Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 01.10.2012, Az.: 6 B 2303/12
Vorläufiger Rechtsschutz eines italienischen Staatsangehörigen gegen den Vollzug einer Abschiebungsanordnung seitens des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 01.10.2012
- Aktenzeichen
- 6 B 2303/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 37247
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2012:1001.6B2303.12.0A
Rechtsgrundlagen
- § 27a AsylVfG
- Art. 3 Abs. 2 VO 343/2003/EG vom 18.03.2012 (Dublin II-VO)
- Art. 15 Abs. 1 VO 343/2003/EG vom 18.03.2012 (Dublin II-VO)
- Art. 20 Abs. 1 Buchst. c) VO 343/2003/EG vom 18.03.2012 (Dublin II-VO)
Gründe
1.
Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe und auf Anwaltsbeiordnung ist abzulehnen, weil seine Rechtsverfolgung, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 114 Abs. 1 ZPO, 166 VwGO).
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 83b AsylVfG; 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO, 166 VwGO.
2.
Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen den Vollzug der Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30. August 2012.
Mit diesem Bescheid hat das Bundesamt festgestellt, dass der Asylantrag, den der Antragsteller am 13. September 2011 im Bundesgebiet gestellt hat, gemäß § 27a des Asylverfahrensgesetzes - AsylVfG - unzulässig ist, und gemäß § 34a AsylVfG die Abschiebung des Antragstellers nach Italien angeordnet. Zur Begründung hat das Bundesamt ausgeführt:
Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Italien gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. c) der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 - im Folgenden: Dublin II-VO - für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Die Auffassung des Antragstellers, gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO sei Deutschland zuständig geworden, gehe fehl. Die Drei-Monats-Frist des Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO gelte ausschließlich für Aufnahmeersuchen, nicht hingegen für Wiederaufnahmeersuchen. Die Dublin II-VO sehe für ein Wiederaufnahmeersuchen keine Fristbindung vor. Um ein Wiederaufnahmeersuchen handele es sich hier. Denn der Antragsteller habe am 17. Juli 2011 in Italien Asyl beantragt. Die Asylantragstellung in Italien sei bewiesen, da der EURODAC-Treffer gemäß VO (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003, Anhang II, Verzeichnis A, 2. Fall 1, diesbezüglichen Beweis erbringe. Abgesehen davon sei im Hinblick auf Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) Dublin II-VO davon auszugehen, dass Italien - gerade weil es die zweiwöchige Antwortfrist ungenutzt habe verstreichen lassen - die für die Prüfung seiner Zuständigkeit erforderlichen Recherchen auch zwecks Wahrung seiner eigenen Interessen durchgeführt habe. Letztlich habe die Italienische Republik mit deklaratorischer Zustimmung vom 29. August 2012 die Zuständigkeit zur Behandlung des Asylbegehrens unter Bezugnahme auf Art. 6 Dublin II-VO ausdrücklich anerkannt und damit konkludent bestätigt, dass der Antragsteller in Italien einen Asylantrag gestellt habe. Entgegen der Ansicht des Antragstellers sei nach der Dublin II-VO für die Zuständigkeitsbestimmung unerheblich, dass er seinerzeit, etwa am 27. Juli "2012" (gemeint: 2011), als unbegleiteter Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist sei und für ihn ein Vormund bestellt worden sei. Aus dem sogenannten Versteinerungsprinzip des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO folge, dass für die Zuständigkeitsbestimmung von der am 17. Juli 2011 bestehenden Situation auszugehen sei. An diesem Tag habe der Antragsteller indessen seinen ersten Asylantrag im Dublin-Gebiet in Italien gestellt. Hierdurch sei die Zuständigkeit der Italienischen Republik begründet worden. Die nachträglich eingetretene Änderung der Sachlage durch Stellung eines Asylantrages in Deutschland sowie durch die Bestellung eines Vormunds sei für die Zuständigkeitsbestimmung irrelevant. Nach der Dublin II-VO gelte das Versteinerungsprinzip.
Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO auszuüben, seien weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich. Italien erfülle gegenüber Ausländern, die dort einen Asylantrag stellen, die Mindeststandards. Bei Italien handele es sich um einen Mitgliedstaat der Europäischen Union und somit um einen sicheren Drittstaat im Sinne des Art. 16a Abs. 2 GG bzw. § 26a AsylVfG. Der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) und der norwegischen Nichtregierungsorganisation Juss-Buss aus dem Mai 2011 belege, dass Italien trotz aufgezeigter Mängel und einzelner Missstände über ein funktionierendes Asylverfahren gemäß den Mindeststandards der Europäischen Union verfüge. Demgegenüber sei der Bericht von Bethke/Bender über eine Recherchereise im Oktober 2010 nach Turin und Rom weniger umfassend. Er gehe nur auf einzelne Herkunftsländer ein und sei hinsichtlich der Schilderung der konkreten Verhältnisse in den einzelnen Unterkünften überholt. Dublin-Rückkehrer hätten, wie alle anderen Asylbewerber in Italien, einen Anspruch auf soziale Mindestleistungen. Alle im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien zurückgeführten Personen bekämen von der zuständigen Questura eine Unterkunft zugeteilt und erhielten eine Fahrkarte dorthin mit der Auflage, sich bei der zugewiesenen Adresse zu melden. Etliche Personen begäben sich jedoch nicht an die zugewiesene Adresse. Sollte das Asylverfahren in Italien noch nicht abgeschlossen sein, werde der Asylbewerber in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht. Das Asylverfahren werde fortgesetzt. Entsprechend erfolge eine Unterbringung in einem CARA oder in den Einrichtungen des SPRAR. Unterkunftsplätze stünden allerdings oftmals nur für einen befristeten Zeitraum zur Verfügung. In italienischen Aufnahmeeinrichtungen seien IOM, UNHCR, Caritas und andere humanitäre Organisationen vor Ort, um sicherzustellen, dass Flüchtlinge angemessen untergebracht, medizinisch versorgt und ihre Rechte gewahrt werden.
Dem Bundesamt sei kein Mitgliedstaat bekannt, der derzeit die Dublin-Überstellungen nach Italien ausgesetzt oder eingeschränkt habe. Daher werde der Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft. Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung des Antragstellers nach Italien als zuständigem Mitgliedstaat innerhalb der in Art. 19 Abs. 3, 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO festgesetzten Fristen durchzuführen. Die sofort vollziehbare Anordnung der Abschiebung nach Italien beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Eine solche Abschiebungsanordnung hat das Bundesamt hier erlassen. Die Klage des Antragstellers gegen diese Abschiebungsanordnung hat keine aufschiebende Wirkung (vgl. § 75 Satz 1 AsylVfG).
In Verfahren dieser Art kann einstweiliger Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte grundsätzlich nicht gewährt werden. Nach§ 34a Abs. 2 AsylVfG darf die Abschiebung nach Abs. 2 nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden.
Das Nds. Oberverwaltungsgericht führt hierzu in dem Beschluss vom 2. Mai 2012 - 13 MC 22/12 - aus:
"Der Gesetzgeber hat damit ausdrücklich angeordnet, dass in den Fällen, in denen als Vorfrage der eigentlichen Asylentscheidung darum gestritten wird, welcher Mitgliedstaat nach europäischem Recht für die Bearbeitung zuständig ist, die Abschiebung in den nach Auffassung der Behörde zuständigen Staat nicht durch eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung verhindert werden darf.
Europarechtlich sieht Art. 19 Abs. 2 Satz 4 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II-VO) vor, dass ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, einen Asylantrag mangels Zuständigkeit nicht zu prüfen und den Asylbewerber an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung hat. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Gerichte oder zuständigen Stellen im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders entscheiden, sofern dies nach ihrem innerstaatlichen Recht zulässig ist. Eine solche Entscheidung ist aber nach deutschem Recht gemäß § 34a Abs. 2 AsylVfG gerade ausgeschlossen, so dass es in Übereinstimmung mit dem europäischen Recht bei der sofortigen Vollziehbarkeit bleibt. Verfassungsrechtlich bestehen grundsätzlich ebenfalls keine Bedenken gegen den Ausschluss einstweiligen Rechtsschutzes. Denn auch das Grundgesetz sieht diesen Ausschluss vor. Nach Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG können dann, wenn ein Asylbewerber aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften einreist, aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden. Dies deckt grundsätzlich den generellen Ausschluss verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes ab (vgl. BVerfG, Urt. v. 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 u.a. -, BVerfGE 94, 49, 100 ff.; a.A. Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, § 34a, Rdnrn. 73 ff., Loseblatt, Stand: Mai 2011).
