Amtsgericht Bad Iburg
Urt. v. 01.08.2007, Az.: 4 C 538/07
Abzocke; Behauptungen; Betrug; Dafürhalten; Duldung; Ehrenschutz; Endverbrauch; Energieunternehmen; Formalbeleidigung; Grundpreiserhöhung; Güterabwägung; Herabsetzung; Interessenabwägung; juristische person; Kontrolle; Kostenkalkulation; Leserbrief; Machenschaften; Meinungsfreiheit; Meinungsäußerung; Menschenwürde; Persönlichkeitsrecht; Persönlichkeitsschutz; Preisgestaltung; Rechtswidrigkeit; Regulierungsbehörde; Richtigkeit; Schmähkritik; Schutzbereich; Stadtwerke; Stromabnehmer; Strompreiserhöhung; Tatsachenbehauptung; Transparenz; unlautere Machenschaften; Unrichtigkeit; Unterlassung; Verbrauchsabrechnung; Wasserabnehmer; Wertung; Zeitung; Öffentlichkeit; Überprüfung; Überwachung; üble Nachrede
Bibliographie
- Gericht
- AG Bad Iburg
- Datum
- 01.08.2007
- Aktenzeichen
- 4 C 538/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 71972
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs 1 BGB
- § 823 Abs 2 BGB
- § 1004 BGB
- § 186 StGB
- Art 1 Abs 1 GG
- Art 2 Abs 1 GG
- Art 5 Abs 1 GG
- Art 19 Abs 3 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage - wie die der Energiepreiserhöhung in den letzten Jahren - spricht bei der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsschutz die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede.
2. Im Unterschied zu den in § 823 Abs. 1 BGB namentlich bezeichneten Schutzgütern wie Leben, Körper und Eigentum wird bei einem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht die Rechtswidrigkeit indiziert.
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Unterlassung von Behauptungen, die dieser insbesondere in Leserbriefen der Neuen Osnabrücker Zeitung geäußert hatte. Früher war der Beklagte Kunde der Klägerin, aufgrund zahlreicher Streitigkeiten zwischen den Parteien ist er dies heute jedoch nicht mehr.
Im Leserbrief vom 23.05.2007 der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ), vgl. Bl. 7 der Akte, äußerte sich der Beklagte wie folgt:
„Die Stadtwerke versuchen die unverhältnismäßige Erhöhung der Strompreise zu rechtfertigen. Dieser sei in der letzten Zeit um über 30% gestiegen. Zahlen, durch die die Erhöhung nachvollziehbar wäre, nennen die Stadtwerke wohlweislich nicht. Denn eine Erhöhung des Einkaufspreises von z.B. 3 Cent auf 4 Cent pro kWh bedeutet eine Erhöhung um mehr als 30 Prozent; letztendlich aber nur einen Cent. Wie aber die Erhöhung des Grundpreises um nahezu 43 Prozent mit der Erhöhung der gestiegenen Bezugskosten zusammenhängt, wird mit keiner Silbe erwähnt.
[...] Ganz offensichtlich werden hier die Stromabnehmer und auch schon seit Januar 2006 die Wasserbezieher über Gebühr abgezockt, um die Finanzierung für die zweifelhafte Gasversorgung sicherzustellen, denn sowohl bei Strom wie bei Wasser/Abwasser sind Rücklagen in Millionenhöhe vorhanden.
Ein weiterer Anhaltspunkt für unlautere Machenschaften der Stadtwerke ist, dass sie sich weigern, den Verbrauchern eine Kostenkalkulation vorzulegen. Den Bürgern müsse es genügen, wenn die Aufsichtsbehörde dem Erhöhungsantrag zustimme.
[..] Und dass hier Aufsichtsrat und Stadtwerkeausschuss der Stadt XY als gewählte Bürgervertreter mitspielen, ist unverständlich.
