Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 23.03.2007, Az.: 3 B 39/06
Beamtenverhältnis; Beamter; Beförderung; Einstellung; Ernennung; Frist; Haushaltswirtschaft; Personalwirtschaft; Rechtskraft; Rücknahme; Schuldspruch; Strafe; Strafzumessung; Umwandlung; Unwürdigkeit; Verurteilung; Vollzugsinteresse
Bibliographie
- Gericht
- VG Osnabrück
- Datum
- 23.03.2007
- Aktenzeichen
- 3 B 39/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 71894
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 19 Abs 1 Nr 2 BG ND
- § 19 Abs 3 S 2 BG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zur Frage, ob eine einschränkende Auslegung des Begriffes der Ernennung jedenfalls für den Rücknahmetatbestand des § 19 Abs. 1 Nr. 2 NBG dergestalt geboten ist, dass nur die in § 7 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 NBG erfassten Akte der Einstellung in das Beamtenverhältnis bzw. Umwandlung des bestehenden Beamtenverhältnis in ein solches anderer Art nach § 6 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 NBG erfasst werden (vgl. OVG Greifswald; B. v. 01.06.2004 - 2 M 89/04 -).
§ 19 Abs. 1 Nr. 2 NBG setzt die rechtskräftige Verurteilung zu einer Strafe voraus. Hierfür genügt nicht die Rechtskraft des Schuldspruchs, sondern es bedarf auch der - rechtskräftigen - Entscheidung über die Strafzumessung. Die Beurteilung, ob die Straftaten den Beamten einer Berufung in das Beamtenverhältnis unwürdig erscheinen lassen, kann von Strafzumessungserwägungen abhängen.
Die Rücknahmefrist des § 19 Abs. 3 Satz 2 NBG beginnt erst mit Kenntniserlangung von der Rechtskraft der vollständigen strafgerichtlichen Entscheidung.
Dem öffentlichen Interesse an einer "geordneten Personal- und Haushaltswirtschaft des Landes Niedersachsen" dient die Rücknahme als solche. Dieses Interesse trägt für sich genommen die sofortige Vollziehung nicht.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist Beamter im Justizvollzugsdienst. Am 26.7.2005 wurde er zum Amtsinspektor im JVD befördert. Das Amtsgericht Lingen (Ems) verhängte durch Urteil vom 7.8.2006 - 27 Cs (560 Js 3619/06) 171/06 - gegen den Antragsteller wegen Untreue in Tateinheit mit Betrug und Urkundenfälschung in sechs Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Verurteilung lag im wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Antragsteller war für den Wareneingang des Krankenhauses der Justizvollzugsanstalt Lingen I zuständig. In dieser Eigenschaft erstellte er an seinem Dienst-Computer in der Zeit von Januar bis Oktober 2005 sechs gefälschte Rechnungen für medizinische Waren, die niemals bestellt und niemals der Justizvollzugsanstalt zugegangen waren. Diese Rechnungen stempelte der Antragsteller wahrheitswidrig mit dem Zusatz „erhalten“ ab und leitete sie zur Zahlung an die Verwaltung weiter, die dann die Rechnungen wiederum auf das vom Antragsteller angegebene eigene Konto überwies. Der Antragsteller erhielt auf diese Weise insgesamt 8.187,06 €. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil des Amtsgerichts Lingen verwiesen. Nach dem unwidersprochenen Vortrag des Antragsgegners haben sowohl die Staatsanwaltschaft wie auch der Antragsteller (nur) gegen das Strafmaß Rechtsmittel eingelegt.
