Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 30.11.1990, Az.: 3 B 46/90

Anspruch auf Eintragung von Ausbildungsverhältnissen in die Lehrlingsrolle; Eignung der Ausbildungsstätte ; Grundsatz des "dualen Systems" ; Eine die betriebliche Ausbildung vollständig ersetzende Maßnahme

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
30.11.1990
Aktenzeichen
3 B 46/90
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1990, 16760
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:1990:1130.3B46.90.0A

Verfahrensgegenstand

Eintragung in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse (§ 28 HwG)

Prozessführer

Berufsbildungswerk ... e.V.,
vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden

Prozessgegner

Handwerkskammer Lüneburg-Stade,
vertreten durch den Präsidenten, Postfach 17 60, 2120 Lüneburg,

Redaktioneller Leitsatz

Eine Qualifizierung als geeignete Ausbildungsstätte im Sinne des § 23 HandwO scheitert an der hinreichenden Praxisbezogenheit, wenn lediglich der Übung dienende simulierte Aufträge und gerade nicht praktischer Arbeiten im Rahmen geregelter Arbeitszeiten angefertigt werden, so dass eine die betriebliche Ausbildung vollständig ersetzende Maßnahme vorliegt, welche das duale System aufhebt.

Das Verwaltungsgericht Stade - 3. Kammer Stade -
hat am 30. November 1990
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Antragstellers vom 20. November 1990 auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (Eintragung von Ausbildungsverhältnissen) wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller - ein eingetragener Verein - bildet benachteiligte Jugendliche und junge Erwachsene aus, und zwar zunächst als "übungswerkstatt im Kirchenkreis ... e.V.", beginnend mit insgesamt 13 Teilnehmern im Jahr 1985 in den Bereichen "Städtische Hauswirtschaft" sowie "Schlosser (Metall)". Die Ausbildungsbereiche wurden in den folgenden Jahren ergänzt um die Bereiche "Tischler (Holz)" sowie "Maurer (Bau)". Im Rahmen der Ausbildung stehen als Personal Meister, Pädagogen sowie Sozialpädagogen zur Verfügung. Die Lehrlinge nehmen am regulären Berufschulunterricht teil. In der Einrichtung des Antragstellers erhalten sie einen diesen Schulunterricht ergänzenden Stützunterricht sowie die praktische Berufsausbildung. Diese praktische Ausbildung erfolgt nach den von den Innungen vorgegebenen Rahmenplänen, und zwar jeweils unter sozialpädagogischer Betreuung. Als Ziel dieser ausbildungsbegleitender Betreuung nennt der Antragsteller u.a. die Behebung von sozialen Defiziten, wie z.B. Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Anpassungsfähigkeit und Zusammenarbeit, Integration von "Randbereichen", wie Familie, Geld, Freizeit etc. sowie die selbständige Bewältigung sonstiger Alltagsprobleme wie z.B. den Umgang mit Behörden. Insgesamt soll die sozialpädagogische Betreuung bewirken, daß die Lehrlinge durch Motivationsförderung und gezielte individuelle Hilfen das Ausbildungsziel (die Gesellenprüfung) nicht vorzeitig aufgeben, sondern erfolgreich abschließen.

2

Gegenwärtig werden in den Bereichen "Tischler", "Schlosser" und "Hauswirtschaft" insgesamt 57 Lehrlinge ausgebildet. Darunter befinden sich seit dem 1. September 1990 8 Lehrlinge in den Bereichen "Metallbauer" bzw. 6 Lehrlinge in den Bereichen "Tischler", für deren 14 Ausbildungsverträge die Antragsgegnerin dem Antragsgegner die Eintragung in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse ("Lehrlingsrolle") verweigert. Der rechtliche und tatsächliche Hintergrund für diesen Streit ist: Die Berufsausbildung im Rahmen des Bundesbenachteiligtenprogrammes zur Förderung der Berufsausbildung von ausländischen Auszubildenden sowie von lernbeeinträchtigten oder sozial benachteiligten deutschen Auszubildenden, denen nach der Teilnahme an berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen ohne weitere Förderung eine Ausbildungsstelle in einem anerkannten Ausbildungsberuf durch die Bundesanstalt nicht vermittelt werden kann, wird durch die Bundesanstalt für Arbeit als Maßnahme nach § 40 c des Arbeitsförderungsgesetzes - AFG - gefördert. Der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit hat aufgrund der §§ 39 und 40 c Abs. 3 Satz 3 AFG am 16. März 1988 angeordnet, daß die Bewilligung der Förderung die Eintragung des Berufsausbildungsvertrages in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse (§§ 31 Berufsbildungsgesetz - BBiG - und § 28 der Handwerksordnung - HandwO -) voraussetzt (vgl. § 13 Abs. 2 der genannten Anordnung AOVr -).

