Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 18.06.1975, Az.: 2 U 31/75

Anfechtungsbefugnis eines bei einer Hauptversammlung nicht anwesenden Aktionärs im Falle der Nichteinlegung eines Widerspruchs durch den anwesenden Vertreter; Möglichkeit der Einordnung eines Widerspruchs gegen die "einseitige Maßnahme" eines Stimmrechtsentzuges als ein Widerspruch gegen künftig zu fassende Beschlüsse; Nichtigkeitsgründe für Beschlüsse der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
18.06.1975
Aktenzeichen
2 U 31/75
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1975, 15703
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1975:0618.2U31.75.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 17.12.1974 - AZ: 60 (KH) 344/74

Fundstellen

  • MDR 1976, 49 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1975, 1790-1791 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Nichtigkeit und Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen

In dem Rechtsstreit
...
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts in Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juni 1975
unter Mitwirkung
der Richter am Oberlandesgericht XXX und XXX und
des Richters am Landgericht XXX
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 17. Dezember 1974 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts in Oldenburg wird auf ihre Kesten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Gültigkeit von Beschlüssen, die in der Hauptversammlung der Beklagten am 27.8.1974 gefaßt wurden.

2

Die Klägerin ist Inhaberin von Aktien der Beklagten im Nominalwert von 770.000,-- DM, die bei der Beklagten hinterlegt sind. Durch Veröffentlichung in Nr. 129 des Bundesanzeigers vom 17.7.1974 berief die Beklagte auf den 27.8.1974 eine ordentliche Hauptversammlung unter Aufführung folgender Tagesordnungspunkte ein:

"1. Erneute Vorlage der Liquidations-Eröffnungsbilanz zum 13.9.1973 mit Erläuterungsbericht und Bericht des Aufsichtsrats.

2. Beschlußfassung über die Feststellung der Liquidations-Eröffnungsbilanz.

Liquidator und Aufsichtsrat schlagen die Feststellung der Liquidations-Eröffnungsbilanz vor.

3. Vorlage des Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr 1973 mit Geschäftsbericht und Bericht des Aufsichtsrats.

4. Beschlußfassung über die Feststellung des Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr 1973.

Liquidator und Aufsichtsrat schlagen die Feststellung des Jahresabschlusses vor.

5. Entlastung des Liquidators.

Liquidator und Aufsichtsrat schlagen die Entlastung des Liquidators vor.

6. Entlastung des Aufsichtsrats.

Der Aufsichtsrat schlägt seine Entlastung vor.

Der Liquidator schlägt vor, dem Aufsichtsrat keine Entlastung zu erteilen.

7. Satzungsänderung:

§ 7 Abs. 1 der Satzung wird unter Aufhebung der bisherigen Fassung geändert in:

Der Aufsichtsrat besteht aus drei Mitgliedern.

Sie werden jeweils bis zur nächsten ordentlichen Hauptversammlung gewählt.

Liquidator und Aufsichtsrat schlagen die Satzungsänderung vor.

8. Neuwahlen zum Aufsichtsrat.

Zur Wahl werden vorgeschlagen:

Herrn XXX, Tierarzt, XXX Herr XXX, Bankier, XXX Herr XXX, Dozent, XXX ..."

3

Vor der Hauptversammlung erhielt der Bevollmächtigte der Klägerin, Herr XXX, die Eintritts- und Stimmkarte ausgehändigt. Bei Beginn der Hauptversammlung erklärte der Vorsitzende, daß er der Klägerin und damit ihrem Vertreter das Stimmrecht entziehe; die Liquidatorin habe einen Fall der Einlagenrückgewähr festgestellt, und der entsprechende Rechtsstreit sei vor dem Landgericht Koblenz mit der Bezeichnung XXX i.L. gegen XXX an hängig. Der Vertreter der Klägerin widersprach, der, wie er erklärte, einseitigen Maßnahme; solange der Prozeß nicht entschieden sei, könne das Stimmrecht nicht entzogen werden. Der Vorsitzende ließ die für die Klägerin vermerkten 7.700 Stimmen streichen. Im Verlaufe der Hauptversammlung wurde u.a. beschlossen, die Tagesordnung dahin zu ergänzen, daß als Punkt 3a in die Tagesordnung die Zahlung der Vergütung an die Aufsichtsratsmitglieder für das Jahr 1973aufgenommen und unter Punkt 3b der Jahresabschluß für das Geschäftsjahr 1973 verhandelt werden sollte. Während der Erörterung des Punktes 3b verleiß der Vertreter der Klägerin XXX die Hauptversammlung.

