Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 17.10.1975, Az.: 6 U 215/74

Schadensersatzanspruch bei Eindringen eines brünstigen Rinds in die Bullenweide eines anderen Landwirts und dadurch bedingtem Beinbruch eines das Rind besteigenden Bullen; Schadensersatzanspruch bei wiederholtem Eindringen eines brünstigen Rinds in die Bullenweide eines anderen Landwirts und dadurch aufregungsbedingter verringerter Gewichtszunahme der Bullen; Verwirklichung einer eigentlichen Tiergefahr i.R.v. § 833 BGB bei Eindringen eines brünstigen Rinds in eine von zehn Bullen besetze Nachbarweide

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
17.10.1975
Aktenzeichen
6 U 215/74
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1975, 15671
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1975:1017.6U215.74.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 16.10.1974 - AZ: 4 O 77/74 LG

Fundstellen

  • NJW 1976, 1270 (amtl. Leitsatz mit Anm.)
  • NJW 1976, 573 (Volltext mit amtl. LS)

In dem Rechtsstreit
...
hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts in Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 3. Oktober 1975
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht xxx und
der Richter am Oberlandesgericht xxx und xxx
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 16. Oktober 1974 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg geändert und neu gefaßt:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.800.- DM nebst 12% Zinsen seit dem 16. Januar 1974 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer beträgt 2.800.-- DM

Tatbestand

1

Die Parteien sind Landwirte. Der Kläger betreibt seit Jahren die Bullenmast in der Weise, daß er von ihm aufgezogene oder gekaufte Tiere im Frühjahr auf die Weide treibt und im Herbst verkauft. Im Frühjahr 1973 hatte er insgesamt 32 Mastbullen auf seine in xxx belegenen Weiden ausgetrieben. Davon brachte er zehn Tiere auf die mit einem Elektrozaun eingefriedigte Parzelle 163/106 und weitere Tiere auf die benachbarten Parzellen 167/118 und 111. Wegen der Lage der Parzellen wird auf die Skizzen Bl. 29 und 56 d.A. verwiesen.

2

Die Parzelle 163/106 grenzt, durch einen ca. 2 m breiten Graben getrennt, an eine nicht eingezäunte Weide des Beklagten. Auf diese Weide hatte der Beklagte im Sommer 1973 1 1/2 jährige Rinder getrieben.

3

Am 30. Juli 1973 übersprang ein Rind den Graben, kroch unter dem Elektrozaun hindurch auf die benachbarte Bullenweide und wurde dort von den Tieren des Klägers besprungen. Dieses Rind und andere waren - wie dem Beklagten bekannt war - bereits dreimal zuvor im Mai und Juni 1973 auf dem gleichen Wege in die Bullenweide eingedrungen.

4

Der Kläger hat ausgeführt:

5

Bei dem Vorfall am 30. Juli 1973 habe sich einer seiner in der Weide Nr. 163/106 und 164/107 (Bullenweide 1) grasenden 10 Bullen beim Bespringen des Rindes das rechte Hinterbein gebrochen und deswegen notgeschlachtet werden müssen. Die übrigen Bullen seien während der gesamten Weidesaison unruhig gewesen und hätten dadurch nicht die erwartete Gewichtszunahme erzielt. Die Unruhe habe sich auf die Bullen der benachbarten Weiden Nr. 167/118 und 117 (Bullenweide Nr. 2), auf der 12 Bullen geweidet hätten, und auf die Weide. Nr. 111 und 114 1 (Weide Nr. 3), auf der 15 Bullen geweidet hätten, übertragen und so ausgewirkt, daß die Tiere, anstatt ruhig und friedlich zu grasen, immer wieder aufgeregt von einer Seite der Weide zur anderen entlang der Rinderweide gerannt seien, weil dort die Rinder des Beklagten fast täglich "gebullt" hätten" Er beanspruche Ersatz für den notgeschlachteten Bullen und für die eingetretenen Gewichtsverluste.