Da die nach europäischem Recht für die Asylentscheidung zuständigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (§ 27a AsylVfG) durch den verfassungsändernden Gesetzgeber zugleich zu sicheren Drittstaaten (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a AsylVfG) bestimmt worden sind, einstweiliger Rechtsschutz mithin auch wegen der Einreise aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG ausgeschlossen ist, folgt die Auslegung des § 34a Abs. 2 AsylVfG in den Fällen des § 27a AsylVfG den gleichen Grundsätzen wie bei § 26a AsylVfG (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 11. Oktober 2011 - 14 B 1011/11.A -, [...]; a.A. insoweit noch: OVG NRW, Beschl. v. 7. Oktober 2009 - 8 B 1433/09.A -, NVwZ 2009, 1571; vgl. auch: BVerfG ,1. Kammer des Zweiten Senats, Beschl. v.8. Dezember 2009 - 2 BvR 2780/09 -, InfAuslR 2010, 82 sowie Beschl. v. 15. Juli 2010 - 2 BvR 1460/10 -, [...];).
Demnach hat die Bundesrepublik Deutschland ausnahmsweise Schutz zu gewähren, wenn Abschiebungshindernisse nach § 51 Abs. 1 oder § 53 AuslG - heute: § 60 AufenthG - durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind. So kann sich im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 Satz 2 EMRK, wonach die Todesstrafe nicht konventionswidrig ist, ein Ausländer gegenüber einer Zurückweisung oder Rückverbringung in den Drittstaat auf das Abschiebungshindernis des § 53 Abs. 2 AuslG (§§ 60 Abs. 5 Satz 1, 61 Abs. 3 AuslG) - heute: § 60 Abs. 5 AufenthG (§ 57 Abs. 3 AufenthG) - berufen, wenn ihm dort die Todesstrafe drohen sollte. Weiterhin kann er einer Abschiebung in den Drittstaat § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG - heute: § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG - etwa dann entgegenhalten, wenn er eine erhebliche konkrete Gefahr dafür aufzeigt, dass er in unmittelbarem Zusammenhang mit der Zurückweisung oder Rückverbringung in den Drittstaat dort Opfer eines Verbrechens werde, welches zu verhindern nicht in der Macht des Drittstaates steht. Ferner kommt der Fall in Betracht, dass sich die für die Qualifizierung als sicher maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG hierauf noch aussteht. Nicht umfasst vom Konzept normativer Vergewisserung über einen Schutz für Flüchtlinge durch den Drittstaat sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch Ausnahmesituationen, in denen der Drittstaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung (Art. 3 EMRK) greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird. Schließlich kann sich - in seltenen Ausnahmefällen - aus allgemein bekannten oder im Einzelfall offen zutage tretenden Umständen ergeben, dass der Drittstaat sich - etwa aus Gründen besonderer politischer Rücksichtnahme gegenüber dem Herkunftsstaat - von seinen mit dem Beitritt zu den beiden Konventionen eingegangenen und von ihm generell auch eingehaltenen Verpflichtungen löst und einem bestimmten Ausländer Schutz dadurch verweigert, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen wird. Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor, wenn die ihn begründenden Umstände sich schon im Kontakt zwischen deutschen Behörden und Behörden des Drittstaates ausräumen lassen (vgl. BVerfG, Urt. v. 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 u.a. -, a.a.O., S. 99 f.).
Eine Prüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer nach dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem der genannten im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An diese Darlegung sind strenge Anforderungen zu stellen. Unter den gleichen engen Voraussetzungen ist in verfassungskonformer Auslegung des § 34a Abs. 2 AsylVfG ausnahmsweise einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren.
Diese Einschränkungen der Schutzgewährung und des Rechtsschutzes stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat in seinem Urteil vom 21. Dezember 2011 (verbundene Rechtssachen C-411/10 und C-493/10) ausgeführt (Rdnrn. 75 - 86):
"Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Die Beachtung derGenfer Flüchtlingskonvention und des Protokolls von 1967 ist in Art. 18 der Charta und in Art. 78 AEUV geregelt (vgl. Urteile vom 2. März 2010, Salahadin Abdulla u. a., C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Slg. 2010, I-1493, Randnr. 53, und vom 17. Juni 2010, Bolbol, C-31/09, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 38).
Wie oben in Randnr. 15 ausgeführt, heißt es in den einzelnen Verordnungen und Richtlinien, die für die Ausgangsverfahren einschlägig sind, dass sie die Grundrechte und die mit der Charta anerkannten Grundsätze achten.
Nach gefestigter Rechtsprechung haben überdies die Mitgliedstaaten nicht nur ihr nationales Recht unionsrechtskonform auszulegen, sondern auch darauf zu achten, dass sie sich nicht auf eine Auslegung einer Vorschrift des abgeleiteten Rechts stützen, die mit den durch die Unionsrechtsordnung geschützten Grundrechten oder den anderen allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts kollidiert (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. November 2003, Lindqvist, C-101/01, Slg. 2003, I-12971, Randnr. 87, und vom 26. Juni 2007, Ordre des barreaux francophones et germanophone u. a., C-305/05, Slg. 2007, I-5305, Randnr. 28).
Die Prüfung der Rechtstexte, die das Gemeinsame Europäische Asylsystem bilden, ergibt, dass dieses in einem Kontext entworfen wurde, der die Annahme zulässt, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen.
Gerade aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens hat der Unionsgesetzgeber die Verordnung Nr. 343/2003 erlassen und die oben in den Randnrn. 24 bis 26 genannten Übereinkommen und Abkommen geschlossen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem "forum shopping" zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen.
Unter diesen Bedingungen muss die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht.
Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist.
Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtungen der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde.
Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet.
Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Mit der Verordnung Nr. 343/2003 soll nämlich, ausgehend von der Vermutung, dass die Grundrechte des Asylbewerbers in dem normalerweise für die Entscheidung über seinen Antrag zuständigen Mitgliedstaat beachtet werden, wie in den Nrn. 124 und 125 der Schlussanträge in der Rechtssache C-411/10 ausgeführt worden ist, eine klare und praktikable Methode eingerichtet werden, mit der rasch bestimmt werden kann, welcher Mitgliedstaat für die Entscheidung über einen Asylantrag zuständig ist. Zu diesem Zweck sieht dieVerordnung Nr. 343/2003 vor, dass für die Entscheidung über in einem Land der Union gestellte Asylanträge nur ein Mitgliedstaat zuständig ist, der auf der Grundlage objektiver Kriterien bestimmt wird.
Wenn aber jeder Verstoß des zuständigen Mitgliedstaats gegen einzelne Bestimmungen der Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 zur Folge hätte, dass der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert wäre, den Antragsteller an den erstgenannten Staat zu überstellen, würde damit den in Kapitel III der Verordnung Nr. 343/2003 genannten Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ein zusätzliches Ausschlusskriterium hinzugefügt, nach dem geringfügige Verstöße gegen die Vorschriften dieser Richtlinien in einem bestimmten Mitgliedstaat dazu führen könnten, dass er von den in dieser Verordnung vorgesehenen Verpflichtungen entbunden wäre. Dies würde die betreffenden Verpflichtungen in ihrem Kern aushöhlen und die Verwirklichung des Ziels gefährden, rasch den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Entscheidung über einen in der Union gestellten Asylantrag zuständig ist.
Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar."
Auch Art. 47 Abs. 1 GRCh, der einen "wirksamen Rechtsbehelf" gewährleistet, gebietet lediglich im Ausnahmefall einer derartigen ernsthaften Gefahr systematischer Mängel die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Anderenfalls bleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 34a Abs. 2 AsylVfG."
Es besteht keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Asylantrag des Antragstellers selbst zu prüfen.
Italien ist nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 - Dublin II-VO - in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 (ABl Nr. L 222 S. 3) der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Staat. Die Antragsgegnerin ist auch nicht verpflichtet, das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 auszuüben. Daher scheidet eine Verletzung von Rechten des Antragstellers durch eine Überstellung nach Italien aus. Deshalb kann mit dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht (Beschluss vom 2. August 2012) dahinstehen, inwieweit die Vorschriften über die Zuständigkeit für die Prüfung von Asylanträgen nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 überhaupt subjektive Rechte des Asylantragstellers begründen, die von diesem gegen eine vorgesehene Überstellung in den nach dieser Verordnung für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat geltend gemacht werden können (vgl. dazu den Vorlagebeschl. des Hess. VGH v. 22.12.2010 - 6 A 2717/09.A -, ferner Funke-Kaiser, a.a.O., GK-AsylVfG, Stand Juni 2012, § 27a Rn 37 ff. m.w.N.)
Gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO finden die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
Die Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens beurteilt sich hier nach den vorrangig zu prüfenden Zuständigkeitskriterien des Art. 6 Dublin II-VO für unbegleitete Minderjährige. Nach Abs. 2 dieser Regelung ist Italien zuständig.
