Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 10.03.1995, Az.: Ss (B) 190/94
Verwendung von Einweggeschirr bei Abgabe von Speisen und Getränken an Ort und Stelle; Vorsätzliche Zuwiderhandlung gegen die Marktsatzung der Stadt ; Voraussetzungen für die Verhängung einer Geldbuße
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 10.03.1995
- Aktenzeichen
- Ss (B) 190/94
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1995, 17683
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:1995:0310.SS.B190.94.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG ... - 07.09.1994 - AZ: 16 OWi 412 Js 10019/94
- StA ... - AZ: 412 Js 10019/94
- GenStA ... - AZ: Ss (B) 190/94
Rechtsgrundlagen
- § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG
- Art. 72 Abs. 1 GG
- Art. 3 GG
Fundstelle
- NJW 1995, 3199 (amtl. Leitsatz)
Verfahrensgegenstand
Zuwiderhandlung gegen die Marktsatzung der Stadt ...
Prozessgegner
Schausteller ..., geboren am 20.12.1955 in ..., wohnhaft in ..., verheiratet, Deutscher,
In der Bußgeldsache
hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts ...
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...
den Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richterin am Oberlandesgericht ...
am 10. März 1995
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts ... vom 07.09.1994 wird auf seine Kosten verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht ... hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 07.09.1994 wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen die Marktsatzung der Stadt ... (Verwendung von Einweggeschirr bei Abgabe von Speisen und Getränken an Ort und Stelle) eine Geldbuße von 500,00 DM verhängt.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ... hat der Betroffene auf dem einmal jährlich von der Stadt ... auf dem Schützenplatz veranstalteten Martini-Markt in seinem Imbißgeschäft am 08.11.1993 nicht eßbare Pappschalen und Pappteller bei der Ausgabe von Würsten, Schaschlik, Pommes Frites oder geschmorten Champignons verwendet, obwohl ihm der Standplatz nur unter der Auflage zugeteilt worden war, daß die Abgabe von Getränken, einschließlich Spirituosen ausschließlich in Mehrwegbehältnissen (Gläser oder Mehrwegpfandflaschen) und die Abgabe von Speisen ausschließlich auf Mehrweggeschirr oder eßbarem Geschirr erfolgen dürfte, und der Betroffene sich hiermit schriftlich einverstanden erklärt hatte. Grundlage der Auflage war § 9 a der Marktsatzung der Stadt ... vom 23.10.1984 in der Fassung der ersten Änderungssatzung vom 01.10.1993, in der es heißt:
"Bei der Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle dürfen nur verwendet werden:
1.
Mehrwegartikel (Gläser, Mehrwegpfandflaschen, Tassen, Teller, Messer, Gabel, Löffel o.ä.).2.
Eßbare Behältnisse (z.B. Waffel schalen, Spitztüten, aufgeschnittene Brötchen)3.
Holzprodukte (z.B. Holzgabeln, Holzstäbchen für Pommes Frites)".
Verstöße gegen diese Vorschrift stellen nach § 11 Ziff. 6 der Marktsatzung Ordnungswidrigkeiten i.S.d. § 6 Abs. 2 der Niedersächsischen Gemeindeordnung dar, die nach Abs. 2 mit einer Geldbuße bis zu 5.000,00 DM geahndet werden können.