3

Vor dem 1. September 1990 mit dem Antragsteller abgeschlossene Berufsausbildungsverträge trug die Antragsgegnerin sämtlich in das Berufsausbildungsverzeichnis ein, zuletzt Ausbildungsverhältnisse vom 1. März 1990, wie mit Schreiben vom 21. Februar 1990 zugesagt. Gleichzeitig betonte die Antragsgegnerin in diesem Schreiben, daß es sich dabei um eine letztmalige Zustimmung handele und bat den Antragsteller von der Einstellung weiterer Lehrlinge abzusehen.

4

Gleichwohl legte der Antragsteller die vorliegend streitig gewordenen 14 Ausbildungsverträge vom 1. September 1990 der Antragsgegnerin am 24. September 1990 zur Eintragung in die Lehrlingsrolle vor, was diese mit Schreiben vom 27. September 1990 ablehnte. Zur Begründung verwies sie auf ein zwischen den Parteien (Frau ..., Herr Dr. ...) geführtes Telefonat sowie auf das bereits genannte Schreiben vom 21. Februar 1990: Vor "endgültiger Klärung" werde eine Eintragung nicht erfolgen.

5

Dem widersprach der Antragsteller am 19. November 1990 und begehrt mit gleicher Post vorliegend, eingegangen bei Gericht am 20. November 1990, den Erlaß einer einstweiligen Anordnung zur Verpflichtung der Antragsgegnerin, die 14 Ausbildungsverträge in die Lehrlingsrolle einzutragen. Der Antragsteller bringt vor: Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Eintragung, insbesondere auch die Eignung des Antragstellers als Ausbildungsstätte, lägen uneingeschränkt vor. Denn hier finde im außerbetrieblichen Bereich neben dem die Berufsschule ergänzenden Stützunterricht eine wirklichkeitsnahe praktische Ausbildung nach den von den Innungen vorgegebenen Rahmenplänen statt, welche gegenüber der regulären betrieblichen Ausbildung als gleichwertig anzusehen sei. Dies ergebe sich aus der Tatsache, daß der Antragsteller reguläre Arbeitszeiten eines Handwerksbetriebes einhalte. Die erforderlichen Berufserfahrungen würden vermittelt durch die Ausführung von Arbeiten, die auch ein "echter" Handwerksbetrieb durchführe. Der einzige Unterschied bestehe darin, daß der Antragsteller das Produktions- und Dienstleistungsspektrum durch Simulation vermittle und die "Endprodukte" nicht auf dem Markt verkaufe. Zum Teil erstellten die Lehrlinge auch praktische Arbeiten, die nicht allein Übungszwecken dienten. Dafür übernehme der Antragsteller Aufträge für karitative und kommunale Einrichtungen gegen Materialkostenerstattung. Nach Ansicht des Antragstellers ergebe sich eine Eintragungsverpflichtung der Antragsgegnerin auch aus den Vorgaben des Bund-Länder-Ausschusses für berufliche Bildung aus dem Jahre 1982, der Ausbildungsverträge von überbetrieblichen Ausbildungsstätten für "grundsätzlich eintragungsfähig" erklärt habe. Die Eintragungspflicht ergebe sich weiterhin daraus, daß die Ausbildungsverträge in der Vergangenheit anstandslos eingetragen worden seien und weder das Arbeitsamt ... noch die Antragsgegnerin Zweifel an einer Eignung des Antragstellers als Ausbildungsstätte geäußert hätten sowie daraus, daß die Lehrlinge ihre Gesellenprüfung erfolgreich ablegten. Der nach dem Bundesbenachteiligtenprogramm vorgesehene Personalschlüssel werde von dem Antragsteller eingehalten. Einstweiliger Rechtsschutz sei allein effektiv. Der Ausgang eines Klageverfahrens könnte nicht abgewartet werden, denn die Verweigerung der Eintragung müsse ihn, den Antragsteller, dazu veranlassen, die zum 1. September 1990 abgeschlossenen Verträge noch während der dreimonatigen Probezeit, und d.h. spätestens am 30. November 1990 zu kündigen, da die Bundesanstalt für Arbeit die finanzielle Förderung der Maßnahme von der vorherigen Eintragung in das Ausbildungsverzeichnis abhängig mache. Das Arbeitsamt erstatte wegen der fehlenden Eintragung weder die Ausbildungsvergütung für die Lehrlinge noch die Sachkostenpauschale in Höhe von 310,- DM monatlich pro Lehrling und habe die anteiligen Personalkosten für die Mitarbeiter gekürzt, so daß im Falle endgültiger Eintragungsverweigerung auch mindestens ein Mitarbeiter zu kündigen sei.