Für den Antragsteller liegt ein EURODAC-Treffer der Kategorie 1 vom 17. Juli 2011 in Fiumicino/Italien vor. Die EURODAC-Treffer-Nr. des Antragstellers, die auf einer erkennungsdienstlichen Behandlung in Fiumicino/Italien beruht, lautet IT1RM 29DT3. Die ersten beiden Buchstaben stehen für den Mitgliedstaat, also hier IT für Italien (vgl. den Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 30. Juli 2012 in dem Klageverfahren 6 A 2049/12). Die nächste Ziffer lässt erkennen, in welcher Eigenschaft der Ausländer erkennungsdienstlich behandelt worden ist. Es gibt folgende Kategorien: 1 = Asylbewerber, 2 = illegal Eingereister, 3 = illegaler Aufenthalt. Hier ist die erste Ziffer nach dem Länderkürzel IT die 1. Somit ist der Antragsteller am 17. Juli 2011 auf dem Flughafen Rom-Fiumicino als Asylbewerber erkennungsdienstlich behandelt worden. Er hat also seinen ersten Asylantrag im Dublin II-Mitgliedstaat Italien am 17. Juli 2011 gestellt.
Zum Zeitpunkt dieses ersten Asylantrags, der gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats maßgeblich ist, handelte es sich bei dem Antragsteller um einen unbegleiteten Minderjährigen.
Gemäß Art. 2 Buchst. h) Dublin II-VO bezeichnet der Ausdruck "unbegleiteter Minderjähriger" unverheiratete Personen unter 18 Jahren, die ohne Begleitung eines für sie nach dem Gesetz oder dem Gewohnheitsrecht verantwortlichen Erwachsenen in einen Mitgliedstaat einreisen, solange sie sich nicht tatsächlich in der Obhut eines solchen Erwachsenen befinden; dies schließt Minderjährige ein, die nach ihrer Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ohne Begleitung gelassen werden.
Diese Voraussetzungen erfüllte der Antragsteller am 17. Juli 2011 in Italien. Der am 12. März 1994 geborene Antragsteller war am 17. Juli 2011 erst 17 Jahre alt. Den Personaldaten in dem Schreiben des Ministers dell' Interno vom 29. August 2012 ist zu entnehmen, dass der Antragsteller auch in Italien mit dem Geburtsdatum 12. März 1994 geführt wird. Nach seinen eigenen Angaben ist er ohne Begleitung eines für ihn nach dem Gesetz oder dem Gewohnheitsrecht verantwortlichen Erwachsenen in das italienische Hoheitsgebiet eingereist. Er befand sich auch nicht tatsächlich in der Obhut eines solchen Erwachsenen.
Handelt es sich bei dem Asylbewerber um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist gemäß Art. 6 Abs. 1 Dublin II-VO der Mitgliedstaat, in dem sich ein Angehöriger der Familie des unbegleiteten Minderjährigen rechtmäßig aufhält, für die Prüfung seines Antrags zuständig, sofern dies im Interesse des Minderjährigen liegt.
Aus dieser Regelung ergibt sich hier nicht der zuständige Mitgliedstaat. Insbesondere folgt daraus nicht die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland.
Nach Aktenlage hielt sich zum maßgeblichen Zeitpunkt der ersten Asylantragstellung - hier: 17. Juli 2011 - kein Angehöriger der Familie des Antragstellers rechtmäßig in einem Mitgliedstaat auf. Gemäß Art. 2 Buchst. i) Dublin II-VO bezeichnet der Ausdruck "Familienangehörige" die folgenden im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten anwesenden Mitglieder der Familie des Antragstellers, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat: iii) bei unverheirateten minderjährigen Antragstellern oder Flüchtlingen den Vater, die Mutter oder den Vormund. Die Eltern des Antragstellers waren am 17. Juli 2011 nicht im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten anwesend. Der Antragsteller hatte am 17. Juli 2011 auch keinen Vormund, dessen Vormundschaft bereits im Herkunftsland - Syrien - bestanden hat und der im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten anwesend war. Herr B. ist erst mit Beschluss des Amtsgerichts Osterholz-Scharmbeck - Familiengericht - vom 18. August 2011 - 19 F 614/11 SO - zum Vormund des Antragstellers bestellt worden. Die Vormundschaft bestand somit weder in Syrien noch am 17. Juli 2011 in Italien. Im Übrigen ist die Vormundschaft mit dem Eintritt der Volljährigkeit des Antragstellers am 12. März 2012 beendet (§ 1882 BGB).
Daher richtet sich die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO. Danach ist, wenn zum Zeitpunkt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt, kein Familienangehöriger anwesend ist, der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat. Dies ist hier Italien.
Der Mitgliedstaat Italien geht ausweislich des Schreibens des Ministerio dell' Interno vom 29. August 2012 ebenfalls davon aus, dass er gemäß Art. 6 Dublin II-VO für das Asylverfahren des Antragstellers zuständig ist. Denn in diesem Schreiben wird ausdrücklich auf Art. 6 Bezug genommen.
Daneben ergibt sich die Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. c) Dublin II-VO.
Die Antragsgegnerin hat das Wiederaufnahmegesuch an die Italienische Republik mit Schreiben des Bundesamtes vom 30. Juli 2012 gestellt. Gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) Dublin II-VO muss der Mitgliedstaat, der um Wiederaufnahme des Asylbewerbers ersucht wird, die erforderlichen Überprüfungen vornehmen und den Antrag so rasch wie möglich und unter keinen Umständen später als einen Monat, nachdem er damit befasst wurde, beantworten. Stützt sich der Antrag - wie hier - auf Angaben aus dem EURODAC-System, verkürzt sich diese Frist auf zwei Wochen. Erteilt der ersuchte Mitgliedstaat innerhalb der Frist von zwei Wochen keine Antwort, so wird gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. c) Dublin II-VO davon ausgegangen, dass er die Wiederaufnahme des Asylbewerbers akzeptiert.
Italien hat innerhalb der Zweiwochenfrist keine Antwort erteilt. Unter Hinweis hierauf hat das Bundesamt die Italienische Republik mit Schreiben vom 14. August 2012 gemäß Art. 10 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 1560/2003 innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt dieses Schreibens um Bestätigung gebeten, dass der Mitgliedstaat Italien seine Verantwortlichkeit wegen der Überschreitung der Antwortfrist anerkennt. Daraufhin hat die Italienische Republik ihre Zuständigkeit mit Schreiben vom 29. August 2012 unter Bezugnahme auf Art. 6 Dublin II-VO bestätigt.
Hingegen ist die Antragsgegnerin für das Asylverfahren des Antragstellers nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Unterabsatz 2 Dublin II-VO zuständig. Danach ist, wenn das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der Frist von drei Monaten unterbreitet wird, der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Diese Dreimonatsfrist gilt jedoch nicht für das Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 20 Dublin II-VO. Dies hat das Bundesamt in dem Bescheid vom 30. August 2012 zutreffend festgestellt. Es ist deshalb unerheblich, dass die Antragsgegnerin die Italienische Republik erst am 30. Juli 2012 - und damit mehr als zehn Monate, nachdem der Antragsteller in Deutschland am 13. September 2011 einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat - um dessen Wiederaufnahme ersucht hat.
Die Antragsgegnerin ist für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zuständig.
Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung. Ob der Mitgliedstaat von dieser Befugnis Gebrauch macht, steht grundsätzlich in seinem Ermessen, dessen Ausübung integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -). Nach der vorgenannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs lässt dieses Asylsystem die Annahme zu, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention finden. Es gilt daher die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Diese Vermutung kann jedoch widerlegt werden. Sie ist widerlegt, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren. Der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ist in einem solchen Fall verpflichtet, den Asylantrag selbst zu prüfen, sofern nicht ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann.
Nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs besteht keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Asylantrag des Antragstellers selbst zu prüfen. Denn es ist auf der Grundlage des vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern in Italien nicht ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen dort grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren.
Das erkennende Gericht hat bereits im Beschluss vom 1. September 2011 (6 B 1070/11) ausgeführt:
Nach den Erkenntnissen des Bundesamtes hat jede Person, die in Italien Asyl beantragt hat oder der Schutz gewährt wurde, einen gesetzlichen Anspruch auf Gesundheitsversorgung (Guida Practica per i titolari di protezione internazionale), unabhängig von einem festen Wohnsitz. Dieser Zugang zum Gesundheitssystem entspricht dem italienischer Bürger (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Referat 430 -, Flüchtlinge in Italien Verfahrensgarantien gewährleistet? in Entscheiderbrief 7/2011, S. 1, 2 f).
