Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 14.06.1982, Az.: Ss 303/82
Zulässigkeit einer Revision bei zuvor erklärtem Rechtsmittelverzicht des Angeklagten; Wirksamkeit eines erklärten Rechtsmittelverzichts eines verhandlungsfähigen Angeklagten; Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts von jungen und lebensunerfahrenen Angeklagten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 14.06.1982
- Aktenzeichen
- Ss 303/82
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1982, 17635
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1982:0614.SS303.82.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Cloppenburg - 26.01.1982 - AZ: 12 Js 315/81 OL
Fundstelle
- MDR 1983, 73 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Verstoß gegen das Ausländergesetz
Redaktioneller Leitsatz
Der von einem ausländischen lebenserfahrenen Ausländer erklärte Rechtsmittelverzicht ist zumindest dann wirksam, wenn er ihn nach einer durch einen Dolmetscher zutreffend übersetzten Rechtsmittelbelehrung und im Beisein seines Verteidigers erklärt hat. Ferner muss die Verurteilung wegen nicht sehr schwer wiegender Straftaten erfolgt sein und sie darf auch nicht besonders hart gewesen sein.
Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg hat
in der Sitzung vom 14. Juni 1982,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht ...
Richter am Oberlandesgericht ... und
Richter am Oberlandesgericht ... ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Cloppenburg vom 26. Januar 1982 wird als unzulässig verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen eine ausländerbehördliche Aufenthaltsberechtigung nach § 47 Abs. 1 Nr. 5 AuslG in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von zwanzig Tagessätzen zu je zwanzig DM verurteilt und ihm gestattet, die Strafe in vier Monatsraten von je einhundert DM ab Rechtskraft des Urteils zu zahlen.
Die Revision des Angeklagten, der die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt, ist unzulässig, denn ihr steht ein vorher erklärter Rechtsmittelverzicht des Angeklagten entgegen.
Der im Zeitpunkt der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht ... oder ... Jahre alte Angeklagte, ein Pakistaner, der seit April 1978 in der Bundesrepublik Deutschland lebt, war während der einstündigen Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht, zu der auch ein Dolmetscher für die vom Angeklagten gesprochene Sprache Urdu beigezogen war, durch einen Verteidiger vertreten. Im Anschluß an die verkündete Urteilsformel heißt es im Protokoll:
"Rechtsmittelbelehrung wurde erteilt.
Der Angeklagte erklärte: Ich verzichte auf ein Rechtsmittel gegen das Urteil.
vorgelesen, genehmigt.
Rechtsbeistand Diesing erklärte: Ich bin mit dem Rechtsmittelverzicht des Angeklagten nicht einverstanden.
Vermerk: Der Angeklagte beantragte Ratenzahlung von monatlich 50,- DM."
Die nach Einlegung und Begründung der Revision durch den Verteidiger von der Staatsanwaltschaft eingeholte dienstliche Äußerung des Amtsgerichts lautet:
"Nach der Urteilsbegründung habe ich den Angeklagten über die Möglichkeit von Rechtsmitteln (Berufung oder Revision) in der üblichen Art und Weise belehrt. Die Belehrung ist vom Dolmetscher übersetzt worden. Der Angeklagte antwortete auf die Belehrung, was vom Dolmetscher lapidar mit "Rechtsmittelverzicht" übersetzt wurde. Ich habe daraufhin den Dolmetscher gefragt, ob der Angeklagte die Rechtsmittelbelehrung und den - verzieht auch verstanden habe, was der Dolmetscher bejahte. Nach meiner Erinnerung hat der Dolmetscher seinerseits den Angeklagten erneut gefragt, ob er auf Rechtsmittel verzichte und danach die Bestätigung abgegeben. Rechtsbeistand Diesing versuchte zwischendurch mit dem Ausruf: "Damit bin ich nicht einverstanden!" zu intervenieren.
Auch dem örtlichen Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft war noch erinnerlich, daß der Angeklagte auf ein Rechtsmittel gegen das Urteil verzichtet hatte, womit sein Verteidiger nicht einverstanden war.
Die Revision ist wegen eines vorangegangenen rechtswirksamen Rechtsmittelverzichts des Angeklagten und damit wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses unzulässig.
