Amtsgericht Holzminden
Beschl. v. 10.11.2001, Az.: 12 F 382/01
Übertragung der Entscheidungsbefugnis über den Aufenthalt von Kindern getrennt lebender Eheleute im Wege der einstweiligen Anordnung; Regelung der elterlichen Sorge für Kinder getrennt lebender Eheleute für die Dauer eines Krankenhausaufenthaltes
Bibliographie
- Gericht
- AG Holzminden
- Datum
- 10.11.2001
- Aktenzeichen
- 12 F 382/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 32588
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGHOLZM:2001:1110.12F382.01.0A
Rechtsgrundlagen
- § 1628 BGB
- § 1671 BGB
Fundstelle
- FamRZ 2002, 560-562 (Volltext mit red. LS)
In dem Sorgepflichtsverfahren (Anordnungsverfahren im Verbund der Ehesache)
...
hat das Amtsgericht -Familiengericht- Holzminden
auf die mündliche Verhandlung vom 8.11.2001
durch
den Richter am Amtsgericht Ziehm
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Im Wege der einstweiligen Anordnung wird die Entscheidungsbefugnis über den Aufenthalt der Kinder und, der Parteien für die Dauer der Heilbehandlung des Kindesvaters bis zur Beendigung der vorgesehenen Reha-Maßnahme (voraussichtlicher Zeitraum: 19.11.2001 bis 30.12.2001) auf die Kindesmutter übertragen.
- 2.
Die Kostenentscheidung folgt der Hauptsache.
Gründe
1.
Die Eltern der Kinder ... haben am 27.8.1999 die Ehe miteinander geschlossen. Seit Juli 2000 leben sie getrennt. Die Kinder wohnen beim Antragsteller. ... besucht die Kindesmutter an jedem Wochenende, ... seltener. Darüber hinaus wurde bekannt, dass die Kindesmutter mit den Kindern auch Teile der Schulferien verbracht hat. Ob hier eine feste Regelung getroffen worden ist oder Abreden von Fall zu Fall zustande gekommen sind, entzieht sich der Kenntnis des Gerichts.
Auf den Antrag des Antragstellers vom 20.6.2001, anhängig seit dem 2.7.2001, wird die Ehesache betrieben, die voraussichtlich Anfang 2002 zum Abschluss gebracht werden kann.
Der Antragsteller muss sich demnächst einer Operation unterziehen. Hierzu wird er beginnend ab dem 19.11. für 18 Tage das Krankenhaus aufsuchen müssen, anschließend wird er vorübergehend einige Zeit zu Hause sein, bevor er alsbald im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt an einer Reha-Maßnahme für weitere 18 Tage teilnehmen wird. So ist es gemäß Mitteilung des Antragstellers vorgesehen,
Der Kindesvater plant, die Kinder in der zeit seiner Abwesenheit von Dienstagnachmittag bis Freitagnachmittag von seiner Lebensgefährtin betreuen zu lassen. Die übrige Zeit sollen sie seiner Vorstellung gemäß bei der Kindesmutter verbringen.
Die Kindesmutter möchte die Kinder während des gesamten Zeitraumes der Heilbehandlung des Kindesvaters zu sich nehmen. Ob sie mit dem vorgeschlagenen Pendelmodell des Kindesvaters in dieser oder einer anderen Form einmal einverstanden war, ist zwischen den Parteien streitig, für diese Entscheidung jedoch nebensächlich, weil eine eventuelle Abrede nicht binden würde.
Die Antragsgegnerin beantragt,
im Wege der vorläufigen Anordnung der Antragsgegnerin für die Zeit vom 19.11. bis 30.12.2001 das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsamen Kinder ... und zu übertragen.
Der Antragsteller beantragt,
diesen Antrag zurückzuweisen.
Die Kindeseltern wurden am 8.11.2001 angehört. Das Zuständige Jugendamt war in der Sitzung durch die Sachbearbeiterin ... vertreten.
2.
Der Antrag der Antragsgegnerin ist zulässig. Ursprünglich war er isoliert eingereicht worden, so dass die Antragsgegnerin dort noch als Antragstellerin auftrat. Die Parteienbezeichnung richtet sich aber nach der Aufnahme in das Verfahren 12 F 382/01 nach der Bezeichnung der Parteien der Ehesache. Eine summarische Regelung, sei es in Form der vorläufigen Anordnung, sei es in Form der einstweiligen Anordnung, kann nur im Rahmen eines Hauptverfahrens ergehen. Ohne ein Hauptverfahren wäre ein Anordnungsverfahren unzulässig (h.M., s. etwa Hb. Fachanwalt Familienrecht/Oelkers, 3. Aufl., S. 414; van Eis, Das Kind im einstweiligen Rechtsschutz in Familiensachen, Bielefeld 2000, RN 22).
