Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 13.10.1987, Az.: 3 Ws 399/87

Ausgestaltung der Verpflichtung eines bei der Bekämpfung des Terrorismus eingesetzten Beamten des Landeskriminalamtes Niedersachsen und Zeugen zur Nennung seines Wohnortes i.R.d. Zeugenbefragung in einem Strafprozess

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
13.10.1987
Aktenzeichen
3 Ws 399/87
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1987, 20119
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1987:1013.3WS399.87.0A

Fundstellen

  • Kriminalistik 1989, 435
  • NJW 1988, 2751-2752 (Volltext mit red. LS)
  • StV 1988, 373-374

Verfahrensgegenstand

Verdacht der Beihilfe zu Sprengstoffverbrechen u.a. Straftaten
Zeuge KHM ... Landeskriminalamt Niedersachsen in ...,
Ordnungsgeld u.a.

Der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle hat
auf die Beschwerde des Zeugen
gegen die Beschlüsse der 2. großen Strafkammer des Landgerichts ... vom 14. September 1987
am 13. Oktober 1987
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
beschlossen:

Tenor:

Die angefochtenen Beschlüsse werden aufgehoben.

Die Landeskasse trägt die Kosten des Verfahrens sowie die dem Zeugen entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

1

I.

In der Hauptverhandlung gegen ... vor dem Landgericht ..., die z.Z. noch fortdauert, ist der Beschwerdeführer am 28.8.1987 als Zeuge vernommen worden. Bei seiner Befragung zur Person weigerte er sich, seinen Wohnort anzugeben, und teilte nur seinen Dienstort mit. Der Zeuge ist als Beamter des Landeskriminalamts Niedersachsen bei der Bekämpfung des Terrorismus eingesetzt.

2

Durch die angefochtenen Beschlüsse hat die Strafkammer erstens die Entscheidung des Vorsitzenden, daß der Zeuge seinen Wohnort anzugeben habe, gemäß § 238 Abs. 2 StPO bestätigt, und zweitens dem Zeugen, dessen Vernehmung unterbrochen wurde, die durch seine Weigerung verursachten Kosten auferlegt, gegen Ihn ein Ordnungsgeld von 300 DM - ersatzweise für je 100 DM ein Tag Ordnungshaft - verhängt sowie Beugehaft bis zur Höchstdauer von 6 Monaten angeordnet. Die Entscheidung ist noch nicht vollstreckt, weil die Strafkammer Ihre Vollziehung nach § 307 Abs. 2 StPO ausgesetzt hat.

3

II.

Die Beschwerden sind begründet. Dem Beschwerdeführer war nach § 68 S. 2 StPO zu gestatten, seinen Wohnort nicht anzugeben, weil er und seine Angehörigen dadurch gefährdet würden.

4

1.

Allerdings müssen Zeugen grundsätzlich nach § 68 S. 1 StPO Ihren Wohnort nennen. Die Angabe des Dienstortes genügt nach dieser Bestimmung auch bei Polizeibeamten nicht.

5

1.1

Im Schrifttum findet sich die Auffassung, es dürfe Polizeibeamten auch ohne eine Gefährdung i.S. des § 68 S. 2 StPO gestattet werden, statt des Wohnorts den Dienstort anzugeben (Kleinknecht/Meyer, StPO, § 68 Rdz. 8; LR-Dahs, § 68 Rdz. 6; KMR-Paulus § 68 Rdz. 10; Schlund NJW 1972, 1035). Der Senat folgt dem nicht. Die alternative Angabe des Dienstorts statt des Wohnorts ist im Gesetzgebungsverfahren des StVÄG 1979 erörtert, vom Bundesrat - bei Gefährdung - vorgeschlagen, aber verworfen worden (BT-Drs. 8/976 S. 36 f, 93 f, 108). Das grundsätzliche Gebot, den Wohnort anzugeben, ist hiernach beibehalten worden.

6

1.2

Die Pflicht des Zeugen richtet sich auf die Angabe der politischen Gemeinde, in der er wohnt. § 68 Abs. 1 S. 1 StPO gebietet nicht auch die Angabe der Postanschrift im übrigen (LG Mannheim MDR 1985, 636 - bei Leineweber Fn. 3 -; KK-Pelchen § 68 Rdz. 5). Die Angabe der Anschrift wird zwar im Schrifttum verschiedentlich verlangt (Kleinknecht/Meyer, StPO, § 68 Rdz. 8; KMR-Paulus, § 68 Rdz. 10; Schlund NJW 1972, 1035; Leineweber MDR 1985, 636). Diese Forderung entspricht indes nicht dem Gesetz. Falls einmal - anders als hier - an der Identität des Zeugen Zweifel bestehen oder es für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen oder sonst zur sachgerechten Verteidigung (vgl. BGH 23, 244; 32, 128; 33, 87; Engels NJW 1983, 1530 ff) auf die Anschrift ankommt, gehen Fragen danach über die Anforderungen des § 68 S. 1 StPO hinaus, sie unterliegen der Regelung durch § 68 S. 3 StPO.

7

2.

Der Beschwerdeführer braucht seinen Wohnort nach § 68 S. 2 StPO nicht anzugeben.