6

Der Antragsteller hat die tatsächlichen Angaben zur Eilbedürftigkeit seines Begehrens durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemacht und beantragt,

7

die Antragsgegnerin durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, die nachfolgenden Ausbildungsverträge in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse (Lehrlingsrolle) einzutragen:

8

Metallbauer: ...

9

Tischler: ...

10

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

11

Sie erwidert:

12

Die Antragungsvoraussetzungen lägen nicht vor. Denn die Übungswerkstatt sei kein Handwerks- bzw. Gewerbebetrieb, sondern lediglich eine schulische Ausbildungsstätte. Um den Lehrling in seiner Ausbildung mit allen tatsächlichen Betriebsabläufen vertraut zu machen, genüge es nicht, daß allein der Übung dienende simulierte Aufträge eine betriebliche Ausbildung ersetzten. Abweichungen vom sogenannten dualen System (Schule/Betrieb) sähe die Handwerksordnung für die Ausbildung Behinderter lediglich im § 42 b HwO vor. Von dem Grundsatz der dualen Ausbildung seien in den Jahren 1984 bis 1988 Ausnahmen gemacht worden, um in Zeiten des sogenannten "Lehrlingsberges" dringend benötigte zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Soweit in einzelnen Gebieten Klassenstärken von nicht versorgten Jugendlichen vorhanden gewesen seien, habe sie, die Antragsgegnerin, eine Ausnahmegenehmigung zur Ausbildung in schulischen Einrichtungen erteilt. Auch das Land Niedersachsen habe in den genannten Zeiten ein Sonderprogramm gefahren, allerdings im Wege der Ergänzungsschule ohne Eintragung in die Lehrlingsrolle, weil es eine außerbetriebliche Ausbildung für nichteintragungsfähig gehalten habe. Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, die Ausnahmeregelung sei nunmehr nicht mehr erforderlich, da betriebliche Ausbildungsplätze für ausbildungsfähige Lehrlinge in genügender Anzahl vorhanden seien. Ihren diesbezüglichen Standpunkt habe sie dem Antragsteller auch bereits im Jahre 1989 mehrfach mündlich sowie am 21. Februar 1990 schriftlich mitgeteilt. Damit habe der Antragsteller ausreichend Gelegenheit gehabt, diese Frage abzuklären, so daß der Abschluß der Ausbildungsverträge wider besseres Wissen erfolgte und daß eine Eilbedürftigkeit der Angelegenheit nunmehr nicht vorläge, vielmehr vorhersehbar herbeigeführt worden sei.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und den vorgelegten Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin Bezug genommen.

14

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.

15

1.

