Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 31.08.2004, Az.: 12 U 63/04
Zahlungen der Versicherung an bei ihr versicherte Wohnungseigentümergemeinschaft; Übergang des Schadensersatzanspruchs auf die Versicherung; Schadensersatzanspruch hinsichtlich der aufgetretenen Mangelfolgeschäden; Verletzung vertraglicher Nebenpflichten bei der Errichtung des Mehrfamilienhauses; Errichtung eines Gebäudes, insbesondere der Lüftungsschächte; Missachtung der Brandschutzbestimmungen beim Neubau; Verletzung einer im Werkvertrag obliegenden Nebenpflicht
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 31.08.2004
- Aktenzeichen
- 12 U 63/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 30928
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2004:0831.12U63.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 16.04.2004 - AZ: 13 O 1641/03
Rechtsgrundlagen
- § 304 Abs. 1 ZPO
- § 525 ZPO
- § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO
- § 67 Abs. 1 S. 1 VVG
- § 823Abs. 2 BGB
Fundstellen
- BauR 2006, 577
- IBR 2006, 20
- VersR 2005, 72-73 (Volltext mit amtl. LS)
Prozessführer
AXA Versicherung AG, C.A.,K.
Rechtsanwälte B.,K.
Prozessgegner
M.O.,S.,O.
Rechtsanwälte H.O.
Sonstige Beteiligte
W.H.,S.
Rechtsanwälte H.,L.
In dem Rechtsstreit
hat der 12. Zivilsenat
auf die mündliche Verhandlung vom 17.08.2004
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16. April 2004 verkündete Urteil des Landgerichts Oldenburg geändert.
Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Zur Entscheidung über die Höhe des Anspruchs wird das Verfahren an das Landgericht Oldenburg zurückverwiesen, das auch über die Kosen des Berufungsverfahrens zu befinden hat.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.Die Klägerin, ein Gebäude- Feuerversicherer, verlangt von dem beklagten Bauunternehmen aus übergegangenem Recht Ersatz eines am 11.01.2001 eingetretenen Brandsc hadens mit der Begründung, die Beklagte habe bei der Errichtung des Gebäudes gegen Brandschutzbestimmungen verstoßen, sodass sich der Brand habe ausbreiten können.
Die von ihr regulierten, auf eine fehlerhafte Bauweise zurückgeführten Mehrkosten hat sie auf 83.521,79 EUR beziffert.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten.
Das Landgericht hat durch Urteil vom 16.04.2004 die Klage abgewiesen.
Mit der dagegen gerichteten, im Wesentlichen auf Rechtsausführungen gestützten Berufung verfolgt die Klägerin ihren Schadensersatzanspruch weiter.
Sie beantragt ebenso wie ihre Streithelferin, die Wohnungseigentumsgemeinschaft,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 83.521,79 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.04.2002 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Ergänzende Feststellungen hat der Senat nicht getroffen.
II.
Die Berufung führt zur Vorabentscheidung über den Grund des geltend gemachten Anspruchs und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht wegen der Anspruchshöhe, §§ 304 I, 525, 538 II 1 Nr. 4 ZPO.
Das Schadensersatzbegehren ist nach gesetzlichem Forderungsübergang gem. § 67 I 1 VVG aus Verletzung vertraglicher Nebenpflichten (pVV) sowie aus unerlaubter Handlung gem. § 823 II i. V. m. Brandschutzbestimmungen der Niedersächsischen Bauordnung (§§ 20, 30 IV NBauO) dem Grunde nach gerechtfertigt.
Unstreitig hat die Klägerin Zahlungen auf den Brandschaden der bei ihr versicherten Wohnungseigentümergemeinschaft (W.) geleistet, sodass deren Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte auf sie übergegangen ist. Der übergegangene Schadensersatzanspruch folgt hinsichtlich der aufgetretenen Mangelfolgeschäden aus Verletzung vertraglicher Nebenpflichten bei der Errichtung des Mehrfamilienhauses, in dem später der Brand ausbrach. Die Beklagte hat nach dem Gutachten des Sachverständigen H. vom 15.12.2001 bei der Errichtung des Gebäudes, insbesondere der dort erstellten Lüftungsschächte, Brandschutzbestimmungen der NbauO nicht beachtet, sodass der spätere Brand ein Schadensausmaß erreichte, das sonst nicht eingetreten wäre. Damit hat die Beklagte die ihr aus dem Werkvertrag obliegende Nebenpflicht verletzt, das Gebäude unter Beachtung der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften so zu errichten, dass auch derartige Mangelfolgeschäden vermieden werden (vgl. dazu Palandt/Sprau, BGB, 61. Aufl., Vorb. vor § 633, Rdn. 22, 25).