[...] Hinzu kommt, dass die Stadtwerke die Jahresrechnungen aufgrund mehrere Wochen zurückliegender Ablesungen erstellen. Der Endverbrauch wird hochgerechnet und bewusst niedrig angesetzt mit der Folge, dass ein Teil des im Dezember verbrauchten Stroms im Folgejahr mit erhöhten Gebühren abgerechnet wird. Ich betrachte ein solches Verfahren als Betrug, zumal kaum ein Verbraucher regelmäßig seine Zählerstände kontrolliert und damit dieses Vorgehen erkennt. [...].“
Nachdem der Geschäftsführer der Klägerin diese Vorwürfe in einem eigenen NOZ-Leserbrief am 26.5.2007 zurückgewiesen hatte, vgl. Bl. 53 d.A., meldete sich der Beklagte in einem weiteren Leserbrief am 31.05.2007 in der Regionalausgabe Georgsmarienhütte-Hagen-Hasbergen der NOZ in einem zweiten Leserbrief zu Wort, vgl. Bl. 52 d.A., und wiederholte dabei im Wesentlichen seine vorherigen Ausführungen.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass diese Vorwürfe die Grenze zur Schmähkritik überschreiten und nicht von der Meinungsfreiheit umfasst seien, insbesondere die beklagtenseits verwendeten Begriffe wie „unlautere Machenschaften“, „Abzocke“, „Betrug“ und „zu hohes Ansetzen des Endverbrauchs“.
Sie behauptet, dass die Ausführungen des Beklagten unwahr seien, ihr eigenes Vorgehen sei korrekt. Dies ergebe sich insbesondere auch daraus, dass die Preisgestaltung durch staatliche Regulierungsbehörden überwacht und kontrolliert werde, ohne dass es diesbezüglich Beanstandungen gegeben habe. Klägerseits liege keine willkürliche Preisgestaltung vor, weil man von den Zulieferpreisen abhängig sei. Auch die Methode der Abrechnung des Verbrauchs der Kunden entspreche der üblichen Geschäftspraxis; ein anderes Ableseverhalten sei nicht möglich. Punktgenaue Abrechnungen seien weder technisch noch wirtschaftlich möglich.
Die Klägerin beantragt daher,
1. Der Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, in Bezug auf die Klägerin, deren Geschäftsführung oder ihre weiteren Repräsentanten wörtlich oder sinngemäß die folgenden Behauptungen aufzustellen oder aufstellen zu lassen, zu verbreiten oder verbreiten zu lassen:
a) Die Klägerin betreibe unlautere Machenschaften.
b) Die Klägerin zocke ihre Kunden und Abnehmer über Gebühr ab.
c) Die Endverbräuche der Kunden der Klägerin würden bewusst hochgerechnet bzw. bewusst niedrig angesetzt, damit die Klägerin erhöhte Gebühren abrechnen könne.
d) Die Klägerin verhalte sich in betrügerischer Weise.
2. Der Beklagte hat die Klägerin von der in diesem Rechtsstreit entstandenen Gebührenforderung der Rechtsanwälte L. in Höhe von 83,65 € für das außergerichtliche Tätigwerden freizustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass seine Weigerung, die klägerische Unterlassungserklärung, Bl. 11 und 12 der Akte, zu unterschreiben, von seiner Meinungsfreiheit umfasst sei.
Er behauptet, dass die von ihm aufgestellten Behauptungen korrekt seien und führt zu den jeweiligen Punkten seines Leserbriefes sehr detailliert aus. Diesbezüglich wird auf die näheren Ausführungen des Beklagten in dessen Schriftsätze vom 14.06.07, Bl. 17 bis 20 der Akte, vom 11.07.2007, Bl. 32 bis 36 und vom 20.07.2007, Bl. 44 bis 47 der Akte, verwiesen.
Das Gericht entscheidet ohne Beweisaufnahme im schriftlichen Verfahren gem. § 495 a ZPO.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche aus keiner der in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen zu.
1. Die Klägerin kann den begehrten Unterlassungsanspruch nicht wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus §§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB, 823 Abs. 1 und 2 BGB, § 186 StGB in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 GG herleiten.
