Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 27.05.1994, Az.: Ss (S) 34/94

Verurteilung wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen; Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Versammlung nach dem jeweiligen Gesetzeszweck und dem Gesetzeszusammenhang ; Erfordernis einer gemeinsamen Zielsetzung der anwesenden Personen; Verwendung des Hitler-Grußes

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
27.05.1994
Aktenzeichen
Ss (S) 34/94
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1994, 19261
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1994:0527.SS.S34.94.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG ... - 19.01.1994 - AZ: 10 Ls 701 Js 28990/93 (12/93

Verfahrensgegenstand

Verdacht des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen

Prozessführer

Kraftfahrer ..., geboren am ... wohnhaft ... Deutscher, verheiratet

Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts hat
... am 27. Mai 1994
gemäß § 349 Abs. 4 StPO
einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Sprungrevision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts ... vom 19. Januar 1994 aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.

Der Angeklagte wird auch insoweit freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse in vollem Umfang auferlegt.

Gründe

1

I.

Durch das im Tenor genannte Urteil hat das Schöffengericht ... den Angeklagten (unter Freisprechung im übrigen) wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 60,00 DM verurteilt. Nach den Urteilsfeststellungen war der Angeklagte Schriftführer des "Schießsportvereins ... und verrichtete in einem zwischen den Schießständen des Vereins befindlichen Aufenthaltsraum an einem Schreibtisch Schriftführerarbeiten und Abrechnungen. Zwischen Mitte 1991 und Mai 1992 sagte er dabei mindestens fünfmal gegenüber hereinkommenden Vereinsmitglieder: "Trittst Du in diesen Raum hinein, soll Dein Gruß Heil-Hitler sein." Hierbei waren regelmäßig weitere Vereinsmitgliedern anwesend, und zwar jeweils mindestens zwei, der Angeklagte und der Eintretende nicht mitgerechnet. Mindestens zweimal verwendete der Angeklagte zusammen mit dieser "Begrüßung" den sog. Hitler-Gruß, den nach oben gerichteten, ausgestreckten rechten Arm. Außerdem verabschiedete sich der Angeklagte mit diesem Hitler-Gruß mindestens einmal, als er sich nach Beendigung des Schießens zu seinem PKW begab und das Vereinsgelände verlassen wollte. Dabei blieb nach den Urteilsfeststellungen offen, wieviele der Vereinsmitglieder diese Art der "Verabschiedung" gesehen haben.

2

Der Angeklagte rügt mit der Sprungrevision die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und ihn freizusprechen. Er ist der Auffassung, daß das Amtsgericht den Begriff der Versammlung i.S.d. § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB verkannt habe und er deshalb zu Unrecht verurteilt worden sei. Die Generalstaatsanwaltschaft verteidigt das Urteil und hat die Verwerfung der Revision wegen offensichtlicher Unbegründetheit gemäß § 349 Abs. 2 StPO beantragt.

3

II.

Die nach § 335 Abs. 1 StPO statthafte Sprungrevision ist zulässig und begründet; sie fuhrt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im ausgesprochenen Umfang und zur Freisprechung des Angeklagten gemäß § 354 Abs. 1 StPO.

4

Die Feststellungen des Schöffengerichts tragen den Schuldspruch wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86 a StGB nicht, da der Angeklagte die festgestellte Äußerung nicht im Rahmen einer "Versammlung" i.S. dieses Tatbestandes getan hat.

