Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 08.05.1978, Az.: 1 U 37/77

Schadensersatz wegen Belastung mit einer Unterhaltspflicht ; Haftung nach den Grundsätzen der positiven Forderungsverletzung ; Behandlungsvertrag als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter; Misslingen einer Sterilisation; Vorliegen eines verschuldeten Behandlungsfehlers des Arztes; Umkehr der Beweislast bei unvollständigem Operationsbericht; Unterlassen angezeigter Untersuchungshandlungen; Kind als Schaden; Verletzung der Würde des Menschen; Annahme eines mitwirkenden Verschuldens mangels Abbruchs der Schwangerschaft oder Freigabe des Kindes zur Adoption

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
08.05.1978
Aktenzeichen
1 U 37/77
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1978, 15157
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1978:0508.1U37.77.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 18.10.1977 - AZ: 4 O 268/77

Fundstellen

  • JZ 1978, 528-529
  • NJW 1978, 1688-1690 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1978, 2340 (amtl. Leitsatz)

In dem Rechtsstreit
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 10. April 1978
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Kläger wird - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - das am 18. Oktober 1977 verkündete Teil-Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Verden teilweise geändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagte wird verurteilt, an jeden der Kläger für die Monate Mai 1977 bis Dezember 1977 je 85 DM (monatlich insgesamt 170 DM) sowie ab 1. Januar 1978, jeweils bis zum 3. Werktage des betreffenden Monats, monatlich je 70 DM (insgesamt 140 DM) zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten der Berufungsinstanz werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, falls die Kläger nicht vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leisten. Die Beklagte kann die Sicherheit auch durch die selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlichen Sparkasse erbringen.

Die Revision wird in dem sich aus den Entscheidungsgründen ergebenden Umfang zugelassen.

Wert der Beschwer: für die Kläger je 10.030 DM, für die Beklagte 21.340 DM.

Tatbestand

1

Die Kläger sind die Eltern von vier am 7. April 1970, 11. November 1971, 31. Oktober 1975 und 28. April 1977 ehelich geborenen Kindern. Die Beklagte ist Trägerin des Krankenhauses ... in ... Dessen Chefarzt für Chirurgie, der damals auch die gynäkologische Abteilung mitbetreuende Dr. ... empfahl der damals 25 Jahre alten Klägerin nach der Geburt des dritten Kindes aus gesundheitlichen Gründen eine Sterilisation. Mit Einverständnis der Kläger führte er am 6. November 1975 diesen Eingriff aus, wobei er gleichzeitig eine paraumbilikale Hernie (Bruch in Nabelnähe) beseitigte. Kostenträger war die ... Der Operationsbericht hat folgenden Wortlaut:

"Unterhalb des Nabels findet sich eine epigastrische Hernie in der Mittellinie. Bei Eröffnung des Peritoneum werden beidseitig die Tuben aufgesucht und eine Ligatur durchgeführt, die Stümpfe werden serosiert, anschließend Doppelung der Faszie. Schichtweiser Bauchdeckenverschluß."

2

Trotz des Eingriffs kam es zur Geburt des vierten Kindes.

3

Die Kläger haben behauptet: Der Arzt habe den Eingriff schuldhaft fehlerhaft ausgeführt. Die erneute Schwangerschaft habe bei der Klägerin zu einem offenen Bein geführt. Außerdem habe sie, um ihre kranken Nieren wissend, befürchtet, die Entbindung nicht zu überleben.

4

Die Kläger verlangen Ersatz ihrer Unterhaltsleistungen gegenüber dem vierten Kind. Die Klägerin macht außerdem ein Schmerzensgeld geltend.

5

Die Kläger haben behauptet, der Kläger habe ein monatliches Nettoeinkommen von 1.600 DM bis 1.700 DM. Ausgehend von der sogenannten Düsseldorfer Tabelle beziffern sie die monatliche finanzielle Belastung mit je 198 DM, worauf sie die Hälfte des gezahlten Kindergeldes anrechnen.