Aus dem spätestens möglichen Kündigungszeitpunkt der 14 Ausbildungsverhältnisse durch den Antragsteller am 30. November 1990 folgt für diesen Antrag vom 20. November 1990 zeitlich und zunächst objektiv das glaubhaft gemachte Vorliegen eines Anordnungsgrundes (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO). Denn eine - rechtskräftige - Entscheidung über eine Hauptsacheklage in der Kürze von 10 Tagen herbeizuführen, ist derzeit nicht denkbar. Allerdings übersieht die Kammer nicht, daß "die Eile" und damit der Zwang im Sinne effektiven Rechtsschutzes die Hauptsache vorwegnehmen zu sollen, "hausgemacht" ist, wenn nicht gewichtige Gründe vorliegen, die Ausbildungsverhältnisse am 1. September 1990 trotz Negativkenntnis seit Februar 1990 ohne vorherige Abklärung abzuschließen. Ob der Antragsteller deswegen sein prozessuales Antragsrecht zulässigerweise nicht ausüben kann, kann allerdings im Ergebnis offenbleiben, denn der Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung scheitert jedenfalls daran, daß ein Anordnungsanspruch (§§ 123 Abs. 1, Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO) derzeit nicht ersichtlich ist.

16

2.

Der Anordnungsanspruch entspricht dem materiell rechtlichen Anspruch auf Eintragung der 14 Ausbildungsverhältnisse in die Lehrlingsrolle bei der Antragsgegnerin. Vorab: Der begehrte Eintragungsanspruch richtet sich allein nach den §§ 28 bis 30 HandwO und nicht nach der Parallelvorschrift der §§ 31 bis 33 BBiG, weil § 73 BBiG für die Berufsbildung in Gewerben der Anlage A der HandwO, die als Handwerk betrieben werden - und die vorliegend betroffen sind - die §§ 20 bis 49 BBiG für unanwendbar erklärt werden und insoweit allein auf die Regelungen der HandwO verweist.

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a.

Der Eintragungsanspruch des Antragstellers ("sind ... einzutragen" vgl. § 29 Abs. 1 Satz 1 HandwO) scheitert nicht schon nach Nr. 1 der Vorschrift daran, daß die Ausbildungsverträge nicht den gesetzlichen Vorschriften und der Ausbildungsordnung entsprächen, sondern daran, daß dem Antragsteller die in § 29 Abs. 1 Ziffer 2, 2. Alternative HandwO geforderte Eignung der Ausbildungsstätte fehlt.

18

Die Eignung der Ausbildungsstätte regelt § 23 HandwO. Gemäß Ziffer 1 muß sie nach Art und Einrichtung für die Berufsausbildung geeignet sein. Dem liegt ein weiter Begriff zugrunde. Gemäß § 1 Abs. 5 BBiG ist als eine mögliche Art der Ausbildungsstätte auch die "sonstige Berufsbildungseinrichtung" außerhalb der schulischen und betrieblichen Berufsbildung anerkannt. Unabhängig von der konkreten Art der Ausbildungsstätte müssen jedoch die Anforderungen der § 1 Abs. 2 BBiG erfüllt sein:

"Die Berufsausbildung hat eine breitangelegte berufliche Grundbildung und die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse in einem geordneten Ausbildungsgang zu vermitteln. Sie hat ferner den Erwerb der erforderlichen Berufserfahrungen zu ermöglichen".