Gegen das Urteil des Amtsgerichts ..., das seinem Verteidiger am 14.10.1994 zugestellt wurde, hat der Betroffene mit einem am 09.09.1994 eingegangenen Schriftsatz Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit einem am 14.11.1994 eingegangenen Schriftsatz begründet. Mit der Sachrüge rügt er, daß für die Marktsatzung der Stadt ... keine Ermächtigungsgrundlage ersichtlich sei. Das Verbot von Einweggeschirr könne sich nicht auf die kommunale Satzungsautonomie stützen, da sich dieses als eine grundrechtsbeschränkende Maßnahme darstelle. Auch in der Gewerbeordnung könne die Satzung keine Ermächtigungsgrundlage finden, da die Gewerbeordnung lediglich festgesetzte Marktveranstaltungen regele. Im übrigen verstieße eine Auflage zur Verwendung von Einweggeschirr bei der Zulassung der Marktveranstaltung gegen § 70 Abs. 1 Gewerbeordnung. Ferner verstoße die Marktsatzung gegen höherrangiges Recht, da der Bundesgesetzgeber durch den Erlaß der Verordnungsermächtigung in § 14 des Abfallgesetzes von seinem Gesetzgebungsrecht abschließend Gebrauch gemacht habe (Art. 72 Abs. 1 Grundgesetz). Weiterhin verstoße die Marktordnung der Stadt ... sowohl gegen Art. 12 als auch gegen Art. 14 des Grundgesetzes sowie im speziellen Fall auch gegen das Gleichheitsgebot, da die Verwendung von Einmalgeschirr nur den Schaustellern und sonstigen ambulanten Gewerbetreibenden und nicht den anliegenden Gaststätteninhabern untersagt sei. Die Rechtsbeschwerde meint deshalb, weil die Marktsatzung der Stadt ... nichtig sei, könne darauf eine Verurteilung des Betroffenen nicht gestützt werden und beantragt deshalb die Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils.
Die Generalstaatsanwaltschaft hält die Rechtsbeschwerde für unbegründet und beantragt, diese gem. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
II.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist statthaft (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) und auch im übrigen zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Die Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch wegen einer Ordnungswidrigkeit gem. §§ 9 a, 11 Abs. 2 der Marktsatzung der Stadt ... vom 23.10.1984 in der Fassung der Änderungssatzung vom 01.10.1993.
Die Marktsatzung der Stadt ... mit dem darin enthaltenen Bußgeldtatbestand ist auch nicht nichtig.
Ermächtigungsgrundlage für die Marktsatzung ist die Satzungsgewalt der Gemeinden gem. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 sowie § 8 Nr. 1 NGO, da es sich bei dem von der Stadt ... selbst veranstalteten Martini-Markt um eine öffentliche Einrichtung der Gemeinde handelt (vgl.: VGH München, NVwZ 82, 120, 121), so daß die Stadt ... als Veranstalterin den Zugang zum Markt und die Benutzungsbedingungen als eigene Angelegenheit regeln konnte (vgl.: VGH München, a.a.O.; Landmann/Rohmer/Schönleiter, Gewerbeordnung, Stand: Januar 1994, § 70 Rdziff. 2 a, 3).
Die Satzungsverstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht.
Zu Unrecht meint die Rechtsbeschwerde, der Satzung stehe die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG entgegen, weil der Bundesgesetzgeber durch den Erlaß der Verordnungsermächtigung in § 14 des Abfallgesetzes von seinem Gesetzgebungsrecht abschließend Gebrauch gemacht habe, so daß kein Raum für ein Tätigwerden des Landesgesetzgebers oder des kommunalen Gesetzgebers verbleibe. Unabhängig davon, ob die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Nr. 24 GG auch den Bereich der Abfallvermeidung erfaßt oder ob die Gesetzgebungskompetenz insoweit aus Art. 74 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft) folgt (vgl.: BayVerfGH, BayVBl 1990, 367, 368), ist zwar von einer entsprechenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Bereich der Abfallvermeidung auszugehen, von dem der Bund auch durch die Verordnungsermächtigung in § 1 a i.V.m. § 14 des Abfallgesetzes Gebrauch gemacht hat. Das bedeutet jedoch nicht, daß der Bund durch die Ausübung seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz den Bereich der Abfallvermeidung abschließend in dem Sinne geregelt hat, daß für ein Tätigwerden des Landesgesetzgebers oder der kommunalen Körperschaften kein Raum mehr bliebe. Da Abfall in allen privaten und öffentlichen Bereichen entstehen und vermieden werden kann und das Grundgesetz dem Bundesgesetzgeber nicht die Befugnis einräumt, über seine Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Abfallvermeidung in Bereiche einzuwirken, die nach Art. 30 und 70 GG dem Landesgesetzgeber vorbehalten sind, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß gegen die Normierung von Abfallvermeidungspflichten durch Gemeinden aus kompetenzrechtlicher Sicht nichts einzuwenden ist, wenn es um die Entlastung der Anlagen zur Entsorgung in der betreffenden Gemeinde geht und die Regelung nicht gegen Landes- oder Bundesrecht verstößt (vgl.: Salzwedel, Probleme der Abfallentsorgung, NVwZ 1989, 820, 826-828; Brenner, Die Abfallbeseitigung als Gegenstand der Bundesgesetzgebung und die Grenzen einer landesrechtlichen Ordnung der Abfallwirtschaft, BayVBl. 1992, 70, 72 f., 76 f.; Hösel/von Lersner, Recht der Abfallbeseitigung - Stand Oktober 1994 -, § 14 Abfallgesetz Rdziff. 7 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Marktordnungen, die den Verkauf von Getränken in Einwegpackungen an Imbißständen untersagen). Letztlich stellt auch die vorliegende Satzung nur die Umsetzung der bundes- und landesgesetzlichen Ziele der Abfallvermeidung dar.