Die Zulässigkeit des Antrags der Kindesmutter ergibt sich aus der Anhängigkeit der Ehesache. Der Antrag auf Erlass einer vorläufigen Anordnung lässt sich ohne weiteres in einen solchen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 620 Satz 1 Nr. 1 ZPO umdeuten. Das für eine solche Anordnung erforderliche Regelungsbedürfnis setzt nicht voraus, dass die erstrebte Anordnung besonders eilbedürftig wäre. Es reicht schon aus, wenn ein Abwarten Nachteile für das Kindeswohl befürchten lässt. Die Fortdauer des Streits zwischen den Eltern legt hier diese Befürchtung nahe. Die Kinder werden hierdurch in Mitleidenschaft gezogen (Dose, Einstweiliger Rechtsschutz in Familiensachen, Berlin 2000 RN 178). Damit muss Schluss sein.
Gem. § 620 Satz 1 Nr. 1 ZPO regelt das Gericht zwar Angelegenheiten der elterlichen Sorge. Dies bedeutet aber nicht, dass dadurch lediglich die Gestaltungsmöglichkeiten für eine umfassende Regelung eröffnet würden. Die Regelungskompetenz erfasst vielmehr alle Maßnahmen, die als Gegenstand einer Entscheidung zur elterlichen Sorge in Betracht kommen (Oelkers, Sorge- und Umgangsrecht, Bonn 2000, S. 297). Der Zugriff auf Teilbereiche der elterlichen Sorge ist somit möglich. Im Rahmen einer einstweiligen Anordnung ist deshalb auch über den vorliegenden Dissens der Eltern zu befinden.
3.
Die Antragsgegnerin begehrt die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Das Gericht subsumiert den Sachverhalt jedoch unter den Regelungsbereich des § 1628 BGB. Die Abgrenzung ist schwierig. Die Gerichtsentscheidung aufgrund § 1628 BGB betrifft im Gegensatz zu der nach § 1671 BGB eine partielle Sorgepflichtsregelung, die einer eher situativen Entscheidung zuzuordnen ist (vgl. zu den Abgrenzungsschwierigkeiten Schwab, FamRZ 98, 457/467 f.). Da hier keine Aufenthaltsbestimmungsregelung über einen unbegrenzten Zeitraum begehrt wird, geht es hier nicht um einen Eingriff in die gemeinsame elterliche Verantwortung von der Bedeutung, wie sie § 1671 BGB zum Gegenstand hat. Es ist hier deshalb eine Meinungsverschiedenheit zu klären und, da ein Konsens nicht zustande kommt, die Entscheidungsbefugnis über den strittigen Punkt zuzuweisen.
4.
Eine Regelung im Rahmen des § 1671 BGB käme hier auch deswegen nicht in Betracht, weil die Angelegenheit selbst nicht die Bedeutung hat, die die Parteien, gemessen an dem Aufwand, der hier betrieben wird, ihr beilegen (beiläufig: Vermutlich steht diese Angelegenheit stellvertretend für etwas anderes, für eine offene Rechnung der Eheleute untereinander etwa. Diese Vermutung entnimmt das Gericht dem anlässlich der Anhörung zu beobachtenden Bestreben beider Parteien, weitläufig über, ihre Beziehungen in der Ehe zueinander zu perorieren). Insgesamt handelt es sich um einen Zeitraum von etwa 42 Tagen (vorausgesetzt, die Erwartungen der Beteiligten zum Verlauf der Krankenbehandlung und deren Planbarkeit treffen überhaupt zu). Veranschlagt man auf den vom Kindesvater konzedierten Aufenthalt der Kinder bei der Kindesmutter etwa 4 Tage pro Woche (von Freitag nachmittag bis Dienstag nachmittag), schrumpft die streitige Zeitspanne auf rund 20 Tage. Diese könnte vielleicht noch geringer ausfallen, wenn die Kindeseltern in der Lage wären, Sich auf einen Aufenthalt der Kinder in den Schulferien bei der Kindesmutter zu verständigen. Ein Regelungsbedürfnis nach § 1671 BGB könnte dann wegen der Kontingenz der zur Auswahl stehenden Alternativen fraglich sein.