19

Damit wird der Grundsatz des "dualen Systems" ausgeprägt und festgeschrieben. D.h. eine Ausbildung hat an den Lernorten Betrieb und Schule stattzufinden, um die Vorteile beider Ausbildungsformen miteinander zu vereinen. Hintergrund der dualen Ausbildung ist insbesondere, "öffentlichen Glauben" an das im Anschluß an die Ausbildung zu erwerbende Zertifikat zu schaffen, auf den der spätere Arbeitsplatzbewerber verweisen und sein künftiger Arbeitgeber vertrauen kann. Nur berufsbezogene Ausbildungen und Zertifikate haben Akzeptanz in der Wirtschaft. Bei wirtschaftsferneren Ausbildungseinrichtungen besteht die Gefahr, daß die Akzeptanz entsprechend gering ist und die Ausbildung "nur für die Arbeitslosigkeit" erfolgt. Diese Konsequenz will das duale System vermeiden. So hat das Bundesverwaltungsgericht im Beschluß vom 13. Juli 1982 (Aktenzeichen 5 C 118/81 in DÖV 1982 S. 1036) bezüglich der Anforderungen an eine Berufsausbildung u.a. ausgeführt: Eine Ausbildungstätte ist dann nicht im Sinne des § 23 HandwO für die Berufsausbildung geeignet, wenn der Lehrling wegen der schlechten Auftragslage in dem Ausbildungsbetrieb nahezu ausschließlich "übungshalber" beschäftigt werden muß. Bereits im Urteil vom 25. Februar 1982 - Aktenzeichen 5 C 1/81 in NVWZ 1984, S. 105 - wurde darauf hingewiesen, daß sich die Berufsausbildung nicht in der Vermittlung des Prüfungsstoffes für die Abschluß-Prüfung erschöpft. Wenn § 23 Abs. 1 HandwO vorschreibt, die Ausbildungsstätte müsse nach Art und Einrichtung für die Berufsausbildung geeignet sein, so soll damit erreicht werden, daß dem Lehrling die für die spätere Ausübung seines Handwerks erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnisse entsprechend der Ausbildungsordnung möglichst wirklichkeitsnah in vollem Umfang in der Betriebsstätte vermittelt werden. Diese Voraussetzungen bietet ein Betrieb nicht, ... wenn wegen seiner schlechten Auftragslage eine hinreichende praxisbezogene Ausbildung des Lehrlings nicht möglich ist. Eine "übungshalber" erfolgende Beschäftigung vermag einen solchen Mangel nicht auszugleichen. Das Ziel handwerklicher Ausbildung besteht gerade darin, den Auszubildenden mit allen Betriebsabläufen vertraut zu machen, die die Ausübung dieses Handwerks regelmäßig mit sich bringt. Das erfordert seinen Einsatz im Rahmen der in einem Betrieb dieser Art tatsächlich anfallenden Arbeitsgänge und läßt eine Beschäftigung mit simulierten Aufträgen nicht genügen. Das bedeutet vorliegend, daß die in der Einrichtung des Antragstellers durchgeführte Simulation von Arbeits- und Dienstleistungsprozessen zwar für die Vermittlung des praktischen Prüfungsstoffes der Abschlußprüfung ausreichend sein mag. Die Qualifizierung des Antragstellers als geeignete Ausbildungsstätte im Sinne des § 23 HandwO scheitert jedoch an der hinreichenden Praxisbezogenheit. Denn diese erschöpft sich - wie ausgeführt - gerade nicht in der Anfertigung praktischer Arbeiten im Rahmen geregelter Arbeitszeiten. Der Lehrling ist weiterhin mit allen Betriebsabläufen vertraut zu machen, die die Ausübung des Handwerks regelmäßig mit sich bringt. Diese zusätzliche Anforderung vermag der Antragsteller nicht zu erfüllen. Gerade auch unter dem Aspekt einer zukünftigen Bewährung im Beruf muß der Auszubildende lernen, sich im beruflichen Konkurrenzkampf behaupten zu können und auch unter Zeitdruck qualitätsgerechte Arbeit zu leisten. Sowohl bei fehlender Auftragslage als auch bei den von dem Antragsteller genannten Arbeiten für karitative Einrichtungen, die gegen Materialkostenerstattung durchgeführt werden, sind diese Anforderungen nicht gegeben. Ob der aufgezeigte Mangel durch betriebliche Praktika, wie sie u.a. selbst in § 4 Abs. 2 der zitierten AOVR (der Bundesanstalt für Arbeit) im Umfange von 4 Wochen bis zu 3 Monaten pro Ausbildungsjahr vorgesehen sind, ausgeglichen werden kann, bedarf im konkreten Fall keiner Entscheidung, da jedenfalls bei den betroffenen 14 Ausbildungsverträgen die Ableistung solcher Praktika nicht Vertragsbestandteil geworden ist (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 3 BBiG). Daß ein wesentlicher Faktor einer betrieblichen Tätigkeit das Verfolgen von arbeitstechnischen Zwecken darstellt, ergibt sich auch aus dem Begriff des "Betriebes" im Arbeitsrecht, auf welches § 3 Abs. 2 BBiG verweist: Rechtsprechung und Lehre haben hier im wesentlichen folgende Definition des Betriebes entwickelt: "Eine organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt" (vgl. Schaub, Arbeitsrecht Handbuch 6. Auflage § 18 Abs. 1 Ziffer 1). Zwar erklärt § 3 Abs. 2 BBiG die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Grundsätze nur insoweit für anwendbar, als sich aus dem Wesen und Zweck des Berufsausbildungsvertrages sowie aus dem BBiG nichts anderes ergäbe. Diese Einschränkung führt aber für die Problematik des konkreten Falles zu keiner anderen Einschätzung. Denn die Gesetzgebungskompetenz des Bundes bezüglich des BBiG bzw. der Handwerksordnung folgt aus Art. 74 Nr. 11 GG aus dem "Recht der Wirtschaft". Mit dem Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 29, 402, 409 und BVerfGE 55, 274, 308 [BVerfG 10.12.1980 - 2 BvF 3/77] und 309) ist dieser Begriff weit zu fassen, wobei als maßgebliches Kriterium der Produktionsaspekt anzusehen ist. Entsprechend hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 18. Juni 1980 (4 AZR 545/78 in NJW 1981 S. 1330) sowie der gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes mit Beschluß vom 27. Januar 1983 (GmS-OGB 2/82 in NJW 1983 S. 2070) bei der Frage der Abgrenzung der schulischen von einer betrieblichen Ausbildung folgendermaßen differenziert: Für eine Qualifizierung als betriebliche Ausbildung sei darauf abzustellen, ob eine betriebliche Eingliederung in den laufenden Produktions- und Dienstleistungsprozeß vorliege bzw. ob das Ausbildungsverhältnis "eine arbeitsrechtliche betriebliche Ausgestaltung" erfahren habe. Diese Anforderungen sind bei dem Antragsteller - wie bereits ausgeführt - nicht gegeben.