4

Die Klägerin hat vorgetragen:

5

Der Stimmrechtsentzug sei nichtig; kein Organ der Beklagten, insbesondere nicht der Aufsichtsratsvorsitzende, sei zu dieser Maßnahme befugt gewesen. Der Widerspruch gegen den Stimmrechtsentzug beziehe sich auf alle in der Hauptversammlung gefaßten Beschlüsse. Die Entziehung des Stimmrechts sei für die Beschlußfassung ursächlich gewesen; denn es könne nicht ausgeschlossen werden, daß die Klägerin als zeitgrößter Aktionär bei nicht entzogenem Stimmrecht einen erheblichen Einfluß auf die Meinungsbildung der übrigen Aktionäre ausgeübt hätte. Bei den Tagesordnungspunkten 3a und 6 sei die Beeinflussung durch den Stimmrechtsentzug offensichtlich, da angesichts der Abstimmungsergebnisse, bei denen die Differenzen der Ja- und Nein-Stimmen geringer als 5.00 gewesen seien, die Klägerin mit den ihr zustehenden 7.700 Stimmen eine andere Beschlußfassung hätte bewirken können.

6

Der Tagesordnungspunkt 3a habe nicht beraten und entschieden werden dürfen, da dieser und der sich anschließende Punkt 3b bei Einberufung der Hauptversammlung nicht bekannt gegeben worden sei.

7

Bei dem Tagesordnungspunkt 8 ergebe sich die Anfechtbarkeit außerdem daraus, daß nicht bekannt gemacht worden sei, nach welchen gesetzlichen Vorschriften sich der Aufsichtsrat zusammensetze und ob die Hauptversammlung an Wahlvorschläge gebunden sei.

8

Die Klägerin hat mit der am 27.9.1974 eingereichten Klage beantragt,

die von der Hauptversammlung der Beklagten am 27.8.1974 zu den Punkten 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 der Tagesordnung getroffenen Beschlüsse für nichtig zu erklären.

9

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

10

hilfsweise,

ihr Vollstreckungsnachlaß gegen Sicherheitsleistung zu gewähren.

11

Die Beklagte hat vorgetragen:

12

Nichtigkeitsgründe seien für keinen der Hauptversammlungsbeschlüsse gegeben. Die formellen Beanstandungen den Klägerin seien unbegründet; der Tagesordnungspunkt 3b sei wörtlich identisch mit dem Punkt 3 der Einladung und der unter 3a gestellte Antrag gehöre sachlich zu den unter Punkt 3 und 4 der Einladung zu verhandelnden Angelegenheiten, Eine Anfechtung der Beschlüsse durch die Klägerin scheitere schon daran, daß die Klägerin nicht in der Hauptversammlung Widerspruch erhoben habe. Die Stimmrechtsentziehung sei auch für die Abstimmungsergebnisse - abgesehen von den Punkten 3a und 6 - nicht ursächlich. Es habe dem Vertreter der Klägerin freigestanden, sich an den Erörterungen zu beteiligen und dadurch Einfluß auf die übrigen Aktionäre auszuüben. Das habe er jedoch nicht versucht. Im übrigen sei der Klägerin nicht das Stimmrecht entzogen worden, sondern der Vorsitzende habe lediglich die sachlich zutreffende Feststellung getroffen, daß der Klägerin wegen Einlagenrückgewähr ein Stimmrecht nicht zustehe.