6

Hinsichtlich der Höhe des Schadens hat der Kläger vorgetragen:

7

Sein Schaden betrage, wie aus dem von ihm eingereichten Gutachten des landwirtschaftlichen Oberrates a.D. xxx vom 7. August 1973 zu ersehen sei, insgesamt 5.598,44 DM. Der notgeschlachtete Bulle habe ein Einkaufsgewicht von 444 kg gehabt. Die Gewichtszunahme während einer Weideperiode hätte 215 kg betragen, so daß sein Endgewicht 659 kg betragen hätte. Das ergebe bei einer Marktnotierung von 3,60 DM je kg einen Gesamtbetrag von 2.372,40 DM. Davon sei der Schlachterlös von 1.578,96 DM abzusetzen, so daß ein Schaden von 793,44 DM verbleibe. Die durch die Rinder des Beklagten beunruhigten Bullen hätten im Durchschnitt einen Gewichtsverlust von 25 kg je Tier gehabt, so daß ein weiterer Schaden von 2.790,- DM zu Grunde zu legen sei. Schließlich bedeute ein Mindergewicht von 25 kg bei einem Schlachttier eine Qualitätsminderung von mindestens 0,10 DM je kg. Daher errechne sich ein weiterer Schaden von 2.015,- DM.

8

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 5.598,44 DM nebst 12% Zinsen seit dem 16. Januar 1974 zu zahlen.

9

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Er hat ausgeführt:

11

Der Kläger sei für den angeblich eingetretenen Schaden selbst verantwortlich. Er sei nicht befugt gewesen, die Bullen auf den Weiden frei herumlaufen zu lassen. Die dazu erforderliche behördliche Ausnahmegenehmigung sei ihm nicht erteilt worden. Außerdem sei der untere Draht des die Weide des Klägers umgebenden Elektrozaunes an der Stelle, an der die Rinder durchgekrochen seien, 70 bis 80 cm hoch gewesen, während eine Höhe von 50 cm vorgeschrieben sei. Die Weide des Beklagten habe nicht eingezäunt zu werden brauchen, weil das nicht ortsüblich sei. Der Kläger könne allenfalls - wenn der Ursachenzusammenhang feststehe - für den notgeschlachteten Bullen Ersatz in Höhe von 620,- DM beanspruchen, wie sich aus den von dem Beklagten eingereichten beiden vorprozessualen Privatgutachten des Oberveterinärrats xxx vom 24. September und 10. Dezember 1973 ergebe.

12

Das Landgericht Oldenburg hat die Klage durch das am 16. Oktober 1974 verkündete Urteil abgewiesen. Es hat ausgeführt:

13

Der Beklagte sei für den entstandenen Schaden nicht verantwortlich, da er seine Aufsichtspflicht nicht verletzt habe (§ 823 Abs. 1 BGB). Es sei ihm nicht zumutbar gewesen, sein Weide mit einem eigenen Zaun einzufriedigen. Außerdem sei es zweifelhaft, ob die vom Kläger behaupteten Schäden die adäquate Folge einer von dem Beklagten zu vertretenden Aufsichtsverletzung seien.

14

Der Kläger hat gegen das Urteil, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, frist- und formgerecht Berufung eingelegt.

15

Er führt aus:

16

Er beanspruche mit der Berufung - lediglich um das Prozeßrisiko zu verringern - nur noch die Hälfte seines mit der Klage geltend gemachten Schadens. Seine Schadensberechnung beziehe sich nur noch auf Tiere in den Bullenweiden Nr. 1 und 2. Die Höhe des Schadens ergebe sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Gast vom 30. Juni 1975, so daß sein Gesamtschaden selbst bei ungünstiger Berechnung noch wesentlich über dem mit der Berufung geltend gemachten Betrage liege.

17

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und den Beklagten - bei Abweisung der Klage im übrigen - zu verurteilen, an den Kläger 2.800,- DM nebst 12% Zinsen seit dem 16. Januar 1974 zu zahlen.

18

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

19

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze verwiesene Der Senat hat Beweis erhoben aufgrund des Beweisbeschlusses vom 11. April 1975 (Bl. 115 d.A.). Auf seinen Inhalt sowie das Ergebnis der Beweisaufnahme zu gerichtlicher Niederschrift vom 2. Juni 1975 (Bl. 120 ff d.A.) und das Gutachten des vereidigten Sachverständigen Friedrich Gast vom 30. Juni 1975 (Bl. 139 ff d.A.) wird verwiesen.

Entscheidungsgründe

20

Die Berufung ist begründet.

21

Der Beklagte ist dem Kläger nach § 823 Abs. 1 BGB und § 833 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, weil seine Rinder wiederholt in die Bullenweide des Klägers eingedrungen sind und dadurch Schäden in der in der Berufungsinstanz geltend gemachten Höhe verursacht haben.