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2.1

Gegenstand der Vorwürfe in dem Strafverfahren sind politisch motivierte Sprengstoffanschläge. Mindestens die Angeklagte ... findet unter Zuhörern und bei einem bestimmten Teil der Öffentlichkeit Sympathie, die von einer besonders kritischen und z.T. feindlichen Einstellung gegenüber den Strafverfolgungsbehörden begleitet wird. Es muß befürchtet werden, daß einzelne unbekannte Personen aus diesem Kreis von Sympathisierenden aus der Kenntnis des Wohnorts des Zeugen seine Wohnung ermitteln könnten, um ihre Einstellung dort zu demonstrieren, sei es aus Unmut über irgendwelche Ereignisse während der Beweisaufnahme oder als Reaktion auf eine mögliche Verurteilung eines Teils oder aller Angeklagten. Es braucht sich dabei nicht um die Befürchtung besonders gewichtiger Verletzungen oder Zerstörungen zu handeln. Der Senat hält es für geboten, das Merkmal der Gefährdung in § 68 S. 2 StPO nicht eng auszulegen. Es genügt schon die Gefahr von Schmierereien an Hauswand, Gartenzaun und Garagentor oder von wiederholten Behelligungen durch Telefonanrufe. Daß der Beschwerdeführer und seine Angehörigen in diesem Sinne gefährdet wären, drängt sich auf. Der Beschwerdeführer ist in dem Flugblatt "Info A" eines "Solidaritätskomitees", in dem während des Vorverfahrens in dieser Sache scharfe Kritik an dem Vorgehen der Polizei geübt worden Ist, namentlich aufgeführt worden. Der Beschwerdeführer und seine Angehörigen haben deshalb Anspruch auf Schutz und auf jede mit dem Zweck des Strafverfahrens zu vereinbarende Schonung. Denn auch Zeugen haben im Rechtsstaat Anspruch auf ein faires Verfahren (vgl. BVerfGE 38, 103 [BVerfG 08.10.1974 - 2 BvL 14/72]). Der Zeuge darf nicht zu einem bloßen Objekt des Verfahrens gemacht werden (vgl. BVerfGE 27, 1, 6 [BVerfG 16.07.1969 - 1 BvL 19/63]).

9

Soweit Stellungnahmen im Schrifttum die Grenzen der Anwendung des § 68 S. 2 StPO enger zu ziehen scheinen (vgl. Kleinknecht/Meyer, StPO, § 68 Rdz. 12; LR-Dahs § 68 Rdz. 10; KK-Pelchen § 68 Rdz. 6; KMR-Paulus § 68 Rdz. 14), vermag der Senat sich dem nicht anzuschließen.

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2.2

Das dargelegte Erfordernis des Schutzes des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen erfordert es, von der Rechtsfolge des § 68 S. 2 Gebrauch zu machen. Die Verwendung des Wortes "kann" in dieser Bestimmung kennzeichnet kein Ermessen des Vorsitzenden des Strafgerichts. Es kommt darin nur zum Ausdruck, daß es sich um eine ausnahmsweise gegebene Möglichkeit handelt. Wenn ihre Voraussetzungen aber - wie hier - vorliegen, dann hat der Zeuge Anspruch darauf, seinen Wohnort verschweigen zu dürfen.

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3.

Die Auffassung des Senats wird durch die Regelung des § 222 Abs. 1 S. 1 StPO nicht in Frage gestellt. Nach dieser Bestimmung hat das Gericht "die geladenen Zeugen ... der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten rechtzeitig namhaft zu machen und Ihren ... Wohn- oder Aufenthaltsort anzugeben". Wenn nach dieser Bestimmung stets der Wohnort mitzuteilen wäre, dann liefe der Schutz durch § 68 S. 2 StPO allerdings ins Leere, Wenn ein Zeuge seinen Wohnort verschweigen wollte, so könnte jeder Verfahrensbeteiligte, der ihn Infolge der Namhaftmachung nach § 222 StPO schon kennt, Ihn in der Hauptverhandlung preisgeben, ohne daß sich dies wirksam verhindern ließe. Der Bundesrat hat denn auch in dem oben bereits erörterten Gesetzgebungsvorschlag angeregt, auch § 222 StPO zu ändern. Danach sollte die Angabe der Anschrift, unter der der Zeuge geladen wurde, genügen (BT-Drs. 8/976 S. 93). Der Senat ist der Auffassung, daß die Angabe der Ladungsanschrift schon unter der geltenden Gesetzesfassung ausreicht. Der erwähnte Vorschlag des Bundesrats ist zwar nicht Gesetz geworden, so daß man annehmen könnte, daß der Wohnort im Regelungszusammenhang des § 222 StPO eine besondere Bedeutung haben soll. Das ist Indes nicht der Fall. Wenn die Ladungsanschrift keine Zweifel an der Identität des Zeugen läßt, so ist dem Zweck des § 222 StPO, den Beteiligten die ordnungsgemäße Vorbereitung der Hauptverhandlung zu ermöglichen, in aller Regel hinreichend genügt. Das gilt vor allem bei Polizeibeamten, wenn sie an Ihrer Dienststelle geladen werden, weil ihr Wohnort für die Vorbereitung der Hauptverhandlung völlig ohne Belang ist. Die Geschäftsstelle des Gerichts, die die durch § 222 Abs. 1 Satz 1 StPO angeordnete Namhaftmachung auszuführen hat, braucht grundsätzlich über die Ladungsanschrift hinaus nicht auch noch den Wohnort zu ermitteln. Bei der Ladung von Polizeibeamten als Zeugen verfährt die Praxis weitgehend schon von jeher in diesem Sinne, weil die Wohnung der ermittelnden Polizeibeamten nicht in die Akten aufgenommen wird, sondern statt dessen ihre Dienststelle. Sollten ausnahmsweise Zweifel an der Identität des Zeugen bestehen, weil mehrere Träger gleichen Namens bei der Polizei tätig sind oder sollte sonst die Vorbereitung der Hauptverhandlung durch die bloße Angabe der Dienststelle behindert werden, so bleibt das Recht der Beteiligten unangetastet, aus diesem Grunde die Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 246 Abs. 2 StPO zu beantragen.

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4.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung der §§ 465, 467 StPO.