Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 27.02.2014, Az.: 2 B 15/14

Bluthochdruck; Hypertonie; Krankenhaus; Lungenembolie; Nieren; Polen; Zysten

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
27.02.2014
Aktenzeichen
2 B 15/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 42686
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (2 A 55/14) gegen einen Bescheid, mit dem die Antragsgegnerin die Durchführung eines Asylverfahrens abgelehnt und ihr die Abschiebung nach Polen angedroht hat.

Die Antragstellerin trägt vor, sie sei schwer krank und voraussichtlich nicht reisefähig. Sie leide an einer komplizierten Erkrankung und erhalte u.a. eine Marcumar-Dauertherapie bei weiteren komplizierten Diagnosen. Darüber hinaus bestehe ein ernsthafter Partnerschaftskonflikt.

Der nach § 34 a Abs. 2 AsylVfG zulässige Antrag hat keinen Erfolg. Es überwiegt das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung das Interesse der Antragstellerin, bis zu einer Entscheidung über ihre Klage vorerst im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen. Die durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge getroffene Anordnung einer Abschiebung der Antragstellerin nach Polen ist rechtmäßig.

Nach § 34a AsylVfG ordnet das Bundesamt u.a. die Abschiebung in den nach § 27a AsylVfG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.  Dabei ist nach § 27a AsylVfG ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Hier ist die Republik Polen zuständig. Dies folgt aus Art. 13 der hier noch anwendbaren VO (EG) Nr. 343/2003. Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung nicht bestimmen, welchem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags obliegt, so ist danach der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig. Die Antragstellerin  hat - belegt durch einen sog.  EURODAC-Treffer -, vor ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in Polen am 22. Juni 2013 einen Asylantrag gestellt. Damit ist die Republik Polen nach Art. 16 Abs. 1 Buchst. c  der VO (EG) Nr. 343/2003 des Rates (ABl. L, 50) verpflichtet, die Antragstellerin nach Maßgabe des Art. 20 der VO (EG) Nr. 343/2003 des Rates wieder aufzunehmen.

Die Zuständigkeit für das Asylverfahren ist nicht nach Art. 17 Abs. 1 Unterabsatz 2 der VO (EG) Nr. 343/2003 auf die Antragsgegnerin übergegangen. Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der Frist von drei Monaten unterbreitet, so ist danach der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Asylantrag gestellt wurde. Diese Vorschrift ist, was bereits der Wortlaut zeigt, nur auf Antragsteller anwendbar, die noch keinen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt haben, d.h. auf Asylbewerber im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Buchst. a der VO (EG) Nr. 343/2003. Hingegen ist das Gesuch um Wiederaufnahme nach Art. 20 Abs. 1 i.V. mit Art. 16 Abs. 1 Buchst. c der VO (EG) 343/2003 nicht fristgebunden (so auch z.B. VG Göttingen, Beschl. v. 11.10.2013 - 2 B 806/13 -, juris; VG Regensburg, Beschl. v. 5.7.2013 - RN 5 S 13.30273 -, juris).

Die Antragsgegnerin hat weiter nicht bereits von dem sog. Recht zum Selbsteintritt Gebrauch gemacht, das sich aus Art. 3 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 343/2003 ergibt. Danach kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird hierdurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung. Dabei steht es grundsätzlich in dem Ermessen des jeweiligen Mitgliedstaates, ob er in das Asylverfahren im Sinne der genannten Vorschrift eintritt (EuGH, Urt. v. 21.12.2011, C- 411/10 -, juris).