22

Nach durchgeführter Beweisaufnahme ist bewiesen, daß sich am 30. Juli 1973 ein Tier des Klägers mit der Ohrmarke Nr. 930 im Zusammenhang mit dem Eindringen eines Rindes des Beklagten in die Bullenweide Nr. 1 des Klägers ein Bein gebrochen hat. Das ergibt sich insbesondere aus den Aussagen der Zeugen xxx und xxx.

23

Der Landwirt xxx hat ausgesagt, er habe am Morgen des 30. Juli 1973 aus einer Entfernung von ca. 100 m gesehen, daß ein fremdes Rind in die Bullenweide Nr. 1 eingedrungen sei und daß die Bullen hinter dem Tier hergelaufen seien, um es zu bespringen. Er habe dann dem Kläger und dessen Ehefrau geholfen das Rind wieder aus der Weide herauszutreiben. Anschließend habe ein Bulle, der das Rind zuvor noch besprungen gehabt habe, auf der Weide gelegen. Er habe dieses Tier dann mit einem Anhänger zu einem Schlachter gebracht. Die Ehefrau des Klägers hat das bestätigt. Ferner hat der Kläger eine Abrechnung der Großschlachterei Lins vom 31. Juli 1973 vorgelegt, in der bescheinigt wird, daß der Kläger dort einen Bullen mit der Ohrmarke Nr. 930 eingeliefert und daß das Tier einen Knochenbruch in der Keule aufgewiesen habe. Unter diesen Umständen kann kein Zweifel daran bestehen, daß sich das Tier des Klägers am 30. Juli 1973 die Verletzungen im Zusammenhang mit dem Gedränge und der Unruhe zugezogen hat, die dadurch entstanden waren, daß die Bullen des Klägers das eingedrungene Rind des Beklagten bespringen wollten. Der Beklagte hatte das im übrigen in der Vorkorrespondenz auch nicht bestritten. Daß aber die Verletzung eines Bullen - und zwar auch eine Schädigung der hier vorliegenden Art - nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit lag, ist offensichtlich, wenn berücksichtigt wird, welche Unruhe und welches in anderem Zusammenhang noch näher zu schilderndes Gedränge unter den Bullen auf der Bullenweide des Klägers jeweils entstand, nachdem ein brünstiges Rind des Beklagten in die Weide eingedrungen war. Der Schaden ist daher adäquat auf das Verhalten des Rindes des Beklagten zurückzuführen und daher dem Beklagten als Halter dieses Tieres zuzurechnen.

24

Es ist ferner bewiesen, daß die Tiere des Klägers in den Bullenweiden Nr. 1 und 2 dadurch, daß wiederholt ein Rind des Beklagten in die Bullenweide Nr. 1 eingedrungen ist, erhebliche Gewichtsverluste davongetragen haben. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß vor dem 30. Juli 1973 zumindest dreimal ein Rind des Beklagten in die Weide des Klägers eingedrungen war, und zwar am 17. Mai 1973 und zweimal im Juni 1973. Das ergibt sich auch aus der Aussage der Zeugin xxx. Diese Zeugin hat ferner glaubhaft bekundet, daß ein Rind des Beklagten außer am 30. Juli 1973 ein weiteres Mal am 6. September 1973 in die Weide eingedrungen sei. - Aus alledem folgt, daß die Bullen während der Weideperiode zumindest 5 mal durch ein Tier des Beklagten beunruhigt worden sind. Wie sich das Eindringen eines weiblichen Tieres in die Bullenweide des Klägers auf das Verhaltender Bullen ausgewirkt hat, ist insbesondere von den Zeugen xxx und xxx geschildert worden.