Mit Bescheid vom 16.11.2006 nahm die Antragsgegnerin die Ernennung des Antragstellers zum Amtsinspektor mit sofortiger Wirkung zurück und ordnete zugleich die sofortige Vollziehung der Rücknahme an. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin dazu im wesentlichen aus: Sie hätte den Antragsteller niemals zum Amtsinspektor befördert, wenn dessen strafbare Handlungen seinerzeit bereits bekannt gewesen wären. Im Nachhinein habe sich herausgestellt, dass die fachlichen Leistungen des Antragstellers wegen seines strafbaren Verhaltens „damals“ unzureichend gewesen seien. Der Einwand des Antragstellers, er habe damals in einem Zustand narzisstischer Sucht nach Anerkennung gehandelt, sei unerheblich und lasse im übrigen einen Charaktermangel erkennen. Die sofortige Vollziehung der Rücknahme sei aus haushaltsrechtlichen Erwägungen geboten und diene als „Zeichen“ für andere Bedienstete, dass eine ungerechtfertigt erworbene Beförderung unverzüglich rückgängig gemacht werde. Der Antragsteller hat hiergegen fristgerecht die beim erkennenden Gericht weiterhin anhängige Klage ( 3 A 219/06) erhoben.
Er begehrt mit folgender Begründung vorläufigen Rechtsschutz: Das gegen ihn ergangene Strafurteil sei noch nicht rechtskräftig. Ob er einer Berufung in das Beamtenverhältnis unwürdig sei, könne erst nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens beurteilt werden. Er habe die Straftaten im Zustand einer narzisstischen Sucht begangen und sich nicht selbst bereichert, sondern durch Anschaffung von „Materialien“ für seine Kollegen Angehörige der Dienststelle und damit den Dienstherrn begünstigt. Wegen einer neurotischen Depression auf der Grundlage einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur sei er seit Jahren in psychotherapeutischer Behandlung. Die Antragsgegnerin habe die Frist nicht beachtet, innerhalb der eine Ernennung zurückgenommen werden könne. Er, der Antragsteller, habe bereits bei seiner ersten Vernehmung durch die Polizei am 17.11.2005 die ihm zur Last gelegten Taten eingeräumt. Die Antragsgegnerin beziehungsweise ihre Mitarbeiter seien von Anfang an in die polizeilichen Ermittlungen einbezogen gewesen.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16.11.2006 wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt vor: Sie habe die gesetzliche Frist für eine Rücknahme der Ernennung eingehalten. Erst durch das Strafurteil des Amtsgerichts Lingen habe sie sichere Kenntnis von dem eine Rücknahme der Ernennung rechtfertigenden Grund erhalten. Der Antragsteller habe sich als einer Ernennung zum Amtsinspektor unwürdig erwiesen. Das öffentliche Interesse, die vom Antragsteller seit Juli 2005 blockierte Stelle alsbald mit einem anderen Beamten zu besetzen, rechtfertige die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Es sei darüber hinaus zum Ausdruck zu bringen, dass ein straffällig gewordener Beamter mit einer entsprechenden Reaktion der Beschäftigungsbehörde zu rechnen habe.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet. Die Rücknahme der Ernennung wird sich bei ihrer Überprüfung im Hauptsacheverfahren sehr wahrscheinlich als rechtswidrig erweisen (1). Im übrigen ist ein das private Interesse des Antragstellers, einstweilen in seinem Amt zu verbleiben, überwiegendes öffentliches Interesse, welches abweichend vom Regelfall des § 80 Abs. 1 VwGO ausnahmsweise eine Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertigte, nicht anzuerkennen (2).
