Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.09.1990, Az.: VI 78/89

Fahrten im Rahmen des ärztlichen Bereitschaftsdienstes bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit als Werbungskosten; Anschaffung weißen Schuhwerks bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit als Werbungskosten; Prüfungsfähigkeit bei der Geltendmachung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Ausgaben; Abzugsfähigkeit von Entfernungskilometern bei Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte; Umfang von steuerrechtlichen Aufwendungen zu beruflichen und betrieblichen Zwecken; Beurteilung von typischer Berufsbekleidung als Arbeitsmittel; Kittel und Monteuranzüge als objektiv nahezu ausschließlich für die berufliche Verwendung bestimmte Kleidung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
27.09.1990
Aktenzeichen
VI 78/89
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1990, 15031
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1990:0927.VI78.89.0A

Amtlicher Leitsatz

Fahrten eines angestellten Arztes mit Rufbereitschaft zu auseinanderliegenden Gebäuden eines Klinikums. Ist ein angestellter Arzt unter Einbeziehung seiner Tätigkeit im Rahmen der Rufbereitschaft abwechselnd an verschiedenen Stellen eines weiträumigen, jedochüberschaubaren Gebiets (hier: Klinikum mit zwei ca. 3 km auseinanderliegenden Gebäuden) tätig, so stellen die Fahrten mit eigenem Pkw von der Wohnung zu den verschiedenen Tätigkeitsstätten Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte dar (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG).

Tatbestand

1

Streitig ist, ob Kosten für die Anschaffung von Schuhen sowie Fahrten im Rahmen ärztlichen Bereitschaftsdienstes in Höhe der tatsächlichen Kosten als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigungsfähig sind.

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Der Kläger ist Facharzt für Anästhesie. Er war im Streitjahr im Angestelltenverhältnis als Oberarzt im Klinikum in M beschäftigt. Er hatte Rufbereitschaftsdienst zu leisten, bei dem er sich außerhalb der Klinik auf Abruf bereitzuhalten hatte. Im Rahmen der Rufbereitschaft fuhr der Kläger im Streitjahr 2.836 km. Hierfür beantragte er die Anerkennung von Werbungskosten in Höhe von 1.191,12 DM (2.836 km x 0,42 DM). Das Finanzamt (FA) gewährte unter Zugrundelegung des Pauschsatzes für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) lediglich den Betrag von 510,00 DM.

3

Ferner erwarb der Kläger zwei Paar weiße Schuhe zum Preise von insgesamt 339,80 DM (179,90 DM und 159,90 DM). Auch insoweit beantragte er den Abzug als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit.

4

Das FA versagte diesen Aufwendungen die Anerkennung als Werbungskosten. Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Klage, zu deren Begründung der Kläger vorträgt:

5

1.

Die Fahrten im Rahmen der Rufbereitschaft seien nicht als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu würdigen. Denn der rufbereite Arzt halte sich nicht notwendigerweise in seiner Wohnung auf, sondern er könne auch von einem anderen Ort die Klinik anfahren. Grundsätzlich gehöre die Zeit der Rufbereitschaft zu seiner Freizeit. Die Rufbereitschaft werde mit einer Sondervergütung abgegolten, in der der zeitliche Aufwand für die An- und Abfahrt sowie der zeitliche Aufwand für die Anwesenheit im Klinikum enthalten sei. Abweichend von anderen Berufen, etwa dem Lehrerberuf, bei dem Fahrten zur Schule außerhalb des Unterrichts, etwa zu Konferenzen und Elternsprechtagen, genau feststünden und nicht gesondert vergütet würden, zeichne sich der Dienst im Rahmen der Rufbereitschaft dadurch aus, dass die Ableistung des Dienstes im Einzelfall nicht feststehe. Auch daraus erweise sich, dass der Dienst außerhalb des normalen Arbeitstages liege.

6

2.

