Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 26.02.2009, Az.: Ss (OWi) 16/09

Unterbrechung der Verjährung bei Verkehrsordnungswidrigkeiten; Zustellung des Bußgeldbescheids an den nicht durch Vollmacht legitimierten Verteidiger; Eingangszeitpunkt des Antrags auf Akteneinsicht beim Amtsgericht

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
26.02.2009
Aktenzeichen
Ss (OWi) 16/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 30487
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2009:0226.SS.OWI16.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Göttingen, 33 OWi 84 Js 23634/08 (564/08) vom 25.09.2008

Redaktioneller Leitsatz

1. Erfolgt der Eingang der Akteneinsicht erst mehr als sechs Monate nach Erlass des Bußgeldbescheids, kommt es auf die umstrittene Frage nicht an, ob nach Erlass des Bußgeldbescheids - unabhängig von seiner Zustellung - sich in jedem Falle die Verjährungsfrist von drei auf sechs Monate verlängert.

2. Die Zustellung des Bußgeldbescheids an den Verteidiger ist nur dann i.S. des § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG wirksam, wenn sich dessen Vollmacht bei den Akten befunden hat.

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 25. September 2008 aufgehoben.

Das Verfahren wird eingestellt.

Die Kosten des gesamten Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

1

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Einstellung des Verfahrens.

2

I.

Durch das angefochtene Urteil ist der Betroffene wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 28 km/h mit einer Geldbuße von 120,00 Euro und mit einem Fahrverbot von 1 Monat (mit der Möglichkeit, den Führerschein erst innerhalb von 4 Monaten ab Rechtskraft abzugeben) belegt worden. Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene die genannte Geschwindigkeitsüberschreitung am 29.12.2007 in Göttingen auf der Duderstädter Landstraße mit dem PKW der Marke Mercedes, amtliches Kennzeichen ...., gegen 11.26 Uhr begangen habe. Hiergegen hat der Betroffene unter Erhebung der Verfahrens- und Sachrüge Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel gem. den §§ 349 Abs. 2 StPO, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG als unbegründet zu verwerfen.

3

II.

Die in zulässiger Weise eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache selbst Erfolg. Denn wegen des Verfahrenshindernisses der Verjährung ist das Verfahren einzustellen.

4

Die dem Betroffenen durch Bußgeldbescheid vom 06.03.2008 vorgeworfene Ordnungswidrigkeit, wie sie auch vom Amtsgericht im angefochtenen Urteil festgestellt worden ist, ist gem. § 31 Abs. 1 S. 1 OWiG verjährt. Tatzeitpunkt der vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit ist der 29.12.2007. Eine erste Verjährungsunterbrechung erfolgte gem. § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG durch die Anordnung der Anhörung des Betroffenen vom 16.01.2008. Durch den Erlass des Bußgeldbescheids am 06.03.2008 ist jedoch die Verjährung gem. § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG nicht mehr unterbrochen worden, da der Bußgeldbescheid nicht innerhalb von 2 Wochen wirksam zugestellt worden ist und auch später eine Zustellung nicht mehr erfolgte. Als nächste Handlung, welche geeignet ist, die Verjährung zu unterbrechen, kommt gem. § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 OWiG erst der Eingang der Akten beim Amtsgericht gem. § 69 Abs. 3 S. 1 OWiG in Betracht, der erst am 15.08.2008 zu verzeichnen ist. Da der Zeitraum zwischen dem 16.01.2008 und dem 15.08.2008 mehr als 6 Monate umfasst, kommt es damit auf die umstrittene Frage nicht an, ob nach Erlass des Bußgeldbescheids - unabhängig von seiner Zustellung - sich in jedem Falle die Verjährungsfrist von 3 auf 6 Monate verlängert (vgl. § 26 Abs. 3 StVG sowie zum Streitstand: Göhler/König, OWiG, 14. Aufl., § 33 Rn. 35 a).

5

Die am 11.03.2008 erfolgte Zustellung des Bußgeldbescheids an Rechtsanwalt M. H. als einen der beiden Verteidiger des Betroffenen stellte keine wirksame Zustellung im Sinne des § 51 Abs. 3 S. 1 OWiG dar. Denn dessen Vollmacht befand sich zurzeit der Zustellung nicht bei den Akten, was Voraussetzung für eine nach der genannten Vorschrift wirksame Zustellung ist. Bei den Akten befand sich lediglich eine Vollmacht für den weiteren Verteidiger des Betroffenen, Rechtsanwalt W. H., der mit dem Rechtsanwalt M: H. eine Gemeinschaftspraxis führt. Da nur für ihn die Vollmacht bei den Akten war, hätte nur gegen ihn wirksam zugestellt werden können. Dies ist jedoch nicht geschehen.

6

Die entgegengesetzte Auffassung des Amtsgerichts kann nicht damit begründet werden, dass auch an Rechtsanwalt M. H. gem. § 51 Abs. 3 S. 1 OWiG wirksam hätte zugestellt werden können, "weil er bereits im Verwaltungsverfahren der gewählte Verteidiger des Betroffenen war" und die Bevollmächtigung keiner Bestimmten Form bedürfe. Dies trifft zwar alles zu, reicht aber nach der klaren Formulierung des Gesetzes für die Zustellungsvollmacht des gewählten Verteidigers nicht aus, da als zusätzliche Voraussetzung hinzukommen muss, dass sich die Vollmacht des Verteidigers auch bei den Akten befindet; anderenfalls hätte diese zusätzliche Voraussetzung keinen Sinn. Es ist im Übrigen auch nicht zutreffend, dass Rechtsanwalt M. H. mit Schriftsatz vom 25.08.2008 seine Verteidigerbestellung bestritten hätte, er hat nur -zutreffend - darauf verwiesen, dass sich für ihn eine Vollmacht nicht bei den Akten befunden hat, sondern nur für den Rechtsanwalt W. H..

