Amtsgericht Oldenburg (Oldenburg)
Urt. v. 11.02.2003, Az.: E3 C 3169/02 (III)
öffentliche Wiedergabe
Bibliographie
- Gericht
- AG Oldenburg (Oldenburg)
- Datum
- 11.02.2003
- Aktenzeichen
- E3 C 3169/02 (III)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 47645
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Das subjektive Merkmal des "Bestimmtseins" i. S. d. § 15 Abs. 3 UrhG kann nicht durch Auslegung zu dem objektiven Merkmal der Wahrnehmbarkeit uminterpretiert werden.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klage auf Zahlung von 374,85 € gemäß Rechnung vom 17.06.02 wegen Hörfunkwiedergabe in der Bäckerei nebst Stehcafe in ... im Zeitraum 01.02.01 bis 30.04.02 ist unbegründet.
Die Voraussetzungen des § 97 Urheberrechtsgesetz – UrhG – (Schadensersatz wegen Urheberrechtsverletzung) sind nicht gegeben, denn die insoweit beweispflichtige Klägerin hat keinen Beweis dafür angetreten, dass eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne des § 15 Abs. 3 UrhG erfolgt ist. Der Kontrolleur ... hat nach seinen schriftlichen Feststellungsberichten zwar am 26.02.01 und 09.04.02 bei seinen Kontrollbesuchen in der Bäckerei nebst Stehcafe in Kundengegenwart ein Radio gehört. Das aber reicht entgegen der Ansicht der Klägerin nicht aus, die Voraussetzungen des Begriffs „öffentliche Wiedergabe“ zu erfüllen. Von einer „öffentlichen Wiedergabe“ hätte nur dann die Rede sein können, wenn das Radio zumindest auch zum Zweck der Beschallung der Bäckereikunden in Betrieb gewesen wäre. Der Beklagte hat unter Beweisantritt (zwei Zeuginnen) dargelegt, dass die Radiomusik „jedoch gerade nicht für die Kunden des Beklagten bestimmt (war) , sondern nur für die Angestellte bzw. Angestellten selbst.“ Diesen gegenbeweislichen Beweisantritten brauchte das Gericht nicht nachzugehen, weil die Klägerin den Beweis dafür hätte erbringen müssen, dass die Hörfunkwiedergabe in der Bäckerei für die Kunden bzw. auch für die Kunden bestimmt war. Insoweit hat die Klägerin aber keinen Beweis angetreten.
Eines Hinweises auf diese Rechtslage bedurfte es nicht, weil die Klägerin seit vielen Jahren die Rechtsprechung des Amtsgerichts Oldenburg zu dieser Problematik kennt.
Private Musikwiedergaben - zu denen auch Musikwiedergaben für den fest umrissenen kleinen Kreis des Bäckereipersonals des Beklagten gehören - können von der Klägerin und von den von ihr vertretenen Urhebern nicht unterbunden und nicht mit Lizenzgebühren belegt werden. Die Urheber haben lediglich das ausschließliche Recht, ihre Werke „öffentlich wiederzugeben“ (§ 15 Abs. 2 UrhG). § 15 Abs. 3 UrhG enthält eine gesetzliche Begriffsbestimmung der „öffentlichen Wiedergabe“. Sie lautet: Die Wiedergabe eines Werkes ist öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Personen bestimmt ist, es sei denn, dass der Kreis dieser Personen bestimmt abgegrenzt ist und sie durch gegenseitige Beziehungen oder durch Beziehung zum Veranstalter persönlich untereinander verbunden sind. Die tatsächliche Hörbarkeit der Musik für eine Mehrzahl von Personen reicht demgemäß nicht aus. Zweck der Musikwiedergabe muß nach dem Gesetzestext vielmehr gerade sein, dass eine Mehrzahl von Personen im Sinne des § 15 Abs. 3 UrhG die Musik hören soll. Hört der oder hören die Arbeitnehmer des Beklagten privat in der Bäckerei Radiosendungen und wird dabei lediglich billigend in Kauf genommen, dass die Bäckereikunden die Sendungen mithören können, so liegt keine „öffentliche Wiedergabe“ vor. Jede andere Auslegung des die § 15 Abs. 3 UrhG wäre mit dem oben zitierten Wortlaut dieser Vorschrift nicht vereinbar. Die Regelung des § 15 Abs. 3 UrhG ist natürlich verfehlt. Auch das Gericht sieht durchaus, dass es für unseriöse Ladeninhaber leicht und verlockend ist, Radiosendungen, die in Wahrheit für Kunden bestimmt sind, unter Verstoß gegen die Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO und unter Begehung von (versuchtem) Prozeßbetrug fälschlich als für das Bedienungspersonal bestimmt auszugeben. Dieser Gesichtspunkt hilft im vorliegenden konkreten Fall nicht weiter. Denn ausgeschlossen ist es ja keineswegs, dass jedenfalls im vorliegenden Fall die Hörfunkwiedergabe wirklich nur die Information und Unterhaltung des Bedienungspersonals bezweckt hat.