Eine bloß routinemäßige Anhörung des Asylbewerbers zu den Gründen der Verfolgungsfurcht für sich genommen bringt regelmäßig nicht hinreichend zum Ausdruck, die Antragsgegnerin habe sich entschlossen, von ihrem Recht Gebrauch zu machen, das Asylverfahren abweichend vom Regelfall in seiner "Gesamtheit" in eigener Verantwortung durchzuführen. Vielmehr dient die Anhörung gerade auch dem Ziel, Angaben über Reisewege und Aufenthalte in anderen Staaten sowie darüber zu erhalten, ob bereits in anderen Staaten ein Verfahren mit dem Ziel der Anerkennung als ausländischer Flüchtling oder ein Asylverfahren eingeleitet oder durchgeführt ist und soll gerade auch eine Grundlage für eine Entscheidung nach § 27 a AsylVfG sein (vgl. VG des Saarlandes, Urt. v. 24.09.2008 - 2 K 94/08 - juris).

Die Antragstellerin kann zuletzt nicht verlangen, dass die Antragsgegnerin von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht.

Es gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - und der Europäischen Menschenrechtskonvention - EMRK - steht. Diese Vermutung kann allerdings widerlegt werden. Es obliegt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs den nationalen Gerichten, einen Asylbewerber nicht an den nach der VO (EG) Nr. 343/2003 zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden Der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ist in einem solchen Fall verpflichtet, den Asylantrag selbst zu prüfen, sofern nicht ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann (EuGH, Urt. v. 21.12.2011, C-411/10 u. a., NVwZ 2012, 417, 419 ff. [EuGH 21.12.2011 - Rs. C-411/10; C-493/10]).

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Derartige systemische Mängeln in dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber können in der Republik Polen nicht festgestellt werden. Dies entspricht der dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin bekannten ständigen Rechtsprechung der Kammer wie auch der fast einhelligen Rechtsprechung der bundesdeutschen Verwaltungsgerichte. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen und die umfangreichen Zitate im angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. Februar 2014 Bezug genommen.

Aus der persönlichen Situation der Antragstellerin ergibt sich ebenfalls keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die dies notwendig machten, sind nicht gegeben. Nach einem ersten Entlassungsbrief des Akademischen Lehrkrankenhauses der MHH vom 18. August 2013 wurde sie dort vom 2. bis zum 18. August 2013 stationär behandelt; es wurde per sectio eine Frühgeburt in der 33/5 Schwangerschaftswoche vorgenommen. Ihr Sohn C., geboren am D. 2013, wurde in der Kinderklinik versorgt, musste nach der Geburt kurz beatmet werden und konnte dann nach gutem Trinkverhalten und guter Gewichtszunahme ebenfalls entlassen werden. Nach weiteren Entlassungsbriefen  des Akademischen Lehrkrankenhauses der MHH vom 29. August 2013 und 11. November 2013, litt sie im August 2013 (stationäre Aufnahme vom 23. bis 29. August 2013 ) zunächst unter Dyspnoe (Atemnot) wegen Schimmels in der Wohnung nach einer erlittenen Lungenembolie, wegen der sie mit Marcumar therapiert wird, um dann im November wegen eingebluteter Nierenzyste links, Marcumarüberdosierung und Harnwegsinfekt behandelt zu werden. Der Bericht schlägt als Behandlung lediglich sonografische Kontrollen der Nierenzysten im Verlauf vor; als Medikation ist eine Behandlung mit Ramipril (=ACE-Hemmer), Dreisafertabl. (=EisenII u. Ascorbinsäure), Ciprofloxacin (Antibiotikum), Kalinor Bt  (Kalium) und Marcumar vorgesehen.

Am 13. Februar 2014 wurde sie erneut vom Krankenhaus ambulant behandelt; diagnostiziert wurde eine hypertensive Entgleisung mit linksthoralen Schmerzen, psychischer Ausnahmezustand sowie eine Ausschluss einer Lungenarterienembolie und einer myokardialen Ischämie. Als Therapie wird die ambulante hausärztliche Vorstellung, eine ambulante Laborkontrolle der Elektrolyte und Gerinnung und eine erneute Einstellung auf Marcumar empfohlen.