Das Schuhwerk in der Klinik habe bestimmten Anforderungen zu genügen. Die im Streitjahr angeschafften Schuhe trage er ausschließlich im sterilen Bereich. Das Schuhwerk müsse rutschfest und lärmvermindernd sein. Diese Voraussetzungen erfüllten besonders Turnschuhe. Zudem verbiete es die Infektionsgefahr, dass das Schuhwerk außerhalb des klinischen Bereichs getragen werde. Damit sei eine private Nutzung nahezu ausgeschlossen.

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Die Kläger beantragen,

den Einspruchsbescheid vom 20. Januar 1989 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1987 in der Fassung vom 8. Dezember 1988 unter Berücksichtigung weiterer Werbungskosten in Höhe von 1.021,00 DM zu berücksichtigen.

8

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

  1. 1.

    Bei einem Krankenhausarzt gehörten die Fahrten im Rahmen des Bereitschaftsdienstes zu den üblichen Dienstobliegenheiten eines Arztes. Sie seien deshalb auch außerhalb der normalen Dienstzeit nur als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit der Folge anzusehen, dass die dafür nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG vorgesehenen Fahrtkosten von 0,36 DM für den Entfernungskilometer anzuerkennen seien.

  2. 2.

    Die vom Kläger erworbenen Schuhe gehörten in den Bereich der bürgerlichen Kleidung, für die ein Abzug als Werbungskosten gemäß § 12 EStG nicht in Betracht komme. Denn bürgerliche Kleidung sei auch bei ausschließlich beruflicher Nutzung keine Berufskleidung.

9

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Steuerakte - ... - Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet.

11

Das FA hat zu Recht die Anerkennung höherer Fahrtkosten und die Berücksichtigung der Kosten für weißes Schuhwerk als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit versagt.

12

1.

Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist für jeden Arbeitstag, an dem ein Steuerpflichtiger sein Kraftfahrzeug für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nutzt, ein Pauschbetrag in Höhe von 0,36 DM für den Entfernungskilometer abzugsfähig. Dies bedeutet, dass arbeitstäglich grundsätzlich nur die Kosten für eine Hin- und Rückfahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als beruflich veranlasst anerkannt werden können. Arbeitsstätte ist der Ort, an dem der Arbeitnehmer die auf Grund des Lebensverhältnisses geschuldete Leistung zu erbringen hat. Eine Ausnahme hat die Rechtsprechung in den Fällen zugelassen, in denen ein Steuerpflichtiger, bedingt durch die Eigenart seines Berufes, seine Arbeitsstätte mehr als einmal täglich aufsuchen muss, wie dies z.B. bei Schauspielern und Sängern der Fall ist. Der Bundesfinanzhof - BFH - hat die Ausnahme einer mehrfachen Berücksichtigung für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte davon abhängig gemacht, dass eine Unterbrechung der Arbeitszeit von mindestens vier Stunden gegeben sein muss (Urteil des BFH vom 17. Dezember 1971 VI R 328/70, BStBl II 1972, 260). In Abschnitt 24 III Nr. 1 Lohnsteuerrichtlinien (LStR) ist der Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung darüber hinaus auf solche Fälle erweitert worden, in denen ein Arbeitnehmer seine Arbeitsstätte aus betrieblichen Gründen zusätzlich außerhalb der normalen Arbeitszeit aufsuchen muss. In diesen Fällen soll nach Abschnitt 24 Abs. 4 Satz 1 LStR ein Kilometersatz unter Zugrundelegung der tatsächlichen Aufwendungen für die Benutzung des Kraftfahrzeugs zu Grunde gelegt werden können.

13

Diese Auffassung findet weder im Gesetz noch in der zu § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG ergangenen Rechtsprechung, die mit dem Urteil des BFH vom 17. Dezember 1971 VI R 328/70 a.a.O. bereits eine extensive Auslegung darstellt, eine Grundlage.

