Landgericht Verden
Urt. v. 18.06.1997, Az.: 2 S 103/97

Rückzahlungsanspruch bezüglich der auf der Grundlage des im Progressionssystem konzipierten und durchgeführten Unternehmerspiels "Life" geleisteten Zahlungen; Unternehmerspiel "Life" als Schneeballsystem ohne Warenbezugsverpflichtung; Vereinbarkeit eines Schneeballsystems mit den guten Sitten; Bewusstsein des Bereicherungsgläubigers von der Sittenwidrigkeit seines Tuns bei der Teilnahme an einem Schneeballsystem

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
18.06.1997
Aktenzeichen
2 S 103/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 24639
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGVERDN:1997:0618.2S103.97.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Nienburg - 27.02.1997 - AZ: 2 C 566/96

Fundstelle

  • NJW-RR 1998, 1520 (Volltext mit red. LS) "Life"

In dem Rechtsstreit
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Verden
auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juni 1997
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...
den Richter am Landgericht ... und
die Richterin am Landgericht ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 27. Februar 1997 verkündete Urteil des Amtsgerichts Nienburg-Zweigstelle Hoya - (2 C 566/96) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Streitwert für den Berufungsrechtszug: 6.500,00 DM.

Entscheidungsgründe

1

Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet.

2

Das Amtsgericht hat den Beklagten zu Recht zur Zahlung von 6.500,00 DM verurteilt.

3

Ein solcher Anspruch folgt bereits aus §§ 812, 818 BGB.

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Die Voraussetzungen des § 812 BGB sind erfüllt, weil die auf das Konto des Beklagten geleistete Zahlung des Klägers ohne Rechtsgrund erfolgte. Rechtsgrund kann nicht die Vereinbarung über die Beteiligung des Klägers am sogenannten Unternehmerspiel "Life" sein. Diese Vereinbarung ist gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig, weil das im Progressionssystem konzipierte und durchgeführte "Spiel" sittenwidrig ist.

5

Es basiert als Schnellballsystem (ohne Warenbezugsverpflichtung) wie die bekannten - unter den Voraussetzungen des § 6 c UWG strafbaren - Schneeballsysteme auf der Erwartung, möglichst viele Mitspieler zu gewinnen, aus deren finanziellen Beiträgen die "Erstmitglieder", hauptsächlich jedoch der Veranstalter, den Einsatz (zurück)erhalten bzw. Gewinn unterschiedlicher Höhe erzielen sollen. Daß dabei in absehbarer Zeit keine neuen Mitspieler gefunden werden können, die zuletzt Geworbenen nichts für ihren Beitrag erhalten, ist dem System ebenso immanent, wie die Gewißheit, daß sich die erfolglos aufgewandten Beträge lawinenartig vermehren, weil auf jeden Werber mehrere Geworbene kommen sollten.

6

Schneeballsysteme werden seit Jahren in ständiger Rechtsprechung als sittenwidrig beurteilt (vgl. u.a. OLG München NJW 1986, 1880 ff. [OLG München 12.09.1985 - 5 U 4430/85][OLG München 12.09.1985 - 5 U 4430/85], OLG Karlsruhe, Grur 1989, 615 ff., zuletzt auch BGH-Urteil vom 22.4.1997, XI ZR 191/96). Für das Life-Spielsystem hat dies die Kammer bereits in einem früheren Urteil festgestellt (2 S 202/95); diese Auffassung wird von der inzwischen sonst dazu ergangenen Rechtsprechung nahezu einhellig geteilt.

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Im Hinblick auf den jedenfalls auch angesprochenen Kreis mittlerer und unterer Einkommensbezieher, die vielfach ihren Beitrag finanzieren mußten, und die Einschätzung, daß bei ruhiger Überlegung nur eine begrenzte Anzahl von Personen auf das Angebot anspricht, 6.500,00 DM dafür zu zahlen, daß zum Vorteil der Spielleitung und eines begrenzten weiteren Kreises Personen angeworben werden dürfen, die das gleiche erwartet, liegt eine Marktverengung auch auf der Hand, wenn sie auch noch nicht auf den ersten Stufen des Systems eintreten muß (vgl. dazu OLG Karlsruhe, Grur 1989, 615, 616).

8

Die wesentlichen weiteren Gesichtspunkte, die zur Mißbilligung in der Rechtsprechung geführt haben, sind ebenfalls gegeben.

9

Das System ist darauf angelegt, die Unerfahrenheit, Spiellust, Leichtgläubigkeit oder Begehrlichkeit durch die Darstellung schneller Gewinne auszunutzen, wobei dies nach der Handhabung bei diesem Spiel durch erheblichen psychologischen Druck in geschlossenen Großveranstaltungen erfolgte. Durch die dem Veranstalter erkennbare und beabsichtigte Werbung überwiegend im Freundes-, Familien- und Bekanntenkreis erfolgt ein unerwünschter Eingriff in soziale Strukturen, weil die sozialen Beziehungen durch den systembedingten Mißerfolg auf den letzten Stufen notwendigerweise erheblich belastet werden (spätestens, wenn der "Verlierer" sich bewußt wird, daß er von seinem Werber in dessen Eigeninteresse der psychologischen Beeinflussung der Spielleitung ausgesetzt worden ist).

10

Auf die Frage, ob die Spielveranstaltung auch den Tatbestand des § 6 c UWG erfüllt und die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung demzufolge auch gemäß § 134 BGB nichtig sein könnte, kommt es wegen der Nichtigkeit nach § 138 BGB nicht an. Desgleichen kann dahinstehen, ob § 6 c UWG i.V.m. § 13 Abs. 6 Nr. 2 UWG eine Anspruchsgrundlage für die nicht erfolgreichen Mitspieler sein kann, wogegen der Schutzzweck der Norm als Wettbewerbsschutzvorschrift bzw. als allgemeine Verbraucherschutznorm sprechen könnte (eingeschränkter Kreis der Anspruchsberechtigten in § 13 Abs. 2 UWG).