20

Weitere Zweifel an der Geeignetheit des Antragstellers als Ausbildungsstätte im Sinne des § 23 HandwO könnten sich aus der Zweckbestimmung bzw. Zielvorgabe der Ausbildung im Rahmen der Übungswerkstatt des Antragstellers ergeben. Denn er verfolgt zumindest gleichrangig neben der praktischen Ausbildung erzieherische Zwecke. Er stellt eine Stätte der sozialpädagogischen Betreuung unter Integration ausbildungsferner Randbereiche wie Familie, Freizeit, Freunde und Geld dar. Ob dadurch die praktische Berufsausbildung so sehr in den Hintergrund tritt, daß der schulische Charakter der Einrichtung des Antragstellers überwiegt, kann letztlich dahinstehen, da die fehlende Eignung der Einrichtung des Antragstellers sich schon - wie ausgeführt - aus anderen Gründen ergibt.

21

Dem steht schließlich nicht entgegen, daß zahlreiche Vorschriften des BBiG bzw. der Handwerksordnung auf Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte verweisen (vgl. §§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 7 Satz 2, 9 Nr. 2 BBiG, 23 Abs. 2 HandwO). Solche auswärtigen Einrichtungen erfüllen nicht denknotwendig die Voraussetzung, die die Handwerksordnung bzw. das BBiG an eine geeignete Ausbildungsstätte stellt. In diesem Zusammenhang ist zu differenzieren zwischen überbetrieblicher sowie außerbetrieblicher Ausbildung. Soweit im zweiten Teil des BBiG bzw. in der HandwO Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte aufgeführt werden, so ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschriften, daß es sich dabei jeweils um die die betriebliche Ausbildung ergänzende Maßnahmen handelt. Diese können im Rahmen übergreifender Fortbildung wegen Spezialisierung und Rationalisierung der einzelnen Ausbildungsbetriebe notwendig werden und dann neben die eigentliche betriebliche Ausbildung treten (vgl. z.B. Kommentierung zu § 23 HandwO in Küpler/Schubert Handwerksordnung, Kommentar § 23 Rdn. 23 f). Ein Verstoß gegen das duale System ist in diesen Vorschriften nicht zu erblicken. Denn die genannten auswärtigen Maßnahmen erfüllen zwar möglicherweise nicht die Anforderungen an eine betriebliche Ausbildung. Sie treten jedoch lediglich sekundär neben die primär weiterhin bestehende betriebliche Ausbildung. Um solche die betriebliche Ausbildung ergänzende Maßnahmen handelt es sich jedoch im vorliegenden Falle nicht. Vielmehr liegt eine die betriebliche Ausbildung vollständig ersetzende Maßnahme vor, welche das duale System nicht nur lockert, sondern aufhebt. Ausbildungsmaßnahmen dieser Art hat weder das BBiG noch die Handwerksordnung geregelt. Insoweit würde auch die Gesetzgebungskompetenz des Bundes mangels Bezuges solcher Maßnahmen zum Recht der Wirtschaft überschritten sein. Soweit außerbetriebliche Ausbildungsstätten im BBiG bzw. in der HandwO genannt sind, ermöglichen sie lediglich eine Anbindung an das duale System, in dem beispielsweise trotz praxisferner Ausbildung die Zulassung zur Gesellenprüfung nachträglich ermöglicht wird (§ 37 Abs. 3 HandwO).