Die W. war (bis zum gesetzlichen Forderungsübergang) hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs gegen die Beklagte aktivlegitimiert. Allerdings hat der damalige Bauträger, die R.B., seine etwaigen Gewährleistungsansprüche aus der Erstellung der Wohnanlage an die Erwerber, vertreten durch die C. Steuerberatungsgesellschaft mbH in Köln am 27.01.1995 abgetreten; diese hat die Abtretung für die (damals wohl noch unbekannten) Erwerber angenommen. Die Abtretung erfasste auch die mit einer fehlerhaften Errichtung des Gebäudes zusammenhängenden Ansprüche auf Ersatz von Mangelfolgeschäden aus positiver Vertragsverletzung. Es ist davon auszugehen, dass die Ersterwerber die Annahme der Abtretung genehmigt haben, wie es üblicherweise in vergleichbaren Fällen geschieht, zumindest durch den Beitritt der W. im vorliegenden Rechtsstreit bestätigt wird. Soweit einige Wohnungen inzwischen verkauft worden sind, können die verbliebenden Ersterwerber ebenso wie die W. den am Gemeinschaftseigentum entstandenen Schaden für die Gemeinschaft geltend machen, und zwar auch soweit sich die mangelhafte Errichtung auf das Sondereigentum ausgewirkt hat (vgl. BGHZ 114, 383, 387 f. [BGH 06.06.1991 - VII ZR 372/89]; 141, 63, 65 f. [BGH 25.02.1999 - VII ZR 208/97]).
Das Schadensersatzbegehren ist nicht durch den am 27.06.2000 geschlossenen Vergleich ausgeschlossen. Diesem Vergleich lag zugrunde, dass nicht alle in dem Gutachten des IBB (Institut für Bauphysik und Bauchemie in Hamburg) vom 02.09.1999 aufgeführten Baumängel behoben waren. Soweit einzelne Positionen nicht nachgebessert waren, sollte zur Abgeltung sämtlicher Gewährleistungsansprüche der W. "eine Minderung in Höhe von DM 10.000" Zug um Zug gegen Aushändigung der Gewährleistungsbürgschaft gezahlt werden. Diese Zahlung gegen Aushändigung der Bürgschaft wurde geleistet. Wenn damit auch die Gewährleistung hinsichtlich der dem Auftraggeber nicht bekannten Mängel (und deren Folgen) abgegolten werden sollten, steht diese Vereinbarung dem Klagebegehren nicht entgegen. Denn nach § 637 BGB a. F. ist eine Vereinbarung, durch welche die Verpflichtung des Unternehmers, einen Mangel des Werks zu vertreten, erlassen oder beschränkt wird, in den Fällen nichtig, in denen der Unternehmer den Mangel arglistig verschweigt. Diese Bestimmung gilt für alle einschlägigen Vereinbarungen, unabhängig vom Zeitpunkt ihres Zustandekommens, somit auch für den vergleichsweisen Verzicht auf Gewährleistung nach Abnahme (vgl. Palandt/Sprau a.a.O., § 637 Rdn. 3, Staudinger/Peters, BGB, 2000, § 637 Rdn. 7, 10). Die Arglist des Unternehmers lässt die Beschränkung der Gewährleistung hinsichtlich des verschwiegenen Mangels unwirksam sein.
Nach höchstrichterlichter Rechtsprechung verschweigt arglistig, wer sich bewußt ist, dass ein bestimmter Umstand für die Entschließung seines Vertragsgegners von Erheblichkeit ist, nach Treu und Glauben diesen Umstand mitzuteilen verpflichtet ist, und ihn trotzdem nicht offenbart (so BGHZ 62, 63, 66) [BGH 20.12.1973 - VII ZR 184/72]. Eine Offenbarungspflicht des Unternehmers besteht grundsätzlich hinsichtlich aller Mängel des Werks (vgl. Staudinger/Peters, a.a.O., § 637 Rdn. 11). Zuzurechnen ist dem Unternehmer auch die Kenntnis von Hilfspersonen, allerdings nicht derjenigen, deren er sich bei der Herstellung des Werks, sondern nur derjenigen Mitarbeiter, deren er sich bei der Erfüllung seiner Offenbarungspflicht bedient (BGHZ 62, 63, 66) [BGH 20.12.1973 - VII ZR 184/72]. Dabei kann er sich seiner vertraglichen Offenbarungspflicht nicht dadurch entziehen, dass er sich unwissend hält oder sich keiner Gehilfen bedient. Sorgt er bei der Herstellung des Werks nicht für eine den Umständen nach angemessene Überwachung und Prüfung der Leistung und damit auch nicht dafür, dass er oder seine insoweit eingesetzten Erfüllungsgehilfen etwaige Mängel erkennen können, so handelt er vertragswidrig (so BGHZ 117, 317, 320) [BGH 12.03.1992 - III ZR 216/90]. Demgemäß hat er dafür einzustehen, wenn er die Überwachung und Prüfung des Werks nicht richtig organisiert hat und der Mangel bei richtiger Organisation entdeckt worden wäre. Die Umstände, aus denen sich das arglistige Verschweigen ergibt, hat der Auftraggeber darzulegen. Er genügt seiner Darlegungslast, wenn er Tatsachen vorträgt, nach denen entweder der Unternehmer selbst oder die von diesem zur Erfüllung seiner Offenbarungspflicht eingesetzten Gehilfen den Mangel erkannt, aber nicht offenbart haben. Dabei kann nach der Art des Mangels schon der Vortrag ausreichen, der Unternehmer habe die Überwachung des Herstellungsprozesses nicht oder nicht richtig organisiert (vgl. BGHZ 117, 318, 321 f) [BGH 12.03.1992 - VII ZR 5/91]. So liegt es hier.
