Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 06.11.2024, Az.: 2 Ws 303/24
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 06.11.2024
- Aktenzeichen
- 2 Ws 303/24
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 26105
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - 09.09.2024 - AZ: 21 Qs 35/22
Amtlicher Leitsatz
Ein auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen einen Bewährungswiderruf gem. § 56f StGB ergangener Beschluss des Beschwerdegerichts ist gem. § 310 StPO selbst dann unanfechtbar, wenn das Beschwerdegericht den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung gem. § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB (zusätzlich) auf eine erst im Verlauf des Beschwerdeverfahrens ergangene Nachverurteilung stützt.
In der Bewährungssache
gegen P. M. B.,
geb. am ...,
wohnhaft ...,
Verteidiger: Rechtsanwalt B., L.
wegen Betruges
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX sowie den Richter am Landgericht XXX am 6. November 2024 beschlossen:
Tenor:
Die weitere Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Lüneburg vom 9. September 2024 wird als unzulässig verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der bereits mehrfach wegen Betruges vorbestrafte Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Amtsgerichts Lüneburg vom 4. Oktober 2021 (Az.: 15 Ds 166/20), rechtskräftig seit dem 12. Oktober 2021, erneut wegen Betruges in 7 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt und der Verurteilte der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin unterstellt. Zudem wurde er gem. § 56b Abs. 2 Nr. 2 StGB angewiesen, einen Geldbetrag in Höhe von 500 € in monatlichen Raten von 100 € bis zum 15. eines jeden Monats, erstmalig an dem auf die Rechtskraft des Urteils folgenden Zahlungstermin an das Kinderhospiz S... zu zahlen.
Mit Beschluss vom 18. Mai 2022 (Az.: 15 BRs 154/21) widerrief das Amtsgericht Lüneburg die dem Beschwerdeführer gewährte Strafaussetzung zur Bewährung, nachdem dieser keinerlei Zahlungen erbracht und auch nicht dargetan hatte, dass es ihm aufgrund seiner persönlichen bzw. wirtschaftlichen Verhältnisse nicht möglich war, die Auflage zu erfüllen.
Hiergegen legte der Verurteilte form- und fristgerecht sofortige Beschwerde ein. Mit Schreiben vom 7. Juli 2022 teilte die zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde berufene Beschwerdekammer des Landgerichts Lüneburg dem Beschwerdeführer mit, sie beabsichtige, die Beschwerde zunächst für die Dauer von drei Monaten zurückzustellen und den Bewährungsverlauf abzuwarten. Zugleich wurde der Verurteilte aufgefordert, Nachweise über von ihm behauptete Zahlungen vorzulegen.
Eine Entscheidung über die sofortige Beschwerde des Verurteilten erging in der Folgezeit nicht; wiederholt behauptete der Beschwerdeführer, er habe im Hinblick auf die Geldauflage gem. § 56b Abs. 2 Nr. 2 StGB Teil-Zahlungen erbracht, deren Eingang vom Kinderhospiz ... indes nur teilweise bestätigt wurden.
Mit Urteil des Amtsgerichts Duisburg-Hamborn vom 21. März 2024 (Az.: 28 Ds 187/23), rechtskräftig seit dem 29. März 2024, wurde der Beschwerdeführer wegen versuchten Betruges zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt. Nach den Feststellungen des Urteils betrat der Beschwerdeführer am 14. Oktober 2023 die Verkaufsräume des H. Baumarktes auf der T.-H.-Str. in D., entnahm zwei Durchlauferhitzer der Marke S. E. zu einem Verkaufspreis von 592,81 € aus den Verkaufsauslagen und überklebte die Barcodes mit den Barcodes anderer Durchlauferhitzer zum Preis von jeweils 129,55 €. Dem Beschwerdeführer kam es dabei nach den Urteilsfeststellungen darauf an, die Kassiererin über den wahren Kaufpreis zu täuschen und die Ware zu einem geringeren Kaufpreis zu erhalten.