Alle im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien zurückgeführten Personen bekommen von der zuständigen Questura eine Unterkunft zugeteilt mit der Auflage, sich dort zu melden. Etliche Personen begeben sich jedoch nicht zu der zugewiesenen Adresse. War das Asylverfahren in Italien noch nicht abgeschlossen, wird der Asylbewerber in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht und das Asylverfahren fortgesetzt. Wie für alle anderen Asylbewerber besteht dabei ein Anspruch auf soziale Mindestleistungen (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Referat 430 -, a.a.O., S. 3).
Insgesamt gibt es derzeit keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sich Italien von seinen Verpflichtungen gegenüber schutzsuchenden Personen gelöst hätte und § 34a AsylVfG deshalb nicht anzuwenden wäre (vgl. VG Ansbach, Beschluss vom 20. Januar 2011 - AN 9 E 10.30523 - und Beschluss vom 26. Januar 2011 - AN 9 E 10.30522 -; VG Magdeburg, Beschluss vom 31. Januar 2011 - 5 B 40/11 MD -; VG Regensburg, Beschluss vom 14. Januar 2011 - RO 7 S 11.30018 - und Beschluss vom 12. Mai 2011 - RO 7 E 11.30208 -; VG Trier, Beschluss vom 2. Dezember 2010 - 5 L 1304/10.TR -; VG Würzburg, Beschluss vom 22. März 2011 - W 6 E 11.30088 -; VG Augsburg; Gerichtsbescheid vom 9. Mai 2011 - Au 3 K 10.30468 -; VG Hamburg, Urteil vom 30. Juli 2010 - 13 K 3075/10.A -; Bundesamt, a.a.O., S. 3 f). Der von der Antragstellerin in Bezug genommenen Rechtsprechung anderer Verwaltungsgerichte vermag sich das erkennende Gericht nicht anzuschließen."
An dieser Bewertung hält der Einzelrichter auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte fest.
Das Verwaltungsgericht Osnabrück führt in den Urteilen vom 23. Januar 2012 - 5 A 212/11 - und vom 2. April 2012 - 5 A 309/11 - unter Bezugnahme auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 - (Rdnrn. 75 ff) aus:
"Es besteht zur Überzeugung der Kammer daher zunächst eine Vermutung dergestalt, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht. Diese Vermutung kann widerlegt werden, wenn ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren...
...Es ist nicht ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR Große Kammer , Urteil vom 21.01.2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413 ff) hat zur Frage der Zulässigkeit einer Abschiebung nach Griechenland entschieden, dass Art. 3 EMRK die Staaten verpflichtet, sich zu vergewissern, dass die Haftbedingungen mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigen, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Erfordernisse der Haft angemessen sichergestellt werden. Das positive Recht - nämlich die Richtlinie 2003/9/EG vom 27.1.2003 - schreibt außerdem zur Festsetzung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten vor, dass bedürftigen Asylbewerbern Unterkunft und angemessene materielle Bedingungen gewährt werden müssen. Außerdem müssen Staaten, die die EG-Asylzuständigkeitsverordnung anwenden, sich vergewissern, dass das Asylverfahren des Zwischenstaats ausreichende Garantien bietet, damit der Asylbewerber nicht direkt oder indirekt in sein Herkunftsland abgeschoben wird, ohne dass die Gefahr, die dadurch für ihn entsteht, unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 EMRK geprüft worden ist.
Einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK hat der EGMR in seinem o.a. Urteil angenommen, weil der dortige Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes in Griechenland monatelang in extremer Armut gelebt und seine elementaren Bedürfnisse nicht habe befriedigen können. Er habe sich nicht ernähren, nicht waschen können und sei obdachlos gewesen. Dazu sei die ständige Furcht gekommen, angegriffen, oder bestohlen zu werden, und das Fehlen jeglicher Aussicht auf Verbesserung seiner Lage. Dieses Vorbringen des Beschwerdeführers sei auch deshalb glaubhaft, weil ausweislich der Berichte des UNHCR, des Europäischen Kommissars für Menschenrechte sowie von Nichtregierungsorganisationen die vom Beschwerdeführer beschriebene Lage ein weit verbreitetes Phänomen sei.
An diesem Maßstab gemessen besteht zur Überzeugung der Kammer kein Anlass, den Kläger, der jung, arbeitsfähig und alleinstehend ist, nicht nach Italien rückzuüberstellen....
Die Kammer geht von folgender Situation der Asylsuchenden und insbesondere der sog. Dublin II - Rückkehrer aus:
Ein Asylantrag kann nach italienischem Recht in der Polizeidienststelle an der Grenze oder in der Quästur gestellt werden (Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht, Rückschaffung in den "sicheren Drittstaat" Italien, S.4).
Die Quästur entspricht in etwa einem Migrationsamt (vgl. Schweizerische Beobachtungsstelle, a.a.O.). Bei den vielen Quästuren ist es jedoch problematisch, die Zuständigkeit herauszufinden. Dies wiederum führt dazu, dass Asylanträge nicht angenommen werden (vgl. Schweizerische Beobachtungsstelle, a.a.O.), oder dass Flüchtlinge an den Ort ihres Grenzübertritts zurückschickt werden. Im Ergebnis führt dies dazu, dass viele Flüchtlinge solange von Quästur zu Quästur wandern, bis sich einer für zuständig hält. Hinzu kommt, dass die Quästuren meist überbelastet sind. (Schweizerische Beobachtungsstelle, Nov. 2009, S. 4).
Asylsuchende berichten, dass es schon zu Kommunikationsproblemen beim Stellen von Anträgen kommt, da die Polizisten in größeren Städten meist nur Italienisch sprechen. Zu Abstimmungsproblem kommt es auch innerhalb der Quästur: Im Süden wurden Asylsuchende beispielsweise angewiesen, einen Zug nach Norden zu nehmen. An einigen Orten erhielten Asylsuchende ein Papier, auf dem sie aufgefordert wurden, das Land zu verlassen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, S.10).
Zudem erhalten Ausländer keine Informationen über das Asylverfahren, es fehlt an Anwälten und Richtern vor Ort und damit an effektivem Rechtsbeistand für die Flüchtlinge (Schweizerische Beobachtungsstelle, a.a.O.).
Seit Anfang 2009 betreibt Italien die Asylverfahren in einem beschleunigten Verfahren (vgl. "Migration und Bevölkerung" Newsletter 05/09, S.2).
Die Dauer der Anhörungen liegt zwischen fünf Minuten und maximal einer halben Stunde (vgl. Schweizerische Beobachtungsstelle, a.a.O.) bzw. im Durchschnitt bei fünf bis zehn Minuten pro Person, wobei meist keine Rechtsanwälte und oftmals keine die Muttersprache des Flüchtlings beherrschenden Dolmetscher anwesend sind, sondern allenfalls englisch- oder französischsprachige Übersetzer (Schweizerische Beobachtungsstelle, a.a.O.).
Allein bei den ersten Schritten des Asylbegehrens zeigen sich mithin Schwierigkeiten. Es wird von einem Asylsuchenden erwartet, dass er dieses Prozedere durchführt, bis er überhaupt als Asylsuchender gilt. Während der Zeit, die für die Registrierung benötigt wird, haben die Asylsuchenden keinerlei finanzielle Unterstützung oder eine Unterkunft, da beides von der Registrierung abhängt. Zwischen dem ersten Kontakt mit den italienischen Behörden und der formellen Registrierung des Asylgesuchs besteht grundsätzlich kein Zugang zu einer Unterbringung. Diese Periode kann wenige Wochen, in den gravierendsten Fällen - je nach Kapazität der Behörden - auch mehrere Monate dauern (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, S. 6).
Asylsuchende sollen normalerweise nach einem kurzen Aufenthalt im Aufnahme- und Registrierungszentrum (CARA: insgesamt sind etwa 2000 Plätze verfügbar) in andere, kleinere Zentren mit besseren Aufnahmebedingungen und Integrationsmöglichkeiten verlegt werden (sog. SPRAR: insgesamt sind etwa 3000 Plätze vorhanden) (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O. S. 5 und 6). Die Aufenthaltsdauer in einem SPRAR beträgt normalerweise bis zu sechs Monate. Die Dauer der Überprüfung von Verfahren wurde jedoch auf 18 Monate hochgesetzt (http://www.
ag-friedensforschung.de/regionen/Italien/flucht3.html), sodass eine längere Zeit dafür in Anspruch dafür genommen wird, die Situation Asylsuchender zu klären, als häufig die Verweildauer beträgt. Nach den 6 Monaten sind die Asylsuchenden häufig auf sich allein gestellt...."