6

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

  1. 1.

    art die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens 2.000 DM, sowie monatlich ab Mai 1977 198 DM,

  2. 2.

    an den Kläger monatlich ab Mai 1977 138 DM zu zahlen.

7

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Sie hat behauptet: Ein Kunstfehler liege nicht vor. Es sei eine Resektion beider Tuben mit Ligatur erfolgt. Die Stümpfe seien einzeln serosiert worden. Eine Rekanalisierung der Eileiter sei nie ganz auszuschließen. Die Versagerquote schwanke je nach Autor und Ermittlungsmethode zwischen 0 und 1,9 %.

9

Der Kläger habe schon deshalb keinen Ersatzanspruch, weil er nicht Vertragspartner gewesen sei und ein Vertrag mit Schutzwirkung zu seinen Gunsten nicht bestanden habe. Im übrigen stelle die Belastung mit der Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind keinen Schaden dar.

10

Das Landgericht hat durch Teilurteil die Klage insoweit abgewiesen, als es um Schadensersatz infolge der Unterhaltsverpflichtung geht. Begründet hat es die Entscheidung damit, daß die Kläger mit der Tubenligatur gesundheitliche, nicht aber wirtschaftliche Nachteile hätten vermeiden wollen.

11

Nach Erlaß des Teilurteils hat die Klägerin auch Klage gegen den Arzt Dr. ... auf Zahlung von Schmerzensgeld erhoben.

12

Gegen dieses Urteil, auf das zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, wenden sich die Kläger mit der Berufung. Sie wiederholen ihren Vortrag erster Instanz, beanstanden die Argumentation des Landgerichts und behaupten ergänzend, angesichts des geringen Einkommens und des Bestehens dreier Unterhaltsverpflichtungen habe u.a. auch eine vierte vermieden werden sollen.

13

Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verurteilen, an sie mit Wirkung ab Mai 1977 monatlich je 138 DM, insgesamt 276 DM, zu zahlen.

14

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

15

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

16

Die Parteien haben den Inhalt der gewechselten Schriftsätze vorgetragen, auf die ergänzend verwiesen wird.

17

Hinsichtlich des Ergebnisses der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll und den Berichterstattervermerk verwiesen.

Entscheidungsgründe

18

Die Berufung hat zum Teil Erfolg.

19

I.

Die Beklagte ist nach den Grundsätzen der positiven Forderungsverletzung in Verbindung mit § 278 BGB verpflichtet, den Klägern den Schaden auszugleichen, der ihnen durch die Belastung mit der Unterhaltspflicht gegenüber dem am 28. April 1977 geborenen Sohn T. erwachsen ist. Daß die Klägerin Gläubigerin vertraglicher Schadensersatzansprüche sein kann, bezweifelt auch die Beklagte nicht. Die Einweisung eines Kassenpatienten in ein Krankenhaus begründet mit dessen Inhaber einen Vertrag zugunsten des Patienten, so daß dieser einen unmittelbaren Anspruch auf sachgemäße Behandlung erhält (vgl. BGH NJW 1956, 1106). Aber auch der Kläger hat aus dem Behandlungsvertrag einen Schadensersatzanspruch erlangt. Er ist zwar weder eingewiesen worden noch hat er selbst einen Vertrag geschlossen. Die ihm abverlangte Einwilligung in die Sterilisation seiner Ehefrau entsprach ärztlichem Brauch, vor einem derartigen, Eingriff den Ehemann zu befragen (vgl. BGH VersR 1976, 1088, 1089), zielte aber nicht auf den Abschluß eines Behandlungsvertrages auch mit dem Kläger. Der Anspruch des Klägers folgt jedoch aus dem zugunsten seiner Ehefrau geschlossenen Vertrage. Dieser hat für die Beklagte zugleich Schutzpflichten zugunsten des Klägers begründet, ist also ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Das Interesse am Schutz ihres Ehemannes ergab sich für die Klägerin aus der ehelichen Lebensgemeinschaft, die die Ehegatten wechselseitig zu Schutz und Fürsorge verpflichtet. Die Beklagte ist, wie die vom Kläger geforderte Einwilligung zeigt, selbst davon ausgegangen, daß die eheliche Lebensgemeinschaft durch eine Sterilisation, aber auch durch deren Mißerfolg beeinträchtigt werden kann. Da die Regelung der Nachkommenschaft spätestens mit Einholung der Einwilligung eine Gemeinschaftsentscheidung der Kläger geworden ist, traf auch ein Mißlingen des Eingriffs beide Kläger in gleicher Weise. Deshalb war das Interesse der Klägerin, auch ihren Ehemann geschützt zu wissen, für die Beklagte beim Vertragsschluß unverkennbar.