Die Klägerin wirft der Beklagten vor, durch unzureichende Organisation bei der Errichtung des Gebäudes die Verstöße gegen die einschlägigen Brandschutzbestimmungen nicht erkannt zu haben. Ein solches Organisationsverschulden der Beklagten ist unter den hier gegebenen Umständen, insbesondere der Schwere der Mängel, zu bejahen.
Der Sachverständige H. hat in seinem Gutachten vom 15.12.2001 unter anderem ausgeführt, dass Elektro-Kabel durch einen Lüftungsschacht geführt wurden, die Heizungsrohre und die brennbaren Abwasserrohre der Toilette in den Schachtwänden nicht geschottet waren und die erstellten Schachtwände nicht dick genug waren, um die erforderliche Feuerwiderstandskraft zu erreichen. Aus seiner gutachterlichen Sicht sind bei den Lüftungsschächten grundlegende Fehler gemacht worden, die ein Fehlen jeglichen Verständnisses für die brandschutztechnische Planung und Ausführung von Installationsleitungen in Gebäuden offenbaren. Die Beklagte kann sich nicht mit dem Hinweis entlasten, sie sei für die Planung nicht zuständig gewesen. Dass Elektro-Kabel grundsätzlich nicht durch einen Lüftungsschacht geführt werden dürfen, um die Ausbreitung eines Brandes (wie in einem Kamin) nicht zu begünstigen, ist auch einem Laien einsichtig. Zumindest müssen Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass ein Brand nicht über die Kabel in die Schächte eindringen kann. Ein Verstoß gegen derartige brandschutzrechtliche Anforderungen stellt einen schwerwiegenden Fehler dar, der bei der Ausführung hätte auffallen müssen. Der Vortrag der Beklagten, sie habe auf der Baustelle einen Polier, einen Bauleiter und den Leiter der Hochbauabteilung eingesetzt, entlastet sie ebenfalls nicht. Welche Arbeiten diese Mitarbeiter wann und in welchen Abständen beaufsichtigt haben, ist nicht vorgetragen. Hinsichtlich der Beachtung der einschlägigen brandschutzrechtlichen Bestimmungen kann die Beklagte sich nicht auf die mangelnde Kenntnis der von ihr eingesetzten Mitarbeiter berufen. Die Schwere der hier vorhandenen Mängel, insbesondere der Einbau elektrischer Leitungen in einen Lüftungsschacht, spricht dafür, dass die Beklagte die Überwachung und die Überprüfung der durch ihre Mitarbeiter erbrachten Leistungen mangelhaft organisiert hat. Ein Bauleiter hätte während der Errichtung des Mehrfamilienhauses bei regelmäßiger Kontrolle die in Lüftungsschächten durch mehrere Geschosse geführten Elektro-Kabel erkennen und wegen des Verstoßes gegen Brandschutzbestimmungen unterbinden müssen.
Ob die Beklagte wegen ihrer Fertigungsmängel auch aus der Verletzung von Eigentum nach § 823 Abs. 1 BGB haftet, kann dahinstehen. Jedenfalls haftet sie nach § 823 II BGB i. V. m. §§ 20, 30 IV NBauO, die ein Schutzgesetz im Sinne dieser Vorschriften darstellt. Die landesrechtlichen Brandschutzbestimmungen dienen nach Auffassung des Senats auch dem Schutz des Eigentümers des errichteten Gebäudes. Durch den vorliegenden Verstoß gegen brandschutzrechtliche Bestimmungen bei der Errichtung des Mehrfamilienhauses hat die Beklagte die Wohnungseigentümer geschädigt, weil bei dem später verursachten Brand das Feuer sich ausbreiten und einen weitergehenden Schaden herbeiführen konnte.
Zur Schadenshöhe ist die Sache noch nicht zur Entscheidung reif. Es ist zu klären, in welchem Umfang die Klägerin den Schaden reguliert hat und welcher Anteil der Beklagten zuzurechnen ist.
Insoweit ist der Rechtsstreit gemäß § 538 II 1 Nr. 4 ZPO auf Antrag der Klägerin an das Landgericht zurückzuverweisen.
Eine Kostenentscheidung ist nicht geboten.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.