Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 20.01.1994, Az.: 3 B 3069/94
Anspruch auf Barauszahlung von Hilfe zum Lebensunterhalt ; Gewährung von Sozialhilfe
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 20.01.1994
- Aktenzeichen
- 3 B 3069/94
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1994, 23953
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:1994:0120.3B3069.94.0A
Rechtsgrundlagen
- § 14 AsylVfG
- § 2 Nr. 1 AsylbLG
Fundstellen
- NVwZ 1995, 16
- NVwZ 1994, 14-15
- NVwZ (Beilage) 1994, 14-15 (Volltext mit red. LS)
- NVwZ-RR 1994, 14-15
Verfahrensgegenstand
Sozialhilfe (Leistungen nach dem AsylbLG)
Antrag nach § 123 VwGO
Die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig hat
am 20. Januar 1994
beschlossen:
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, ab dem Tage dieser Entscheidung den Antragstellern für den Monat Januar 1994 Leistungen nach § 2 Abs. 1 Ziff. 1 AsylbLG i.V.m. den Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes zu gewähren.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Im übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zur Hälfte.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren die Barauszahlung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für den Monat Januar im Wege der einstweiligen Anordnung.
Die Antragsteller sind Asylbewerber und erhalten von der Antragsgegnerin Hilfe zum Lebensunterhalt in Form von Sachleistungen. Nach Angaben der Antragsteller wurde ihnen Ende Dezember 1993 mitgeteilt, daß auch für den Monat Januar 1994 die Hilfe zum Lebensunterhalt lediglich in Form von Sachleistungen gewährt wird. Ein mit Schriftsatz vom 29.12.1993 hiergegen erhobener Widerspruch ist bislang noch nicht entschieden.
Am 29.12.1993 suchten die Antragsteller um die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz nach.
Sie tragen vor, ihnen stehe ab Januar 1994 Hilfe zum Lebensunterhalt in Form einer Barleistung zu, weil sie schon länger als ein Jahr im Asylverfahren seien. Sie wollen sich bereits am 29.12.1992 in Göttingen gemeldet haben und von dort zur Zentralen Anlaufstelle in Braunschweig verwiesen worden sein, wo sie am 30.12.1992 einen Asylantrag gestellt haben wollen.
Die Antragsteller beantragen (sinngemäß),
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen, den Antragstellern, schon im Monat Januar 1994 Hilfe zum Lebensunterhalt in Form von Geldleistungen zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie ist der Ansicht, ein Asylantrag sei erst im Januar 1993 gestellt worden. Ende Dezember 1992 hätten die Antragsteller lediglich ein Begehren geäußert. Daher sei die Jahresfrist noch nicht abgelaufen; ein Anspruch auf eine Barleistung bestehe mithin erst ab Februar 1994.
Wegen des weiteren Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen, die der Kammer bei der Beratung vorgelegen hat.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes erlassen, um wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gefahren zu verhindern oder wenn eine einstweilige Anordnung aus anderen Gründen notwendig erscheint. Mit der einstweiligen Anordnung darf grundsätzlich die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweggenommen werden (Redeker/v. Oertzen, Kommentar zu § 123 VwGO, Rdnr. 11, 10. Aufl.). In diesen Fällen ist nur dann eine einstweilige Anordnung zulässig, wenn sie zum Erreichen eines effektiven Rechtsschutzes notwendig ist, weil die zu erwartenden Nachteile unzumutbar sind und ein hoher Grad an Erfolgsaussichten in der Hauptsache besteht (Kopp, Kommentar zur § 123 VwGO, Rdnr. 13, 8. Aufl.).
Das Begehren der Antragsteller führt zu einer Vorwegnahme in der Hauptsache, weil sie in der Hauptsache jedenfalls auch nicht mehr erreichen können als durch diese einstweilige Anordnung. Die Barauszahlung von Hilfe zum Lebensunterhalt für den Monat Januar 1994 kann auch nicht mehr nachträglich rückgängig gemacht werden. In einem solchen Fall kann der Anspruch deshalb nur dann zuerkannt werden, wenn es für die Antragsteller schlechthin unzumutbar ist, das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Das bedeutet, die Bewilligung Geld- anstelle von Sachleistungen noch im Monat Januar 1994 muß für die Antragsteller besonders dringlich sein, außerdem müssen sie in der Hauptsache zumindest überwiegende Erfolgsaussichten haben.
Das ist hier der Fall. Denn kann ein Antragsteller einen Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfe glaubhaft machen, so ist der Erlaß einer Regelungsanordnung grundsätzlich besonders dringlich (vgl. Finkeinburg/Jank, vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 3. Aufl., Rdnr. 1067; s.a. Kopp, VwGO, § 123, Rdnr. 14, 6. Aufl.).
Wer einen vom Gesetz anerkannten Bedarf hat und sich in einer akuten Notlage befindet, ist zur Sicherung seiner wirtschaftlichen und sozialen Existenz auf alsbaldige Hilfe angewiesen. Auf das Hauptsacheverfahren, daß unter Umständen mehrere Jahre dauern kann, kann er nicht verwiesen werden, weil in diesem Falle wirksamer Rechtsschutz nicht mehr gewährleistet wäre (Finkelnburg/Jank, a.a.O.). Diese hier aufgestellten Grundsätze aus dem Sozialhilferecht gelten auch für das Asylbewerberleistungsrecht, weil Leistungen nach diesem Gesetz eine der Sozialhilfe entsprechende Funktion erfüllen.
