.1985 (- StGH 3/84 - Nds. Rpfl. 1985, 165) dargelegten Grundsätze, dürften die Verzichtserklärungen unwirksam sein. Der Staatsgerichtshof hat ausgeführt:
"Ein Mandatsverzicht, der das Ziel verfolgt, die Wahlperiode für einen Teil der Abgeordneten zu verkürzen, ist daher unwirksam, wenn zu erwarten ist, dass er die Funktionsfähigkeit des Parlaments, die Kontinuität seiner Arbeit und damit auch deren Effektivität erheblich beeinträchtigen würde."
Diese Voraussetzungen dürften erfüllt sein. Eine Rechtswidrigkeit der Verzichtserklärungen führt nach den weiteren Darlegungen des Staatsgerichtshofes zu deren Unwirksamkeit und damit auch zur Rechtswidrigkeit der Ratsfeststellungen nach § 37 Abs. 2 NGO.
Aus den Ausführungen des Staatsgerichtshofes und dem seiner Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt (Verzichtserklärungen vom 5.6.1984 / Verzicht mit Wirkung ab 8.7.1984) ergibt sich andererseits, dass die Verzichtserklärungen nicht bereits wegen ihrer Befristung (hier Verzicht mit Wirkung vom 15.7.2005) unwirksam sind. Ob die hier für den 12.7.2005 vorgesehene (bzw. die am 17.3.2005 erfolgte) Feststellung des Mandatsverlustes deshalb unwirksam sein kann, weil die Ratsentscheidung bereits vor dem Wirksamwerden des Verzichts getroffen wird bzw. wurde, lässt die Kammer offen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG. Dabei orientiert sich die Kammer an dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004, der unter 22.7 für einen Kommunalverfassungsstreit einen Streitwert von 10. 000 € vorschlägt. Hier stehen vier selbstständige Antragsbegehren nebeneinander. Dem sich daraus für ein Hauptsacheverfahren ergebenden Streitwert von 40. 000 € hat die Kammer für das auf die Gewährung bloß vorläufigen Rechtsschutzes gerichtete streitgegenständliche Verfahren halbiert.