14

Die in § 9 Abs. 1 Nr. 4 festgesetzten Pauschbeträge beziehen sich ohne Einschränkung oder Erweiterung auf"Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte". Weder Wortlaut noch Zweck der Vorschrift lassen Raum für die Berücksichtigung höherer Werbungskosten. Der Gesetzgeber hat mit der Fassung dieser Vorschrift zum Ausdruck gebracht, dass aus verkehrspolitischen Gründen nur eine eingeschränkte steuerliche Berücksichtigung von Kfz-Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte erfolgen soll. Hinzu kommt, dass mit § 9 Abs. 1 Satz 4 EStG - angesichts seines breiten Anwendungsbereiches - für eine Vielzahl von Steuerpflichtigen eine praktikable Vorschrift geschaffen werden sollte, bei der bewusst Einzelfallabgrenzungen vermieden werden sollten (vgl. Urteile des FG Berlin vom 11. April 1985 IV 359/83; Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1985, 490; des FG Köln, vom 24. Februar 1987 5 K 345/81, EFG 1987, 348; des Hessischen FG vom 18. September 1987 7 K 264/86, EFG 1988, 68; Verfügung der Oberfinanzdirektion Münster vom 18. März 1988 S-2351-27-Ft 12-31 in Zeitschrift Deutsches Steuerrecht 1988, 429). Dieser Auslegung trägt im Übrigen auch die Neufassung des§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG Rechnung.

15

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger zu seiner regulären Arbeitszeit generell das Haus I des Klinikums in M aufzusuchen hat, während er im Rahmen der Rufbereitschaft mehrfach - in den aus den Aufzeichnungen ersichtlichen Fällen - das Haus II aufsuchen musste. Insbesondere sind auch nicht die Fahrten zum Haus II als Dienstreisen zu behandeln. Denn der Kläger hat einen Arbeitsvertrag mit dem Zweckverband M, der Betreiber des Klinikums insgesamt ist und wonach sein Arbeitsort nicht auf das Haus II beschränkt ist. Ist aber ein Arbeitnehmer abwechselnd an verschiedenen Stellen eines weiträumigen, jedochüberschaubaren Gebiets tätig, so stellen seine Fahrten mit dem eigenen Pkw von der Wohnung zu den verschiedenen Tätigkeitsstätten Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte dar (Urteil des BFH vom 2. November 1984 VI R 38/83, BStBl II 1985, 139).

16

Wie Fahrten des Klägers im Rahmen der Rufbereitschaft von seiner Wohnung zu Unfallorten zu beurteilen wären, ist für die Entscheidung ohne Bedeutung, denn unstreitig fielen solche Fahrten im Streitjahr nicht an.

17

Die Tatsache, dass der Kläger im Falle seiner Inanspruchnahme für die Wegstrecke zur Klinik die volleÜberstundenvergütung erhält, ist für die steuerrechtliche Beurteilung unbeachtlich. Denn die Vergütung der Arbeitszeit und Arbeitsleistung eines Arbeitnehmers ist nicht geeignet, steuerrechtliche Beurteilungen zu determinieren.

18

Der Kläger kann nach alledem keine höheren Fahrtkosten als die, die ihm bereits unter Zugrundelegung des Pauschsatzes gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG gewährt wurden, für seine Fahrten anlässlich seines Rufbereitschaftsdienstes beanspruchen.

19

2.

Ebenso sind die Ausgaben, die der Kläger für die Anschaffung weißen Schuhwerks aufwendete, nicht als Werbungskosten zu behandeln.