Allerdings ist ausnahmsweise auch bei Glaubhaftmachung eines Anspruches eine unverzügliche Hilfe dann nicht erforderlich, wenn es im Einzelfall an einer besonderen Dringlichkeit fehlt. Dies ist der Fall, wenn es dem Antragsteller zuzumuten ist, den Bedarf vorläufig anderweitig zu decken (Finkelnburg/Jank, a.a.O., Rdnr. 1068).
Im vorliegenden Fall ist den Antragstellern jedoch nicht zuzumuten, ihren Bedarf vorläufig anderweitig - nämlich durch die gewährten Sachleistungen - zu decken.
Den Antragstellern würde in einem solchen Fall ihr Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verweigert. Denn eine Entscheidung in der Hauptsache käme auf jeden Fall zu spät. Bei einem Verweis auf die Hauptsache würde den Antragstellern damit jede Chance genommen, einen bestechenden Anspruch auf Zahlung von Barleistungen durchzusetzen. Denn eine rückwirkende Umstellung der Leistungen ist nicht möglich. Im übrigen setzt § 2 Nr. 1 Asylbewerberleistungsgesetz auch einen gegenüber § 3 des Gesetzes erhöhten Bedarf voraus, der durch die Sachleistung nicht abgedeckt ist.
Die Antragsteller dürften in der Hauptsache aller Voraussicht nach Erfolg haben.
Zwar neigt die Kammer der Auffassung der Antragsgegnerin zu, daß erst vom 05. Januar 1993 als Tag der Antragstellung auszugehen ist. Wenn auch die Äußerung des Asylbegehrens Ende Dezember 1992 bereits als Asylantrag im Sinne des § 14 AsylVfG anzusehen ist, dürfte die Antragstellung jedoch erst bei Eingang dieses Antrags bei der zuständigen Behörde, seinerzeit die Zentrale Ausländerbehörde in Braunschweig, erfolgt sein. Für diese Auslegung sprechen bereits verwaltungspraktische Gründe. Der Eingang des Asylantrages bei der zuständigen Behörde läßt sich in aller Regel exakt feststellen. Demgegenüber könnte es in vielen Fällen erheblicher Ermittlungen bedürfen, um genau festzustellen, wann ein Asylbewerber das erste Mal um die Gewährung von Asyl nachgesucht hat.
Letztendlich kann dies jedoch dahingestellt bleiben, weil auch bei einer Antragstellung erst am 05.01.1993 die Antragsteller bereits Anspruch auf Geldleistungen anstelle von Sachleistungen nach § 2 Satz 1 Nr. 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 30.06.1993 (BGBl. I, S. 1074) haben. Nach dieser Vorschrift ist abweichend von §§ 3-7 des Asylbewerberleistungsgesetzes das Bundessozialhilfegesetz auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, über deren Asylantrag 12 Monate nach der Antragstellung noch nicht unanfechtbar entschieden ist.
Für eine Auslegung dieser Vorschrift dahingehend, daß die Voraussetzungen des § 2 Nr. 1 Asylbewerberleistungsgesetz zum 1. eines Monats vorgelegen haben müssen, um für diesen Monat anstelle von Sach- Geldleistungen zu gewähren, gibt der Wortlaut des Gesetzes keinen Anhaltspunkt. Wenn das Gesetz auf einen Zeitraum von 12 Monaten nach Antragstellung abstellt, kann dies nach dem Wortlaut nur bedeuten, daß die 12-Monatsfrist im Falle der Antragsteller spätestens am 06.01.1993 begonnen hat und damit jedenfalls spätestens am 05.01.1994 ablief. Mithin lagen seit diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 2 Ziff. 1 Asylbewerberleistungsgesetz bei den Antragstellern vor.
Für eine analoge Anwendung des § 1 Abs. 3 Ziff. 1 und 2 Asylbewerberleistungsgesetz für die Festlegung des Endes der 12-Monatsfrist in § 2 Abs. 1 Ziff. 1 Asylbewerberleistungsgesetz ist kein Raum. Die Kammer verkennt nicht, daß eine Umstellung von Sach- auf Geldleistungen jeweils nur zum Beginn eines Monats eine erhebliche Ersparnis an Verwaltungsaufwand bedeutet. Denn regelmäßig dürfte die spitz berechnete Zuteilung von Sachleistungen und der entsprechende Anteil von Geldleistungen einen zeitlichen und personalen Aufwand erfordern. Die Kammer vermag jedoch keine Regelungslücke in § 2 Abs. 1 Ziff. 1 zu entdecken, die eine analoge Anwendung des § 1 Abs. 3 Ziff. 1 und 2 Asylbewerberleistungsgesetz rechtfertigen würde. Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Ziff. 1 ist eindeutig. Auch regelt § 1 Abs. 3 Ziff. 1 und 2 keine vergleichbaren Fallgestaltungen. Denn diese Vorschrift setzt voraus, daß die Leistungsberechtigung endet. Im Falle des § 2 Abs. 1 bleiben die Asylbewerber jedoch Leistungsberechtigte, es ändert sich lediglich der Charakter der Leistung.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154, 188 VwGO.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluß ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft.
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Kaiser
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