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II.

Das Mißlingen der Sterilisation beruht auf einem verschuldeten Behandlungsfehler des in den Diensten der Beklagten stehenden Arztes. Hiervon muß - auch ohne daß durch einen erneuten Eingriff die Durchführung der ersten Operation überprüft worden ist - ausgegangen werden. Zwar haben weder die Kläger ein Fehlverhalten des Arztes näher dargelegt, noch kann wegen der nicht völlig auszuschließenden Möglichkeit einer Rekanalisierung auf ein solches prima facie aus der Tatsache der erneuten Schwangerschaft geschlossen werden. Aus zwei Gründen trifft aber im vorliegenden Falle die Beweislast die Beklagte.

21

1.

Die Umkehr der Beweislast ist einmal gerechtfertigt, weil der Operationsbericht in entscheidenden Punkten unvollständig ist (vgl. BGH NJW 1972, 1520). Der Bericht muß so gefaßt sein, daß der fachkundige Leser anhand des Textes die Operation reproduzieren kann. Das ist hier, wie die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. ... ergeben, nicht möglich. Danach läßt der Bericht nicht einmal eindeutig erkennen, welche Sterilisationsmethode der Arzt angewandt hat. Sollte der Arzt die von der Beklagten genannte Methode gewählt haben, so fehlen im Bericht Angaben zur Resektion, zur Länge der exzidierten Tubenteile, zur Anzahl der Ligaturen und zur Distanzierung der Tubenenden voneinander. Die Verwendung des Begriffs "Stumpf" und des - nach Ansicht des Sachverständigen hier zumindest unüblichen - Verbs "serosiert" läßt entgegen der Ansicht des Arztes keinen Schluß auf eine Resektion zu. Stümpfe entstehen auch dann, wenn man Tuben durchtrennt, ohne zu resezieren. Sollten den Auslassungen im Bericht Unterlassungen beim Eingriff entsprechen, so war dieser fehlerhaft. Bei einer solchen Sachlage ist es gerechtfertigt, daß nicht die Kläger die Unterlassungen, sondern die Beklagten deren Fehlen beweisen müssen.

22

2.

Die Umkehrung der Beweislast folgt ferner aus dem Umstand, daß der Arzt, sollte eine Resektion erfolgt sein, anschließend zur zuverlässigen Klärung des Operationserfolgs weder eine Hysterosalpingographie mit Kontrastmittel durchgeführt hat noch die resezierten Teile histologisch hat untersuchen lassen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen entspricht es mindestens seit 1962 allgemeiner Übung und der im Standardschrifttum gegebenen dringenden Empfehlung (vgl. außer dem vom Sachverständigen erwähnten Lehrbuch auch das Sammelwerk "Klinik der Frauenheilkunde" - Ein Handbuch für die Praxis - 1967, Band VI S. 107 f.), resezierte Tubenteile histologisch untersuchen zu lassen, um der großen Gefahr einer Verwechslung der Tube mit dem runden Mutterband zu begegnen. In dem Verfahren, in dem der von der Beklagten vorgelegte Beschluß des Senats ergangen ist, haben ebenfalls zwei Sachverständige das Unterbleiben einer histologischen Untersuchung der resezierten Teile beanstandet. Dem Operateur Dr. ... war, wie er in der Verhandlung eingeräumt hat, bekannt, daß resezierte Teile histologisch untersucht werden, und er veranlaßt seit diesem Mißerfolg nach seinen Angaben eine derartige Untersuchung in allen Fällen. Er hätte diese Untersuchung gerade hier unbedingt herbeiführen müssen, weil die Verwechslungsgefahr durch zwei Umstände noch erhöht worden ist:

