Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 07.03.2005, Az.: 1 WF 446/04

Anspruch auf nachehelichen Ehegattenunterhalt; Ermittlung des Unterhaltsbedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen; Arbeitslosengeldleistungen als in voller Höhe im Wege der Differenzmethode zu berücksichtigende zumutbare Einkünfte

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
07.03.2005
Aktenzeichen
1 WF 446/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 34375
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2005:0307.1WF446.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Goslar - 06.11.2004 - AZ: 18 F 62/04

Fundstelle

  • FamRZ 2005, 1997 (red. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Nachehelicher Ehegattenunterhalt
hier: Prozesskostenhilfe für die erste Instanz

In der Familiensache
hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Braunschweig
durch den Richter am Oberlandesgericht ... als Einzelrichter
am 7. März 2005
beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den teilweise Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Goslar vom 6. November 2004 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 9. Dezember 2004 wird die Sache unter teilweiser Aufhebung der vorbezeichneten Beschlüsse an das Amtsgericht - Familiengericht - Goslar zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.

Gründe

1

Die Parteien sind geschiedene Eheleute, aus ihrer Ehe ist eine gemeinsame minderjährige Tochter hervorgegangen. Die Klägerin begehrt (bisher) für die Monate von Juli bis einschließlich September 2004 einen monatlichen nachehelichen Ehegattenunterhalt von 700,- Euro abzüglich jeweils gezahlter 300,- Euro. Im Unterhaltszeitraum ab November 2004 verlangt sie eine monatliche Unterhaltsrente von 714,- Euro. Für eine entsprechende Klage hat die Klägerin um Prozesskostenhilfe nachgesucht. Das Amtsgericht hat der Klägerin durch Beschluss vom 6. November 2004 nur teilweise Prozesskostenhilfe insoweit bewilligt, als es eine Erfolgsaussicht der Klage in Höhe von 1.050,- Euro für den Unterhaltsrückstand und für einen laufenden Unterhalt von monatlich 350,- Euro für die Zeit ab November 2004 bejaht hat. Wegen der beabsichtigten weiter gehenden Klage hat es Prozesskostenhilfe versagt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 1. Dezember 2004, der das Familiengericht durch Beschluss vom 9. Dezember 2004 nicht abgeholfen hat.

2

Die zulässige sofortige Beschwerde hat insoweit Erfolg, als sie zur teilweisen Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht zur erneuten Prüfung und Entscheidung führt.

3

Die Zurückverweisung der Sache ist geboten (§ 572 Abs. 3 ZPO), weil der angefochtene Beschluss in der Form des Nichtabhilfebeschlusses keine hinreichende Entscheidungsgrundlage bietet, vielmehr die für einen Anspruch der Klägerin auf nachehelichen Ehegattenunterhalt zu prüfenden Voraussetzungen als Grundlage der Unterhaltsklage jedenfalls teilweise offen lässt.

4

Das Familiengericht hat es bereits daran fehlen lassen, in seiner Entscheidung den Unterhaltsbedarf der Klägerin nach den ehelichen Lebensverhältnissen zur Unterhaltsbemessung zu ermitteln. Es hat weder das unterhaltsrelevante Einkommen des Beklagten im Jahr 2004 bzw. 2005 festgestellt noch Feststellungen darüber getroffen, in welcher Höhe das derzeit durch die Klägerin bezogene Arbeitslosengeld als Einkommen in die Unterhaltsberechnung einzustellen ist, so dass eine Berechnung des Unterhaltsanspruchs letztlich nicht erfolgt ist.

5

Nach den vom Beklagten vorgelegten Verdienstabrechnungen ist ein Einkommen im Jahr 2004 noch nach der Steuerklasse III versteuert worden und hat er deshalb ein höheres Nettoerwerbseinkommen erzielt, als das Amtsgericht angenommen hat. Ausgangspunkt der Unterhaltsberechnung ist aber das nach der tatsächlich in Anspruch genommenen Steuerklasse im Unterhaltsjahr erzielte Nettoeinkommen.

6

Die Klägerin bezieht seit Juli 2004 - also während des gesamten streitbefangenen Unterhaltszeitraums - Arbeitslosengeld. Der Bezug von Arbeitslosengeld ist nicht "überobligationsmäßig"; zwar hat das Arbeitslosengeld Lohnersatzfunktion, rechtfertigt sich aber aus der Leistung von Arbeitslosengeldbeiträgen. Außerdem ist die Klägerin während des Arbeitslosengeldbezugs nicht (wesentlich) an der Kindesbetreuung gehindert. Die Arbeitslosengeldleistungen sind deshalb - auch wenn sie aus unzumutbarer Erwerbstätigkeit herrühren - zumutbare Einkünfte nach § 1577 Abs. 1 BGB, die in voller Höhe im Wege der Differenzmethode berücksichtigt werden können (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2002, 99 [OLG Düsseldorf 28.05.2001 - 1 WF 98/01]; OLG Stuttgart FamRZ 1996, 415 [OLG Stuttgart 04.09.1995 - 16 WF 327/95]; OLG Hamburg FamRZ 1992, 1308 [OLG Hamburg 10.04.1992 - 12 UF 58/91]; Wendl - Staudigl / Dose, das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Auflage, § 1 Rz 81). Der Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln (FamRZ 2001, 625) schließt sich der Senat nicht an, da allein die Notwendigkeit, während des Arbeitslosengeldbezugs für den Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, keine vergleichbaren Einschränkungen mit sich bringt, wie sie bei gleichzeitiger Erwerbstätigkeit und Kindesbetreuung bestehen.

7

Hiernach wird der vom Amtsgericht aufgeworfenen Frage der Anwendbarkeit des Bedarfskontrollbetrages nach der Düsseldorfer Tabelle keine entscheidungserhebliche Bedeutung mehr zukommen, wobei der Senat darauf hinweist, dass der Bedarfskontrollbetrag nicht identisch mit dem Eigenbedarf des Unterhaltsverpflichteten ist, vielmehr lediglich eine Rechengröße darstellt, die eine ausgewogene Verteilung des Einkommens zwischen dem Unterhaltsschuldner und den unterhaltsberechtigten Kindern bzw. dem Ehegatten gewährleisten soll und lediglich dazu führt, dass bei seinem Unterschreiten eine Herabgruppierung vorgenommen werden soll (vgl. Düsseldorfer Tabelle, Anmerkung 6). Der Senat nimmt diese Angemessenheitskontrolle ohne die festen Kontrollbeträge der Düsseldorfer Tabelle im Rahmen der Ergebnisprüfung als letzte Stufe der Unterhaltsberechnung vor (vgl. BGH FamRZ 1992, 539, 541 [BGH 29.01.1992 - XII ZR 239/90];  2000, 1492, 1493).

8

Da sich nicht ausschließen lässt, dass die Ausschöpfung des Sach- und Streitstandes zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis des Prozesskostenhilfeverfahrens geführt hätte, war der angefochtene Beschluss in Form des Nichtabhilfebeschlusses teilweise aufzuheben und die Sache an das Familiengericht zurückzuverweisen.