Es besteht kein Unterlassungsanspruch.
a) Es ist zwar in der Rechtsprechung seit langem anerkannt, dass aus den spezialgesetzlichen Regelungen in §§ 1004, 823 BGB ein allgemeiner Rechtsgedanke des Inhalts abgeleitet werden kann, dass bei einer drohenden Verletzung der in §§ 1004, 823 BGB geschützten Rechtsgüter dem jeweiligen Betroffenen ein Anspruch auf Unterlassung der vorstehenden Rechtsverletzung zugebilligt werden kann, vgl. insbes. Staudinger/Hager, BGB-Kommentar, 13. Auflage vor § 823 BGB, Rn. 63, 64.
b) Die Klägerin als juristische Person genießt nach Art. 19 III GG auch Persönlichkeitsschutz. Ihr ist deshalb genau wie einer Privatperson auch in zivilrechtlicher Hinsicht Ehrenschutz zu gewähren, vgl. BVerfGE 10, 89, 99; BGHZ 81, S. 75, 78.
c) Im vorliegenden Fall muss jedoch ein Anspruch der Klägerin auf dieser Grundlage ausscheiden, weil die Meinungsfreiheit des Beklagten aus Art. 5 Abs. 1 GG überwiegt.
Für die Äußerungen des Beklagten in seinen Leserbriefen ist der sachliche und persönliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit des Art. 5 I GG eröffnet.
Nach der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung hängt die Frage, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung einzustufen ist, entscheidend davon ab, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit Mitteln des Beweises zugänglich ist, vgl. BGH NJW 1996, S. 1131, 1133 [BGH 30.01.1996 - VI ZR 386/94]; BGH NJW 1998, S. 3047, 3048 [BGH 16.06.1998 - VI ZR 205/97].
Dagegen enthält die Meinungsäußerung durch die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens. Es kann sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen, BVerfGE NJW 1994, S. 1779, 1779; 2001, S. 2957, 2958. In Abgrenzung der Meinungsäußerung zur Tatsachenbehauptung kommt es also darauf an, ob die Äußerung einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit dem Mittel des Beweises zugänglich ist, BVerfGE 94, S. 1, 8; BGHZ 139, S. 95, S. 102. Meinungsäußerungen lassen sich daher im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen nicht als wahr oder unwahr beweisen. Wirken Tatsachenbehauptung und Wertung dagegen untrennbar zusammen, wird die Äußerung grundsätzlich in ihrer Gesamtheit von der Schutzwirkung des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst. Dies gilt insbesondere in den Fallkonstellationen, in denen die Äußerungen in entscheidender Weise durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder des Meinens geprägt wird, BGHZ 132, S. 13, S. 21 f.. Es ist jedoch zu beachten, dass allein schon das Aufstellen einer Tatsachenbehauptung als solche die Frage beinhalten kann, ob die Behauptung schon allein eine Wertung enthält. Dies muss daher auch in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG fallen.
Vorliegend ist insbesondere unter Berücksichtigung der Ausführungen des Beklagten in seinen Leserbriefen festzuhalten, dass seine Ausführungen in Form von Tatsachenbehauptungen und Wertungen so untrennbar zusammenhängen, dass diese Äußerungen von der Schutzwirkung des Art. 5 GG umfasst sind. Es lassen sich nicht die Tatsachenbehauptungen mit den Wertungen des Beklagten trennen, ohne dass der Aussagegehalt verloren geht.
Es liegt zur Überzeugung des Gerichts auch keine bewusst unwahre Tatsachenbehauptung des Beklagten vor, die dazu führen würde, dass der Schutzbereich nicht eröffnet wäre. In seinen Äußerungen in den Leserbriefen ist eine wertende Stellungnahme des Beklagten vorhanden, die nicht bewusst unwahr ist und das Element des Dafürhaltens beinhaltet. Daher ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit vorliegend eröffnet.
d) Es kann auch nicht bezweifelt werden, dass die vom Beklagten in seinem Leserbrief geäußerten Vorwürfe der „unlauteren Machenschaften, des Abzockens, des bewusst zu hohen Abrechnens und des Betruges“ die Klägerin in ihrem Persönlichkeitsschutz aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 GG verletzen. Es liegt ein objektiver Eingriff in das Recht der Klägerin vor ihr Persönlichkeitsrecht ist verletzt, so dass eine Beeinträchtigung gem. §§ 1004, 823 BGB vorliegt.
e) Der Beklagte kann hiergegen jedoch gem. § 1004 Abs. 2 BGB Einwendungen vorbringen, nach denen die Klägerin zur Duldung dieser Äußerungen verpflichtet ist, weil seine Äußerungen nicht rechtswidrig sind.