Das Gericht erachtet nämlich beide Vorschläge als akzeptabel, weil sie aus der Sicht der Kinder, die für das Gericht die allein maßgebliche ist, jedenfalls dann zufriedenstellend gewesen wären, wenn sich die Eltern hätten zusammenraufen können, um den Kindern eine gemeinsame elterliche Entscheidung zu präsentieren. In diesem Falle wäre es unerheblich, auf welches Modell sich beide Eltern geeinigt hätten. Welches Modell das Bessere ist, welches richtig und welches falsch, vermag das Gericht nicht zu sagen. Sicher ist jedoch, dass die Fortsetzung des Streits der Eltern untereinander die Kinder, die dafür am wenigsten können, belastet. Insoweit ist im Rahmen des§ 1671 BGB keine Rechtsfrage zu klären und insbesondere ist nicht der Frage der materiellen Gerichtigkeit nachzugehen.
5.
Zu den Antinomien der Rechtsidee gehört aber auch, dass einer Auseinandersetzung zwischen zwei Kontrahenten in einem gerichtlichen Verfahren ein Ende gesetzt wird. Mehr kann das Gericht den Parteien hier nicht bieten. Insbesondere enthält diese Entscheidung keine Aussage darüber, wer "Recht hat". Mit dieser Entscheidung werden deshalb nicht Sieger und Besiegte festgelegt. Wer hier verliert, ist ohnedies klar: die Kinder.
6.
Sedes materiae ist § 1678 I BGB. Nach dieser Vorschrift übt der andere Teil die elterliche Sorge allein aus, wenn ein Elternteil tatsächlich verhindert ist, die elterliche Sorge auszuüben. Diese gesetzliche Regelung greift auch bei einer vorübergehenden Verhinderung ein (Staudinger/Coester, BGB, 13. Bearb. 2000, § 1678 RN 5; Rahm/Künkel/Schneider, Hb. des Familiengerichtsverfahrens, 4. Aufl., III.B RN 732). Aufgrund des Krankenhausaufenthaltes wird der Kindesvater nicht in der Lage sein, die Aufgaben elterlicher Sorge im gebotenen Maße zu erfüllen. Insbesondere dann, wenn bei unvorhergesehenen Ereignissen, die die Kinder betreffen, ad hoc Entscheidungen für die Kinder getroffen Werden müssen, können diese bei gemeinsamer elterlicher Sorge nur von dem anderen Elternteil getragen werden. Für diesen Fall ist die räumliche Nähe der Kinder zum Mitinhaber der gemeinschaftlichen Sorgepflicht geboten. Die Wahrnehmung der der Kindesmutter vorübergehend zustehenden Gesamtkompetenz nach § 1678 I BGB ist indessen erschwert, wenn die Kinder anderenorts betreut werden.
Einer vorausgreifenden Bestimmung des betreuenden Elternteils für die Zeit seiner Abwesenheit steht die gesetzliche Bestimmung entgegen, zumal die von dem Kindesvater geplante Betreuung nicht mehr im Rahmen seiner Befugnisse nach § 1687 I 2 BGB getroffen werden kann.
Die von dem Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter im Termin vorgetragene Auffassung, es sei doch natürlich, dass bei Verhinderung des einen Elternteils automatisch der andere Elternteil zuständig sei, wird nach allem vom Gesetz gestützt.
Im Tenor war klarzustellen, dass der Kindesmutter für die gesamte Zeit der Heilbehandlung des Kindesvaters die Zuständigkeit zu übertragen ist. Die Beteiligten haben zwar hinreichend umgrenzte Zeitangaben gemacht. Der Verlauf einer Heilbehandlung lässt sich aber nicht in jedem Fall mit der erforderlichen Sicherheit voraussehen, so dass die Angaben der Beteiligten für diese Regelung nur zum Teil zu übernehmen waren.
7.