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Dr. ... hat den Eingriff vom Bauchnabel her vorgenommen, weil es gleichzeitig eine paraumbilikale Hernie zu beseitigen galt. Das geschah aber nicht gleich nach der Entbindung vom dritten Kind, sondern 6 Tage später, als der Uterus sich bereits teilweise nach unten zurückgebildet hatte, nämlich - laut Gutachten - um eine Fingerbreite je Tag. Die Folge war, daß vom Bauchnabel her in größerer Tiefe reseziert werden mußte. Dr. ... will nun zwar die Tuben bis zu den Fimbrien verfolgt haben, wo sie sich vom runden Mutterband deutlich unterscheiden. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. ... ist aber eine ununterbrochene Darstellung der Tuben in ihrer gesamten Länge während der Dauer des Eingriffs nicht möglich, und zwar um so weniger, wenn dem Arzt wie in diesem Falle als Assistenz nur eine Krankenschwester zur Verfügung steht. Der hier gewählte Zugang zu den Tuben sowie die geringe personelle Ausstattung bei der Operation erhöhten die Gefahr der Verwechselung von Tube und Mutterband, so daß die histologische Untersuchung um so dringender geboten war. Dr. ... hat in der Verbandlung eine Verwechslung selbst nicht mit Sicherheit ausschließen können. Professor Dr. ... hat sie von den denkbaren Ursachen der erneuten Schwangerschaft für die wahrscheinlichste gehalten. Das Unterlassen der gebotenen histologischen Untersuchung bedeutet unter diesen Umständen einen Behandlungsfehler von erheblichem Gewicht. Er führt ebenfalls zu einer Umkehrung der Beweislast.

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3.

Die Beklagte hat nicht bewiesen, daß Dr. ... die Sterilisation in der behaupteten Weise ausgeführt hat. Dr. ... kommt als Zeuge nicht in Betracht, da er in erster Instanz Streitgenosse ist. Daß die Klage gegen ihn erst nach Erlaß des Teilurteils rechtshängig geworden ist, ist ohne Bedeutung. Entscheidend ist allein, daß der Arzt über Tatsachen aussagen müßte, die auch für seine eigene Haftung erheblich sind. Im übrigen hätte seine Aussage wenig Beweiswert, sollte er tatsächlich das Mutterband mit der Tube verwechselt haben. Der Klägerin ist nicht zuzumuten, sich einer Laparoskopie zu unterziehen, obwohl sie sich dazu in der ersten Instanz nach anfänglichem Zögern, bereit erklärt hatte. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. ... ist ein solcher Eingriff ohne therapeutisches Ziel allein zu Beweiszwecken schon wegen des Narkoserisikos der Klägerin nicht anzusinnen. Hinzu kommt, daß nicht sicher ist, ob eine Laparoskopie die erhoffte Aufklärung bringt. Es besteht die Möglichkeit, daß sich infolge Vernarbungen kein klares Bild gewinnen läßt. Im übrigen hat die Beklagte im zweiten Rechtszuge auch selbst nicht mehr beantragt, die Klägerin an ihrer Einwilligung festzuhalten und allein zu Beweiszwecken der Laparoskopie zu unterziehen.