Im Unterschied zu den in § 823 Abs. 1 BGB namentlich bezeichneten Schutzgütern wie Leben, Körper und Eigentum wird bei einem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nämlich gerade nicht die Rechtswidrigkeit indiziert, vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 29.11.2001, 8 U 1652/01; Medicus, Bürgerliches Recht, 18. Aufl., Rn. 630 und 646; ders. in Schuldrecht II, Bes. Teil, 9. Auflage, Rn. 814.
Kollidiert, wie im vorliegenden Fall, der Ehrenschutz mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit, bedarf es im Einzelfall jeweils einer Güter- und Interessenabwägung, welches Recht des einzelnen Rechtsträgers überwiegt, BVerfG NJW 1999, S. 1322, 1323 f. [BVerfG 10.11.1998 - 1 BvR 1531/96]; NJW 2001, S. 2957, 2959. Insofern hat vorliegend eine Abwägung der jeweils betroffenen Rechtsgüter stattzufinden, nach der die in Art. 5 Abs. 1 GG manifestierte Meinungsfreiheit des Beklagten mit der im zweiten Absatz des Art. 5 GG geregelten Schrankenregelung des § 186 StGB, der die Persönlichkeit der Klägerin schützt, abgewogen werden muss.
Insofern ist auch das beschränkende, allgemeine Gesetz des § 186 StGB, das wiederum die Grundrechte und sonstigen Rechte mit Verfassungsrangsrang schützt, im Sinne der überragenden Bedeutung des Grundrechts des Artikel 5 GG auszulegen im Rahmen einer sog. „Schranken-Schranken-Prüfung“.
Im geistigen Meinungskampf spricht bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede, BVerfG NJW 1995, S. 3303, 3305; NJW 1999, S. 2358, 2359. Dies gilt auch für Äußerungen, die aus scharfer und abwertender Kritik bestehen und selbst für solche, die mit übersteigerter Polemik vorgetragen werden, BVerfG NJW 1995, S. 3303, 3305; NJW 1999, S. 2358, 2359. Der Persönlichkeitsschutz geht regelmäßig der Meinungsfreiheit erst dann vor, wenn sich die Äußerungen als Angriff auf die Menschenwürde als Schmähkritik oder Formalbeleidigung darstellt, BVerfG NJW 1995, S. 3303, 3304; NJW 1999, S. 2358, 2359 [BVerfG 08.04.1999 - 1 BvR 2126/93].
Um eine solche Schmähkritik handelt es sich aber nur dann, wenn bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung des Gegners im Vordergrund steht. Der Begriff der Schmähkritik muss eng ausgelegt werden, weil die Meinungsfreiheit konstituierend für die freiheitlich demokratische Grundordnung ist, vgl. insbesondere OLG Köln, Urteil vom 17.12.2002, 15 U 95/02, m.w.N. Die Diffamierung der Person muss im Vordergrund stehen, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik persönlich herabsetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll, BGHZ 143, S. 199, 209 m.w.N. Von Bedeutung ist hierbei insbesondere, ob der Äußerung Sachnähe zu einem ihr zugrundeliegenden Tatbestand zukommt, OLG Köln a.a.O.
Von Verfassungs wegen macht selbst eine überzogene, unmäßige oder ausfällige Kritik eine Äußerung für sich noch nicht zur unzulässigen Schmähung, Landgericht Bonn, 20.04.05, 10 O 539/04.