Die Satzung ist auch nicht verfassungswidrig, da sie den Betroffenen weder in seinen Grundrechten aus Art. 3, 12 oder 14 GG verletzt.
Auf einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG kann der Betroffene sich schon deshalb nicht berufen, weil er insoweit im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zu berücksichtigenden neuen Tatsachenstoff zur Begründung vorträgt. Darüber hinaus ließe die Ungleichbehandlung von Gaststätteninhabern und ambulanten Schaustellern sowie Gewerbetreibenden auch keine willkürliche Benachteiligung erkennen.
Da die Satzung nicht die Freiheit der Berufswahl betrifft, sondern lediglich die Berufsausübung regelt, ist sie als solche nicht verfassungswidrig, weil sie keine übermäßig belastenden oder unzumutbaren Auflagen enthält (vgl.: BVerfGE 16, 147, 163 [BVerfG 22.05.1963 - 1 BvR 78/56]-165; 21, 227, 232).
Ein gegen Art. 14 verstoßender Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb liegt insbesondere deshalb nicht vor, weil die auf einer bestimmten Rechtslage beruhenden Erwerbschancen nicht zum von der Eigentumsgarantie umfaßten Bestandswert des einzelnen Unternehmens gehören (vgl.: BVerfGE 45, 142, 172 f; BGHNJW 1980, 2700, 2701).
Auch für einen Verstoß gegen Art. 30 EG-Vertrag ist nichts ersichtlich. Es ist bereits zweifelhaft, ob Art. 30 EGV die Stadt ... bei der Regelung der Benutzungsbedingungen einer eigenen öffentlichen Einrichtung unmittelbar bindet und ob der Betroffene aus dieser Regelung unmittelbare Rechte herleiten könnte, denn § 9 a der Marktsatzung fällt offensichtlich nicht in den Anwendungsbereich des Art. 30 EGV. Art. 30 EGV erfaßt nur staatliche Maßnahmen, die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern (vgl.: Lenz, EG-Vertrag, Kommentar, 1994, Art. 30 Rdziff. 21; Geiger, EG-Vertrag, 1993, Art. 30 Rdziff. 8). Demzufolge fallen nationale Bestimmungen über Verkaufsmodalitäten, die für alle beteiligten Wirtschaftsteilnehmer gleichermaßen gelten und den Absatz inländischer Erzeugnisse in gleicher Weise wie den Verkauf ausländischer Waren betreffen, nicht in den Anwendungsbereich des Art. 30 EGV, da sie grundsätzlich nicht geeignet sind, den Marktzugang für Waren aus anderen Mitglied Staaten zu versperren oder stärker zu behindern als in Bezug auf inländische Erzeugnisse (vgl. Lenz, a.a.O., Rdziff. 19; Geiger, a.a.O., Rdziff. 20 f.).
Letztlich verstößt die Satzung auch nicht gegen § 70 GewO, da sie nicht den Ausschluß von der Teilnahme am Markt regelt, sondern die Verhaltenspflichten der teilnehmenden Gewerbetreibenden.
Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruches läßt das Urteil ebenfalls keine Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen erkennen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 70 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 1 StPO.