13

Das Landgericht hat durch das am 17.12.1974 verkündete Urteil die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die von der Hauptversammlung gefaßten Beschlüsse seien nicht im Sinne von § 241 AktG nichtig; die Einberufung sei ordnungsgemäß vorgenommen und die Vorschriften des § 121 Abs. 2 und 3 AktG beachtet worden. Ob Anfechtungsgründe gemäß § 243aktG vorlägen, sei dem Gericht zu prüfen verwehrt, da die Klägerin nicht, wie nach § 245 Nr. 1 AktG erforderlich, in der Hauptversammlung durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch erhoben habe. Der Widerspruch des Vertreters der Klägerin gegen die "einseitige Maßnahme" des Stimmrechtsentzuges sei nicht ausreichend. Zwar habe der Bundesgerichtshof den Widerspruch eines Aktionärs, der anschließend des Saales verwiesen worden sei, als gegen alle in seiner Abwesenheit gefaßten Beschlüsse gerichtet angesehen; der vorliegende Sachverhalt sei jedoch anders zu beurteilen, da der Bevollmächtigte der Klägerin zu Beginn der Versammlung zugegen gewesen sei und die Möglichkeit gehabt habe, gegen jeden einzelnen Beschluß Widerspruch einzulegen. Daß er dies unterlassen habe, gehe zu lasten der Klägerin.

14

Gegen dieses am 30.12.1974 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30.1.1975 Berufung eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 14.2.1975, eingegangen am 18.2.1975 begründet hat.

15

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die von der Hauptversammlung der Beklagten am 27.8.1974 zu den Punkten 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 der Tagesordnung getroffenen Beschlüsse für nichtig zu erklären,

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hilfsweise,

festzustellen, daß die genannten Beschlüsse nichtig sind,

17

weiter hilfsweise,

Vollstreckungsnachlaß, eventuell gegen Sicherheitsleistung, zu gewähren.

18

Die Klägerin trägt unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens vor:

19

Die in der Hauptversammlung vom 27.8.1974 gefaßten Beschlüsse, seien, wenn nicht gemäߧ 241 Ziff. 1 AktG, se auf alle Fälle nach § 241 Ziff. 3aktG nichtig; die Entziehung des Stimmrechts sei mit dem Wesen der Aktiengesellschaft nicht vereinbar, und die Wahrung der Rechte der Aktionäre liege im öffentlichen Interesse.

20

Es sei aber auch die Auffassung des Landgerichts, daß gegen jeden der Beschlüsse habe Widerspruch erhoben werden müssen, nicht zutreffend. Nach Rechtslehre und Rechtsprechung sei es zulässig, daß der Widerspruch allgemein erklärt werde. Hier habe sich ein besonderer Widerspruch gegen die weiteren Beschlüsse erübrigt, weil alle Beschlüsse durch die Entziehung des Stimmrechts betroffen seien. Es habe daher der Protest gegen die Streichung der 7.700 Stimmen der Klägerin genügen müssen, um ein Anfechtungerecht der Klägerin gegenüber allen Beschlüssen der Hauptversammlung zu begründen. Mit dem Protest gegen den Stimmrechtsentzug habe der Vertreter der Klägerin zugleich gegen die weiteren Beschlüsse protestiert. Das liege schon in der Natur der Sache. Hierfür werde im übrigen Beweis angetreten durch Zeugnis des Herrn XXX und des Herrn XXX. Herr XXX sei Bevollmächtigter der Klägerin gewesen, Herr XXX Unterbevollmächtigter.

21

Zu diesem Verbringen ergibt das zwischen den Parteien nicht streitige Protokoll der Hauptversammlung, daß Herr XXX anwesend war und bei Punkt 8 der Tagesordnung die Ordnungsmäßigkeit gerügt hat.