Vor diesem Hintergrund war von einer Anhörung der Kinder abzusehen, weil die Voraussetzungen des § 50 b I FGG nicht gegeben sind. Ergebnis dieser Entscheidung ist, den Parteien klarzumachen, dass für den vorgetragenen Sachverhalt § 1678 BGB eine Regelung vorgibt. Einen Entscheidungsspielraum, innerhalb dessen die Neigungen, Bindungen und Wünsche der Kinder einzubeziehen wären, gibt die Vorschrift nicht. Das Gericht hat deshalb auch nicht davon Gebrauch gemacht, den von dem Kindesvater im Termin als präsentes Beweismittel eingeführten ... richterlich anzuhören oder sogar, wie es erstaunlicherweise gewünscht wurde, an der Verhandlung zu beteiligen. Ob sie die Kinder einmal oder mehrmals, Geschwister einzeln oder zusammen, an Gerichtsstelle oder in der vertrauten familiären Umgebung, in An- oder Abwesenheit der Eltern und deren Prozessbevollmächtigten persönlich anhören oder ob sie einen Psychologen als Sachverständigen hinzuziehen, muss den Familiengerichten überlassen bleiben (Lamprecht, Kampf ums Kind, Reinbek bei Hamburg 1982, S. 186). Die Anhörung von Kindern (hier notabene beider Kinder) ist im Übrigen sorgfältig vorzubereiten (Schwab/Motzer, Hb. des Scheidungsrechts, 4. Aufl., III. 28).
Grundsätzlich ist hierfür ein gesonderter Termin außerhalb der mündlichen Verhandlung anzuberaumen (Schwab/Motzer, aaO.). Eine Teilnahme der Eltern ist zu vermeiden (Johannsen/Henrich/Brudermüller, Eherecht, 3. Aufl., § 50 b FGG RN 10).
8.
Sorge bereitet dem Gericht indessen, dass der Kindesvater ... überhaupt zum Termin mitgebracht hat. Nach dem Termin hielten sich der Kindesvater, sein Verfahrensbevollmächtigter und ... noch gemeinsam vor dem Sitzungssaal auf. Die Einbeziehung von Kindern in den sie betreffenden Rechtsstreit wird als krasser Verstoß gegen die elterliche Verantwortung angesehen (vgl. Scholz/Stein/Fröhlich, Praxishandbuch Familienrecht, München 2001, E. 208; Fthenakis/Oberndorfer, Trennung, Scheidung und Wiederheirat, Weinheim 1996, S. 37; Ell, Psychologische Kriterien bei der Sorgerechtsregelung, Weinheim 1990, S. 147; Arntzen, Elterliche Sorge und Umgang mit Kindern, 2. Aufl., zu dem -schockierenden- Beispiel, dass manche Eltern ihre Kinder sogar mit dem Akteninhalt vertraut machen). Oberstes Gebot in der Krise der Ehe und bei der Trennung der Eltern ist es, in Wahrnehmung der gemeinschaftlichen elterlichen Verantwortung zu gewährleisten, dass die Kinder ihre Bindungen zu beiden Elternteilen aufrechterhalten. Es ist dann kontraproduktiv, wenn ein Elternteil mit den Kindern und sogar noch dem eigenen Anwalt im Schulterschluss eine Fraktion gegen den anderen Elternteil bildet.
Das erkennende Gericht hat in einem Fall bereits schon einmal einem Elternteil die elterliche Sorge im Hinblick darauf entzogen, dass die Einbindung des Kindes in den Rechtsstreit die Erziehungsfähigkeit dieses Elternteils nachhaltig entfallen ließ. Diese Entscheidung wurde durch das OLG Celle bestätigt. "Verantwortliches Elternverhalten unterlässt ... die Einbindung des Kindes in eine Auseinandersetzung soweit irgend möglich, was bereits seit dem Salomonischen Urteil als grundlegend anerkannt wird. Anders jedoch die Antragsgegnerin, die das Kind ... immer tiefer verstrickt, indem sie es unaufgefordert ihrem Prozessbevollmächtigen, dem erstinstanzlichen Gericht oder auch noch früheren Gutachtern "vorstellt", damit der ... Junge seine Darstellung des Problems und seine Wünsche vermitteln kann. Dass insoweit zusätzlich das Kind noch durch Überforderung geschädigt wird, liegt auf der Hand" (15 WF 251/94 (12 F 271/94 AG Holzminden) vom 7.2.1995).
Vor der Fortsetzung dieser Praxis ist deshalb eindringlich zu warnen.
9.
Der Bielefelder Psychologe Jopt hat hier kürzlich angeregt, als Beitrag zur Deeskalierung von Rechtshändeln, welche Kinder betreffen, den in der Anlage beigefügten Verhaltenskodex zu Verteilen. Die Lektüre nahe zu legen besteht Veranlassung (der Text ist vollständig abgedruckt in FamRZ 87, 133).
10.
Über die Kosten ist später zu befinden. Gem. § 620 g ZPO sind die Kosten des Anordnungsverfahrens Teil der Kosten der Hauptsache.