Auch nach Einschätzung des Verwaltungsgerichts des Saarlands (Urteil vom 7. März 2012 - 5 K 502/11 - begegnet eine Rückführung nach Italien keinen grundsätzlichen Bedenken. Das Gericht führt aus:
Diese Einschätzung wird durch die Ausführungen des Bundesamtes im Entscheiderbrief 7/2011 "Flüchtlinge in Italien - Verfahrensgarantien gewährleistet?" unterstrichen. Dort heißt es, dass die Gerichte, die entgegen § 34 a Abs. 2 AsylVfG einstweiligen Rechtsschutz gewährten, sich vielfach auf den Bericht über eine kirchlich-anwaltliche Recherchereise im Oktober 2010 sowie auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur sicheren Drittstaatenregelung aus dem Jahre 1996 stützten.
Der Titel des Berichts "Zur Situation von Flüchtlingen in Italien" erweckt den Eindruck, es werde ein umfassendes Lagebild vermittelt.
Tatsächlich befasst er sich jedoch ausdrücklich nur mit Personen, die einen Schutzstatus in Italien erhalten haben, und dies nur auf Flüchtlinge aus Somalia, Eritrea oder Äthiopien bezogen, die in Rom oder Turin leben. Ausgeführt ist, dass die überwiegende Zahl in Italien Schutz genießt. Dennoch wird der Bericht häufig herangezogen, um eine generell schlechte Situation für Schutzsuchende in Italien zu begründen, unabhängig von Status und Herkunft der jeweiligen Person.
Von den im Bericht beschriebenen Personen finden sich nur wenige im deutschen Dublin-Verfahren wieder. Denn viele der somalischen, eritreischen und äthiopischen Schutzsuchenden sind in Italien als Flüchtlinge anerkannt. Auf anerkannte Flüchtlinge findet das Dublin-Verfahren keine Anwendung. Entsprechend wurden im Jahr 2010 nur 79 Personen aus den genannten Herkunftsländern im Rahmen des Dublin-Verfahrens von Deutschland nach Italien überstellt. Der Bericht kritisiert in erster Linie die Aufnahmebedingungen von Schutzsuchenden in Italien. Asylsuchende kämen nur für eine begrenzte Zeit während des Asylverfahrens in einer Erstaufnahmeeinrichtung unter. Spätestens nach Abschluss des Asylverfahrens würden sie entlassen und damit in der Regel obdachlos. Dies gelte unabhängig vom zugesprochenen Schutzstatus. Plätze des staatlichen Aufnahmesystems (SPRAR)11 stünden nur unzureichend zur Verfügung. Außerdem fehle ein Sozialsystem, welches Wohnraum und ein Existenzminimum garantiere. Dies ist allerdings vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Zahl der Asylanträge in Italien seit 2008 bis 2011 stark rückläufig war. (2010 wurden 10.050 Asylanträge gestellt; 2009 waren es noch 17.670 und 2008 sogar 30.145) und gleichzeitig neue Unterbringungsplätze für Asylantragsteller geschaffen wurden. Außerdem haben Asylbewerber einen Anspruch auf einen Unterkunftsplatz, der auch gerichtlich durchgesetzt werden kann.
Allerdings sind Unterkunftsplätze teilweise regional schlecht verfügbar. Antragsteller finden deshalb oft keinen Platz in den Ballungszentren und werden anderen Regionen zugewiesen. Auf ganz Italien bezogen stehen genügend Unterbringungsplätze zur Verfügung, nach Auskunft der italienischen Behörden im Notfall bis zu 50.000. Nach Abschluss des Asylverfahrens haben Personen, denen ein Schutzstatus gewährt wurde, hinsichtlich aller Sozialleistungen die gleichen Rechte und Pflichten wie italienische Staatsangehörige.
Damit erfüllt Italien seine Verpflichtung aus Art. 23 GFK, nach dem Flüchtlingen die gleiche Fürsorge zu gewähren ist wie italienischen Staatsangehörigen. Eine Besserstellung von Asylbewerbern und Personen, denen Schutz gewährt wurde - wie sie die Verfasser des Berichts fordern - ist nicht vorgesehen. Aus dem Umstand, dass Italien Asylbewerbern und anerkannten Flüchtlingen kein ähnliches soziales Netz bietet wie Deutschland oder andere europäische Staaten kann deshalb nicht geschlossen werden, dass Italien sich von seinen Verpflichtungen aus GFK und EMRK gelöst hätte.
Der Bericht moniert zwar, dass viele Ausländer in besetzten Häusern und auf Brachflächen leben müssten, wo die Bedingungen sehr schwierig, die Gebäude überfüllt und die sanitären Einrichtungen unzureichend seien. Der Bericht hinterfragt dabei jedoch nicht die Motive.
Ohne Quellenangabe wird weiter ausgeführt, dass der Zugang zum italienischen Gesundheitssystem einen festen Wohnsitz ("residenza") voraussetze und die beschriebenen Unterkünfte nicht als solcher anerkannt würden. Nach den Erkenntnissen des Bundesamtes hat hingegen jede Person, die in Italien Asyl beantragt hat oder der Schutz gewährt wurde, einen gesetzlichen Anspruch auf Gesundheitsversorgung (Guida Practica per i titilari di protezione internazionale), unabhängig von einem festen Wohnsitz. Dieser Zugang zum Gesundheitssystem entspricht dem italienischer Bürger. Für freien Zugang zu allen ärztlichen Leistungen bedarf es der Meldung beim Nationalen Sanitätsdienst, der einen Gesundheitsausweis ausstellt. Für psychisch kranke Personen, die Asyl beantragt haben oder denen Schutz gewährt wurde, stehen besondere Unterkunftsplätze bereit, an denen sie behandelt werden können.
Personen, die in Italien einen Schutzstatus erhalten, haben auch das Recht zu arbeiten (Guida Practica per i titilari di protezione internazionale). Steuernummer und damit Zugang zum legalen Arbeitsmarkt mögen zwar im Grundsatz wieder von einem festen Wohnsitz ("residenza") abhängig sein. In der Praxis ist dies aber vielfach kein besonderes Hindernis. Viele Vereinigungen bieten ihre Anschrift als "Briefkastenadresse" an. Mit dieser erhalten die Flüchtlinge eine Erlaubnis zur Arbeitsaufnahme.
Soweit der Bericht die Situation der Dublin-Rückkehrer als besonders problematisch beschreibt, ist anzumerken, dass alle im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien zurückgeführten Personen von der zuständigen Questura eine Unterkunft zugeteilt bekommen mit der Auflage, sich dort zu melden. Etliche Personen begeben sich jedoch nicht zu der zugewiesenen Adresse. War das Asylverfahren in Italien noch nicht abgeschlossen, wird der Asylbewerber in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht und das Asylverfahren fortgesetzt. Wie für alle anderen Asylbewerber in Italien besteht dabei ein Anspruch auf soziale Mindestleistungen.
Auch die Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen wird im Bericht kritisiert. Diese müssten ebenfalls häufig in besetzten Häusern und auf Brachflächen leben, ohne jeglichen Zugang zu sozialen Leistungen. Dabei verschweigt der Bericht nicht, dass Einrichtungen für Minderjährige in Italien ausreichend vorhanden sind.
Grund für den Verbleib in den beschriebenen Unterkünften sei, dass die Minderjährigen ein falsches Alter angeben, entweder um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten oder um nicht von ihrer Bezugsgruppe getrennt zu werden. Eine spätere Korrektur der Altersangabe sei nicht möglich. Aus einer Studie zu den Bedingungen für unbegleitete Minderjährige in acht Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Gesprächen, die die Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit Vertretern von UNHCR Rom geführt hat, ergibt sich, dass unbegleitete Minderjährige nach ihrer Ankunft in Italien umgehend in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht werden. Es besteht mit Ankunft ein Anspruch auf Schulbesuch und medizinische Versorgung. Darüber hinaus gibt es besondere Ausbildungsprogramme für unbegleitete Minderjährige. Parallel zur Unterbringung wird ein Vormund bestellt. Erst danach kann Asyl beantragt werden.
UNHCR hat bestätigt, dass in den Aufnahmezentren für Minderjährige, die sich in allen Regionen Italiens befinden, ausreichend Plätze zur Verfügung stehen. Bei einer Überstellung einer minderjährigen Person nach Italien wird sie von Betreuern am Flughafen abgeholt, zur Aufnahmeeinrichtung gebracht und lückenlos weiterbetreut. Voraussetzung für die entsprechende Betreuung ist jedoch, dass die Person in Italien als minderjährig registriert ist. Nicht selten sind Asylbewerber in Italien allerdings als Erwachsene registriert, während sie in Deutschland angeben, knapp über 17 Jahre alt zu sein.
Vertreter von UNHCR Rom haben mitgeteilt, dass Altersangaben korrigiert werden können. Diese Personen müssen dann den Nachweis der Minderjährigkeit erbringen, z.B. durch Vorlage einer Geburtsurkunde. Auch die am Flughafen Rom tätige Hilfsorganisation unterstützt Minderjährige bei der Alterskorrektur, etwa durch Einholung medizinischer Altersfeststellungen.