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4.

Der Arzt hat schuldhaft gehandelt, falls er nur das getan hat, was der Operationsbericht wiedergibt, wovon ausgegangen werden muß. Die im Verkehr erforderliche Sorgfalt hat er aber auch dann nicht beobachtet, wenn es zur Verwechselung von Eileiter und Mutterband gekommen ist. Ließ sich die Verwechselung bei der gewählten Art des Zugangs und der geringen personellen Assistenz nicht mit Sicherheit vermeiden, so liegt schon in der Wahl des Zugangs oder in der personellen Ausstattung das Verschulden. In jedem Falle war bei den vorstehend genannten Schwierigkeiten das Unterlassen der histologischen Untersuchung schuldhaft.

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III.

Der den Klägern infolge der Vertragsverletzung entstandene Schaden besteht in der Belastung mit der gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber dem vierten Kind. Schaden und Ersatzpflicht sind in Literatur und Rechtsprechung heftig umstritten (dagegen: LG München I VersR 1970, 428 mit im Ergebnis zustimmender Anmerkung von Löwe VersR 1970, 430; LG Limburg NJW 1969, 1574 [LG Limburg 18.06.1969 - 2 O 11/69]; LG Duisburg VersR 1975, 432; Lankers FamRZ 1969, 384; Selb JZ 1971, 201; Klimke VersR 1975, 1083; Laufs, Arztrecht, 1977, Rdn. 111; zuletzt OLG Bamberg in der Sache 4 U 141/77; dafür: LG Itzehoe FamRZ 1969, 90, mit ablehnender Anmerkung der Redaktion FamRZ 1969, 91. und von Löwe in VersR 1969, 573; OLG Düsseldorf NJW 1975, 595 [OLG Düsseldorf 31.01.1974 - 8 U 123/73]; LG Freiburg NJW 1977, 340 [LG Freiburg 18.11.1976 - 7 O 117/76]; Heldrich JUS 1969, 455; Mertens FamRZ 1969, 251; Giesen FamRZ 1970, 565; eingeschränkt Roth-Stielow MDR 1971, 265). Der Senat teilt die Ansicht der Befürworter. Er sieht in der Belastung mit der Unterhaltspflicht einen Schaden, der zum Ausgleich verpflichtet. Es ist hier nicht darüber zu befinden, ob dieses Ergebnis rechtspolitisch oder wegen einer möglichen Belastung des Eltern-Kind-Verhältnisses erwünscht ist, sondern allein darüber, ob es durch das geltende Schadensersatzrecht bei verfassungskonformer Anwendung geboten ist. Das ist hier der Fall.

27

1.

Nicht gefolgt werden kann der Argumentation des Landgerichts. Dieses hat die Schadensersatzverpflichtung schon mit der Begründung verneint, den Klägern sei es um die Vermeidung gesundheitlicher, nicht wirtschaftlicher Schäden gegangen. Die Kläger wenden hiergegen ein, sie hätten auch eine weitere Unterhaltsverpflichtung vermeiden wollen, was bei drei Kindern und einem monatlichen Nettoeinkommen von 1.559,69 DM glaubhaft ist. Hiervon abgesehen läßt sich vom Schutzzweck des Vertrages her der Ersatz allenfalls dann auf bestimmte Aufwendungen beschränken, wenn die Ersparnis anderer ausdrücklich ausgeklammert worden ist. Denn aus der Tatsache, daß Eheleute einen bestimmten Grund für die Sterilisation nennen, beispielsweise die Erhaltung der Gesundheit der Ehefrau, folgt nicht, daß es nicht noch weitere, ungenannte Gründe gibt. Legen die Parteien sich nicht auf die Erreichung spezieller Zwecke fest, was im Ergebnis einer Haftungsbegrenzung gleichkäme, so ist Vertragszweck die Sterilisation mit allen an die schuldhafte Verfehlung dieses Zwecks zu knüpfenden Konsequenzen. So ist es hier. Dadurch, daß die Kläger als Grund der Sterilisation die im Falle einer erneuten Schwangerschaft befürchteten gesundheitlichen Schäden genannt haben, haben sie die Haftung der Beklagten nicht auf diese beschränkt.