Ein erklärter Rechtsmittelverzicht eines verhandlungsfähigen Angeklagten ist aus Gründen der Rechtssicherheit und - klarheit im allgemeinen als wirksam anzusehen (vgl. BGH GA 1969, 281, OLG Köln VRS 48, 213; OLG Hamm NJW 1973,1850),
Nur ausnahmsweise und bei besonders gelagerten Einzelfällen hat die Rechtsprechung erkennbar aus Gründen der Gerechtigkeit des Einzelfalles - die Rechtswirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts verneint, etwa wenn in Fällen der Verurteilung zu hohen Strafen der Verzicht von dem Angeklagten erklärt worden war? ohne gehörig protokolliert worden zu sein und wenn der Verzicht dem Angeklagten "nur Nachteile bringen" konnte (Vgl. BGHSt 18, 257, 260 [BGH 12.02.1963 - 1 StR 561/62]; 19, 101, 104), [BGH 17.09.1963 - 1 StR 301/63]oder wenn die Fürsorgepflicht des Gerichts tangiert schien, etwa wenn der Vorsitzende den "Verzichtenden" zuvor sachlich unzutreffend belehrt hatte (OLG Hamm NJW 1976, 1952 [OLG Hamm 14.06.1976 - 4 Ws 131/76]); Unwirksamkeit des erklärten Rechtsmittelverzichts ist insbesondere angenommen worden, wenn es sich um junge und lebensunerfahrene Angeklagte handelte, die zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt worden waren, und wenn außerdem zusätzliche Besonderheiten zu berücksichtigen waren wie z.B. die Verkennung durch das Gericht, daß ein Fall notwendiger Verteidigung vorlag (OLG Hamm MDR 1977, 599,600 [OLG Hamm 07.02.1977 - 4 Ws 427/76]; ähnlich OLG Hamburg NJW 1964, 1039 [OLG Hamburg 16.01.1964 - 1 Ws 16/64]; im Falle des OLG Hamm war gegen den Angeklagten zudem noch in der Hauptverhandlung eine Nachtragsanklage erhoben worden), oder wenn bei einem Fall notwendiger Verteidigung der "Rechtsmittelverzicht" nicht protokolliert worden war und der Verteidiger diesem sofort widersprochen hatte (OLG Frankfurt NJW 1966, 1376), oder wenn der Rechtsmittelverzicht nicht eindeutig erklärt und nicht protokolliert worden war und dem jugendlichen Angeklagten kein Verteidiger zur Seite stand, obwohl ein Fall der Pflichtverteidigung vorlag (OLG Schleswig, NJW 1965, 312 [OLG Schleswig 05.10.1964 - 2 Ws 186/64]). Im Hinblick auf einen ausländischen angeklagten Ausländer, dem kein Dolmetscher zur Seite stand, ist die Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts verneint worden, weil der Verzicht nicht protokolliert worden war und Zweifel verblieben, ob der ausländische Angeklagte aufgrund seiner geringen deutschen Sprachkenntnisse die Bedeutung der Rechtsmittelbelehrung und seines Verzichts verstanden hatte (OLG Schleswig Rpfl 1966, 214).
Der vorliegende Sachverhalt ist den genannten - von der Rechtsprechung als Fälle unwirksamen Rechtsmittelverzichts angesehenen -Fallgestaltungen nicht vergleichbar oder ähnliche Vorliegend war der Angeklagte kein besonders junger und lebensunerfahrener Mann. Die ihm vorgeworfenen Straftaten wogen nicht sehr schwer. Er ist nicht besonders hart bestraft und auch nicht in der Hauptverhandlung "überrascht" worden" Auch stand ihm ein Dolmetscher für seine Heimatsprache Urdu zur Seite, gegen dessen Zuverlässigkeit im Übersetzen keine substantiierten Bedenken vorgebracht oder ersichtlich sind. Daß der Angeklagte den erklärten Rechtsmittelverzicht ernsthaft wollte und sich dessen Bedeutung bewußt war, folgt auch daraus, daß er ihn nicht nur erklärt und nach Verlesung genehmigt hat, sondern auch nach der ablehnenden Äußerung seines Verteidigers daran festgehalten hat; letzteres ergibt sich daraus, daß er abschließend eine für ihn noch günstigere Ratenzahlung beantragt (und damit die Verurteilung hingenommen)hat.
Der dem Senat vom Verteidiger mündlich vorgetragene Umstand, der Angeklagte habe ihm nach Schluß der Hauptverhandlung auf dem Gerichtsflur des Amtsgerichts gesagt, er habe nicht auf ein Rechtsmittel verzichten wollen, ist, nachdem der Angeklagte zuvor wirksam auf Rechtsmittel verzichtet hatte, rechtlich ohne Bedeutung.
Angesicht des wirksamen Rechtsmittelverzichts des Angeklagten war seine Revision, ohne daß sich der Senat mit ihrem Inhalt zu befassen hatte, auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 StPO) als unzulässig zu verwerfen.