11

Der Beklagte ist auch derjenige, der dem Kläger zur Herausgabe bzw. zum Wertersatz gemäß §§ 812, 818 BGB verpflichtet ist. An ihn, auf sein Konto ist der gezahlte Betrag geflossen. Soweit der Beklagte eingewendet hat, die Spielvereinbarung sei mit einer Aktiengesellschaft nach amerikanischem Recht geschlossen worden, er sei nur der Repräsentant für Deutschland gewesen, ändert sich im Ergebnis nichts an seiner Bereicherungsschuldnerschaft. Für die Existenz einer solchen vom Beklagten verschiedenen Rechtsperson ist nämlich kein Anhalt gegeben.

12

Dem Anspruch des Klägers steht auch nicht § 1817 Satz 2 BGB entgegen. Zwar dürfte schon die Teilnahme der Mitspieler am Schneeballsystem, durch deren Mitwirkung allein das zu beanstandende System überhaupt funktionieren und Anziehungskraft ausstrahlen kann, objektiv den Tatbestand der Sittenwidrigkeit erfüllen; der Ausschlußtatbestand des § 817 Satz 2 BGB ist jedoch nicht uneingeschränkt und strikt im Verhältnis zum Bereicherten des sittenwidrigen Geschäfts anzuwenden.

13

Weitere Voraussetzung für den Ausschluß des Rückforderungsanspruches ist das Bewußtsein des Bereicherungsgläubigers von der Sittenwidrigkeit seines Tuns. Soweit der Beklagte sich auf die insoweit für ihn günstigen Ausführungen des Oberlandesgerichts Celle in Einzelfällen bezieht, wonach die Teilnehmer darzulegen hätten, daß ihnen das Bewußtsein der Sittenwidrigkeit gefehlt habe, vermag dem die Kammer für den vorliegenden Fall jedenfalls nicht zu folgen.

14

Es erscheint wenig überzeugend, wenn der Initiator des Spiels, der gerichtsbekannt ständig die Ansicht vertreten hat, das System sei nicht sittenwidrig, den Geschädigten vorhält, sie hätten sich leichtfertig der Erkenntnis der Sittenwidrigkeit verschlossen. Die Kammer sieht keine Veranlassung, von der Beweislast des Beklagten abzugehen. Dieser hat in keiner Weise dargelegt, daß er diesem Kläger die Umstände, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt, in aller Klarheit vermittelt hätte oder daß sich solche dem Kläger sonst erschlossen hätten. Vielmehr ist nach dem beharrlichen Negieren der Sittenwidrigkeit eher vom Gegenteil auszugehen. Die Kammer vermag daher ohne hier nicht gegebene sonstige Umstände noch keinen hinreichenden Anhalt für eine Leichtfertigkeit im Hinblick auf die Erkenntnis der Sittenwidrigkeit anzunehmen.

15

Es ist im vorliegenden Fall auch weder ersichtlich, noch hinreichend dargelegt, daß der Kläger das System als solches im Bewußtsein der Sittenwidrigkeit angenommen hätte. Das Werbeverhalten des Beklagten zielte vielmehr darauf ab, Interessenten eine nicht vorhandene Seriosität vorzuspiegeln und durch strafbewehrte Verschwiegenheitsverpflichtung die Möglichkeit anderweitiger Information auszuschließen.

16

Auf seiten des Beklagten war das Bewußtsein der Sittenwidrigkeit zur Überzeugung der Kammer zweifelsfrei vorhanden. Dem steht nicht die der Kammer bekannte Behauptung des Beklagten entgegen, er habe sich über eine rechtliche Unbedenklichkeit des Systems beraten lassen. Vielmehr muß dem Beklagten dann angesichts der Kenntnis der einschlägigen Rechtsprechung zu Kettenbriefen oder Schneeballsystem allgemein bewußt gewesen sein, daß er sich am Rande der Strafbarkeit bewegen würde, jedenfalls ein nach einhelliger Rechtsprechung sittenwidriges System betreiben wollte. Die rechtliche Beratung dürfte weniger der Vermeidung eines beanstandungswürdigen Verhaltens gedient haben, als der Prüfung, wie Strafbarkeit und Rückzahlungsansprüche umgangen werden könnten.

17

Die Versagung des Rückzahlungsanspruches würde auch zu dem nicht vertretbaren Ergebnis führen, daß der bewußt und in erheblich höherem Maße verwerflich handelnde Veranstalter belohnt würde und ohne jedes Risiko sein Treiben fortsetzen könnte.

18

Dem gegenüber wird über § 817 Satz 2 BGB die ebenfalls nicht zu billigende Gefahr, durch Gewährung des Rückzahlungsanspruchs für potentielle Spieler den Spielanreiz zu erhöhen, hinreichend begrenzt. Dies gilt um so mehr, als die sich allgemein verbreitende Erkenntnis über den Charakter solcher Systeme Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast im Rahmen von § 817 Satz 2 BGB haben dürfte.

19

Ob sich ein Anspruch auch aus § 826 BGB herleiten läßt, was das Amtsgericht im angefochtenen Urteil zugrundegelegt hat, kann dahinstehen.

20

Der Kläger hat somit im Ergebnis, wie ausgeurteilt, einen Anspruch auf Zahlung von 6.500,00 DM nebst 4 % Zinsen (§§ 284, 288 BGB) seit dem 12.7.1996.

21

Die Berufung war mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Streitwertbeschluss:

Streitwert für den Berufungsrechtszug: 6.500,00 DM.