Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 10.02.1978, Az.: 4 WF 7/78

Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Fortsetzung der Ehe" i.S.d. § 1565 Abs. 2 BGB als "Fortsetzung der Lebensgemeinschaft"

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
10.02.1978
Aktenzeichen
4 WF 7/78
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1978, 16625
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1978:0210.4WF7.78.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Aurich - 14.12.1977 - AZ: 11 F 21/77

Fundstelle

  • NJW 1978, 1266-1267

In dem Scheidungsverfahren
...
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 10. Februar 1978
durch
die unterzeichneten Richter
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerden beider Parteien gegen den Beschluß des Amtsgerichts Aurich vom 14. Dezember 1977 werden auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Wert der Beschwerden wird auf je 900,- bis 1.000,- DM festgesetzt.

Gründe

1

Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Amtsgericht Aurich den Parteien das Armenrecht entzogen bzw. nicht bewilligt mit der Begründung, die Klage böte mangels einjähriger Trennungszeit keine Aussicht auf Erfolg, weil die vorgetragenen Unzmutbarkeitsgründe nicht ausreichend seien.

2

Die Beschwerden der Parteien sind gemäß § 127 ZPO zulässig, jedoch nicht begründet.

3

Das Amtsgericht hat durch den angefochtenen Beschluß zu Recht das Armenrecht versagt. Der Scheidungsantrag kann nur auf§ 1565 Abs. 2 BGB gestützt werden, da nach dem bisherigen Vortrag die Parteien frühestens seit xxx März 1977 und damit noch nicht ein Jahr getrennt leben. Das Vorbringen zu den Voraussetzungen des § 1565 Abs. 2 BGB reicht jedoch nicht aus, um die hinreichende Erfolgsaussicht zu bejahen, Bei der Frage nach dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 1565 Abs. 2 BGB ist von folgenden Überlegungen auszugehen:

4

Die Neuregelung des Ehescheidungsrechts kennt gemäß § 1565 Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich nur noch den Scheidungsgrund des Scheiterns einer Ehe, In § 1565 Abs. 1 Satz 2 BGB definiert der Gesetzgeber das Scheitern der Ehe für den Regelfall, Er geht davon aus, daß in einer länger dauernden Trennung der Eheleute die nachhaltige Zerstörung der ehelichen Gesinnung zum Ausdruck kommt. Aus § 1565 Abs. 2 BGB ergibt sich, daß das Getrenntleben mindestens ein Jahr gedauert haben muß, Diese einjährige Trennung in Verbindung mit der Prognose, daß eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann, indizieren nach § 1565 Abs. 1 Satz 2 BGB das Scheitern der Ehe. Die Notwendigkeit der genannten Prognose entfällt nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn zu dem einjährigen Getrenntleben der Ehegatten ihr übereinstimmender Scheidungswille (§ 1566 Abs. 1 BGB) hinzukommt, wobei sie die wesentlichen Scheidungsfolgen einverständlich geregelt haben müssen (§ 63o ZPO). Nach dreijährigem Getrenntleben besteht bereits eine unwiderlegbare gesetzliche Vermutung für das Scheitern der Ehe, so daß es nur beim Eingreifen der Härteklauseln des § 1568 BGB nicht zur Scheidung kommt. Nach 5jähriger Trennung ist in jedem Falle zu scheiden.

5

In § 1565 Abs. 2 BGB hat der Gesetzgeber dem umstand Rechnung getragen, daß der Lebenssachverhalt Ehe von den Regelfällen und ihrer Schematisierung nicht voll zu erfassen ist und eine Scheidung auch möglich sein muß, wenn die Ehegatten überhaupt noch nicht oder nur kürzere Zeit als ein Jahr getrennt leben.§ 1565 Abs. 2 BGB dient damit nicht nur einer Ergänzung der in § 1565 Abs. 1 Satz 2 BGB genannten Voraussetzung "wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht" insofern, als damit die Mindestdauer des Nichtmehrbestehens auf ein Jahr festgesetzt wird. Vielmehr regelt diese Bestimmung auch gesondert, unter welchen Voraussetzungen abweichend von den Regelfällen es zur Auflösung einer Ehe (§ 1564 Satz 2 BGB) kommen kann. Danach kann eine Ehe auch geschieden werden, wenn die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft für den in seiner ehelichen Gesinnung verletzten Ehegatten eine unzumutbare Härte ist und zwar unabhängig davon, ob diese Ehegatten überhaupt oder kürzere Zeit als ein Jahr getrennt leben. Die für die Scheidung vorausgesetzte Ernsthaftigkeit des Scheidungsbegehrens (vgl. OLG Schleswig NJW 78, 51 = FamRZ 77, 805, 806 mit Bezug auf Schwab FamRZ 76, 504), die der Gesetzgeber für die Regelfälle der langen Trennungsdauer entnimmt, wird für § 1565 Abs. 2 BGB entnommen dem Umstand, daß die eheliche Gesinnung des Scheidungswilligen in derart gravierender, nämlich unerträglicher Weise durch in der Person des anderen Ehegatten liegende Gründe verletzt und beschädigt ist, daß der Scheidungswillige ein Weiterverheiratetsein als harte Zumutung empfinden muß.

