Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 10.05.1994, Az.: Ss (B) 14/94
Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes; Telefonische Einholung und Bekanntgabe einer Auskunft nach § 77a Abs. 3 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG); Umfang der Feststellungspflicht bei Vorhandensein einer Lichtzeichenanlage innerhalb einer geschlossenen Ortschaft; Schlussfolgerung der vorsätzlichen Begehungsweise unter Zugrundelegung allgemeiner Erfahrungssätze ; Aufhebung des Vorrechts des Gegenverkehrs gegenüber dem wartepflichtigen Linksabbieger ; Inanspruchnahme des im Straßenverkehr herrschenden Vertrauensgrundsatzes
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 10.05.1994
- Aktenzeichen
- Ss (B) 14/94
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1994, 19260
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:1994:0510.SS.B14.94.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG ... - 09.12.1993 - AZ: 5 OWi 912 Js 55046/93
- StA ... - AZ: 912 Js 55046/93
- GenStA ... - AZ: Ss (B) 14/94
Rechtsgrundlage
- § 77a Abs. 3 OWiG
Fundstelle
- NZV 1995, 408-409 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Ordnungswidriges Verhalten im Straßenverkehr
Prozessgegner
Einzelhandelskaufmann ... geboren am 01. Februar 1957 in ... wohnhaft ... verheiratet, Türke
Der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts hat
... am 10. Mai 1994
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 09. Dezember 1993 wird als unbegründet verworfen.
Der Betroffene trägt die Kosten des Rechtsmittels.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 300,00 DM und ein Fahrverbot von einem Monat Dauer verhängt, weil er am 21. Mai 1993 gegen 9.25 h mit dem Pkw VW-Golf, amtliches Kennzeichen BS - AX 250, auf dem rechten Fahrstreifen der Celler Straße in Richtung stadteinwärts die an der Fußgängerfurt vor dem Städtischen Krankenhaus KA 3 angebrachte Lichtzeichenanlage bei "Rot" überfuhr. Dabei stieß er mit dem Pkw des Zeugen ... zusammen, der ihm entgegen kam und auf das Krankenhausgelände nach links abbog im Vertrauen darauf, daß der grundsätzlich vorfahrtberechtigte Gegenverkehr an der Fußgängerampel das Rotlicht beachten und anhalten werde. Dabei wurde der Geschädigte in seinem Vertrauen hierauf noch dadurch bestärkt, daß der ihm entgegenkommende Zeuge auf der linken Fahrspur vor dem Rotlicht bereits angehalten hatte. Durch die Wucht des Zusammenstoßes schleuderte der Betroffene mit seinem Fahrzeug gegen den weiteren Pkw des Zeugen ... Sowohl der Zeuge ... wie auch der Zeuge ... wurden hierbei nicht unerheblich verletzt, am Fahrzeug des Zeugen ... entstand ein Sachschaden von über 26.000,00 DM.
Der Betroffene strebt mit seiner Rechtsbeschwerde die Aufhebung des angefochtenen Urteils mit dem Ziel an, daß er entweder durch den Senat freigesprochen oder daß die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen werde. Die erhobene Verfahrensrüge wird damit begründet, daß eine gem. § 77 a Abs. 3 OWiG telefonisch vom Tiefbauamt der Stadt ... eingeholte Auskunft - wobei die Zustimmung hierzu vom Betroffenen und Verteidiger erteilt worden war - verlesen worden sei, ohne den Grund der Verlesung vorher anzugeben und klarzustellen, daß das Verlesene zur Grundlage der Urteilsfindung gemacht werden würde. Dies sei nach Rechtsprechung und Teilen der Literatur erforderlich, so daß der Verteidiger der Verlesung erneut hätte zustimmen müssen.
Im Rahmen der ebenfalls erhobenen Sachrüge wird beanstandet, das Amtsgericht habe nicht alle Umstände festgestellt, die nach der Rechtsprechung für einen Rotlichtverstoß festgestellt werden müßten. Auch für die erkannte vorsätzliche Begehungsweise ermangele es an Feststellungen. Außerdem sei ein schuldminderndes Mitverschulden des geschädigten Zeugen unerörtert geblieben, was zumindest dazu hätte fuhren müssen, daß von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werde.
Die Generalstaatsanwaltschaft verteidigt das Urteil und beantragt die Verwerfung gem. den §§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Weder die Verfahrensrüge noch die Sachrüge können durchgreifen
1.
Zur Verfahrensrüge wird auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft ... in ihrer Stellungnahme vom 07.02.1994 verwiesen, denen sich der Senat anschließt.