22

Ihr erstinstanzliches Vorbringen bezüglich der Punkte 3a und 8 der Tagesordnung hält die Klägerin aufrecht.

23

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

24

Die Beklagte trägt vor:

25

Da die Klägerin sich nicht gegen den Stimmrechtsentzug wende, sondern gegen die zu den Punkten 2 bis 8 der Hauptversammlung gefaßten Beschlüsse, komme es allein darauf an, ob diese Beschlüsse mit dem Wesen der Aktiengesellschaft nicht vereinbar seien oder Vorschriften verletzten, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutze der Gesellschaftsgläubiger oder sonst im öffentlichen Interesse erlassen seien. Da dies nicht der Fall sei, liege ein Nichtigkeitsgrund nicht vor.

26

Die Anfechtung der Beschlüsse komme nicht in Betracht, weil der Bevollmächtigte der Klägerin es versäumt habe, gegen jeden einzelnen Beschluß Widerspruch zu erheben. Er habe diese Möglichkeit gehabt und sei verpflichtet gewesen, sie auszunutzen. Daß er selbst seinen Widerspruch gegen die Stimmrechtsentziehung nicht als Widerspruch gegen alle weiteren Beschlüsse aufgefaßt habe, ergebe sich daraus, daß er unmittelbar nach der Stimmrechtsentziehung bei der Beschlußfassung mitgewirkt habe, indem er sich bei der Abstimmung über die Frage, oder für die Tierärztekammer erschienene Herr Müller mitwirken dürfe, der Stimme enthalten habe.

27

Auch bei Berücksichtigung der Stimmen der Klägerin hätte sich ein anderes Abstimmungsergebnis bei den Punkten 2 und 4 bis 8 nicht erzielen lassen. Da Herr XXX den die Klägerin nunmehr als ihren Hauptbevollmächtigten bezeichne, jeweils 6.000 Stimmen habe abgeben dürfen, könne aus den Abstimmungsergebnissen entnommen werden, wie Herr XXX gestimmt habe. Wenn die Stimmen der Klägerin in gleicher Weise abgegeben worden wären, hätte dies lediglich bei Punkt 3 eine Änderung des Ergebnisses bewirket.

28

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

29

Die Berufung der Klägerin ist statthaft. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

30

In der Sache selbst ist das Rechtsmittel nicht begründet. Dabei hat der Senat dem in der Berufungsinstanz neu gestallten Hilfsantrag keine selbstständige Bedeutung beigemessen, so daß sich nicht die Frage stellt, ob eine Klagänderung vorliegt (§§ 260, 264 ZPO) und ob sie zulässig ist. Denn der erstinstanzliche Klagantrag - Hauptantrag im Berufungsrechtszug - bot bereits Veranlassung, die Nichtigkeit zu prüfen und gegebenenfalls festzustellen. Der nach seinem Wortlaut auf ein Gestaltungsurteil hinzielende Klagantrag deckt sowohl die Nichtigkeits- wie die Anfechtungsklage (BGH NJW 1952, 98 [BGH 27.10.1951 - II ZR 44/50]). Dabei ist die Nichtigkeitsklage vorrangig und zuerst zu erörtern (OGHZ 2, 97 (200); BGH a.a.O.), wie es das Landgericht auch getan hat.

31

Nichtigkeitsgründe für die Beschlüsse der Hauptversammlung vom 27.8.1974 gemäߧ 241 Nr. 1 AktG liegen nicht vor. Die Hauptversammlung ist durch die Liquidatorin einberufen worden, welche die Rechte und Pflichten des Vorstands ausübt ( §§ 121 Abs. 2, 268 Abs. 2 AktG). Die Bekanntmachung im Bundesanzeiger war ordnungsgemäß (§§ 121 Abs. 3, 25 Satz 1 AktG); soweit gegen § 124 Abs. 1, 2 AktG verstoßen wurde, führt dies nicht zur Nichtigkeit.