20

Ausgaben, die ein Steuerpflichtiger aufwendet, können Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Aufwendungen für die Lebensführung sein. Wird die steuerliche Abzugsfähigkeit von Ausgaben geltend gemacht, so ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Aufwendungen ausschließlich betrieblichen oder beruflichen Zwecken dienen und der Privatsphäre zuzuordnen sind, denn nach § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG gilt ein Aufteilungs- und Abzugsverbot für solche Aufwendungen, die sowohl betrieblich als auch durch die Lebensführung veranlasst sind - so genannte gemischte Aufwendungen - mit der Folge, dass auch der Teil der Aufwendungen nicht abzugsfähig ist, der beruflich veranlasst ist. Dieses Aufteilungs- und Abzugsverbot dient der steuerlichen Gerechtigkeit. Es soll verhütet werden, dass Steuerpflichtige durch eine mehr oder weniger zufällige oder bewusst herbeigeführte Verbindung von beruflichen und privaten Erwägungen Aufwendungen für ihre Lebensführung nur deshalb zum Teil in den einkommensteuerlich relevanten Teil verlagern können, weil sie einen entsprechenden Beruf haben, während andere Steuerpflichtige derartige Aufwendungen aus versteuerten Einkünften decken müssen. Die Vorschrift will weiter im Interesse der steuerlichen Gerechtigkeit verhüten, dass solche Aufwendungen als vom Steuerpflichtigen durch den Beruf veranlasst dargestellt werden, ohne dass für das FA die Möglichkeit besteht, diese Ausgaben nachzuprüfen und die tatsächliche berufliche oder private Veranlassung festzustellen (s. dazu Beschluss des großen Senats des BFH vom 14. Oktober 1970 GrS 2/70, BStBl II 1971, 17 [BFH 19.10.1970 - GrS - 2/70]). Diese Rechtsprechung erfasst sämtliche Aufwendungen, die den beruflichen Bereich und den Bereich der Lebensführung berühren. Ausnahmen vom Aufteilungs- und Abzugsverbot werden dann zugelassen, wenn entweder das Hineinspielen der Lebensführung unbedeutend ist und nicht ins Gewicht fällt oder aber subjektive Merkmale und Unterlagen eine zutreffende und leicht nachprüfbare Trennung ermöglichen unter der Voraussetzung, dass der berufliche Nutzungsanteil nicht von untergeordneter Bedeutung ist.

21

Aufwendungen für Bekleidung stellen grundsätzlich typische unter § 12 Nr. 1 EStG zu subsumierende Kosten der Lebensführung dar (s. Schmidt, Kommentar zum EStG, 8. Aufl., § 9 Anm. 10 a m.w.N.). Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung (Urteil des BFH vom 20. November 1979 VI R 25/78, BStBl II 1980, 75), der sich der erkennende Senat anschließt, auch dann, wenn die Kleidung zum Teil oder nahezu ausschließlich im Beruf getragen wird. Allerdings enthält § 9 Abs. 1 Nr. 6 EStG insoweit eine Ausnahmeregelung, indem dort genannte typische Berufskleidung als Arbeitsmittel beurteilt und damit zum Abzug als Werbungskosten zugelassen wird. Dies setzt jedoch voraus, dass es sich nach der Beschaffenheit der Kleidung um objektiv nahezu ausschließlich für die berufliche Verwendung bestimmte Kleidung handelt, wie z.B. Kittel und Monteuranzüge.

22

Um derartige objektiv eingrenzbare, ausschließlich für berufliche Zwecke bestimmte Kleidung handelt es sich bei den vom Kläger angeschafften Schuhen nicht. Praktisches, rutschfestes Schuhwerk wird von einer Vielzahl von Steuerpflichtigen bei der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit getragen, wie z.B. von Bedienungspersonal in Gastronomiebetrieben, Landwirten und Malern. Auch in diesen Berufsgruppen ist es üblich, bestimmtes Schuhwerk nur während der Arbeit und anderes Schuhwerk außerhalb der Arbeitszeit zu tragen. Allein dies begründet nicht die Abzugsfähigkeit von Schuhen. Eine andere Beurteilung ist allenfalls in den Fällen geboten, in denen es sich um echtes Sicherheitsschuhwerk handelt, wie es von Berufsgenossenschaften für verschiedene handwerkliche Berufe gefordert wird.