25

Der Zeuge xxx hat nach seiner überzeugenden Aussage im Jahre 1973 einmal einen solchen Vorfall beobachtet. Er hat dem Sinne nach erklärt, was sich damals abgespielt habe, sei nicht zu, beschreiben. Man müsse es gesehen haben. Es sei eine dauernde Jagd gewesen. Die Bullen liefen im schnellen Tempo hinter dem Rind her, und wenn sie es dann eingekreist hätten, gebe es einen großen Knäuel, weil jeder Bulle das Tier bespringen wolle. Wenn das Tier dann wieder Luft habe, gehe die Jagd weiter. Zwar sei die Bullenjagd sofort vorbei, wenn das fremde Tier aus der Weide herausgetrieben sei. Es trete dann jedoch noch nicht sofort wieder Ruhe ein. Vielmehr blieben die Bullen in sich unruhig. Sie stießen sich wohl auch noch etwas untereinander, aber vor allen Dingen wanderten sie am Zaun entlang. Das sei kein Laufen, sondern ein Hin- und Hergehen statt zu fressen. Das sehe kein Laie, sondern nur ein Fachmann. Einen solchen Zustand habe er 1973 zwei- bis dreimal in Bezug auf die Bullen des Klägers wahrgenommen. Die Unruhe der Bullen habe hauptsächlich in der Weide Nr. 1 bestanden. Sie habe sich aber auch auf die Bullenweide Nr. 2 übertragen, jedoch sei es dort abgeschwächter gewesen. Der Landwirt xxx der im Jahre 1973 einmal mit dem Zeugen xxx das Verhalten der Bullen des Klägers nach dem Eindringen eines Rindes des Beklagten beobachtet hat, hat die Aussage des Zeugen xxx bestätigt. In gleicher Weise hat die Ehefrau des Klägers das Verhalten der Bullen geschildert. Sie hat weiter überzeugend erklärt, daß sich der von den Zeugen xxx und xxx geschilderte Vorgang jedesmal zugetragen habe, wenn ein Rind des Beklagten in die Weide des Klägers eingedrungen sei. Die Bullen hätten sich gegenseitig gestoßen, seien auf das Rind gesprungen und dann durch die Weide hin- und hergetrieben. Sie seien dann wohl wieder eine Zeitlang ruhig gewesen, aber dann sei das wieder von vorne angefangen. Diese Unruhe habe sich auch auf die Nachbarweide übertragen. Dort hätten die Bullen auch mit dem Wandern begonnen. Der Kläger und sie hätten jedesmal viel Mühe gehabt, das eingedrungene Rind wieder von den Bullen zu trennen. So sei es ihnen in einem Falle erst nach ca. 2 bis 3 Stunden gelungen, das Rind wieder aus der Weide herauszutreiben. Die Bullen seien während der ganzen Weideperiode 1973 unruhig geblieben. - Der bereits erwähnte Landwirt xxx hat hinsichtlich des Vorfalles vom 30. Juli 1973 ausgesagt, er habe ca 1. Stunde lang beobachtet, wie die Bullen hinter dem Rind des Beklagten hergalaufen seien. Anschließend habe er dann geholfen, das Rind herauszutreiben. Auch am Nachmittag dieses Tages seien die Bullen unruhig gewesen. Sein Hof liege 400 bis 500 m von der Bullenweide des Klägers entfernt. Er sei im Jahre 1973 wiederholt aufgewacht, weil die Tiere auf der Weide des Klägers laut brüllten. Auch der Zeuge xxx der 50 m von der Bullenweide des Klägers entfernt wohnt, hat erklärt, daß die Tiere des Klägers in der Weide seit 1973 besonders unruhig gewesen seien. Auch er sei des öfteren nachts durch das Brüllen der Tiere aufgewacht. Als er den Kläger einmal gefragt habe, was mit den Tieren los sei, habe er geantwortet, es müsse wohl ein fremdes Rind in der Weide gewesen sein.

26

Nach alledem bestehen keine Bedenken gegen die Annahme, daß die Tiere des Klägers in der Weidezeit 1973, nachdem ab Mai 1973 wiederholt ein Rind des Beklagten in die Weide eingedrungen war, durch das Eindringen in Unruhe geraten und in der Folgezeit auch unruhig geblieben sind. Wenn demgegenüber der Zeuge xxx ausgesagt hat, daß er und der Beklagte eines Tages im Juli 1973 an Ort und Stelle keine Unruhe unter den Tieren festgestellt hätten, obgleich ihnen der Kläger etwa zwei bis zweieinhalb Stunden vorher erklärt gehabt habe, daß sich ein Rind in seiner Weide befände, so können dadurch die Angaben, insbesondere der Zeugen xxx und xxx nicht erschüttert werden, zumal nicht ausgeschlossen ist, daß in dem Zeitpunkt, in dem sich der Zeuge bei der Weide aufgehalten hat, gerade eine Ruhezeit herrschte. Denn daß zwischendurch auch Ruhe eintrat, haben die Zeugen xxx und glaubhaft bekundet.