Die von der Verteidigung angeführten Entscheidungen des OLG ... (StV 1987, 525) und des OLG ... (JR 1977 343) sind nicht einschlägig. Sie betreffen den Fall der Verlesung einer Aussage gem. § 77 a Abs. 1 OWiG, nicht aber den vorliegenden Fall der telefonischen Einholung und Bekanntgabe einer Auskunft nach Absatz 3 dieser Vorschrift.
2.
Die Sachrüge kann in keinem der von der Verteidigung angeführten Gesichtspunkten durchgreifen.
a.
Die Rechtsbeschwerde weist zwar darauf hin, daß nach der Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte für die Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes grundsätzlich Feststellungen zur Dauer der Gelbphase, der zulässigen und der vom Betroffenen eingehaltenen Geschwindigkeit erforderlich sei sowie auch zu der Entfernung des Fahrzeugs von der Ampel, wenn diese von Gelb auf Rot wechsele (z.B. OLG ... DAR 1993, 395). Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch um eine Lichtzeichenanlage innerhalb einer geschlossenen Ortschaft, wo die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h begrenzt ist. Unter diesen Umständen reicht es aus, wenn das Amtsgericht festgestellt hat, daß die Gelbphase 3 sec. betrug, die bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h allgemein üblich und vom Kraftfahrer deswegen auch zu erwarten ist (vgl. Verwaltungsvorschrift IX zu Nr. 1 und 2 zu § 37 StVO sowie OLG ... VRS 79, 38)). Daß der festgestellte Verkehrsverstoß innerhalb einer geschlossenen Ortschaft - nämlich auf der Celler Straße in ... im Bereich des Krankenhauskomplexes - unter Zugrundelegung der normalerweise zugelassenen Höchstgeschwindigkeit begangen wurde, ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils. Besonderer Feststellungen hätte es hier allenfalls bedurft, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit hiervon abweichend geregelt gewesen wäre.
b.
Die rechtliche Würdigung des Amtsgerichts, daß der Betroffene das Rotlicht vorsätzlich mißachtet habe, ist im Rahmen revisionsrechtlicher Überprüfung (über § 79 Abs. 3 OWiG) nicht zu beanstanden. Hierfür stand dem Amtsgericht in seiner Beweiswürdigung als Indiz nicht nur die Aussage des Zeugen ... zur Verfügung, wonach der Betroffene nach dem Unfall zu ihm gekommen und ihn um eine Gefälligkeitsaussage des Inhalts gebeten habe, daß er - der Zeuge - angeben solle, die Ampel habe gerade erst auf "Gelb" umgeschaltet. Das Amtsgericht konnte weiterhin für die Frage der Schuldform den von 2 Zeugen bestätigten Umstand würdigen, daß der Zeuge ... zuvor bereits auf dem linken Fahrstreifen vor der Lichtzeichenanlage bei "Rot" angehalten hatte, was vom Betroffenen nicht unentdeckt geblieben sein konnte, der für den Zeugen ... überraschend noch auf dem rechten Fahrstreifen "vorbeigerauscht" war. Die aus diesen Umständen gezogene Schlußfolgerung des Amtsgerichts der vorsätzlichen Begehungsweise ist unter Zugrundelegung allgemeiner Erfahrungssätze möglich und nachvollziehbar und hält damit revisionsrechtliche Überprüfung stand (Pikart in KK, StPO, 3. Aufl., § 337 Rdnr. 29 m.w.N.).
c.
Die Rechtsfolgeentscheidung des Amtsgerichts beruht auf dem Regelsatz der Bußgeldkatalogverordnung (lfd. Nr. 34.1, Nichtbefolgung des Rotlichtes mit Gefährdung oder Sachbeschädigung), der mit 250,00 DM Geldbuße und einem Fahrverbot von einem Monat ausgewiesen ist. Das Amtsgericht hat diesen Regelsatz auf 300,00 DM erhöht, da die BKatV von fahrlässiger Begehungsweise ausgeht, während hier die vorsätzliche Mißachtung des Rotlichts festgestellt wurde.