(1) Gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 2 NBG ist eine Ernennung zurückzunehmen, wenn nicht bekannt war, dass der Ernannte ein Verbrechen oder Vergehen begangen hatte, dass ihn der Berufung in das Beamtenverhältnis unwürdig erscheinen lässt, und er deswegen rechtskräftig zu einer Strafe verurteilt war oder wird. Der Wortlaut der Bestimmung erfasst - soweit man primär den Halbsatz in den Blick nimmt, der den einzelnen Ziffern des Absatzes 1 vorangestellt ist - zwar im Grundsatz jede Art der Ernennung, also auch die Verleihung eines anderen Amtes mit anderem Endgrundgehalt (BVerwG, U. v. 12.09.1963 - II C 14.62 -, BVerwGE 16, 343; Plog/Wiedow BBG § 12 Rn. 1a m. w. N.; GKÖD BBG K 12 Rn. 1; Kümmel, Beamtenrecht, § 19 Rn. 21) z.B. wie hier durch Beförderung, vgl. §§ 7 Abs. 1 Nr. 4, 14 NBG, einschließlich ernennungsähnlicher Maßnahmen (BVerwG, U. v. 23.02.1989 - 2 C 25/87 -, BVerwGE 81, 282). Andererseits wird mit Rücksicht auf Sinn und Zweck der Bestimmung und andere gesetzliche Regelungen (etwa das Disziplinarrecht) sowie der weiteren tatbestandlichen Voraussetzung, dass das begangene Verbrechen oder Vergehen den Beamten der Berufung in das Beamtenverhältnis unwürdig erscheinen lassen muss, eine einschränkende Auslegung des Begriffes der Ernennung jedenfalls für den Rücknahmetatbestand des § 19 Abs. 1 Nr. 2 NBG dergestalt für geboten erachtet, dass von ihm nur die in § 7 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 NBG erfassten Akte der Einstellung in das Beamtenverhältnis bzw. Umwandlung des bestehenden Beamtenverhältnis in ein solches anderer Art nach § 6 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 NBG erfasst werden (vgl. OVG Greifswald; B. v. 01.06.2004 - 2 M 89/04 -, zit. nach juris; vgl. auch GKÖD Band 1 K § 12 Rn. 24) . Welcher Rechtsauffassung der Vorrang zu geben ist, kann hier offen bleiben, weil die Rücknahme aus folgendem weiteren Grund sehr wahrscheinlich keinen Bestand haben wird.
Das Strafurteil gegen den Antragsteller war im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung im Rechtsfolgenausspruch noch nicht rechtskräftig. Nach dem Wortlaut des § 19 Abs. 1 Nr. 2 NBG setzt die Rücknahme einer Ernennung die rechtskräftige Verurteilung des Ernannten zu einer Strafe voraus (GKÖD K § 12 Rn. 19). Es begegnet daher ernstlichen Bedenken, für eine Rücknahme der Ernennung schon die Rechtskraft des Schuldspruchs ausreichen zu lassen. Dies gilt vor allem deshalb, weil der Dienstherr und die Gerichte bei der Beurteilung der Unwürdigkeit i.S.d. § 19 Abs. 1 Nr. 2 NBG an die tatsächlichen Feststellungen und die Subsumtion in dem rechtskräftigen Strafurteil gebunden sind (GKÖD K § 12 Rn. 20; dies drängt sich in Analogie zu § 24 NDiszG auf, vgl. OVG Lüneburg, B. v. 22.02.2007 - 5 ME 241/06-, sowie B. v. 02.03.2007 - 5 ME 252/06 -, zu § 34 und 84 Abs. 1 WDO für die Entlassung eines Soldaten). Dazu gehören auch die Merkmale der Strafzumessung. Im vorliegenden Fall wird das Strafgericht zu beurteilen haben, ob die vom Antragsteller geltend gemachte Persönlichkeitsstörung tatsächlich vorliegt (insofern fehlt es an Feststellungen in dem Urteil des Amtsgerichts Lingen) und welches Gewicht ihr dann - z.B. im Rahmen der Prüfung einer Strafmilderung gem. § 21 StGB - für die Strafzumessung zukommt. Davon wiederum hängt die Beurteilung ab, ob die Straftaten des Antragstellers ihn einer Berufung in das Beamtenverhältnis unwürdig erscheinen lassen. Es genügt nicht, wie die Antragsgegnerin anscheinend annimmt, dass der Antragsteller - im Nachhinein betrachtet - nicht befördert worden wäre.