Insgesamt ergeben sich somit derzeit keine Anhaltspunkte dafür, dass Italien sich von seinen Verpflichtungen gegenüber schutzsuchenden Personen gelöst hätte und § 34a Abs. 2 AsylVfG deshalb nicht anzuwenden ist (so auch: VG Ansbach, Beschlüsse vom 20.01.2011 - AN 9 E 10.30523 - und vom 26.01.2011 - AN 9 E 10.30522 -; VG Magdeburg, Beschluss vom 31.01.2011 - 5 B 40/11 MD -; VG Regensburg, Beschlüsse vom 14.01.2011 - RO 7 S 11.300018 - und vom 12.05.2011 - RO 7 E 11.30208 -; VG Trier, Beschluss vom 02.12.2010 - 5 L 1304/10.TR -; VG Augsburg, Gerichtsbescheid vom 09.05.2011 - Au 3 K 10.30468 -; VG Würzburg, Beschluss vom 22.03.2011 - W 6 E 11.30088 -; VG Hamburg, Urteil vom 30.07.2010 - 13 K 3075/10.A -).
Der Kammer ist bewusst, dass es sich bei dem Entscheiderbrief um eine Einschätzung der Beklagten handelt. Allerdings hat der Kläger in der Sache auch nichts vorgetragen, was dieser Einschätzung widerspricht. Im Gegenteil scheint er ein Paradebeispiel für das Funktionieren des Verfahrens in Italien zu sein. Er hat in Mailand Aufnahme und Unterkunft gefunden und auch Kontakt zu seinem Prozessbevollmächtigten aufgenommen, der dem Gericht die ladungsfähige Adresse mitgeteilt hat. Insoweit spricht gerade das vorliegende Verfahren gegen die Vorwürfe gegen das Funktionieren des Verfahrens in Italien."
Diese Einschätzungen werden durch den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 2. Mai 2012 (13 MC 22/12, zitiert nach [...]) bestätigt. Dort wird - nach Wiedergabe der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 21. Dezember 2011) - ausgeführt:
"Bei Anwendung dieser Grundsätze hat die Antragstellerin hinsichtlich Italien keine konkreten Umstände geltend gemacht, die die im Hinblick auf die dortige Behandlung von Flüchtlingen ausnahmsweise Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes rechtfertigen könnten. In seinem Beschluss vom 26. September 2011 hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, es gebe keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin aufgrund ihrer individuellen Verhältnisse in Italien einer konkreten Gefahr für Leib und Leben oder politischer Verfolgung, unmenschlicher Behandlung bzw. einer Schutzverweigerung ausgesetzt wäre. In diesem Zusammenhang hat es darauf verwiesen, dass nach den Erkenntnissen des Bundesamtes jede Person, die in Italien Asyl beantragt habe oder der Schutz gewährt worden sei, unabhängig von einem festen Wohnsitz einen gesetzlichen Anspruch auf Gesundheitsversorgung entsprechend dem Anspruch italienischer Bürger habe. Auch bekämen alle im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien zurückgeführten Personen von der zuständigen Questura eine Unterkunft mit der Auflage zugeteilt, sich dort zu melden. Etliche Personen begäben sich jedoch nicht zu der zugewiesenen Adresse. Sei das Asylverfahren noch nicht abgeschlossen, werde der Asylbewerber in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht und das Asylverfahren fortgesetzt. Wie für alle anderen Asylbewerber bestehe dabei ein Anspruch auf soziale Mindestleistungen. Auf diese Ausführungen, die einem im Entscheiderbrief 7/2011 (S. 1 ff.) veröffentlichten Bericht entnommen sind, der seinerseits eine Reaktion auf den von Pro Asyl im Februar 2011 veröffentlichten Bericht von Bethge und Bender zur Situation von Flüchtlingen in Italien ist, ist die Antragstellerin nicht näher eingegangen. Vor diesem Hintergrund ist eine Abänderung der Beschlüsse des Verwaltungsgerichts vom 1. und 26. September 2011 nicht gerechtfertigt. Auch dem Senat liegen gegenwärtig keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass sich Italien von seinen Verpflichtungen gegenüber schutzsuchenden Personen gelöst hätte und§ 34a Abs. 2 AsylVfG deshalb nicht anzuwenden wäre. So werden die vorstehenden Erkenntnisse durch die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Darmstadt vom 29. November 2011 bestätigt. Auch der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe über das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien vom Mai 2011 weist zwar auf Probleme bei der Unterbringung und der Information über den bestehenden Anspruch auf Gesundheitsversorgung hin, eine grundsätzliche Abkehr Italiens von seinen völker- und europarechtlichen Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen kann darin jedoch nicht gesehen werden. Hinzu kommt, dass offenbar in der Praxis viele Dublin-II-Rückkehrer aus unterschiedlichen Motiven auf einen Asyl- oder Schutzantrag verzichten, so dass ihnen die staatlichen Aufnahmezentren und andere Leistungen nicht mehr offenstehen. In diesem Zusammenhang hat auch die Verteilung der zur Verfügung stehenden Unterkünfte über das gesamte Land und deren Lage in für Flüchtlinge teilweise weniger attraktiven Regionen negativen Einfluss auf die Akzeptanz dieser Unterbringung durch die Schutzsuchenden. Die damit verbundenen, möglicherweise schwierigen Lebensverhältnisse derjenigen Personen, die sich aus diesen Gründen dem staatlichen Hilfssystem (teilweise) entziehen, haben auf die Frage der Beurteilung der grundsätzlichen Behandlung Schutzsuchender durch Italien jedoch keinen Einfluss. Kurzfristige Überforderungserscheinungen aufgrund eines zeitweise stark erhöhten Flüchtlingsaufkommens rechtfertigen die Annahme einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung von Flüchtlingen in Italien ebenso wenig, wie die von einzelnen italienischen Stellen in der Vergangenheit bisweilen öffentlichkeitswirksam betriebene Dramatisierung der tatsächlichen Situation. Der Verurteilung Italiens durch den EGMR wegen der unmittelbaren Zurückschiebung eritreischer und somalischer Bootsflüchtlinge nach Libyen (Entscheidung vom 23.02.2012 - Az. 27765/09 -; vgl. etwa FAZ v. 24. Februar 2012, S. 6) kommt für den vorliegenden Fall keine Bedeutung zu, da sich Italien gerade zur Durchführung des Asylverfahrens der Antragstellerin bereiterklärt hat. Eine Empfehlung des UNHCR, Asylsuchende nicht an Italien zu überstellen, liegt bislang nicht vor.
Angesichts dieser Erkenntnislage drängt sich eine Durchbrechung des Systems der normativen Vergewisserung und der europarechtlich vorgegebenen Zuständigkeitsordnung nicht auf. Alleine der Umstand widersprechender erstinstanzlicher Entscheidungen ist nicht geeignet, die gesetzgeberische Entscheidung des § 34a Abs. 2 AsylVfG außer Kraft zu setzen (so aber offenbar OVG NRW, Beschl. v. 1. März 2012 - 1 B 234/12.A -, [...]). Vielmehr spricht gerade der Umstand, dass die Situation der Flüchtlinge in Italien von den Verwaltungsgerichten unterschiedlich eingeschätzt wird, gegen das Vorliegen eines offensichtlichen Ausnahmefalles und für die Respektierung des in Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG, § 34a Abs. 2 AsylVfG zum Ausdruck gekommenen Willen des (Verfassungs)gesetzgebers."
Auch den Auskünften des Auswärtigen Amtes - AA - vom 9. Dezember 2011 an das Verwaltungsgericht Braunschweig - 7 A 57/11 - und an das Verwaltungsgericht Freiburg vom 11. Juli 2012 und der Einschätzung des UNHCR (Auskunft vom 24. April 2012 an das Verwaltungsgericht Braunschweig - 7 A 57/11 sowie Empfehlungen zu wichtigen Gesichtspunkten des Flüchtlingsschutzes in Italien vom Juli 2012, zitiert nach der amtlichen englischen Veröffentlichung) lässt sich nicht entnehmen, dass in Italien die unabdingbaren Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Asylverfahrens unterschritten werden.
Der UNHCR hat in den bezeichneten Dokumenten erklärt, er erkenne an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben. Insgesamt seien die staatlichen Einrichtungen (CARA, CDA und SPRAR-Projekte) in der Lage, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl an Asylsuchenden nachzukommen. "Anlass zur Sorge" sieht der UNHCR für den Fall, dass Personen in erheblicher Zahl in Italien neu ankommen. Daraus ist gerade nicht zu ersehen, dass in Italien gegenwärtig zureichende Kapazitäten für die Aufnahme und Versorgung von Asylsuchenden nicht vorhanden sind. Dass in den letzten Monaten eine signifikante Anzahl von Personen neu dazugekommen sind und deshalb die Kapazitäten für die Aufnahme und Versorgung nicht mehr ausreichten, ist nicht ersichtlich (vgl. VG Stade, Beschluss vom 23. Juli 2012 - 6 B 1998/12-).
