Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 17.02.2009, Az.: Ss 17/09
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 17.02.2009
- Aktenzeichen
- Ss 17/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 41650
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2009:0217.SS17.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Braunschweig - 21.08.2008 - AZ: 55 Ls 553 Js 27811/08
Fundstellen
- StV 2011, 595
- StraFo 2009, 208
In der Strafsache
...
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
am 17. Februar 2009 beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 21. August 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Braunschweig zurückverwiesen.
Gründe
Die zulässige Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache.
I.
Das Amtsgericht Braunschweig hat den Angeklagten am 21. August 2008 der (gemeinschaftlichen) gefährlichen Körperverletzung sowie des Diebstahls (geringwertiger Sachen) für schuldig befunden und die Verhängung von Jugendstrafe gemäß § 27 JGG zur Bewährung ausgesetzt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die (Sprung)Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Mit der Verfahrensrüge macht er geltend, dass seiner Erziehungsberechtigten nicht das letzte Wort erteilt worden sei.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil bezüglich des Angeklagten mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Braunschweig zurückzuverweisen.
II.
Die zulässige Revision führt auf die Verfahrensrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Braunschweig. Das Amtsgericht hat es unterlassen, der Erziehungsberechtigten des Angeklagten das letzte Wort zu erteilen.
1.
Die zulässig erhobene Verfahrensrüge ist begründet.
- a)
Zwar lässt sich der Sitzungsniederschrift nur entnehmen, dass die Erziehungsberechtigte des Angeklagten bei Aufruf der Sache anwesend war, nicht aber, ob sie auch danach noch an der Hauptverhandlung teilgenommen hat. Die (negative) Beweiskraft des Protokolls im Sinne des § 274 StPO erstreckt sich allerdings nicht auf die Abwesenheit von Personen, deren Anwesenheit das Gesetz nicht zwingend vorschreibt (BGH, NStZ 1999, 426). Aus den eingeholten dienstlichen Äußerungen der Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts sowie der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft ergibt sich ebenfalls nicht, ob die Mutter des Angeklagten bei Erteilung des letzten Wortes im Sitzungssaal anwesend war.
Indes ist die Klärung dieser Frage dem Freibeweis zugänglich (vgl. BGH, NStZ 1999, 426). Dass die Mutter des Angeklagten - wie von der Revision vorgetragen - "durchgehend in der Hauptverhandlung und bis zum Ende der Hauptverhandlung im Gerichtssaal anwesend war", liegt im Hinblick auf die besondere Bedeutung der Schlussvorträge und des letzten Wortes für die Entscheidungsfindung des Jugendschöffengerichts nahe (vgl. BGH, NStZ 1999, 426). Die eingeholten dienstlichen Äußerungen der Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts sowie der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft sprechen zudem zumindest nicht gegen das Revisionsvorbringen.
- b)
Die Erteilung des letzten Wortes ist eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens im Sinne der §§ 273 Abs. 1, 274 Satz 1 StPO(Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozess, 7. Aufl. 2008, Rn. 363), so dass aus dem Schweigen der Sitzungsniederschrift hierzu folgt, dass der Mutter des Angeklagten das letzte Wort nicht erteilt worden ist.
- c)
Gemäß § 67 Abs. 1 JGG in Verbindung mit § 258 Abs. 2 und Abs. 3 StPO stand der Mutter des Angeklagten als erziehungsberechtigter Person das Recht auf Erteilung des letzten Wortes zu. Dieses ist nicht nur auf Verlangen, sondern von Amts wegen zu erteilen (BGH, NStZ-RR 2008, 291 [BGH 28.05.2008 - 2 StR 164/08]; OLG Köln, Beschluss vom 11. August 2006 - 82 Ss 43/06 - Rn. 5, zitiert nach juris), so dass ein Rügeverlust nicht dadurch eingetreten ist, dass der Angeklagte die Erteilung des letzten Wortes an seine Erziehungsberechtigte in der Hauptverhandlung nicht beantragt hat (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 11. Juli 2005 - 2 Ss 172/05 -; Rn. 14, zitiert nach juris).
2.
Auf dieser Gesetzesverletzung beruht das Urteil im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO. Das Beruhen in diesem Sinne kann nur ausnahmsweise dann ausgeschlossen werden, wenn der Angeklagte geständig war und daher das letzte Wort des Erziehungsberechtigten keinen Einfluss auf die Urteilsfindung zum Schuld- und Strafausspruch gehabt haben kann (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGH, NStZ-RR 2008, 291; OLG Hamm, Beschluss vom 14. Juli 2005 - 2 Ss 172/05 -, Rn. 16; OLG Köln, Beschluss vom 11. August 2006 - 82 Ss 43/06 -, Rn. 7, beide zitiert nach juris).
- a)
Zwar folgt aus der Urschrift des Urteils, dass der Angeklagte "seine Beteiligung an der Tat eingeräumt" hat. Indes ergibt sich aus der Sitzungsniederschrift, die von der Revision in zulässiger Weise zitiert wird, dass der Verteidiger des Angeklagten eine Erklärung dahingehend abgegeben hat, dass "die Körperverletzungshandlungen meines Mandanten gegenüber dem Geschädigten K und dem Geschädigten G (...(zutreffend" sind, "ansonsten wird zu Punkt 1. der Anklage nichts weiter angegeben".
Abgesehen davon, dass sich der Angeklagte die Erklärung seines Verteidigers nicht ausdrücklich zu Eigen gemacht hat, so dass nicht von einer eigenen Einlassung des Angeklagten ausgegangen werden kann (vgl. BGH, NStZ 2006, 408 [BGH 04.04.2006 - 3 StR 64/06]), folgt daraus jedenfalls kein vollumfängliches Geständnis, weil der Angeklagte zu dem festgestellten Diebstahl gerade keine Angaben hat machen lassen. Letztlich bleibt aber auch nach den Gründen des angefochtenen Urteils offen, ob das Amtsgericht von einem vollumfänglichen Geständnis ausgegangen ist. Was die Formulierung "hat seine Beteiligung an der Tat eingeräumt" im Einzelnen - zumal nach den Urteilsgründen materiell-rechtlich zwei Taten von dem Angeklagten begangen wurden - bedeutet, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.
- b)
Auch wenn nichts dafür spricht, dass die Mutter des Angeklagten im Rahmen des letzten Wortes etwas zur Tat selbst hätte sagen können, und der Verteidiger ausweislich des Sitzungsprotokolls auf Verurteilung angetragen hat - wenngleich nicht deutlich wird, in welchem Umfang und wegen welcher Delikte -, lässt sich vor diesem Hintergrund nicht gänzlich ausschließen, dass das letzte Wort der Erziehungsberechtigten Auswirkungen auf den Schuldspruch gehabt hätte. Für den Rechtsfolgenausspruch versteht sich dies von selbst, weil das Amtsgericht insoweit auf die bisherige Entwicklung des Angeklagten abgestellt hat.
III.
Aufgrund des genannten Rechtsfehlers unterlag das angefochtene Urteil - allerdings nur, soweit es den Angeklagten betrifft - mit den zugrunde liegenden Feststellungen gemäß § 353 StPO der Aufhebung; zugleich war die Sache gemäß § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Braunschweig zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Kosten der Revision war dem Amtsgericht vorzubehalten, weil der endgültige Erfolg des Rechtsmittels derzeit nicht abzusehen ist.