6

Nach dieser Gesetzessystematik kann "Fortsetzung der Ehe" in § 1565 Abs. 2 BGB nur als Fortsetzung der Lebensgemeinschaft gemeint sein. Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen zum Gesetzesaufbau ergibt sich das auch nicht nur aus den in der neuesten Rechtsprechung und in der Literatur mehrfach hervorgehobenen Absichten des Gesetzgebers und der Entstehungsgeschichte (vgl. dazu OLG Schleswig a.a.O. und OLG München NJW 78, 49 = FamRZ 78, 29 jeweils mit weiterem Nachweis), sondern auch aus einer Auslegung des Wortlaute des Gesetzes.

7

§ 1353 BGB definiert die Ehe als Lebensgemeinschaft, so daß Fortsetzung der Ehe nur als Fortsetzung der Lebensgemeinschaft verstanden werden kann. § 614 Abs. 2 Satz 1 ZPO läßt die Aussetzung für den Fall der Aussicht auf Fortsetzung der Ehe zu. Darunter kann nach dem Zweck dieser Vorschrift nur Fortsetzung der Lebensgemeinschaft verstanden werden. In der Härteklausel des § 1568 Abs. 1 BGB wird für den Fall der Weiterführung der Ehe dem Bande nach trotz Scheiterns nicht von Fortsetzung der Ehe, sondern von Aufrechterhaltung der Ehe gesprochen. Zwangsläufig muß deshalb der vom Gesetz gebrauchte Begriff "Fortsetzung der Ehe" anders als in § 1568 Abs. 1 BGB, nämlich als Fortsetzung der Lebensgemeinschaft verstanden werden. Dafür spricht auch der Gebrauch gerade der Worte Fortsetzung einerseits und Aufrechterhaltung andererseits" Fortsetzung meint nach dem Sprachempfinden aktives Tun, ist ein dynamischer Vorgang, während Aufrechterhaltung als statisch und passiv empfunden wird. Auch die Verwendung des Konjunktivs in dem Konditionalsatz des § 1565 Abs. 2 BGB ("darstellen würde") deutet daraufhin, daß hier hypothetisch festgestellt werden soll, ob die Fortsetzung der Lebensgemeinschaft (wenn es zu ihr kommen würde) unerträglich ist.

8

Deshalb ist die von einigen Obergerichten vertretene Ansieht, in § 1565 Abs. 2 BGB sei die Aufrechterhaltung des formellen Ehebandes gemeint (vgl. OLG München a.a.O. m. w. Nachw.) weder mit den Absichten des Gesetzgebers und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes noch insbesondere mit dem Gesetzesaufbau und seinem Wortlaut vereinbar.

9

Aus den vorstehenden Überlegungen folgt weiter, daß sich die Frage danach, ob das Scheitern isoliert vorab zu prüfen ist (so z.B. Münch.Komm.-Wolf § 1565 Rdn. 73, dazu Fußnote 118; OLG Koblenz FamRZ 78, 31, 32) bei einer solchen Betrachtungsweise nicht stellt. Die in § 1565 Abs. 1 Satz 2 BGB beschriebene Prüfung des Scheiterns einer Ehe - Diagnose:

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Nicht mehr bestehende Lebensgemeinschaft, Prognose: Wiederherstellung nicht zu erwarten - paßt nicht auf Ehegatten, die, was § 1565 Abs. 2 BGE auch umfaßt, überhaupt noch nicht getrennt leben. Davon unabhängig ist diese isolierte Vorabprüfung des Scheiterns überflüssig und praxisfremd. Ist auch für § 1565 Abs. 2 BGB das Scheitern festzustellen, dann ist die Frage nach der unzumutbaren Härte in die Prognose einzubeziehen, wie umgekehrt das Bejahen einer unzumutbaren Härte eine prognostische Betrachtungsweise voraussetzt. Solange die Trennungszeit nicht mindestens ein Jahr gedauert hat und ein Unzumutbarkeitsfall nicht vorliegt, wird auch selten das Fehlen der Wiederherstellungsaussicht angenommen werden können, weil eben Prognose und Diagnose gemäß § 1565 Abs. 1 Satz 2 BGB und die Prüfung der unzumutbaren Härte in aller Regel ein Vorgang sind.