Auch nach der Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts (Beschluss vom 2. August 2012 - 4 MC 133/12 -) bietet die Stellungnahme des UNHCR vom 24. April 2012 keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien grundlegende Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufweisen (vgl. auch VG Regensburg, Beschluss vom 18. Juni 2012 - RN 9 E 12.30187 - [...]; VG Braunschweig, Beschluss vom 12. Juli 2012 - 2 B 1208/112 -; VG Osnabrück, Beschluss vom 17. Juli 2012 - 5 B 57/12 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 7. September 2012 - 6 L 1480/12.A - [...]). Das Nds. Oberverwaltungsgericht führt hierzu aus:
"Nach dem Inhalt dieser Stellungnahme wurden in Italien die regionalen Regierungen im Jahr 2011, nach Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika und der darauffolgenden Erklärung des "humanitären Zustands", gebeten, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu bestimmen. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden wurde eine Vereinbarung getroffen, in der die Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Der UNHCR erkennt vor diesem Hintergrund an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben und die CARA, CDAs und SPRAR-Projekte insgesamt in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl an Asylsuchenden nachzukommen (Seite 3 der Stellungnahme). Nach dem Inhalt der Stellungnahme des UNHCR ist des Weiteren davon auszugehen, dass die Unterkunft, Ernährung und medizinische Versorgung von Asylsuchenden in Italien sichergestellt ist, wenn ein formaler Antrag gestellt wurde, solange der Zeitraum von 6 Monaten Verfahrensdauer (ab formaler Antragstellung) nicht überschritten wird und soweit die aktuellen Zahlen der Asylbewerber die Kapazitäten nicht überschreiten (vgl. Stellungnahme des UNHCR, Seite 5). Eine angemessene Versorgung erscheint danach derzeit allerdings nicht sichergestellt für Asylsuchende mit besonderen Schutzbedürfnissen im Sinne von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates (ABl Nr. L 31 S. 18) vom 27. Januar 2003. Aus dieser Einschätzung lassen sich jedoch grundlegende Mängel, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung aller an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, nicht ableiten. Dieses gilt auch, soweit nach Einschätzung des UNHCR in der gegenwärtigen Situation davon auszugehen sei, dass derzeit die überwiegende Anzahl aller Asylverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden könne, zumal konkrete Zahlen zur Verfahrensdauer nach Auskunft des UNHCR nicht vorliegen. Allein der Umstand, dass die Situation der Flüchtlinge in Italien von den Verwaltungsgerichten unterschiedlich eingeschätzt wird, veranlasst ebenfalls nicht zu der Annahme, dass die Behandlung der Asylbewerber in Italien nicht in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht (vgl. insoweit den 13. Senat des erkennenden Gerichts, Beschl. v. 2.5.2012 - 13 MC 22/12 -, der das Vorliegen eines offensichtlichen Ausnahmefalls im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in dem Urteil v. 14.5.1996, a.a.O., in Bezug auf Italien verneint)."
Diese Einschätzung wird bestätigt durch die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Freiburg vom 11. Juli 2012. Darin führt das Auswärtige Amt aus:
"Italien gewährleistet entsprechend dem Grundrecht auf Asyl (Art. 10, Abs. 3 der italienischen Verfassung, verschiedener Einwanderungs- und Asylverfahrensgesetze, insbesondere Gesetz Nr. 25/2008 vom 28.01.2008) ein Schutzverfahren, das auch für Überstellungen nach der Dublin-II-VO greift.
Zuständig für das Asylverfahren sind die dem Innenministerium unterstehenden Kommissionen ("Commissione territoriale per il riconoscimento dello status di rifugiato"). Für die Annahme des Asylantrags und die Unterbringung/Zuweisung der Unterkunft ist die jeweilige örtliche Questura (Polizeipräsidium) zuständig.
Die Bescheinigung der Polizeidienststelle über den Erstantrag soll innerhalb von 3 Tagen ausgestellt werden; über den Asylantrag ist lt. Gesetz in 30 Tagen zu entscheiden; das Gesamtverfahren (einschließlich gerichtlicher Widerspruchsmöglichkeit bei ablehnendem Bescheid) soll nicht länger als 6 Monate dauern. In der Praxis dauern die Verfahren oft länger, dann werden jedoch auch die Unterbringung und Versorgungsleistungen entsprechend verlängert....
Mit der Anerkennung erhalten Schutzsuchende in Italien ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht; es wird eine Aufenthaltsberechtigung ("permesso di soggiorno") ausgestellt. Danach genießen sie in Italien dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige.
Dies bedeutet in der Praxis, dass sie sich selbst um eine Unterkunft kümmern müssen und dass keine staatliche finanziellen Hilfeleistungen / Sozialleistungen existieren. Andererseits besteht freier Zugang zum Arbeitsmarkt und kostenfreier Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen (Arzt, Zahnarzt, Krankenhaus) wie für alle Italiener. Hierfür müssen sich Asylbewerber beim nationalen Gesundheitsdienst anmelden und erhalten einen Gesundheitsausweis ("tessera sanitaria") sowie eine Steuernummer("codice fiscale").
Abgelehnte Asylbewerber verlassen in vielen Fällen Italien nicht, Abschiebungen werden nur selten durchgeführt. Für sie bestehen dann keine der o.g. Ansprüche. Schwangere und Minderjährige dürfen nicht abgeschoben werden.
In den Fällen einer Abschiebung werden sie zunächst aufgefordert, selbständig das Land zu verlassen. Geschieht dies nicht, werden sie (in der Regel nur bei Vorliegen weiterer Straftaten) in eine der 13 in Italien vorhandenen Abschiebehaftanstalten verbracht. Vor der tatsächlichen Abschiebung muss ein Richter die Rechtmäßigkeit des Ausreisebescheids überprüfen. Es wird ein Gespräch zwischen Richter und Häftling geführt. Dem Häftling wird bei diesem Gespräch ein Rechtsanwalt und ein Dolmetscher zur Seite gestellt.
In der Abschiebehaft besteht die Möglichkeit, rechtliche Informationen einzuholen und an Sprachkursen teilzunehmen. Psychologischer sowie ärztlicher Beistand werden gewährleistet.
Falls zuvor noch kein Asylantrag gestellt wurde, kann dieser noch während der Abschiebehaft gestellt werden. In diesem Fall wird die "Comissione territoriale per il riconoscimento dello status di rifugiato" angerufen und der Antrag schnellstmöglich bearbeitet. In der Praxis kommen Anträge auf Asyl in der Abschiebehaftanstalt jedoch selten vor. ...
Während des Asylverfahrens haben die Asylbewerber Anspruch auf Rechtsberatung sowie sprachliche und kulturelle Übersetzungsdienste (Art. 16, 20 Gesetz Nr. 25/2008)....
Asylbewerber werden für die Dauer des Anhörungsverfahrens in einer der 8 sogenannten CARA-Erstaufnahmeeinrichtungen (centri di accoglienza per richiedenti asilo) oder einem der kleineren, gut ausgestatteten 128 SPRAR (Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati) - Aufnahmezentren untergebracht. Hier stehen laut Angaben des italienischen Innenministeriums rd. 3000 Plätze (CARA, Regelaufenthalt bis 20 Tage) bzw. noch einmal 3000 Plätze (SPRAR, Regelaufenthalt bis 45 Tage) zur Verfügung. Die Zahl ist im Laufe des Jahres 2011 durch die Unterstellung der Erstaufnahme von Flüchtlingen aus Nordafrika an den Zivilschutz erheblich erhöht worden. Minderjährige Personen und Familien werden in den SPRAR-Zentren untergebracht.
Während des Asylverfahrens haben die Asylbewerber Anspruch auf Unterbringung, Verpflegung, medizinische Versorgung (frei), psychologische Hilfe (insbesondere für Minderjährige und traumatisierte Flüchtlinge) und Dolmetscher (Art. 16, 20 Gesetz Nr. 25/2008). Eine finanzielle Hilfe ist nur für den Fall vorgesehen, dass alle Plätze in den Aufnahmezentren belegt sind; diese Möglichkeit ist in Italien aber bisher nicht umgesetzt worden....
Im italienischen Asylverfahren besteht grundsätzlich Rechtsschutz gegen einen ablehnenden Bescheid. Hiergegen kann innerhalb von 30 Tagen nach Zustellung des Bescheides durch das hierfür zuständige Polizeipräsidium (Questura) vor einem ordentlichen Gericht (Tribunale Ordinario) Widerspruch eingelegt werden. Gegen die erstinstanzliche Entscheidung besteht die Möglichkeit, den Instanzenweg der Berufung und Revision bis zum Kassationsgericht in Anspruch zu nehmen.