32

Die Beschlüsse sind auch nicht deswegen nichtig, weil sie mit dem Wesen der Aktiengesellschaft nicht zu vereinbaren sind oder durch ihren Inhalt Vorschriften verletzen, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutze der Gesellschaftsgläubiger oder sonst im öffentlichen Interesse erlassen sind (§ 241 Nr. 3aktG). Daß ein Beschluß mit dem Wesen der Aktiengesellschaft unvereinbar ist, kann sich, obwohl dies bei dieser gesetzlichen Alternative nicht ausdrücklich ausgesprochen ist, nur aus dem Inhalt des Beschlusses ergeben (Schilling in Großkommentar zum AktG, Anm. 17, 18 zu § 241), nicht aus seinem Zustandekommen. Der Inhalt der Beschlüsse ist aber gemäß § 241 Nr. 3aktG nicht zu beanstanden und verstößt, wie hier gleich angemerkt werden mag, nicht gegen die guten Sitten ( § 241 Nr. 4 AktG). Ein etwa fehlerhaftes Zustandekommen der Beschlüsse durch ungerechtfertigten Stimmrechtsentzug muß in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben.

33

Sonstige Nichtigkeitsgründe sind nicht ersichtlich, und zwar auch nicht für die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder (§ 250 Abs. 1 AktG).

34

Die von der Klägerin durch frist- und formgerechte Klage ( §§ 243abs. 1, 246 AktG) erklärte Anfechtung der Hauptversammlungsbeschlüsse greift nicht durch, da die Klägerin zur Anfechtung nicht befugt ist, wie sich aus § 245 AktG ergibt.

35

Nach § 245 Nr. 1 AktG ist jeder in der Hauptversammlung erschienene Aktionär anfechtungsbefugt, wenn er gegen den. Beschluß Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat. Diese Vorschrift ist auf die Klägerin anzuwenden, da sie zwar nicht persönlich anwesend war, sich aber zulässigerweise durch Herrn XXX vertreten ließ. Die Vorschrift betrifft alle Beschlüsse, obwohl sich der Bevollmächtigte der Klägerin, XXX, bei der Beratung des Punktes 3b der Tagesordnung entfernte (Schilling in Großkommentar zum AktG, Anm. 9 zu § 245). Es bedarf daher keiner Erörterung der Frage, ob die Klägerin danach noch durch Herrn XXX vertreten war.

36

Der Vertreter der Klägerin hat den erforderlichen Widerspruch nicht erhoben. In dem Widerspruch gegen die "einseitige Maßnahme" des Stimmrechtsentzuges konnte nicht ein Widerspruch gegen die künftig zu fassenden Beschlüsse gesehen werden. Die Rechtsprechung und ihr folgend die Rechtslehre haben zwar einen allgemein erklärten Widerspruch in bestimmten Ausnahmefällen als ausreichend angesehen (RGZ 30, 50 (52); RGZ 36, 24 (26) BGHZ 44, 245 (250); Schilling in Großkommentar zum AktG, Anm. 8 zu § 245), Godin-Wilhelmi, Anm. 3 zu § 245 AktG; Baumbach-Hueck, Rdn. 3 zu § 245 AktG). Es muß dann aber eindeutig erkennbar sein, daß der Widerspruch gegen jegliche Beschlußfassung gerichtet ist (Groß-Komm. a.a.O.; Godin-Wilhelmi aao; Baumbach-Hueck a.a.O.). Diese Voraussetzung war bei den Sachverhalten gegeben, welche den oben genannten Entscheidungen des Reichsgerichts zugrunde lagen.