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2.

Gegen eine Ersatzpflicht wird eingewandt: Ein Kind sei ein Wert, kein Schaden. Eine Belastung mit der Unterhaltspflicht könne nicht vom Wert getrennt, insbesondere nicht aus der komplexen Eltern-Kind-Beziehung herausgelöst werden. Ob die Unterhaltsverpflichtung ein Schaden sei, hänge von der jeweiligen Einstellung des Elternteils zum Kind ab und stelle sich überhaupt nur in der Person der Vertragspartner des Arztes, nicht auch in der anderer Unterhaltspflichtiger. Die Aufteilung der Elternrolle in Schadensersatz-Vater und biologische Eltern leugne die personale Ganzheit des Kindes. Die Unterhaltsverpflichtung sei vorrechtlichen. Ursprungs und könne nicht auf Dritte abgewälzt werden. Der Unterhaltsanspruch sei eine, familienrechtliche Forderung, was ausschließe, daß Unterhaltskosten eines Kindes denen eines Pkw gleichgesetzt würden. Die Tatsache, daß seine Eltern, und sogar die Rechtsordnung es als Schaden ansähen, könne für ein Kind zum Jugendtrauma werden. Es könne dem Kind auch nicht gleichgültig sein, wer den Unterhalt zahle. Dies sei eine Frage der Kommerzialisierbarkeit des Menschen.

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Die vorstehend genannten Argumente sind nicht geeignet, die Verpflichtung zum Schadensersatz zu verneinen. Es ist unzweifelhaft richtig, daß das Kind selbst einen Wert und keinen Schaden darstellt und daß die Unterhaltsverpflichtung familienrechtlicher Art ist. Die daran geknüpften rechtlichen Überlegungen sind aber weder zwingend noch überzeugend. Nicht das Kind ist der Schaden. Schaden ist der wirtschaftliche Nachteil, der den Eltern aus der nach dem Vertragszweck durch Sterilisation zu vermeidenden Empfängnis und Geburt erwächst. Hierbei wird nicht aus der komplexen Eltern-Kind-Beziehung ein untrennbaren Teil herausgebrochen. Die Bejahung der Ersatzpflicht berührt jene Beziehung im Grunde nicht. Das Kind wird nicht an einen Schadensersatzvater verwiesen. Ihm haften allein seine Eltern. Deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse sind für die Höhe der Unterhaltsverpflichtung maßgebend. Auch der Komplex immaterieller Werte zwischen Eltern und Kind bleibt unangetastet. Die Ersatzpflicht besteht zwischen den Eltern und dem Dritten und damit außerhalb der Eltern-Kind-Beziehung. Lediglich im Außenverhältnis wird abgewogen, welche materiellen Vor- und Nachteile die ungewollte Empfängnis und die Geburt den Eltern gebracht hat. Hierbei ist auf den jeweiligen Zeitpunkt abzustellen, so daß die Kläger sich zur Zeit keine Vorteile auf den Anspruch anrechnen lassen müssen. Sollte das später anders werden, hat die Beklagte die Möglichkeit der Abänderungsklage. Jedenfalls führt allein die Möglichkeit, daß die Eltern eines Tages auch materielle Vorteile von der Geburt ihres Kindes haben können, indem sie z.B. nach § 1619 BGB Dienste des Kindes in Anspruch nehmen, Unterhaltsansprüche gegen das Kind nach §§ 1601 ff. BGB erlangen oder ihm gegenüber nach § 1925 BGB erbberechtigt werden können, nicht dazu, ihren Schadensersatzanspruch von vornherein auszuschließen. Weil die Ersatzpflicht nur das Außenverhältnis berührt, kommt es auch nicht auf die Einstellung der Eltern zum Kind an. Es ist nicht so, daß der Schaden in dem Maße schwindet, in dem die Eltern dem zunächst abgelehnten Kind positiver begegnen, oder daß ein Schaden gar nicht erst eintritt, wenn die Eltern das Kind von vornherein uneingeschränkt akzeptieren, was die Regel sein dürfte. Unabhängig von der Einstellung der Eltern ist das Kind ein Wert und die Belastung mit der Unterhaltspflicht eine Vermögenseinbuße - der Wert immateriell und die Einbuße materiell, beides deshalb inkommensurabel. Die personale Ganzheit des Kindes wird entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Bamberg nicht berührt. Daß die Eltern im-Außenverhältnis Ersatz für bestimmte Aufwendungen erhalten, läßt den Verbund gegenseitig verzahnter Rechte im Verhältnis der Eltern zum Kind unangetastet. Da es sich hier um einen vertraglichen Ersatzanspruch handelt, ist es auch nicht ungereimt, daß die am Vertrag nicht beteiligten Großeltern keinen Ersatzanspruch haben, falls sie nach dem Wegfall der Eltern zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet sind.