22

Da nach Auffassung der Kammer die Eignung des Antragstellers als Ausbildungsstätte im Sinne des § 23 Abs. 1 Ziffer 1 der HandwO fehlt, bedarf der Personalschlüssel des Antragstellers keiner Untersuchung darauf, ob er den Anforderungen des § 23 Abs. 1 Ziffer 2 HandwO gerecht wird.

23

c.

Neben dem Eintragungsanspruch aus dem Gesetz fehlt es auch an einem Anspruch auf Eintragung aus einer von der Antragsgegnerin möglicherweise erteilten diesbezüglichen mündlichen Zusicherung.

24

Denn eine Zusicherung bedarf für ihre Wirksamkeit nach § 38 Abs. 1 Satz VwVfG der Schriftform. Schriftlich aber ist am 21. Februar 1990 durch die Antragsgegnerin genau Gegenteiliges erklärt worden.

25

d.

Mit der langjährigen Praxis, vergleichbare Ausbildungsverhältnisse einzutragen, hat sich die Antragsgegnerin erkennbar nicht auf Dauer binden wollen. Dies geht schon deswegen nicht, weil bei Vorliegen der Voraussetzungen die Eintragung nicht im Ermessen der Antragsgegnerin steht, sondern es sich um einen gebundenen Anspruch handelt. In der Sache hat die Antragsgegnerin dem vorgebeugt und vor Abschluß der jetzt streitigen Ausbildungsverhältnisse klar gestellt, daß sie diese nicht eintragen wird, weil sie die Voraussetzungen nicht mehr für gegeben hält. Damit führen allgemeine Erwägungen zum Vertrauensschutz auf einen langjährigen Verwaltungsbrauch nicht weiter und zu einem Anspruch des Antragstellers. Nach dem Februar 1990 konnte der Antragsteller auf weitere Eintragungen nicht vertrauen und hätte dies bei teilweise erheblichen Investitionen bzw. personellen Veränderungen berücksichtigen müssen. Hinzu kommt, daß die Eignungsfeststellung als Ausbildungsstätte ohnehin nicht von "Ewigkeitscharakter" geprägt ist, denn die Antragsgegnerin ist nach den §§ 23 a, 24 HandwO zu dauernder Kontrolle bzw. Aktualisierung gehalten. Hinzu kommt, daß Vertrauensschutz nur dann betätigt werden kann, wenn sich dieses Vertrauen auf einen Zustand bezieht, der ursprünglich einmal rechtmäßig herbeigeführt worden ist. Daraus, daß sämtliche bis zum September 1990 abgeschlossenen Verträge in die Lehrlingsrolle eingetragen worden sind, ohne daß die gesetzlichen Grundlagen vorgelegen hätten, kann jedoch einen Rechtsanspruch des Antragstellers auf Weiterführung der rechtswidrigen Verfahrensweise nicht begründet werden.

26

Ob ein "Vertrauensschaden" durch (Fehl-) Investitionen entstanden ist oder durch Ausfall von erwarteten Förderungsmitteln und Jemand dafür in Anspruch genommen werden könnte, ist weder im Eintragungsverfahren bei der Antragsgegnerin noch in diesem einstweiligen Anordnungsverfahren noch in einem dazugehörigen künftigen Verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren zu klären. Auf das Bestehen oder Nicht bestehen eines Eintragungsanspruches ist dieses ohne jeden Einfluß.

27

Insgesamt war der Antrag des Antragstellers mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird nach den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG auf 6.000,- DM festgesetzt.

M. Schulz
Dr. Beyer
Schröder