37

RGZ 30, 50 ff. betraf eine nicht ordnungsgemäß einberufene Hauptversammlung. Hier wäre nach damaligem Recht (§ 190a a.F. HGB) wie nach heutigem Recht ( § 245 Nr. 2 AktG) auch ein in der Hauptversammlung nicht anwesender Aktionär zur Anfechtung befugt gewesen. Es handelte sich um einen Mangel, die infolge der fehlerhaften Einberufung nicht erschienen waren. Es war daher nicht absehbar, wie die Hauptversammlung bei ordnungsgemäßer Einberufung verlaufen wäre. Wenn unter diesen Umständen ein Aktonär gegen die Ordnungsmäßigkeit der Hauptversammlung protestierte, war klar, daß er sich damit gegen jede Beschlußfassung wanden wollte.

38

In dem der Entscheidung des Reichsgerichts in RGZ 36, 24 ff. zugrunde liegenden Fall war die Redezeit für die Aktionäre in einer Weise beschränkt worden, daß eine sinnvolle Erörterung der Tagesordnung nicht mgölich war. Wiederum lag ein Mangel vor, der eine Vielzahl von Aktionären betraf oder doch betreffen konnte. Auch hier war für den Widersprechenden nicht abzusehen, wie bei sachangemessener Verfahrensweise die Hauptversammlung verlaufen werde. Daher schloß auch hier der Protest gegen die formelle Fehlbehandlung den Widerspruch gegen die zu fassenden Beschlüsse ein.

39

Gänzlich unvergleichbar mit der hier vorliegenden Fallgestaltung ist der vom Bundesgerichtshof in BGHZ 44, 245 ff. entschiedene Sachverhalt. Hier war ein Aktionär des Saales verwiesen worden, so daß er keine Möglichkeit hatte, gegen die in seiner Abwesenheit gefaßten Beschlüsse Widerspruch zu erheben. Daher konnte er nicht anders behandelt werden als ein zu Unrecht zur Hauptversammlung nicht zugelassener Aktionär ( § 198 Abs. 1 Ziff. 2 AktG a.F., jetzt § 245 Nr. 2 AktG), so daß ein Widerspruch entbehrlich war.

40

Im vorliegenden Fall - und das ist der wesentliche Unterschied zu dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen- war der Klägerin die Möglichkeit des Widerspruchs nicht genommen. Ihr war zwar das Stimmrecht entzogen, jedoch hatte der Vorsitzende ihrem Vertreter nicht die Teilnahme an der Erörterung und die Erhebung des Widerspruchs untersagt. Die Erklärung des Vorsitzenden konnte auch nicht dahin verstanden werden, da Teilnahme- und Stimmrecht verschiedene Befugnisse darstellen (so dürfen Inhaber stimmrechtsloser Aktien an der Hauptversammlung teilnehmen; die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder dürfen sich an den Erörterungen beteiligen, haben aber ebenfalls kein Stimmrecht, Baumbach-Hueck, Rdn. 10, 11 zu § 118 AktG). Die Klägerin hat auch selbst nicht geltend gemacht, daß ihr Bevollmächtigter XXX die Erklärung des Vorsitzenden dahin verstanden hat, daß er von den Erörterungen ausgeschlossen sein sollte. Soweit diese Behauptung in der Klageschrift allgemein und ohne weiters Substantiierung aufgestellt wird, ergibt das dafür angegebene Beweismittel, nämlich das Hauptversammlungsprotokoll, nichts für fiese Behauptung, und die Klägerin ist auch darauf nach Vorlegung der Niederschrift über die Hauptverhandlung nicht zurückgekommen. Danach braucht auch in diesem Zusammenhang nicht erörtert zu werden, ob der Bevollmächtigte XXX in der Lage gewesen ist, den Widerspruch zu erheben.