5

Das Amtsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß das Tatbestandsmerkmal der Versammlung i.S.d. §§ 80a, 86 a, 90 und 90 a StGB nicht i.S.d. Versammlungsgesetzes (§ 1 Abs. 1 VersG kennt nur den Begriff der "öffentlichen Versammlung") auszulegen ist, sondern daß auf den jeweiligen Gesetzeszweck und den Gesetzeszusammenhang abzustellen ist (Laufhütte in LK, StGB, 11. Aufl., § 90 Rdnr. 9; Schönke-Schröder-Stree, StGB, 24. Aufl., § 90 Rdnr. 5; Dreher/Tröndle, StGB, 46. Aufl., § 80 a Rdnr. 2; OLG Düsseldorf JR 1982, 299). Danach ist eine Versammlung i.S.d. Tatbestandes ein nicht nur zufälliges zeitweiliges Beisammensein von Personen, sondern eine räumlich vereinigte Personenmehrheit, deren Zusammentreten auf gemeinsamen bewußten Zwecken und Zielen, also auf einem gemeinsamen Willen beruht (Laufhütte in LK, a.a.O., § 90 Rdnr. 8; Schönke-Schröder-Stree, a.a.O.; Dreher/Tröndle, a.a.O.; RGSt 21, 71, 73;  63, 136). Der gemeinsame Zweck braucht nach überwiegender Meinung kein politischer zu sein oder öffentliche Angelegenheiten zu betreffen, auch andere gemeinsame Zielsetzungen reichen hierfür aus, da ja nach dem Gesetzeszweck gerade nichtöffentliche, geschlossene Versammlungen mitumfaßt werden sollen (Laufhütte in KK, a.a.O., § 90 Rdnr. 8). Eine solche gemeinsame Zielsetzung war im vorliegenden Fall indes bei den insgesamt mindestens vier Personen, die sich jeweils in dem abgeschlossenen Raum aufhielten, nicht gegeben. Vielmehr suchten die Mitglieder des Vereins nach den Feststellungen des Urteils diesen abgeschlossenen Raum regelmäßig auf, "um dort persönliche Sachen abzustellen, Abrechnungen mit dem Schriftführer vorzunehmen und um gelegentlich Getränke zu sich zu nehmen". Diese eindeutigen Feststellungen zeigen, daß es sich nur um ein zufälliges zeitweiliges Beisammensein in diesem Aufenthaltsraum handelte. Ein gemeinsamer Zweck ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Da der Angeklagte die ihm vorgeworfenen Äußerungen und Handlungen nach den Urteilsfeststellungen in diesem abgeschlossenen Aufenthaltsraum getan hat und sie damit nur an die in diesem Raum anwesenden Personen gerichtet waren, ist es auch nicht möglich, bei der Auslegung des Versammlungsbegriffs auf den gemeinsamen Zweck des Beisammenseins der Vereinsmitglieder in den offenen Schießständen der Anlage abzustellen. Denn die vom Angeklagten verwendete Parole und Grußform war ausschließlich in diesem abgeschlossenen Aufenthaltsraum wahrnehmbar und vom Angeklagten auch nur für die im abgeschlossenen Raum Anwesenden bestimmt.

6

Soweit nach den Feststellungen der Angeklagte den Hitler-Gruß auch mindestens einmal verwandt hat, als er sich nach Beendigung des Schießens zu seinem PKW begab und das Vereinsgelände verlassen wollte, bleibt nach den Feststellungen offen, von wem dieser Hitler-Gruß wahrgenommen worden ist bzw. hätte wahrgenommen werden können. Ein tatbestandsmäßiges Verhalten des Angeklagten ist insoweit also ebenfalls nicht feststellbar.

7

III.

Es ist nicht ersichtlich, daß im vorliegenden Fall noch weitere Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung des Angeklagten auch unter Beachtung der oben dargestellten Grundsätze rechtfertigen würden. Dies gilt auch im Hinblick auf den vom Angeklagten beim Verlassen des Vereinsgeländes verwandten Hitler-Gruß, bei dem offen blieb, von wem er wahrgenommen werden konnte; denn dieser letztere Hitler-Gruß ist nach der Beweiswürdigung des Urteils lediglich vom Zeugen ... bekundet worden, während zu den anderen Tathandlungen des Angeklagten eine Fülle von Zeugen gehört wurden und ausgesagt haben. Bereits hieraus ergibt sich, daß auch zur letzteren Tathandlung des Angeklagten tatbestandsmäßige Feststellungen in einer weiteren Hauptverhandlung nicht mehr zu erwarten sind. Der Angeklagte war deshalb gemäß § 354 Abs. 1 StPO insgesamt freizusprechen (Hanack in Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 354 Rdnr. 2).

8

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO.