Amtsgericht Bad Iburg
Beschl. v. 08.01.2008, Az.: 5 F 300/07 UE

Zulässigkeit einer Anrechnung einer hälftigen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr wegen einer Prozesskostenhilfevergütung zugunsten eines Rechtsanwalts

Bibliographie

Gericht
AG Bad Iburg
Datum
08.01.2008
Aktenzeichen
5 F 300/07 UE
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 38192
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGBADIB:2008:0108.5F300.07UE.0A

Fundstellen

  • AnwBl 2008, 213-214 (Volltext mit amtl. LS)
  • FamRZ 2008, 1014-1015 (Volltext mit red. LS)

Tenor:

Auf die Erinnerung vom 10.11.2007 wird der Kostenbeamte angewiesen, über den Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts Gronau ohne Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr neu zu entscheiden.

Die weiter gehende Erinnerung wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe

1

Soweit der Erinnerungsführer mit der Erinnerung sich gegen die Absetzung seiner Fahrtkosten wendet, ist die Erinnerung unbegründet. Die Beiordnung ist durch Beschluss vom 15.6.2007 beschränkt erfolgt, nämlich zu den Bedingungen eines am Ort des Prozessgerichtes ansässigen Rechtsanwaltes. Gegen diese Beschränkung hat der Erinnerungsführer nicht innerhalb eines Monats Beschwerde erhoben.

2

Im Übrigen ist die Erinnerung begründet.

3

Das Gericht hält die vorgenommene Anrechnung der hälftigen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr für unzutreffend und zwar aus folgenden Gesichtspunkten

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a)

Die Entscheidungen des BGH betrafen nicht die Festsetzung von PKH-Vergütungen, sondern die Frage, ob sich die im Klageverfahren als materiell - rechtlicher Kostenerstattungsanspruch in voller Höhe geltend gemachte vorgerichtliche Geschäftsgebühr durch die Anrechnungsbestimmung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vermindere. Aus den Urteilen lässt sich nicht entnehmen, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebührstets vorzunehmen ist, also insbesondere auch dann, wenn die vorgerichtliche Geschäftsgebühr nicht als materiell - rechtlicher Kostenerstattungsanspruch eingeklagt und zuerkannt worden ist (hierzu OLG München DAR 2007, 729, 731) oder gegenüber der Partei nicht geltend gemacht wurde.

5

b)

Eine Anrechnung stünde im Widerspruch zu §122 I Nr. 3 ZPO. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat zur Folge, dass im Umfang und für die Dauer der Bewilligung der beigeordnete Rechtsanwalt Vergütungsansprüche gegen seinen Mandanten nicht geltend machen kann; diese zugunsten der bedürftigen Partei wirkende Sperre ist zwingend und umfassend (OLG Köln NJW-RR 1995, 634 [OLG Köln 02.08.1994 - 10 WF 131/94]). Die vom Kostenbeamten und dem Bezirksrevisor vertretene Auffassung führt dazu, dass der auf PKH-Basis tätig gewordene Anwalt gegenüber der Staatskasse nur noch regelmäßig eine halbe Verfahrensgebühr abrechnen könnte, ihm die Geltendmachung der Geschäftsgebühr gegen seine Mandantschaft - von der, da sie ja "arm" ist, ohnehin im Zweifel nichts zu holen wäre - indes verwehrt ist. Wenn demgegenüber das Landgericht Osnabrück im Beschluss vom 04.10.2007 (10 O 2709/06 n.v.) argumentiert, die Höhe der von der Staatskasse zu erstattenden Vergütung könne nicht davon abhängen, ob der Anwalt ihm zustehende Anspruch gegen seine Partei erhebe und durchsetze oder nicht, setzt es sich mit dem Problem der Sperrwirkung des §122 I Nr. 3 ZPO nicht auseinander.