41

Mit den vom Reichsgericht entschiedenen Sachverhalten ist der vorliegende ebenfalls nicht vergleichbar. Es lag kein Verfahrensmangel vor, der sine unbestimmte Vielzahl von Aktionären betraf (wie bei ordnungswidriger Einberufung) oder sich auf alle anwesenden Aktionäre bezog (wie bei Verhinderung einer sachgerechten Diskussion). Der Mangel betraf zunächst nur die Klägerin, und es bestand durchaus die Möglichkeit, daß trotz dieses Formfehlers Beschlüsse gefaßt wurden, welche den Intentionen der Klägerin entsprachen, zumal ihr Bevollmächtigter (oder ihre Bevollmächtigten) die Möglichkeit hatten, durch Teilnahme an den Erörterungen die Hauptversammlungsteilnehmer zu beeinflussen. Während sich bei der Hauptversammlung der Beklagten noch zweifelsfrei erweisen konnte, daß sie auch ohne Formfehler nicht anders verlaufen wäre, konnte dies bei den vom Reichsgericht zu beurteilenden Hauptversammlungen aus der Sicht des teilnehmenden Aktionärs allenfalls - und zwar nur mit geringer Sicherheit - vormutet werden. Da die Möglichkeit bestand, daß sich der Formfehler sachlich nicht auswirkte, mußte der Widerspruch gegen die Beschlüsse der Hauptversammlung unzweideutig erklärt werden und kann nicht in dem Protest gegen den Formfehler der Stimmrechtentziehung gefunden werden. Zwar brauchte sich die Klägerin mit den fehlerhaft zustande gekommenen Beschlüssen auch dann nicht abzufinden, wenn sie sachlich dagegen nichts einwenden wellte; denn jeder Aktionär hat einen Anspruch auf ordnungsgemäße Durchführung der Hauptversammlung. Jedoch war es keineswegs naheliegend, daß sich die Klägerin auch bei Beschlußfassung in ihren Sinne auf den Formfehler berufen werden. Eine eindeutige Erklärung des Widerspruchs liegt nach alledem nicht vor.

42

Nun hat gegen den Beschluß zu Punkt 8 der Tagesordnung (Wahl des Aufsichtsrats) Herr XXX Widerspruch erklärt, den die Klägerin in der Berufungsinstanz als ihren Bevollmächtigten bezeichnet hat. Der Widerspruch des Herrn XXX wirkt jedoch nicht für die Klägerin, weil dabei das Vertretungsverhältnis nicht angezeigt worden ist. Gemäߧ 164 Abs. 1 und 2 BGB muß eine Erklärung, die für einen anderen Rechtswirkungen entfalten soll, entweder ausdrücklich der nach den Umständen ergeben, daß sie für den anderen abgegeben wird.

43

Da es hinsichtlich jedes Punktes der Tagesordnung an einem Widerspruch der Klägerin fehlt, braucht nicht geprüft zu werden, ob der Stimmrechtsentzug rechtswirksam war, oder ob es sich um eine rechtlich zutreffende Feststellung handelte, daß ein Stimmrecht nicht bestehe. Dahinstehen kann auch, ob die Tagesordnungspunkte 3 und 8 ordnungsgemäß bekanntgemacht worden waren, oder ob bei Punkt 8 ein Verstoß gegen § 124 Abs. 3 AktG festzustellen ist.

44

Dem Beweisantritt der Klägerin, Herr XXX habe gegen alle Beschlüsse Widerspruch erheben wollen, braucht nicht nachgegangen zu werden. Denn der Wortlaut seiner Erklärung steht aufgrund des unstreitigen Protokolls der Hauptversammlung fest. Die Auslegung der Erklärung ist Sache des Gerichts; was der Bevollmächtigte XXX bei Abgabe seiner Erklärung gedacht hat, ohne es für einen objektiven Betrachter deutlich zu machen, ist für die Auslegung ohne Bedeutung (Palandt-Heinrichs, 34. Aufl., Anm. 1b zu § 133 BGB; Soergel-Hefermehl, 10. Aufl., Rdn. 23 zu § 133 BGB).

45

Da das Rechtsmittel erfolglos bleibt, hat die Klägerin die Kosten zu tragen (§ 97 ZPO).

46

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 7 und § 173a ZPO; die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil gegeben ist, liegen nach dem Ermessen des Senate unzweifelhaft nicht vor.