Am 9. September 2024, mithin deutlich mehr als zwei Jahre nach Eingang der sofortigen Beschwerde, verwarf die 1. große Strafkammer des Landgerichts Lüneburg nach vorheriger Gewährung rechtlichen Gehörs zu den neu eingetretenen Umständen die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss vom 18. Mai 2022. Zur Begründung führte die Kammer aus, der Beschwerdeführer sei spätestens ab November 2023 zahlungsfähig gewesen, habe gleichwohl gröblich und beharrlich gegen die Zahlungsauflage verstoßen und dabei versucht, das Landgericht über nur vermeintlich erbrachte Zahlungen zu täuschen. Zudem liege nunmehr angesichts der Nachverurteilung durch das Amtsgericht Duisburg-Hamborn vom 21. März 2024 auch der Widerrufsgrund gem. § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB vor.
Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner als "sofortige Beschwerde" bezeichneten Eingabe seines Verteidigers vom 26. September 2024.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die als weitere Beschwerde auszulegende Eingabe des Verurteilten vom 26. September 2024 ist bereits unzulässig.
Gem. § 310 Abs. 1 StPO können Beschlüsse, die - wie hier - von dem Landgericht auf die Beschwerde hin erlassen worden sind, durch eine weitere Beschwerde nur angefochten werden, wenn sie eine Verhaftung, eine einstweilige Unterbringung oder einen Vermögensarrest nach § 111e StPO über einen Betrag von mehr als 20 000 Euro betreffen. Ein derartiger Ausnahmefall liegt indes nicht vor, da diese eng auszulegende Ausnahmevorschrift für die hier getroffene Entscheidung nach § 56f StGB nicht gilt (KG, Beschluss vom 25.04.2005 - 1 AR 460/05 - 5 Ws 202/05, BeckRS 2005, 30355016).
Der Umstand, dass die Nachverurteilung durch das Amtsgericht Duisburg-Hamborn vom 21. März 2024 im Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung des Amtsgerichts Lüneburg vom 18. Mai 2022 nicht bekannt war, das Landgericht die Widerrufsentscheidung daher nunmehr abweichend vom Amtsgericht (auch) auf § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB gestützt und zudem das Verhalten des Beschwerdeführers im Hinblick auf die ihm auferlegte Geldauflage gem.
§ 56b Abs. 2 Nr. 2 StGB im Zeitraum ab November 2023 Eingang in die Entscheidung des Landgerichts gefunden hat, bleibt ohne Relevanz. Denn auch unter Berücksichtigung dessen handelt es sich bei der angefochtenen Entscheidung um eine "auf eine Beschwerde ergangene" Entscheidung, hinsichtlich derer eine Anfechtung gem. § 310 Abs. 2 StPO nicht stattfindet.
Eine Beschwerdeentscheidung i.S.v. § 310 StPO liegt vor, wenn sie denselben Verfahrensgegenstand betrifft wie die Ausgangsentscheidung und die Befassung des entscheidenden Gerichts durch eine Beschwerde ausgelöst wurde (BeckOK StPO/Cirener, 53. Ed. 1.10.2024, StPO § 310 Rn. 2; KK-StPO/Zabeck, 9. Aufl. 2023, StPO § 310 Rn. 3, MüKoStPO/Neuheuser, 2. Aufl. 2024, StPO § 310 Rn. 4; OLG Hamm, Beschluss vom 22.4.1970 - 5 Ws 139/70, NJW 1970, 2127). Dies ist aufgrund einer Würdigung der gesamten Prozesslage, nicht nur des Entscheidungstenors zu ermitteln (OLG Nürnberg, Beschluss vom 25. 9. 1998 - Ws 1124-98, NStZ-RR 1999, 53 (54); OLG Stuttgart, Beschl. v. 26.10.2017 - 2 Ws 289/17, NStZ 2018, 239).
Unerheblich ist dabei, ob das Beschwerdegericht auf Grund eigener Ermittlungen neue Feststellungen getroffen hat, ob es andere Rechtsnormen angewendet hat oder ob die Entscheidung nur eine Modifizierung der ursprünglichen Entscheidung bringt (KK-StPO/Zabeck, a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 1. August 2013 - III-1 Ws 302/13 -, juris; OLG Köln, Beschluss vom 23. April 2002 - 2 Ws 183/02 -, juris; Reichenbach in: Gercke/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 7. Auflage 2023, § 310 StPO, Rn. 3; Matt in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2014, § 310, Rn. 10). Ein anderer Verfahrensgegenstand und folglich eine ausnahmsweise Anfechtbarkeit der Entscheidung mit der Beschwerde ist nur dann zu bejahen, wenn das Beschwerdegericht auf einen erst im Beschwerdeverfahren gestellten neuen, von der Beschwerde unabhängigen Antrag des Beschwerdeführers oder seines Gegners entscheidet, wie etwa bei Anträgen auf Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist oder auf Bestellung eines Verteidigers (Reichenbach in: Gercke/Temming/Zöller, a.a.O., § 310, Rn. 3).
Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich bei der angefochtenen Entscheidung um eine unanfechtbare Beschwerdeentscheidung i.S.v. § 310 StPO. Denn Gegenstand der amtsgerichtlichen, wie auch der nunmehr angefochtenen landgerichtlichen Entscheidung ist jeweils der Widerruf der dem Beschwerdeführer durch Urteil des Amtsgerichts Lüneburg vom 4.Oktober 2021 gewährten Strafaussetzung zur Bewährung. Der Umstand, dass das Landgericht durch die mehr als zwei Jahre andauernde Zurückstellung der Entscheidung über die Beschwerde den Widerruf der Bewährung auf einer erweiterten Tatsachengrundlage getroffen und zudem einen zusätzlichen Widerrufsgrund zur Anwendung gebracht hat, vermag daran nichts zu ändern. Denn ein neuer Verfahrensgegenstand wird nicht einmal dadurch begründet, dass der Beschwerdeführer erstmals durch die angegriffene Beschwerdeentscheidung beschwert wird, wenn derselbe Sachverhalt nunmehr nur anders rechtlich begründet wird (OLG Bremen, Beschluss vom 20.08.2018 - 1 Ws 46/18, BeckRS 2018, 20148; OLG Hamm a.a.O.; MükoStPO/Neuheuser a.a.O., § 310, Rn. 5).
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Landgericht die Strafaussetzung zur Bewährung auch in der Sache zu Recht widerrufen hat. Die Erwartung, dass der Verurteilte keine Straftaten mehr begehen wird, wird durch jede neue Straftat von nicht unerheblichem Gewicht in Frage gestellt (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 12. Oktober 2022 - 1 Ws 11/22 -, juris). Der Umstand, dass die neuerliche Straftat "lediglich" mit einer Geldstrafe geahndet wurde, steht dem Widerruf nicht grundsätzlich entgegen, denn das Tatgericht nimmt, wenn es eine Geldstrafe verhängt, eine Einschätzung bezüglich der Legalprognose, wie sie §§ 56, 56f StGB verlangen, gar nicht vor. Aus der bloßen Verhängung einer Geldstrafe kann daher nicht auf eine vom Tatgericht gestellte günstige Legalprognose geschlossen werden (OLG Köln, Beschluss vom 8. Januar 2014 - III-2 Ws 671/13 -, juris; Senat, Beschluss vom 20. Mai 2015, Az.: 2 Ws 45/15). Vorliegend lässt das neuerliche Vermögensdelikt sowie der Umstand, dass der Verurteilte im Verlauf des vorliegenden Verfahrens widerholt unzutreffend die Vornahme von (Teil-)Zahlungen behauptet hat, keine Zweifel daran, dass der mehrfach wegen Vermögensdelikten vorbestrafte Verurteilte seine Neigung, sich finanzielle Mittel durch Betrugs- oder Diebstahlstaten zu verschaffen, nicht geändert hat.
Der vorliegende Fall gibt dem Senat abschließend Veranlassung darauf hinzuweisen, dass über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung unverzüglich zu befinden ist, sobald das Gericht vom Vorliegen der Widerrufsvoraussetzungen überzeugt ist; ein Zuwarten mit der Entscheidung ist nicht angezeigt (Senat, Beschluss vom 19.1.2023, 2 Ws 3/23; Fischer, StGB, 71. Auflage 2024, § 56f, Rn. 19, OLG Braunschweig, Beschluss vom 17. Mai 2023 - 1 Ws 92/23 + 93/23 -, juris). Angesichts der Tatsache, dass eine nachträgliche Erfüllung einer Zahlungsverpflichtung dem Widerruf wegen vorheriger, gröblicher und beharrlicher Verstöße gegen die Auflage nicht entgegensteht (vgl. hierzu: OLG Hamburg, Beschluss vom 30.8.2004 - 2 Ws 190/04, NStZ-RR 2004, 364), wäre hier eine frühere Entscheidung angezeigt gewesen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.
Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben (§ 304 Abs. 4 Satz 1 StPO).