27

Der Beklagte ist für die durch seine Rinder verursachten Folgen verantwortlich (§ 833 Abs. 1 Satz 1 BGB und § 823 Abs. 1 BGB). Allerdings kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Haftung nach§ 833 BGB nur in Betracht, wenn die Schädigung durch die eigentliche Tiergefahr verursacht worden ist, d.h. durch ein der tierischen Natur entsprechendes selbsttätiges willkürliches Verhalten eines Tieres (vgl. BGH VersR 66, 1074 NJW 71, 509). Im Gegensatz dazu soll das natürliche Verhalten des Tieres stehen. Daher soll z.B. der Deckakt nicht unter § 833 BGB fallen, weil das Tier dann ganz unter dem psychologischen Zwang des Geschlechtstriebes stehe und es sich dann nicht willkürlich, sondern seiner natürlichen Veranlagung entsprechend verhalte und ihm kein anderes Verhalten möglich sei (vgl. OLG Nürnberg, Vers.R 1970, 1059 m.w.B.). Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob diese Unterscheidung aufrechterhalten werden kann und ob nicht vielmehr davon auszugehen ist, daß ein Tier gar nicht willkürlich oder natürlich (vernünftig) handelt, sondern instinktiv entsprechend seiner jeweiligen Triebkonstellation (vgl. dazu OLG Köln JZ 72, 408 sowie die Anmerkung zu dieser Entscheidung von Stötter a.a.O.). Denn im vorliegenden Falle ist der Schaden, soweit es sich um den Beinbruch handelt, nicht durch einen normalen Deckakt entstanden, sondern dadurch, daß ein brünstiges Rind des Beklagten in die von 10 Bullen besetzte Weide eingedrungen war und die Bullen hinter dem Tier herjagten und sich beim Bespringen des Tieres gegenseitig in Bedrängnis brachten. Wenn aber ein Tier brünstig ist, so neigt es gerade in diesem Zustand zu einer tierischen Aktivität, d.h. zu einem willkürlichen Verhalten. Es ist unberechenbar und oft nur schwer in einer Einfriedigung zu halten. Daher tritt gerade in einem solchen Fall die eigentliche Tiergefahr besonders in Erscheinung. Dementsprechend hat das Oberlandesgericht Oldenburg eine Schadensersatzpflicht nach § 833 BGB in einem Falle bejaht, bei dem ein Bulle eine Kuh verletzt hatte, als er beim Deckakt von der Seite auf das Tier sprang (vgl. OLG Oldenburg in RdL 1963, 20). Dabei wurde darauf abgestellt, daß die Verletzung nicht beim Deckakt selbst, sondern dadurch entstanden war, daß der Bulle das Tier vorher in gefahrbringender Weide von der Seite besprungen hatte. Das dem Beklagten zuzurechnende gefahrbringende Verhalten seines Rindes bestand im vorliegenden Falle darin, daß dieses Tier überhaupt in eine Weide eingebrochen war, auf der sich 10 Bullen befanden.

28

Der Beklagte haftet aber nicht nur für den durch den Beinbruch entstandenen Schaden, sondern auch für den Schaden, den der Kläger an den Mastbullen durch Gewichtsverluste erlitten hat. Auch insoweit liegen die Toraussetzungen des § 833 BGB vor, weil auch hier das wiederholte Eindringen eines Tieres des Beklagten in die Bullenweide die Ursache für den schlechten Masterfolg des Klägers war.

29

Eine Haftung des Beklagten nach § 833 Abs. 1 Satz 1 BGB entfällt nur, wenn er nachweist, daß er bei der Beaufsichtigung seiner Rinder die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat (§ 833 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Voraussetzung liegt nicht vor. Vielmehr ist es unstreitig, daß vor dem 30. Juli 1973 zumindest dreimal ein Rind in die Weide des Klägers eingebrochen war. Schon das erste Ausbrechen seines Rindes hätte dem Beklagten Anlaß geben müssen, seine Weide einzufriedigen, wie er das dann auch im September 1973 unstreitig getan hat. Der Beklagte kann sich demgegenüber nicht darauf berufen, daß es ortsüblich sei, daß Rinderweiden nicht eingefriedigt würden. Denn nach § 833 Abs. 1 Satz 2 BGB kommt es nicht auf die Übung an, sondern auf die im Verkehr erforderliche Sorgfalt. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob es üblich ist, daß in der Nordenhamer Gegend Rinderweiden nicht eingefriedigt werden. Wenn sich nämlich zeigt, daß diese Übung im Einzelfalle zu einer Schädigung von Nachbarn führt oder führen kann, so verlangt es die Beobachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, daß derjenige, von dem die Gefahr ausgeht, die Entstehung eines Schadens verhindert.