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3.

Sicherlich kann im Einzelfall die Eltern-Kind-Beziehung durch die Tatsache belastet werden, daß das Kind eines Tages von der Geltendmachung der Ersatzansprüche Kenntnis erlangt und ihm dadurch bewußt wird, daß es - zunächst - unerwünscht war und vielleicht noch immer ist. Zu dieser Belastung muß es aber nicht kommen. Sie wird um so weniger eintreten, je mehr die Eltern dem Kind im übrigen zu erkennen geben, daß sie es, nachdem es nun einmal geboren ist, auch akzeptieren, es insbesondere genauso behandeln wie die Geschwister. Die Verhältnisse können auch so sein, daß nur eine Ersatzverpflichtung die Mittel zum angemessenen Unterhalt sicherstellt und dem Kind aus diesem Grunde das Vorgehen der Eltern später einleuchtet. Da sich eine Differenzierung je nach Einstellung der Eltern zum Kind oder nach deren Vermögensverhältnissen verbietet, läßt sich die Ersatzpflicht nur generell bejahen.

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4.

Dem steht auch das Grundgesetz, insbesondere seine Art. 1, 2 und 6, nicht entgegen. Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen solcher Art durch die Eltern verletzt nicht die Würde des Menschen, d.h. hier des zunächst unerwünschten Kindes, und beeinträchtigt auch nicht die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Wie oben ausgeführt, können seelisch nachteilige Auswirkungen auf das Kind, das später von seiner unerwünschten Geburt erfährt, durch ein verständnisvolles Verhalten der Eltern und ihre liebevolle Zuwendung gerade auch zu diesem Kind in der Regel verhindert werden. Dies wird ihnen sogar erleichtert, wenn ihnen ihre Unterhaltsaufwendungen von dritter Seite erstattet werden, so daß sie nicht ständig das Gefühl haben müssen, daß durch die Geburt dieses Kindes "die Decke für die Familie insgesamt zu kurz" geworden ist und sie sich fortdauernd Einschränkungen in ihrem Lebenszuschnitt auferlegen müssen. Aus diesem Grunde kann die Leistung des Schadensersatzes den Schutz der Familie (Art. 6 GG) auch eher fördern als ihm entgegenstehen.

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Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß das Reichsgericht in seinem Urteil vom 22. Februar 1924 (RGZ 108, 87), also zu einer Zeit, als kommerzielles Denken bei weitem noch nicht so um sich gegriffen hatte wie heutzutage, in der Belastung mit Unterhaltspflichten, die durch eine ungewollte Zeugung eines Kindes entstanden waren, einen Schaden gesehen hat, der nach dem geltenden - und bis heute unveränderten - Schadensersatzrecht zu ersetzen sei.