Das Dilemma für die Klägerin in Fällen wie dem vorliegenden ist nicht dadurch zu lösen, dass der Wortlaut des § 15 Abs. 3 UrhG von den Gerichten strapaziert und verfälscht wird. Geboten ist nach Ansicht des Gerichts eine Änderung des § 15 Abs. 3 UrhG dahin, dass das subjektive Tatbestandsmerkmal der Bestimmung der Musikwiedergabe für eine Mehrzahl von Personen im Sinne des § 15 Abs. 3 UrhG ersetzt wird durch eine dolus-eventualis-Regelung; einer Regelung nämlich, nach der die Wiedergabe eines Musikwerkes öffentlich ist, wenn billigend in Kauf genommen wird, dass sie hörbar ist für eine Mehrzahl von Personen, die keinen bestimmt abgegrenzten Personenkreis bilden und nicht durch gegenseitige Beziehungen oder durch Beziehungen zum Veranstalter persönlich untereinander verbunden sind.
Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin pflegen unveröffentlichte Gerichtsentscheidungen, die zugunsten der Klägerin ausgefallen sind, als Textbausteine in ihre Standardschriftsätze aufzunehmen. Das ist hier im Schriftsatz vom 15.01.03 mit den unveröffentlichten Urteilen der Amtsgerichte Bochum, Magdeburg und Leipzig geschehen. Es ist natürlich legitim, dass die Klägerin aus taktischen Gründen nur die ihr günstigen unveröffentlichten Urteile in ihren Schriftsätzen auflistet und zitiert und die ihr bekannten gegenteiligen Urteile (wie z.B. die des AG Oldenburg) verschweigt. - Zu den Urteilen der Amtsgerichte Bochum und Magdeburg ist folgendes zu sagen: Diese Urteile sind nicht einschlägig, denn in ihnen heißt es ausdrücklich, dass dort die Wiedergabe „in erster Linie“ für den Betriebsinhaber (AG Bochum) bzw. das Personal (AG Magdeburg) bestimmt war. Für wen in jenen Fällen die Wiedergabe „in zweiter Linie“ bestimmt war, ist den Zitaten nicht zu entnehmen, es können aber wohl nur die Kunden gemeint gewesen sein. Das hiesige Gericht hätte diese Fälle ebenso entschieden wie die Amtsgerichte Bochum und Magdeburg. Das subjektive Merkmal des „Bestimmtseins“ i. S. des § 15 Abs. 3 UrhG unterscheidet nämlich nicht nach einem „Bestimmtsein“ in erster Linie und einem solchen in zweiter Linie; jedes Bestimmtsein für Personen i. S. des § 15 Abs. 3 UrhG, und sei es auch ein solches „in zweiter Linie“, erfüllt die Legaldefinition des Begriffs der „öffentlichen Wiedergabe“. Im gegenwärtigen Fall ist es jedoch so, dass der Beklagte unwiderlegt geltend macht, das Radio sei ausschließlich für das Personal in Betrieb genommen worden. Nur nach der Ansicht des AG Leipzig würde auch in einem solchen Fall eine „öffentliche Wiedergabe“ vorliegen. Das AG Leipzig führt in seinem Urteil vom 12.03.1998 – 1 C 13874/97 – (hier zitiert nach der Wiedergabe im Schriftsatz der Klägerin) nämlich aus: „Der Veranstalter kann jedoch nicht geltend machen, dass die Sendung nur für eine bestimmte Zielgruppe, hier seine Ehefrau, wiedergegeben wird und nicht auch für eine andere Gruppe, die aber zwingend die Sendung auch wahrnimmt.“ Hier ist in der Tat das subjektive Tatbestandmerkmal des „Bestimmtseins“ uminterpretiert worden in das objektive Merkmal der Wahrnehmbarkeit. Das AG Oldenburg teilt zwar das offensichtliche Unbehagen des Amtsgerichts Leipzig über die verfehlte und zum Mißbrauch einladende Fassung des § 15 Abs. 3 UrhG, hält sich wegen der Bindung des Richters an das Gesetz jedoch nicht für berechtigt, die verfehlte Fassung des § 15 Abs. 3 UrhG durch eine rechtspolitisch bessere Fassung zu ersetzen. Das subjektive Tatbestandsmerkmal des „Bestimmtseins“ in § 15 Abs. 3 UrhG kann nicht von den Gerichten im Wege der „Auslegung“ weginterpretiert werden; die Grenze einer zulässigen Auslegung wäre dabei nach hiesiger Ansicht überschritten. Nur der Gesetzgeber kann den verfehlten § 15 Abs. 3 UrhG durch eine andere, praktikablere und den Missbrauch erschwerende Definition des Begriffs der „öffentlichen Wiedergabe“ ersetzen. Im Bundesjustizministerium ist der gesetzgeberische Handlungsbedarf ja auch schon vor Jahren erkannt worden. Dem Gericht liegt der „Diskussionsentwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes“ des Bundesjustizministeriums vom 07.07.1998 vor. Nach diesem Diskussionsentwurf sollte der § 15 UrhG vollkommen neu gefasst werden, wobei folgender neuer § 15 Abs. 2 Satz 2 vorgeschlagen wurde: „Ein Werk wird öffentlich wiedergegeben, wenn es für eine Mehrzahl von Angehörigen der Öffentlichkeit zugänglich oder gleichzeitig wahrnehmbar gemacht wird oder aufgrund eines an die Öffentlichkeit gerichteten Angebotes für einen einzelnen Angehörigen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.“ Der Umstand, dass bis heute noch die überkommene Fassung des § 15 Abs. 3 UrhG gilt, gibt den Gerichten nicht das Recht, unter dem Deckmantel der „Auslegung“ wesentliche Teile der Legaldefinition des § 15 Abs. 3 UrhG nach eigenem rechtspolitischen Gutdünken zu ändern.
Nebenentscheidungen: §§ 91, 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Streitwert: Er wird festgesetzt auf ... €.