30

Der Beklagte kann sich nach alledem nicht entlasten. Er hat im Gegenteil schuldhaft gehandelt, so daß auch die Voraussetzungen des§ 823 Abs. 1 BGB vorliegen. Der Beklagte hat nicht bewiesen, daß den Kläger ein Mitverschulden an dem erlittenen Schaden trifft (§ 254 BGB). Er hat zwar mit Schriftsatz vom 20. September 1974 vorgebracht, daß die Weide des Klägers nicht ordnungsgemäß eingefriedigt gewesen sei; vielmehr habe ein Draht an einer Stelle des Grabens eine Höhe von 70 bis 80 cm statt 50 cm gehabt, und an dieser Stelle seien die Rinder durchgelaufen. Dem steht jedoch entgegen, daß der Beklagte das Vorbringen des Klägers, daß die Weide vorschriftsmässig mit einem Elektrozaun entlang dem Trenngraben zu der dem Beklagten gehörenden Nachbarparzelle eingezäunt worden sei, mit Schriftsatz vom 18. März 1974 zunächst ausdrücklich zugestanden hatte. Darin lag ein Geständnis dahin, daß der unstreitig mit zwei elektrischen Stacheldrähten gesicherte Zaun an keiner Stelle den Vorschriften, die sich aus dem vorgelegten Merkblatt (Bl. 62 d.A.) ergeben, nicht entsprach. Demgegenüber hat der Beklagte nicht nachgewiesen, daß die Voraussetzungen für einen Widerruf des Geständnisses vorliegen (§ 290 ZPO).

31

Dem Kläger ist zumindest ein Schaden in Höhe des in der Berufungsinstanz noch geltend gemachten Betrages von 2.800,- DM entstanden. Der Sachverständige xxx hat hinsichtlich des Gewichtsverlustes der Tiere ausgeführt, aus den Unterlagen des Klägers ergebe sich, daß der Kläger in den Jahren vor und nach 1973 während einer Weideperiode im Durchschnitt eine Gewichtszunahme von je 200 kg je Tier erzielt habe. Eine solche Gewichtszunahme sei in gut geführten Betrieben ohne weiteres möglich. Bei Zugrundelegung dieser Gewichtszunahme ergebe sich bei dem verunglückten Bullen folgende Rechnung: Nach den vorliegenden unterlagen habe der Bulle beim Weideauftrieb ein Gewicht von 444 kg gehabt. Beim Abtrieb hätte er 644 kg auf die Waage bringen müssen. Der Verkaufspreis je kg Lebendgewicht habe im Herbst 1973 3,60 DM betragen. Daher hätte der Kläger im Herbst 1973 bei einem normalen Weideablauf 2.318,40 DM erzielt. Da er durch die Notschlachtung nur einen Betrag von 1.578,96 DM bekommen habe, verbleibe ein Schaden von 739,44 DM. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen des Sachverständigen an. Somit ist der von dem Kläger in erster Linie geltend gemachte Schaden von 793,44 DM zum größten Teil begründet. Die Differenz zwischen 793,44 DM und dem Betrag von 739,44 DM ergibt sich daraus, daß der Sachverständige xxx in seinem vom Kläger vorgelegten Gutachten vom 7. August 1973 eine Gewichtszunahme von 215 kg zugrundegelegt hat.