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IV.

Die Kläger haben weder die Schwangerschaft unterbrochen noch das Kind zur Adoption freigegeben. Ein mitwirkendes Verschulden ist darin nicht zu sehen. Abtreibung und Adoption betreffen die Eltern-Kind-Beziehung unmittelbar, indem sie diese beenden. Ein derartiges Verhalten kann die Rechtsordnung keinem Elternteil zumuten.

34

1.

Zwischen Unfruchtbarmachung einerseits und Abtötung keimenden Lebens andererseits besteht sowohl tatsächlich als auch in der sittlichen Wertung weiter Bevölkerungskreise noch heute ein erheblicher Unterschied. Gerade die Beklagte als ... wird sich gewiß nicht darauf berufen wollen, der Schaden hätte sich noch durch eine Schwangerschaftsunterbrechung abwenden lassen, selbst wenn diese nach § 218 a Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 3 StGB straflos gewesen wäre.

35

2.

Aber auch soweit es um die Adoption geht, können Eltern hierzu nicht unter dem Gesichtspunkt des § 254 BGB verpflichtet werden, zumal eine Adoption wegen der unabsehbaren Entwicklung im Verhältnis zwischen Adoptiveltern und Adoptivkind und wegen der Trennung von den Geschwistern dem Wohl des Kindes durchaus widersprechen kann.

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3.

Die Kläger setzen sich auch nicht zu ihrem eigenen Verhalten in Widerspruch, wenn sie einerseits Abtreibung und Adoption aus sittlichen und moralischen Gründen ablehnen, andererseits aber Ersatzansprüche geltend machen. Wer die Beendigung der Eltern-Kind-Beziehung ablehnt, muß nicht auch auf den Ersatz des Unterhalts von dritter Seite verzichten.

37

V.

Die geltend gemachten Ansprüche stehen den Klägern nur zum Teil zu. Für die Höhe der Unterhaltsverpflichtung sind die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger maßgebend (§ 1606 Abs. 3 BGB). Vermögen ist nicht vorhanden. Das Einkommen beläuft sich auf monatlich 1.559,69 DM und fällt damit in die zweite Gruppe der sogenannten Düsseldorfer Tabelle (vgl. BGH NJW 1977, 289). Bei Errechnung der Unterhaltsbeträge laut Tabelle ist von einer Verpflichtung gegenüber zwei Kindern ausgegangen worden. Da der Aufwand bei vier Kindern pro Kind geringer ist, erfolgt ein Abschlag um eine Stufe bis zur Gruppe I. Danach beträgt der Unterhalt monatlich 155 DM. Hierauf wird in entsprechender Anwendung des § 1615 g Abs. 1 BGB das Kindergeld, das 1977 120 DM betrug und sich ab 1. Januar 1978 auf 150 DM beläuft, zur Hälfte angerechnet. Dem Kläger stehen mithin für die Monate Mai bis Dezember 1977 monatlich 85 DM und ab 1. Januar 1978 monatlich 70 DM zu.

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In derselben Höhe hat die Klägerin einen Ersatzanspruch. Sie ist zwar nicht zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet, erfüllt ihre Unterhaltsverpflichtung vielmehr durch die Personensorge (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB), die in der Regel dem Wert der Zahlungsverpflichtung des Vaters entspricht. Die Personensorge ist Teil der Haushaltsführung, deren Beeinträchtigung einen Schaden darstellt. Dasselbe muß für die Erweiterung, um die Verpflichtung gegenüber einem zusätzlichen Unterhaltsberechtigten gelten.

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Klage und Berufung sind unbegründet, soweit die Kläger einen weitergehenden Schadensersatzanspruch geltend machen.

Streitwertbeschluss:

Wert der Beschwer: für die Kläger je 10.030 DM, für die Beklagte 21.340 DM.