Landgericht Hannover
Urt. v. 02.08.1989, Az.: 18 S 53/89

Kürzung der Schadensersatzansprüche der Unfallbeschädigten nach einem Verkehrsunfall

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
02.08.1989
Aktenzeichen
18 S 53/89
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1989, 20735
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:1989:0802.18S53.89.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 16.02.1989 - AZ: 543 C 17852/88

Fundstelle

  • NJW-RR 1989, 1510-1511 (red. Leitsatz)

...
hat die 18. Zivilkammer des Landgerichts Hannover
auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juli 1989
durch
die Richter ... sowie
die Richterin ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 16. Februar 1989 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hannover (543 C 17852/88) abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 524,50 DM abzüglich am 15. Dezember 1988 gezahlten 13,75 DM nebst 8 % Zinsen auf 484,90 DM ab 5. Januar 1988, auf weitere 39,60 DM für die Zeit vom 26. August 1988 bis zum 14. Dezember 1988 und auf weitere 25,85 DM ab 15. Dezember 1988 zu zahlen.

Es wird ferner festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger 80 % des künftig aus dem Unfall vom 22. Januar 1986 noch entstehenden Schadens zu ersetzen, soweit der Kläger deswegen gegenüber der bei dem Unfall verletzten ..., geboren am ... Aufwendungen erbringt und entsprechende Ansprüche gem. § 116 SGB X auf ihn übergehen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits I. Instanz tragen der Kläger 1/5 und die Beklagte 4/5.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Entscheidungsgründe

1

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

2

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg.

3

Das klagende Land kann die Beklagte gem. §§ 7 StVG, 823 BGB, 3 PflVersG i.V.m. § 116 SGB X in Höhe von 80 % der Aufwendungen zugunsten der bei dem Verkehrsunfall vom 22. Januar 1986 verletzten ... in Anspruch nehmen.

4

Es ist unstreitig, daß der Versicherungsnehmer der Beklagten, der Landwirt ... auf den wegen Rotlichts an einer Ampel angehaltenen Pkw der Geschädigten ... infolge Unachtsamkeit aufgefahren ist. Ihn trifft daher ein erhebliches Verschulden am Zustandekommen des Unfalls, während der Zusammenstoß der Fahrzeuge für die gesetzlich unfallversicherte Praktikantin ein unabwendbares Ereignis darstellte.

5

Eine Kürzung der auf den Kläger übergegangenen Ansprüche kommt nur deshalb in Betracht, weil die Praktikantin ... zum Unfallzeitpunkt nicht mit dem Sicherheitsgurt angeschnallt war. Der Kläger trägt vor, Frau ... hätte sich während des verkehrsbedingten Anhaltens nach vorn gebeugt und sei infolge des Aufpralls mit der rechten Gesichtshälfte gegen das Lenkrad geschlagen. Mit Rücksicht auf die Art der Verletzung (Beschädigung eines Zahnes) ist davon auszugehen, daß das Nichtanschnallen mitursächlich für ihre Verletzung geworden ist. Daß der Kopf des Fahrers bei Auffahren eines anderen Fahrzeugs von hinten nach vorn geschleudert und gegen das Lenkrad gestoßen wird, wenn der Körper nicht durch den Gurt zurückgehalten wird, ist ein typischer Geschehensablauf. Nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises ist deshalb eine Mitursächlichkeit des Verhaltens der Geschädigten zu bejahen. Die Mitverantwortung des nicht angeschnallten Geschädigten für den Schadenseintritt (§ 254 BGB) richtet sich indes nicht nach festen Quoten, sondern ist abhängig von den in jedem Einzelfall variierenden Umständen des Schadenseintritts (vgl. auch Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 29. Aufl., 2 StVO § 21 a Rdnr. 9 m.w.N.).

6

Hier scheidet eine über 20 % hinausgehende Kürzung der Schadensersatzansprüche der Unfallbeschädigten und damit des Klägers aus. Das Oberlandesgericht Celle, auf dessen Rechtsprechung der Kläger in I. Instanz zur Begründung der Unbeachtlichkeit des Nichtanschnallens verwiesen hat (ZfS 1981, 326 f.), hat in der in Bezug genommenen Entscheidung zwar den hier vorliegenden Fall des verkehrsbedingten Haltens gerade offen gelassen. Jedoch ergibt sich bei Abwägung der Haftungsanteile und der Wertigkeit der Verantwortlichkeiten, daß der Mitschuldvorwurf gegenüber der Unfallgeschädigten deutlich hinter dem Pflichtenverstoß des Versicherungsnehmers der Beklagten zurückbleibt. Nach Auffassung der Kammer spricht einiges dafür, daß die Anschnallpflicht nach § 21 a Abs. 1 Satz 1 StVO bei kurzfristigem verkehrsbedingten Halten - z.B. vor Verkehrsampeln bei Rotlicht oder im stop-and-go-Verkehr - nicht unterbrochen wird. Die körperliche Fähigkeit zum Abstützen endet nämlich bereits bei geringer Fahrgeschwindigkeit. Im Rahmen der Verschuldensbewertung tritt aber in einem solchen Fall der Vorwurf der Selbstgefährdung gegenüber dem geschädigten Haltenden hinter der Verantwortlichkeit des Auffahrenden für unangepaßte und unkonzentrierte Fahrweise zurück, zumal hier, wo Frau ... hinter mehreren anderen Fahrzeugen vor der Ampelanlage ordnungsgemäß angehalten hat und nicht plötzlich und überraschend zum Stehen gekommen ist.

7

Demnach ist die Klage in dem Umfang, wie sie in II. Instanz weiterverfolgt worden ist, begründet.

8

Die Nebenforderungen rechtfertigen sich gem. §§ 284, 286 BGB.

9

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 ZPO.