11

Allerdings verkennt der Senat nicht, daß es Fälle geben kann, in denen wegen der konkreten Lebensverhältnisse in einer Familie für den scheidungswilligen Ehegatten eine Trennung nicht in zumutbarer Weise möglich erscheint in denen der scheidungswillige Ehegatte nun plötzlich einen im Vergleich zu den früheren Verletzungen seiner ehelichen Gesinnung vielleicht weniger schwerwiegenden Fall zum Anlaß für die Trennung nimmt, oder in denen dieser Ehegatte sogar ohne einen solchen Anlaß sich trennt oder die Scheidung begehrt, weil er das lange Zeit ertragene grob ehefeindliche Verhalten des anderen Ehegatten nun nicht mehr erträgt. In solchen Fällen kann je nach der Lage des Einzelfalles die Verweigerung der Scheidung mangels Ablauf der Trennungsfrist als unzumutbare Härte angesehen werden. Dieses kann auch gelten, wenn trotz Trennung das Verheiratetsein für gerade diesen Ehegatten im Hinblick auf die damit verbundene psychische Belastung einem Opfergang gleichkäme.

12

Ob die Voraussetzungen für das Scheitern nach § 1565 Abs. 1 Satz 2 BGB oder für die Bejahung der unzumutbaren Härte nach § 1565 Abs. 2 BGB gegeben sind, muß der Richter aufgrund einer gemäߧ§ 616, 286 ZPO vorzunehmenden Prüfung feststellen.

13

Seine Überzeugung gründet der Richter - naturgemäß unter Berücksichtigung seiner Lebenserfahrung - auf die objektiv feststellbaren Umstände des Einzelfalles einerseits und andererseits deren subjektive Wertung durch die Ehegatten. Wegen der Maßgeblichkeit auch dieser subjektiven Wertung können gleiche Umstände bei verschiedenen Ehen je nach deren konkreter Ausgestaltung durch die Ehegatten zu verschiedenen Folgen führen. Für diese von dem Richter zu treffenden Feststellungen muß wie immer in einem Zivilprozeß der Vortrag der Parteien, Missen also ihre Behauptungen hinsichtlich der Umstände des Einzelfalles, z.B. hinsichtlich des Verhaltens der Ehegatten und die Behauptungen hinsichtlich der Wertung dieser Umstände durch die Ehegatten auch schon ira Armenrechtsprüfungsverfahren hinreichend substantiiert sein.

14

Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe reicht das Vorbringen in den Antragsschriften und weiter in der ersten Instanz sowie in den Beschwerdeschriften für das Bejahen der unzumutbaren Härte nicht aus. Ohnehin ist in den Beschwerdeschriften in erster Linie abgestellt darauf, daß die Ehe der Parteien zerrüttet sei, und kaum darauf, aus welchen Gründen in der Person des jeweiligen Gegners es die Beschwerdeführer als Zumutung empfinden und empfinden müssen, mit diesem weiter verheiratet zu sein.

15

Der von den Parteien widersprüchlich dargestellte Vorfall, der anscheinend zur Trennung geführt hat, bei dem die Antragsgegnerin mit einem Kerzenleuchter geworfen und den Antragsteller geschlagen haben soll, stellt sich offensichtlich als besonderes, aus Kurzschlußreaktionen entstandenes Geschehen dar, zumal die erst seit 5. November 1976 verheirateten Parteien kaum Gelegenheit hatten, den Ehealltag miteinander durchzustehen.

16

Für die Begründetheit der Beschwerden spricht auch nicht, daß in noch nicht einmal 2 Monaten eine Trennungsfrist von einem Jahr abgelaufen ist. Fest steht, daß in gegenwärtigen Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Bejahung des Scheiterns nach dem Vortrag der Parteien nicht gegeben sind. Auf einen zukünftigen Zeitpunkt darf der Familienrichter nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht abstellen, zumal die Erfahrung gerade in Scheidungsverfahren lehrt, daß nicht selten gerade dann das Scheidungsbegehren zurückgenommen worden ist, wenn schriftsätzlich die Zerrüttung und ihre Ursachen besonders eindringlich dargestellt worden waren.

17

Weil danach der angefochtene Beschluß im Ergebnis und in der Begründung x nicht zu beanstanden ist, waren die Beschwerden der Parteien mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.