Landgericht Hildesheim
Beschl. v. 14.01.1994, Az.: 5 T 720/93

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
14.01.1994
Aktenzeichen
5 T 720/93
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1994, 25399
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHILDE:1994:0114.5T720.93.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hildesheim - 17.12.1993 - AZ: 27 XVII SCH 22 UH

Fundstelle

  • BtPrax 1994, 106 (Volltext mit amtl. LS)

In dem Betreuungsverfahren

...

hat die 5. Zivilkammer Hildesheim auf die Beschwerde der Betreuerin vom 23. Dezember 1993 gegen den Beschluß des Amtsgerichts Hildesheim vom 17. Dezember 1993 durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht ... die Richterin am Landgericht ... und den Richter am Landgericht ... am 14.01.1994 beschlossen:

Tenor:

  1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

  2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebühren- und gerichtsauslagenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

1

Der schwer mehrfach behinderte Betroffene Lebt in einer Wohngruppe in der Heimstatt .... Bei Gruppentreffen kommt es wiederholt bei ihm zu aggressiven Impulsausbrüchen gegenüber Mitbewohnern oder Betreuern. Der Betroffene kneift, kratzt oder beißt Dritte, zieht sie in den Haaren oder reißt ihnen die Brille herunter. Wegen dieser Handlungen zur Rede gestellt, reagiert der Betroffene häufig enttäuscht und gekränkt. Es kommt zu autoaggressiven Handlungen, bei denen er sich in die Finger beißt oder massiv auf die Oberschenkel schlägt.

2

Das Heim hält es in solchen Situationen für geboten, den Betroffenen dadurch zu isolieren, daß man ihn in einem Zimmer kurzzeitig, etwa für eine halbe Stunde, einschließt. Die Betreuerin ist mit so einer Maßnahme einverstanden. Das Amtsgericht hat jedoch die richterliche Genehmigung mit Beschluß vom 07.12.1993 versagt. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Betreuerin.

3

Die Beschwerde ist nicht begründet, sie war daher zurückzuweisen.

4

§ 1906 Abs. 4 BGB gestattet es dem Betreuungsrichter nicht, die von der Betreuerin beantragte kurzfristige Einschließung des Betroffenen zu genehmigen.

5

Eine solche richterliche Genehmigung ist erforderlich, weil dem Betroffenen i.S. des § 1906 Abs. 4 BGB regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll. Regelmäßig ist die beantragte Freiheitsentziehung, weil sie aus einem immer wiederkehrenden Anlaß "verhängt" werden soll, nämlich immer dann, wenn sich der Betroffene während einer Gruppenarbeit gegenüber anderen Gruppenmitglieder unsozial verhält, (vgl. Soergel-Dammrau, BGB, 12. Auflage, § 1906, Rd. 22).

6

Die richterliche Genehmigung muß versagt werden, weil die Voraussetzungen für eine freiheitsentziehende Maßnahme nicht vorliegen. Die Freiheit darf nämlich - wenn man einmal von den medizinisch indizierten Beschränkungen absieht - gem. § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB nur dann entzogen werden, wenn sich der Betroffene ohne die Freiheitsentziehung einen erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügen würde. Die autoaggressiven Handlungen des Betroffenen können aber, so wie sie beschrieben worden sind, zu einem erheblichen gesundheitlichen Schaden bei dem Betroffenen nicht führen, insbesondere aber können die autoaggressiven Handlungen nicht durch eine Einschließung verhindert werden.

7

Freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB sind nicht genehmigungsfähig, wenn sie im Interesse von Dritten wünschenswert wären. Eine entsprechende Anwendung des § 1906 Abs. 4 BGB auf fremdgefährdende Handlungen des Betroffenen wie sie Damrau (in Soergel a.a.O., Rd. 23) befürwortet, ist angesichts des eindeutigen, Fallgruppen aufzählenden Wortlautes des Gesetzes nicht zulässig (so auch Bienwald, Betreuungsrecht, § 1906, Rd. 69; Stolz, Betreuungsgesetz: Umsetzungsdefizite im Bereich Heilbehandlung und freiheitsentziehende Maßnahmen bei Heimbewohnern, FamRZ 1993, S. 642 (645); Dodegge, Freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB, MDR 1992, S. 437 (439)). Selbst wenn man aber freiheitsentziehende Maßnahmen zum Schutz Dritter für genehmigungsfähig ansehen würde, müßte auch unter diesem Aspekt die Genehmigung versagt werden. Die fremdaggressiven Verhaltensweisen des Betroffenen sind vor der Einschließung beendet, neue Handlungen sind von dem Betroffenen zunächst nicht zu erwarten. Mit einer Einschließung für etwa eine halbe Stunde würde also fremdaggressives Verhalten nicht vermieden werden können.

8

Die Kammer ist sich bewußt, daß eine solche Entscheidung die praktische Arbeit der Heime gerade auch wegen der häufig desolaten Personalsituation erschwert. Sie ist aber an die gesetzgeberische Entscheidung gebunden, freiheitsentziehende Maßnahmen von Gewicht dadurch auf ein unbedingt notwendiges Maß zu beschränken, daß man sie zum einen von einer richterlichen Genehmigung abhängig macht und daß man zum anderen die richterliche Genehmigung an enge Voraussetzungen knüpft. Im Ergebnis führt dies dazu, daß die Heime Bewohner, die sich gegenüber Dritten unsozial verhalten, nur von Maßnahmen ausschließen, sie aber nicht einschließen dürfen. Eine interne Bestrafung von Heimbewohnern durch Einschließen - auch wenn dies als Verhaltenstherapie angesehen wird - ist nicht zulässig.

9

Es wird noch darauf hingewiesen, daß ein Einschließen von Bewohnern dann ohne richterliche Genehmigung zulässig ist, wenn eine Notwehr- oder Nothilfesituation vorliegt. Dies haben die Verantwortlichen in der konkreten Situation eigenverantwortlich zu entscheiden.

10

Die Kostenentscheidung folgt den §§ 13a FGG, 131 KostO.