Unter Anwendung dieser Grundsätze vermag das Gericht in den streitgegenständlichen Äußerungen des Beklagten, „unlautere Machenschaften, Abzocken der Kunden, bewusst zu hohes Abrechnen, betrügerisches Verhalten“ keine Schmähkritik erkennen, weil der Gesamtzusammenhang des Leserbriefes zu berücksichtigen ist. Diesbezüglich ist insbesondere zu beachten, dass die jeweiligen einzelnen Vorwürfe ausführlich von dem Beklagten begründet und näher erörtert werden, so dass nachvollziehbar ist, wieso er zu seinen Einschätzungen gekommen ist. Er stellt also keinesfalls allein die im Klageantrag als Unterlassung geforderten Behauptungen auf, die in der Tat - ohne zusammenhängenden Text aneinandergereiht - als Schmähkritik zu verstehen sein dürften. Es handelt sich vorliegend aber um einen zusammenhängenden erörternden Text, in dem der Beklagte ausdrücklich seine Meinung äußert und dies durch zahlreiche nachvollziehbare Beispiele konkretisiert.
Die Äußerung des Beklagten im streitgegenständlichen Leserbrief vom 23.5.2007, die Strom- und Wasserabnehmer würden ganz „offensichtlich über Gebühr abgezockt“, begründet er damit, dass die Klägerin ihm keine Zahlern genannt habe, die eine Erhöhung des Grundpreises um 43 % rechtfertigen könnten; lediglich eine Erhöhung der gestiegenen Bezugskosten um 30 % sei vorgetragen worden. Dem Beklagten fehlen also nachvollziehbare Zahlen und Belege, die die erfolgte Grundpreiserhöhung rechtfertigen könnten. Hierauf bezugnehmend sieht der Beklagte zudem „Anhaltspunkte für unlautere Machenschaften“ der Klägerin, weil diese sich trotz der Kostenerhöhungen weigere, den Verbrauchern eine Kostenkalkulation vorzulegen. Die Genehmigung durch die stattliche Preisgenehmigungsbehörde reicht dem Beklagten mangels Transparenz nicht aus.
Den Vorwurf des Beklagten im Leserbrief, dass die Klägerin den Endverbrauch hochrechne bzw. bewusst niedrig ansetze, stützt er auf die Handhabung der Zählerablesungen zum Jahresende, die seitens der Klägerin mit entsprechenden, statistisch belegten Zahlen geschätzt bzw. hochgerechnet wird. Der Beklagte wünscht demgegenüber eine Abrechnung am Stichtag des 31.12. Hierzu führt er in beiden Leserbriefen weiter aus, dass er ein solches Verfahren als Betrug betrachte, weil kaum einem Verbraucher diese Vorgehensweise bekannt sei. Damit schränkt der Beklagte seinen Vorwurf des Betruges ausdrücklich ein.
Diese verwendeten Formulierungen beinhalten durchaus eine plakative, tendenziell herabsetzende Wertung der Klägerin. Eine diffamierende Wirkung oder gar eine Prangerwirkung kann das Gericht diesem Vorwurf aber noch nicht zukommen lassen.
Dies gilt um so mehr, als dass es sich hier um ein Thema handelt, das von wesentlicher öffentlicher Bedeutung ist, breit diskutiert wird, regelmäßig Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung und auch Gegenstand der Tagespresse (und auch der NOZ) ist. Die Energieunternehmen, deren Lieferanten und Vertragspartner stehen im Mittelpunkt der Kritik der Öffentlichkeit. Insbesondere die in den letzten Jahren ständig zunehmenden kräftigen Erhöhungen der Energiepreise sind Grund hierfür. Aufgrund der überragenden Bedeutung der Meinungsfreiheit für die freiheitlich demokratische Grundordnung kann es dem Beklagten nicht verwehrt werden, seine diesbezügliche Auffassung zu vertreten und dies in einem Leserbrief deutlich zu formulieren. Es wäre unter Berücksichtigung der Vorgaben der Verfassung nicht hinnehmbar, ihm solche Äußerungen zu untersagen.
