Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 14.01.1997, Az.: SS 542/96

Geltung des Verschlechterungsverbot bei einem Ersturteil

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
14.01.1997
Aktenzeichen
SS 542/96
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1997, 21745
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1997:0114.SS542.96.0A

Fundstelle

  • DAR 1997, 250 (red. Leitsatz)

Amtlicher Leitsatz

Das Verschlechterungsverbot nach § 358 Abs. 2 S. 2 StPO; § 79 ABs. 3 OWiG gilt auch bei einem Ersturteil nach § 74 Abs. 2 S. 1 OWiG.

Gründe

1

I.

Die Bußgeldbehörde hatte gegen den Betroffenen wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit eine Geldbuße von 100,- DM festgesetzt. Der Betroffene hatte Einspruch eingelegt. Das Amtsgericht hatte zum Hauptverhandlungstermin sein persönliches Erscheinen angeordnet und, als der Betroffene nicht erschienen war, durch Urteil vom 24. Mai 1996 seinen Einspruch nach § 74 Abs. 2 S. 1 OWiG verworfen. Dieses Urteil hatte der Senat durch Beschluss vom 2. August 1996 (Ss 274/96) aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen.

2

Zum neu anberaumten Hauptverhandlungstermin ist der Betroffene erschienen. Das Amtsgericht hat ihn nunmehr durch Sachurteil vom 20. September 1996 wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit zu einer Geldbuße von 150,- DM verurteilt. Der Betroffene hat (wiederum) die Zulassung der Rechtsbeschwerde und die Aufhebung des Urteils und die (erneute) Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht beantragt.

3

II.

Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zum Schuldspruch ist nicht geboten. Insoweit ist der Zulassungsantrag daher zu verwerfen. Jedoch lässt der Senat die Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zum Rechtsfolgenausspruch zu (vgl. Göhler, OWiG, 11. Aufl., § 80, Rn. 17 m.w.N.). Insoweit hat das Rechtsmittel (teilweise) Erfolg.

4

Die Geldbuße durfte wegen des hier eingreifenden Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 S. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG) nicht höher ausfallen als 100,- DM. Auf diesen Betrag setzt sie der Senat nach § 79 Abs. 6 OWiG fest.

5

Das Verschlechterungsverbot gilt im Bußgeldverfahren auch im Verhältnis zwischen dem ersten - vom Rechtsbeschwerdegericht aufgehobenen - und dem - nach Zurückverweisung - zweiten Urteil des Amtsgerichts, wenn nur der Betroffene das Rechtsmittel eingelegt hatte (vgl. BGHSt 18, 127, 130 [BGH 16.11.1962 - 2 StR 316/62]; OLG Karlsruhe NJW 1974, 1718 f [OLG Karlsruhe 18.04.1974 - 3 Ss B 38/74]; Göhler, a.a.O., § 79, Rn. 37 m.w.N.; Karlsruher Kommentar zum OWiG (Steindorf), § 79, Rn. 164; Rebmann/Roth/Hermann, OWiG, 2. Aufl., § 71, Rn. 3). Das steht außer Frage, wenn es sich bei beiden (zu vergleichenden) Erkenntnissen des Amtsgerichts um Entscheidungen in der Sache selbst handelt (siehe voriges Zitat).

6

Die Frage, ob das Verschlechterungsverbot auch dann gilt, wenn es sich bei dem ersten Urteil um eine Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 S. 1 OWiG und nur bei der zweiten Entscheidung um ein Sachurteil handelt, ist, soweit ersichtlich, in Rechtsprechung und Literatur noch nicht entschieden worden (zum umgekehrten Fall: OLG Düsseldorf NStZ 1994, 41 [OLG Düsseldorf 11.08.1993 - 2 Ss OWi 267/93 49/93]; Göhler, a.a.O., § 74, Rn. 24). Nach Auffassung des Senats gilt das Verschlechterungsverbot auch in diesem Falle. Zwar enthält ein Urteil nach § 74 Abs. 2 S. 1 OWiG abweichend von einem Sachurteil keinen eigenständigen, mit entsprechenden Feststellungen belegten richterlichen Schuld- und Rechtsfolgenausspruch, sondern es verwirft den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde, was u.a. zur Folge hat, dass es - anders als ein Sachurteil - nur mit der Verfahrensrüge angegriffen werden kann und dass die Vollstreckung der Bußgeldbehörde obliegt.

7

Gleichwohl beschränkt sich nach der Intention des Gesetzgebers die Tätigkeit des Amtsgerichts auch in diesem Falle nicht auf eine gewissermaßen "blinde" Verwerfung des Einspruchs. Über die ohnehin bei einer Entscheidung nach § 74 Abs. 2 S. 1 OWiG zu beachtenden Voraussetzungen (vgl. Göhler, § 74, Rn. 20) hinaus hat das Amtsgericht nämlich eine Wahlmöglichkeit, trotz Vorliegens dieser Voraussetzungen von einer Einspruchsverwerfung abzusehen und nach § 74 Abs. 1 OWiG durch Sachurteil zu entscheiden (Göhler, § 74, Rn. 19). Dies empfiehlt sich, wenn so eine sachgerechtere Entscheidung und Erledigung der Sache möglich ist (Göhler, § 74, Rn. 40). Daraus folgt aber zugleich im Umkehrschluss, dass sich der Richter auch bei einer Einspruchsverfügung nach § 74 Abs. 2 S. 1 OWiG in Kenntnis der Akten jedenfalls summarisch mit dem Inhalt des Bußgeldbescheids nach Schuldvorwurf und Rechtsfolge einverstanden erklärt und sie als vertretbar angesehen hat. Daher liegt auch in diesem Falle zwar nicht der Form, jedoch der Sache nach eine richterlich verantwortete Sachentscheidung auch zur Rechtsfolge vor. In Konsequenz dessen aber ist dann bei einem Rechtsmittel zugunsten des Betroffenen im weiteren gerichtlichen Verfahren kein Raum mehr für eine Verschärfung der Rechtsfolge, wie sie in einer Hauptverhandlung im Vergleich zur Rechtsfolge des Bußgeldbescheids ohne weiteres möglich ist (statt vieler: Göhler, Rn. 5 vor § 67, § 71, Rn. 4). Sondern es greift, eben weil auch das den Bußgeldbescheid gemäß § 74 Abs. 2 S. 1 OWiG bestätigende Urteil eine "innere" richterliche Entscheidung auch zur Rechtsfolge voraussetzt, bei dem zugunsten des Betroffenen eingelegten Rechtsmittel die allgemeine Regelung des Verschlechterungsverbots nach § 358 Abs. 2 S. 1 StPO, § 79 Abs. 3 OWiG ein, die eine Erhöhung der Geldbuße im weiteren gerichtlichen Verfahren verbietet. Demgemäß darf die Geldbuße hier den Betrag von 100,- DM nicht überschreiten und setzt nunmehr der Senat nach § 79 Abs. 6 OWiG die Geldbuße in dieser Höhe fest.