32

Der Senat ist aber auch davon Überzeugt, daß die Mastbullen des Klägers infolge der von den eingedrungenen Rindern des Beklagten verursachten Beunruhigungen keine normale Gewichtszunahme gehabt haben. Vielmehr sind erhebliche Gewichtverluste eingetreten. Der Sachverständige xxx hat hinsichtlich der Bullenmast ausgeführt: Wenn eine Weidemast erfolgversprechend sein solle, müsse jede Beunruhigung der Tiere durch äußere Einwirkungen vermieden werden. Der Tagesablauf der Mastbullen müsse in etwa so aussehen, daß sie ein Drittel des Tages Freßzeit und zwei Drittel des Tages Ruhezeit hätten. - Daß diese Ruhezeit aber während der Weideperiode 1973 nicht mehr bestand, ergibt sich insbesondere aus den Aussagen der Zeugen xxx xxx xxx und xxx. Die Unruhe herrschte aber nicht nur bei den 10 Bullen auf der Nachbarweide des Beklagten, sondern sie übertrug sich auch auf die Bullen der Weide Nr. 2, wie aus den Aussagen insbesondere der Zeugen xxx und xxx folg. Tatsächlich wiesen die Tiere der Weide Nr. 1 und auch die der Weide Nr. 2 in Jahre 1973 im Verhältnis zu früheren und späteren Jahren erhebliche Gewichtsverluste auf. Denn der Kläger hat bei seinen Bullen im Jahre 1973 die in den vorhergehenden und späteren Jahren übliche Gewichtszunahme von etwa 200 kg je Tier nicht erzielt. Vielmehr hat er im Jahre 1973, wie der Sachverständige Gast aufgrund der Unterlagen des Klägers festgestellt hat, bei den Bullen der Weide Nr. 1 Gewichtsverluste von ca 30 kg je Tier und der Weide Nr. 2 von ca. 25 kg je Tier gehabt. Daraus errechnet sich bei den restlichen 9 Bullen der Weide Nr. 1 ein Verlust von 270 kg und bei den 12 Bullen der Weide Nr. 2 ein solcher von insgesamt 300 kg, so daß sich bei dem von dem Sachverständigen Gast angeführten und vom Beklagten nicht bestrittenen Preis von 3,60 DM je kg ein Schaden von 972 DM und 1.080 DM errechnet. Der Sachverständige xxx hat ferner aufgrund der Unterlagen des Klägers festgestellt, daß die Bullen der Weide Nr. 1 wegen der geringeren Gewichtszunahme eine schlechtere Qualität gehabt hätten, so daß ein Mindererlös von 0,10 DM je kg Schlachtgewicht gezahlt worden sei. Das Schlachtgewicht hat der Sachverständige anhand der Unterlagen des Klägers mit 5.768,- kg errechnet. Er ist dadurch zu einem weiteren Schaden von 576,80 DM gekommen.

33

Es kann dahingestellt bleiben, ob die von dem Sachverständigen angeführten Beträge in vollem Umfange zugrundegelegt werden können und ob und in welcher Höhe dem Kläger auch Schäden wegen vorzeitigen Weideabtriebs entstanden sind. Denn der Senat ist aufgrund der gesamten Umstände der Überzeugung, daß dem Kläger unter Berücksichtigung auch des Schadens, den er wegen des Bieres mit der Ohrmarke Nr. 930 erlitten hat, zumindest ein Gesamtschaden von 2.800,- DM entstanden ist (§ 287 ZPO).

34

Dem Antrage des Beklagten, den Sachverständigen xxx zu seinem Gutachten mündlich zu hören, war nicht zu entsprechen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Antrag ohnehin hätte zurückgewiesen werden müssen, weil der Beklagte seinen Antrag erst im Senatstermin und nicht innerhalb der ihm zuvor gesetzten Frist gestellt hat. Denn soweit der Beklagte eine Anhörung des Sachverständigen beantragt, insbesondere also wegen der Frage, wie sich Bullen nach dem Eindringen eines Rindes in eine Bullenweide verhalten, brauchte dem Antrag nicht entsprochen zu werden, weil insoweit auch ohne den Sachverständigen entschieden werden kann. Denn der Senat ist überzeugt, daß die Zeugen xxx, xxx, xxx und xxx das Verhalten der Bullen des Klägers zutreffend geschildert haben. Andererseits hat der Beklagte eine Anhörung des Sachverständigen nicht beantragt, soweit er seine Ausführungen auf schriftliche Unterlagen des Klägers stützt und soweit es sich um den zugrundegelegten Preis je kg handelt.

35

Der Zinsanspruch ist gemäß § 286 BGB begründet.

36

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO und die Entscheidung wegen der Vollstreckbarkeit aus § 708 Ziff. 7)ZPO.