Nach Einschätzung des Gerichts liegen damit bei der Antragstellerin zwar eine Reihe schwerwiegender Erkrankungen vor , die Antragstellerin leidet hauptsächlich an einer chronischen polyzystischen Nierenerkrankung sowie den Folgeerkrankungen nach einer Lungenarterienembolie, die sie „ein paar Wochen“  vor ihrer Aufnahme im August 2013 erlitten hatte.  Diese zweifellos schwerwiegenden Erkrankungen werden aber – nach dem letzten vorgelegten Bericht von November 2013 – nach ihrer Krankenhausentlassung nur noch mit den o.g. Medikamenten behandelt; auch die erneute Untersuchung im Februar 2014 ergab vor allem einen entgleisten Bluthochdruck und die Erforderlichkeit einer erneuten Einstellung der Marcumar-Dosierung. Das Krankenhaus hat jedoch in Kenntnis („heute hat die Familie die Information erhalten, dass sie nach Polen abgeschoben werden soll. Der Ehemann möchte das Gerne, die Patientin möchte in Deutschland bleiben.“) keinerlei Stellungnahme zu eventuellen Reisehindernissen abgegeben und auch keine erneute stationäre Aufnahme angeordnet. Bei dieser Sachlage vermag das Gericht weder außergewöhnliche humanitäre Gründe noch Reiseunfähigkeit der Antragstellerin festzustellen. Vielmehr leidet die Antragstellerin an einer Reihe verbreiteter innerer Erkrankungen, deren Behandlung auch in Polen zum medizinischen Alltag gehört und dort entweder ambulant durch einen Arzt der Aufnahmeeinrichtung oder im Zentralen Krankenhaus des Innen- und Verwaltungsministeriums erfolgen kann.

Im Übrigen verbleibt der für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde zu prüfen, ob bei der Abschiebung eine ärztliche Begleitung erforderlich ist und eine Weiterbehandlung in Polen bereits veranlasst werden kann.

Das Gericht sieht sich auch nicht gehalten, ein Sachverständigengutachten über die Reisefähigkeit der Antragstellerin  einzuholen. Im Hinblick auf die Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes und die Notwendigkeit einer raschen Entscheidung ergeben sich Einschränkungen an die Sachverhaltsermittlungen; die Entscheidung ergeht aufgrund der von den Beteiligten vorgelegten oder sonst sofort oder doch im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit der Entscheidung in angemessener Zeit verfügbaren Beweismittel von glaubhaft gemachte Tatsachen (vgl. Kopp/Schenke, Komm zur VwGO, 19. Aufl. 2013, § 80 Rn. 125). Dabei obliegt es grundsätzlich der Antragstellerin, ärztliche Atteste über ihre Erkrankungen beizubringen. Hier hat die Antragstellerin insgesamt vier Berichte des Akademischen Lehrkrankenhauses E. vorgelegt, aus denen sich die Diagnose und Entwicklung ihrer Erkrankungen ergibt und deren fachliche Richtigkeit nicht in Zweifel steht. Der jüngste und damit wichtigste Bericht von Februar 2014 äußert sich in Kenntnis der drohenden Abschiebung nach Polen nicht ausdrücklich zur Reisefähigkeit; daraus wie auch aus dem Gesamtbild des Krankheitsverlaufes und der vorgeschlagenen ambulanten Behandlung ist insgesamt zu entnehmen, dass aktuell kein Reisehindernis mehr besteht, ohne dass es der Einholung eines weiteren Gutachtens durch das Gericht bedürfte. Auch der Umstand, dass der Ausgang des Verfahrens von erheblicher Grundrechtsrelevanz für die Antragstellerin ist und sich das Gericht angesichts dieser Bedeutung nicht mit einer summarischen Prüfung begnügen darf, ändert nichts an der prozessualen Obliegenheit der Antragstellerin, über die in ihrer Sphäre liegenden Fragen ihres gesundheitlichen Zustandes selbst dem Gericht ärztliche Bescheinigungen vorzulegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist nach §§ 166 VwGO, 114 ZPO mangels hinreichender Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung abzulehnen.

Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.