Er hat zu jedem der einzelnen Vorwürfe detaillierte Angaben gemacht und diese nicht allein im Raum stehen lassen. Hieraus hat er seine eigenen Rückschlüsse und Wertungen gefolgert. Gerade bei einem Leserbrief, der zudem noch teilweise gekürzt wurde, ist es aufgrund der Kürze des Textes erforderlich, anschaulich und ggfls. auch provokativ - und gerade das ist auch im Rahmen des Artikels 5 GG zulässig und vom Gesetzgeber gewollt - sich zu äußern. Die Bürger sollten wachgerüttelt werden und aus Sicht des Beklagten auf das Verhalten der Stadtwerke - wie immer man dies nun beurteilen mag - hingewiesen werden. Dies ist in unserer Demokratie zulässig.
Eine Rechtfertigung der vom Beklagten erhobenen Vorwürfe im Sinne eines Nachweises ihrer Berechtigung durch Tatsachen und Belege ist zur Vermeidung der äußerungsrechtlichen Einordnung als Schmähkritik nicht geboten. Ein derartiger Nachweis ist bei plakativen Werturteilen mit substanzarmen Tatsachenelementen oftmals gar nicht möglich. Seine Erforderlichkeit würde zudem der individuellen und kollektiven Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit nicht gerecht. Sie würde den Spielraum, dessen die frei geäußerte Meinung naturgemäß bedarf, zu weit einengen. Insbesondere birgt das Erfordernis der Rechtfertigung von Meinungen die Gefahr in sich, die Bereitschaft des Einzelnen zur freien Meinungsäußerung wegen des mit ihr verbundenen Risikos von vorneherein zu verringern. Damit wird aber die unbefangen geäußerte Meinung als unverzichtbare Quelle und Grundlage sowohl der privaten als auch der öffentlichen Meinungsbildung gefährdet. Zugleich würde der für die äußerungsrechtliche Zulässigkeit von Meinungsäußerungen geltende Bewertungsmaßstab mit den für die Zulässigkeit von Tatsachenbehauptungen maßgeblichen Kriterien in bedenklicher Weise vermengt. Ob die Kritik berechtigt oder das Werturteil „richtig“ ist, spielt grundsätzlich keine Rolle, BVerfG, NJW 1995, S. 3303, 3304. Trotz des festgestellten Überwiegens wertender Elemente und des daraus folgenden unterschiedlichen Rechtmäßigkeitsmaßstabes würde die Meinungsäußerung weitgehend der engeren, nur für Tatsachenbehauptungen geltenden Überprüfung auf ihre Wahrheit unterstellt und der Tatsachenbehauptung damit rechtlich in unzulässiger Weise angenähert, vgl. OLG Köln, Urteil vom 17.12.02, 15 U 95/02. Es können lediglich tatsächliche Bezugspunkte, auf die sich die geäußerte Meinung stützen kann, gefordert werden. Die geübte Kritik darf aber nicht von vorneherein jeglicher Grundlage entbehren. Auf tatsächliche Bezugspunkte kann sich die geäußerte Kritik stützen. Diese erforderlichen tatsächlichen Bezugspunkte hat der Beklagte vollumfänglich dargelegt. Er hat genau erörtert, wie er zu seinen Einschätzungen kommt.
Insofern kann seine streitgegenständliche Äußerung nicht als rechtswidrig eingestuft werden. Seine Äußerungen in beiden Leserbriefen sind noch von der Meinungsfreiheit umfasst. Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung überwiegt die Meinungsfreiheit dem Persönlichkeitsschutz der Klägerin.
f) Gemäß § 1004 Abs. 2 ist damit der grundsätzlich bestehende Anspruch wegen Beeinträchtigung des Persönlichkeitsschutzes mangels Rechtswidrigkeit ausgeschlossen. Die Klägerin hat die Äußerungen des Beklagten zu dulden.
2. Die Klägerin kann den begehrten Unterlassungsanspruch aus denselben Gründen auch nicht wegen Verletzung ihres Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gem. §§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB, 823 Abs. 1 und 2 BGB in Verbindung mit Art. 14 und Art. 12 GG herleiten. Die Meinungsfreiheit des Beklagten überwiegt, so dass kein rechtswidriges Verhalten des Beklagten vorliegt.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
4. Hinsichtlich der Streitwertfestsetzung wird auf den Beschluss vom 15.6.2007, wo der Streitwert auf 600,- € festgesetzt wurde, verwiesen.