Zur gerichtlichen Durchsetzung einer Unterbringung und Mindestversorgung wäre jedenfalls ein ordentliches Gericht anzurufen. Hierzu sind der Botschaft Rom nach Rückfrage bei kundigen Stellen in Italien allerdings bisher keine Fälle bekannt geworden. Lediglich gegen die Praxis der Polizeipräsidien, zur Zustellung der Registrierung des Asylantrags (verbalizzazione) eine Zustelladresse zu verlangen ("domicilio"), über die die Antragsteller aber häufig noch nicht verfügen, sind Klagen vor ordentlichen Gerichten erhoben worden.
Es sind zur Zeit keine Informationen zu erlangen, dass Eilrechtsschutz von Asylbewerbern in Anspruch genommen wurde...
Art. 16 des italienischen Asylverfahrensgesetzes No. 25 vom 28.01.2008 legt fest, dass der Asylbewerber entsprechend den Prozesskostenvorschriften Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand im Verfahren hat.
Zudem ist, wie unter 1.3 erwähnt, eine finanzielle Hilfe für den Fall vorgesehen, dass alle Plätze in den Unterbringungszentren belegt sind....
Für Überstellungen nach der Dublin-II-VO greift das oben beschriebene Verfahren. Besonderheiten bestehen nicht. Den nach Italien zurückgeführten Personen wird eine Unterkunft in einer der o.g. Aufnahmeeinrichtungen zugeteilt, sofern ein Asylantrag gestellt / das Asylverfahren noch weitergeführt wird.
In der Praxis stellen allerdings viele Dublin-II-Rückkehrer keinen Asyl- oder Schutzantrag, da sie häufig nicht in Italien bleiben wollen. Sie verzichten auf den Antrag und das Asylverfahren. Damit stehen ihnen die staatlichen Aufnahmezentren u.a. Leistungen nicht mehr offen....
Es liegen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse vor, dass Asylbewerbern kein effektiver Zugang zum Asylverfahren gewährt wird. Nach Ankunft in Italien erhalten Schutzsuchende eine Informationsbroschüre über ihre Rechte im Asylverfahren....
Neben den staatlichen Unterbringungszentren gibt es zusätzlich kommunale und karitative Einrichtungen, z:B. CARITAS Migrantes in Rom und zahlreiche andere Hilfsorganisationen, die die Antragsteller versorgen und ihnen Unterkunftsplätze besorgen, Sprachkurse anbieten u.a.
Diese Organisationen stellen medizinischen, rechtlichen und psychologischen Beistand zur Verfügung. Daneben bereiten sie die Schutzsuchenden auf den Arbeitsmarkt vor, indem sie bei .der Vorbereitung von Bewerbungsschreiben helfen und Informationen über den Arbeitsmarkt erteilen....
Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes können derzeit alle Asylbewerber / Flüchtlinge in öffentlichen Zentren untergebracht werden. Ggf. gibt es lokale / regionale Überbelegungen (Rom/Latium), landesweit sind aber genügend Plätze vorhanden. Insbesondere in Norditalien sind die Kapazitäten nicht ausgeschöpft. Zusätzlich zu den staatlichen und öffentlichen Einrichtungen gibt es kommunale und karitative Einrichtungen, sodass meist ein Unterbringungsplatz in der Nähe gefunden werden kann....
Schutzsuchende werden nach ihrer Ankunft in Italien über ihre Rechte im Asylverfahren aufgeklärt. Da ihnen grundsätzlich eine Unterkunft zugewiesen wird, ist die Erreichbarkeit u.a. zur Zustellung von Bescheiden auf diesem Wege sichergestellt. In der Praxis ergeben sich hier dennoch oft Probleme, wenn z.B. diese Unterkünfte nicht aufgesucht werden. Die Erreichbarkeit der Schutzsuchenden wird dann auch über gemeinnützige Organisationen sichergestellt. Diese bieten die Möglichkeit, Post an die Adresse der Organisation schicken zu lassen....
Quellen: laufende Gespräche der Botschaft Rom mit dem italienischen Flüchtlingsrat CIR und UNHCR und IOM in Rom; Präsentationen des italienischen Innenministeriums und des statistischen Amtes ISTAT; Kontakte zu nichtstaatlichen karitativen Organisationen (Caritas Migrantes, Comunita di Sant'Egidio u.a.), zuletzt am 26. Juni 2012 Besuch der Abschiebehaftanstalt "Ponte Galeria" bei Rom am 25.06.2012."
Die Ausführungen des UNHCR zu besonders schutzbedürftigen Personen im Sinne der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten verhelfen dem Antrag nicht zum Erfolg. Aus diesen Ausführungen lassen sich - wie das Nds. Oberverwaltungsgericht in dem Beschluss vom 2. August 2012 ausgeführt hat (siehe oben) - grundlegende Mängel nicht ableiten.
Nach Artikel 17 Absatz 1 der Richtlinie vom 27. Januar 2003 sind besonders schutzbedürftige Personen Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Behinderte, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben.
Bei dem Antragsteller handelt es sich nicht um eine besonders schutzbedürftige Person im Sinne der Richtlinie. Er ist nicht mehr minderjährig. Vielmehr hat der am 12. März 1994 geborene Antragsteller das 18. Lebensjahr am 12. März 2012 vollendet.
Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts notwendig machen, sind nicht ersichtlich.
Solche Gründe ergeben sich nicht aus der humanitären Klausel des Art. 15 Dublin II-VO. Nach Art. 15 Abs. 1 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien dieser Verordnung nicht zuständig ist (Satz 1). In diesem Fall prüft jener Mitgliedstaat auf Ersuchen eines anderen Mitgliedstaats den Asylantrag der betroffenen Person (Satz 2). Die betroffenen Personen müssen dem zustimmen (Satz 3). Ist der Asylbewerber ein unbegleiteter Minderjähriger, der ein oder mehrere Familienangehörige hat, die sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten und die ihn bei sich aufnehmen können, so nehmen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 15 Abs. 3 Dublin II-VO nach Möglichkeit eine räumliche Annäherung dieses Minderjährigen an seinen bzw. seine Angehörigen vor, es sei denn, dass dies nicht im Interesse des Minderjährigen liegt. Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Ersuchen statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen (Art. 15 Abs. 4 Dublin II-VO). Gemäß Art. 15 Abs. 4 Dublin II-VO hat die Kommission die Bedingungen und Verfahren für die Umsetzung dieses Art. in der VO (EG) Nr. 1560/2003 vom 2. September 2003 beschlossen (Art. 11 ff.).
Die Voraussetzungen für eine Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten aus humanitären Gründen gemäß Art. 15 Absätze 1 und 3 Dublin II-VO liegen hier nicht vor.
Nach dem gegenwärtigen Sachstand ist der Antragsteller - wie bereits festgestellt - nicht mehr minderjährig. Auch handelt es sich bei Herrn B. nicht um seinen Familienangehörigen im Sinne des Art. 2 Buchst. i) iii) Dublin II-VO. Dessen mit Beschluss vom 18. August 2011 erfolgte Bestellung zum Vormund ist - wie bereits ausgeführt - mit dem Eintritt der Volljährigkeit des Antragstellers am 12. März 2012 beendet.
Selbst wenn man zu Gunsten des Antragstellers unterstellt, dass das sog. Versteinerungsprinzip des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO nicht nur für Kapitel III, sondern auch für Kapitel IV dieser Verordnung gilt, ergibt sich daraus kein anderes Ergebnis. Zwar handelte es sich bei dem Antragsteller zum Zeitpunkt der ersten Asylantragstellung am 17. Juli 2011 in Italien um einen unbegleiteten Minderjährigen. Zu diesem Zeitpunkt war der in Deutschland lebende Herr B. jedoch - wie ebenfalls bereits ausgeführt - noch nicht zum Vormund des Antragstellers bestellt.
Im Übrigen ist das Vorbringen der Prozessbevollmächtigten zu 2. des Antragstellers in dem Schriftsatz vom 13. September 2012, er habe in Syrien mit Herrn B., seinem Onkel, "bis zu dessen Flucht zusammengelebt" und auch danach "weiterhin Kontakt aufrechterhalten", nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Herr B. hält sich mit seiner Familie bereits seit 1999 im Bundesgebiet auf. Die Familie hat im August 1999 Asylanträge gestellt, die erfolglos geblieben sind (vgl. das Urteil des Gerichts vom 9. Februar 2000 - 6 A 1850/99 - und den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 4. Mai 2000 - 2 L 1191/00 -). Im Jahr 1999 war der Antragsteller erst fünf Jahre alt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG.
Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 2 Halbsatz 1 RVG.