6

c)

Auch unter der Geltung der BRAGO gab es mit §118 II eine Anrechnungsbestimmung, wonach die vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr auf die im nachfolgenden Verfahren angefallene Prozess- oder Verkehrsgebühr anzurechnen war. Gleichwohl hat soweit ersichtlich niemand die Auffassung vertreten, im Rahmen der PKH-Vergütungsfestsetzung könne dem Anwalt keine Prozessgebühr zugebilligt werden, weil auf diese ja die Geschäftsgebühr (voll!) anzurechnen sei. Auch Kostenbeamter und Bezirksrevisor vertreten die jetzige Auslegung soweit ersichtlich erst seit einigen Monaten, obgleich das RVG und die VV schon seit Jahren gelten. Hinzu kommt, dass die durch das RVG eingeführte Teilanrechnung den Rechtsanwalt begünstigen sollte (Thomsen NJW 2007, 267, 268), die vom Kostenbeamten und Bezirksrevisor vertretene Auffassung diese Gesetzesabsicht aber ins Gegenteil verkehrt.

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d)

Nach überwiegender Rechtsprechung - zum Teil auch in ausdrücklicher Kenntnis der o.g. Entscheidungen des BGH - hindert die Anrechnungsbestimmung der Vorbemerkung 3 Absatz 4 grundsätzlich nicht die Geltendmachung und Festsetzung der vollen Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren gegen die unterlegene Partei (siehe Nachweise auch zur Literatur OLG München a.a.O. Seite 730; OLG Koblenz 14 W 667/07 11.10.2007; OLG Rostock 10 WF 184/07 11.10.2007; OLG Hamm 23 W 182/07 27.09.2007; OLG Karlsruhe 13 W 83/07 18.09.2007). Warum dann für die Festsetzung der seitens der Landeskasse geschuldeten Vergütung etwas anderes gelten sollte, erschließt sich dem Gericht nicht.

8

e)

Auch der Grundsatz der Gleichbehandlung steht der Anrechnungspraxis des Kostenbeamten und des Bezirksrevisors entgegen. Gerade in Familiensachen erlebt das Gericht häufig, dass sowohl Kläger als auch Beklagten Prozesskostenhilfe zu gewähren ist. Der der Klägerseite beigeordnete Anwalt, welcher in anrechenbarer Weise außergerichtlich tätig geworden ist, müsste sich eine Kürzung seiner PKH-Vergütung gefallen lassen, während ein auf Beklagtenseite erst nach Klagezustellung tätig gewordener Anwalt Verfahrens-, Termins- und ggfs. Einigungsgebühr in ungekürztem Umfang erhielte, obwohl die von ihm entfaltete Tätigkeit mangels außerprozessualen Tätigwerden geringeren Umfang als die auf Klägerseite hatte. Hierfür gibt es keine Rechtfertigung.

9

f)

Schließlich leidet die vom Kostenbeamten und Bezirksrevisor nunmehr eingeführte Anrechnungspraxis daran, dass pauschal und formularmäßig die Anrechnung der hälftigen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr damit begründet wird, es sei "aus der Akte ersichtlich", dass der Anwalt "in dieser Angelegenheit vorgerichtlich tätig" war und unterstellt, dass diese vorgerichtliche Tätigkeit mit 1,3 Geschäftsgebühr abgegolten ist. Damit macht man es sich zu einfach: Da grundsätzlich zunächst spätestens mit Einreichung der Klageschrift die 1 3 Verfahrensgebühr nach 3100 VV RVG in voller Höhe entsteht und nur unter den Voraussetzungen des Absatz 4 der Vorbemerkung 3 dessen Wortlaut nach eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr in Betracht kommt, stellt Vorbemerkung 3 Abs. 4 insoweit eine Ausnahme vom Grundsatz "volle 1,3 Verfahrensgebühr" dar. Es wäre mithin Aufgabe des Kostenbeamten und des Bezirksrevisors gewesen, im Einzelnen darzulegen, worin konkret die - anrechenbare - vorgerichtliche Tätigkeit der Anwältin bestanden hätte. Die o.g. Pauschalbegründung genügt diesen Ansprüchen nicht.

Keuter Richter am Amtsgericht