Die Rechtsbeschwerde rügt, daß im vorliegenden Fall zumindest von der Verhängung des Fahrverbots hätte abgesehen werden müssen, da von einem Mitverschulden des Geschädigten auszugehen sei, so daß die Schuld des Betroffenen geringer bewertet werden müsse. Hierzu verweist die Rechtsbeschwerde auf § 9 Abs. 3 S. 1 StVO, wonach der Geschädigte gegenüber dem Gegenverkehr, also auch gegenüber dem Betroffenen, wartepflichtig sei, was auch dann noch gelte, wenn der entgegenkommende Fahrzeugführer bei "früher" Rotphase die Lichtzeichenanlage überquert habe. In diesem Punkt ist die bei Jagusch/Hentschel (Straßenverkehrsrecht, 32. Aufl., § 9 StVO, Rdnr. 40) genannte Rechtsprechung nicht ganz einheitlich, betrifft aber durchweg solche Fälle, die sich im Kreuzungsbereich bzw. Einmündungsbereich einer Querstraße ereignet haben. In jenen Fällen kann aber regelmäßig der bereits in die Kreuzung eingefahrene Verkehrsteilnehmer, der darauf wartet, links abbiegen zu können, die für den Gegenverkehr maßgebliche Lichtzeichenanlage nicht erkennen. Da aber von Umständen, die ein Verkehrsteilnehmer nicht kennen kann, nicht die Zulässigkeit, die Fahrt fortzusetzen, abhängen kann, macht es die Rechtsprechung von weiteren Umständen abhängig, ob und wann der Verkehrsteilnehmer sich auf das Anhalten des Gegenverkehrs bei vermutlichem Rotlicht verlassen darf (z.B. OLG Düsseldorf VM 1987, 11; OLG Celle NZV 1994, 40; Jagusch/Hentschel. a.a.O.). Im vorliegenden Fall liegt es anders. Hier ist die Lichtzeichenanlage allein zur Sicherung der Fußgängerfurt eingerichtet, ohne daß an dieser Stelle eine Kreuzung oder Straßeneinmündung vorhanden wäre. Dies hat insbesondere zur Folge, daß der Geschädigte - nachdem er sich vor der Lichtzeichenanlage links eingeordnet hatte - von seiner Seite aus genau erkennen konnte, ob die Lichtzeichenanlage für den Fahrzeugverkehr (zugunsten der Fußgänger) schon Rotlicht zeigte oder noch nicht. Darüber hinaus stellte er im vorliegenden Fall auch fest, daß auf der linken Spur der Gegenfahrbahn, auf der sich ja meist der schnellere Verkehr bewegt, bereits ein Fahrzeug angehalten hatte. Unter diesen Umständen durfte der Geschädigte darauf vertrauen, daß evtl. auf der rechten Spur entgegenkommende Fahrzeuge gleichfalls das Rotlicht beachten würden, und ist zu Recht nach links auf das Krankenhausgelände abgebogen, zumal er gehalten ist, den linken Fahrstreifen für den nachfolgenden Verkehr freizumachen. In dieser konkreten Situation war der Geschädigte gegenüber dem Gegenverkehr nicht mehr wartepflichtig, da die Wartepflicht des Linksabbiegers durch das Schutzbedürfnis des Gegenverkehrs begrenzt wird (OLG Hamburg VRS 58, 58). Hier war der Gegenverkehr durch das Rotlicht gesperrt. Da gem. § 37 Abs. 1 StVO Lichtzeichen den Vorrangregeln vorgehen, ist damit das Vorrecht des Gegenverkehrs gegenüber dem wartepflichtigen Linksabbieger gem. § 9 Abs. 3 S. 1 StVO aufgehoben (so BayObLG DAR 1975, 135, OLG; Zweibrücken VRS 66, 150). Denn es ist wenig sinnvoll, dem Geradeausfahrenden auch dann formell ein Vorrecht gegenüber entgegenkommenden Linksabbiegern einzuräumen, wenn ihm die Verkehrssignalanlage ein Weiterfahren und damit eine Inanspruchnahme seines "Vorrechts" schlechterdings verbietet (BayObLG, a.a.O.; im Ergebnis ebenso BGH NJW 1982, 1756, wo es - wie hier - nicht um eine Kreuzung, sondern nur um eine durch Lichtzeichenanlage gesicherte Fußgängerfurt ging). Unter diesen Umständen konnte der Geschädigte den im Straßenverkehr herrschenden Vertrauensgrundsatz uneingeschränkt für sich in Anspruch nehmen. Ein Mitverschulden des Geschädigten ist daher auszuschließen. Der Senat sieht deshalb keinen Anlaß, von der in der Bußgeldkatalogverordnung vorgesehenen Rechtsfolge des Regelfalles - Mißachtung des Rotlichts mit Sachbeschädigung - abzuweichen. Dies gilt um so mehr, als hier nicht nur ein sehr hoher Sachschaden an mehreren fremden Fahrzeugen eingetreten ist, sondern auch im Hinblick darauf, daß Personen nicht unerheblich verletzt wurden.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 OWiG.