Dem Antragsteller ist allerdings nicht darin zu folgen, dass die Antragsgegnerin die Frist von sechs Monaten überschritten habe, innerhalb der die Rücknahme erfolgen muss (§ 19 Abs. 3 Satz 2 NBG), nachdem die für die Ernennung zuständige Behörde von dem Grund zur Rücknahme Kenntnis erlangt hat. Diese Frist läuft nach zutreffender Auffassung des Antragsgegners nicht schon ab dem Zeitpunkt, in welchem der Antragsteller sein strafbares Verhalten eingeräumt hat, sondern mit Kenntniserlangung von einer rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung, denn Letztere ist tatbestandliche Voraussetzung der Rücknahme (vgl. BVerwG, U.v. 08.11.1961 - VI C 120.59 -, BVerwGE 13, 156; Kümmel § 19 Rn. 19 ).
(2) Anders als für Abordnung, Versetzung und Versetzung in den Ruhestand (§ 192 Abs. 3 Nr. 3 NBG) gilt für die Rücknahme einer Ernennung der Regelfall des § 80 Abs. 1 VwGO, wonach Widerspruch und Klage aufschiebende Wirkung haben, das private Aussetzungsinteresse des Beamten also regelmäßig nur bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Vollzugsinteresses i.S.d. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zurückstehen muss. Sind danach die Folgen der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Rücknahmeverfügung grundsätzlich hinzunehmen, so gilt das auch, soweit die aufschiebende Wirkung zu einer zeitlich begrenzten ungerechtfertigten Bereicherung des Beamten führt. Zwar geht die Antragsgegnerin zutreffend davon aus, dass haushaltsrechtliche Gesichtspunkte ein besonderes Vollziehungsinteresse begründen können. Dies gilt jedoch nicht schematisch, sondern bedarf einer sorgfältigen Prüfung der Umstände des Einzelfalls (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 09.12.2005 - 5 ME 252/06 -, Beschluss der Kammer vom 15.02.2007 - 3 B 41/06 -), insbesondere daraufhin, ob nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Maßnahme die bis dahin in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen den dem Beamten als Folge der Maßnahme tatsächlich zustehenden und ihm einstweilen weitergezahlten Bezügen entstandene Überzahlung erfolgreich zurückgefordert werden könnte. In diesem Sinne zeichnet sich eine Gefährdung des Landeshaushaltes gegenwärtig nicht konkret ab. Dem öffentlichen Interesse an einer „geordneten Personal- und Haushaltswirtschaft des Landes Niedersachsen“ dient die Rücknahme als solche. Dieses Interesse trägt für sich genommen die sofortige Vollziehung nicht. Im übrigen würde sich die sofortige Vollziehung hier auf den Landeshaushalt nachteilig auswirken können, wenn die Antragsgegnerin, wie sie geltend macht, die einstweilen „blockierte“ Stelle des Antragstellers unverzüglich neu besetzen würde. Stellte sich - etwa aus den Gründen zu (1) - im Hauptsacheverfahren heraus, dass die Rücknahme rechtswidrig ist, so verbliebe der Antragsteller bis zu einer möglichen disziplinarrechtlichen Rückstufung in seinem Amt, mit der Folge, dass eine bereits vollzogene Beförderung eines anderen Beamten zu einem Defizit an Haushaltsstellen führen könnte, das den Gesetzgeber unter Umständen zwänge, eine weitere Haushaltsstelle zu schaffen oder eine für andere Zwecke vorgesehene Planstelle verlagert werden müsste. Soweit die Antragsgegnerin schließlich über die Rücknahme hinaus gerade deren sofortiger Vollziehung eine general-präventive Wirkung auf andere Beamte zuschreibt, ist zu beachten, dass der Gesetzgeber sich nicht veranlasst gesehen hat, die Rücknahme einer Ernennung in den Tatbestand des § 192 Abs. 3 Nr. 3 NBG aufzunehmen. Auch das Disziplinarrecht sieht im Gegensatz zur Entfernung aus dem Dienst für die Rückstufung keine vorläufige Regelung vor. Daraus lässt sich schließen, dass der Wertung des Gesetzgebers einer general-präventiven Wirkung der sofortigen Vollziehung der Rücknahme einer Ernennung keine besondere Bedeutung beizumessen ist.