7

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass Rechtsanwalt M. H. mit Schriftsatz vom 22.01.2008, mit welchem die oben genannte auf Rechtsanwalt W. H. ausgestellte Vollmacht vorgelegt wurde, vorgetragen hat, dass der Betroffene "uns", also beide Rechtsanwälte, mit der anwaltlichen Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen beauftragt hätte, dass "ordnungsgemäße Bevollmächtigung" bestehe und dass "eine auf uns lautende Vollmacht" beigefügt worden sei. Zwar ist letzteres unzutreffend, weil tatsächlich nur eine Vollmacht für den Rechtsanwalt W. H. vorgelegt wurde; dies hätte jedoch von der Verwaltungsbehörde vor Zustellung des Bußgeldbescheides gem. § 51 Abs. 3 S. 1 OWiG von Amts wegen beachtet werden müssen. Denn sie allein trägt die Verantwortung dafür, dass die Zustellung nach den gesetzlichen Vorschriften erfolgt. Wie bereits ausgeführt wurde, reicht es für eine Zustellung nach dieser Vorschrift nicht aus, wenn der betreffende Rechtsanwalt - wenn auch voll umfänglich - mit der Verteidigung beauftragt und bevollmächtigt worden ist. Gerade für diesen Fall sieht das Gesetz die zusätzliche formelle Voraussetzung vor, dass sich die Vollmacht (ggfs. auch in Ablichtung oder als Telefax) bei den Akten befindet. Dabei handelt es sich um eine gesetzliche Fiktion, die für den Betroffenen nachteilige Wirkungen haben kann und die deshalb nicht großzügig zu dessen Nachteil ausgelegt werden darf (vgl. OLG Rostock NStZ-RR 2003, 336; OLG Hamm NZV 2005, 386). Der Bundesgerichtshof betont bei der Auslegung der Parallelvorschrift des § 145a Abs. 1 StPO, dem der § 51 Abs. 3 S. 1 OWiG nachgebildet worden ist, dass im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit am Wortlaut des Gesetzes festzuhalten ist, dass ein konkludentes Verhalten diese Zustellungsvoraussetzungen nicht erfüllt und dass eine großzügige Auslegung der Vorschrift Unklarheit schaffen und sich insbesondere auch zu Lasten eines Angeklagten/Betroffenen auswirken kann (BGHSt 41, 303, wonach auch das bloße Auftreten des Verteidigers in der Hauptverhandlung ohne Beurkundung der Vollmacht im Sitzungsprotokoll die schriftliche Erteilung der Vollmacht zu den Akten nicht ersetzen kann).

8

Der vorliegende Fall ist auch nicht mit den Fällen der auf Seite 7 der Urteilsausfertigung zitierten Oberlandesgerichte vergleichbar, in denen eine bloß außergerichtliche Vollmacht ohne Zustellungsvollmacht zu den Akten gereicht wurde. Abgesehen davon, dass jene Fälle von verschiedenen Oberlandesgerichten zu Recht inzwischen anders, und zwar in dem Sinn beurteilt werden, dass jene als "Verjährungsfalle" bezeichnete außergerichtliche Vollmacht ohne Zustellungsvollmacht als jedenfalls im Sinne des § 51 Abs. 3 S. 1 OWiG wirksame Verteidigervollmacht angesehen wird (z. B. OLG Düsseldorf StraFo 2008, 332), ist in jenen Fällen aber tatsächlich eine Vollmacht zu den Akten gereicht worden. Im vorliegenden Fall befand sich jedoch gerade keine Vollmacht des Rechtsanwalts bei den Akten, an den die Verwaltungsbehörde den Bußgeldbescheid zugestellt hat.

9

Schließlich kann auch nicht damit argumentiert werden, dass sich die Zustellungsbevollmächtigung i.S.d. § 51 Abs. 3 S. 1 OWiG des Rechtsanwalts M. H. aus einer zu Protokoll des Amtsgerichts erteilten Vollmacht ergibt, weil dieser in der Hauptverhandlung vom 25.09.2008 in Gegenwart des Betroffenen seine Bevollmächtigung anwaltlich versichert hat, der Betroffene dem nicht widersprochen hat und dies in der Sitzungsniederschrift protokolliert worden ist. Zwar steht es dem Umstand, dass sich die Vollmacht bei den Akten befindet, i.S.d. § 51 Abs. 3 S. 1 OWiG gleich, wenn die Vollmacht in der Hauptverhandlung mündlich erteilt und im Sitzungsprotokoll beurkundet wird (BGHSt 41, 303). Dieser viel spätere Vorgang ist jedoch für die am 11.03.2008 erfolgte Zustellung des Bußgeldbescheids irrelevant, weil sich die Vollmacht im Zeitpunkt der Zustellung bei den Akten befinden muss, anderenfalls die Zustellung an den Verteidiger unwirksam ist (OLG Hamm NStZ 1982, 129; Karlsruher Kommentar/Lampe, OWiG, 3. Aufl., § 51 Rn. 84 m. w. Rspr.Nw.; Göhler/Seitz, OWiG, 14. Aufl., § 51 Rn. 44a). Eine spätere Heilung dieses Zustellungsmangels ist daher nicht mehr möglich (Karlsruher Kommentar/Lampe, a. a. O., § 51 Rn. 84 m. Rspr. Nw.).

10

Anhaltspunkte für eine rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.

11

III.

Aufgrund des Verfahrenshindernisses der Verjährung war das Verfahren einzustellen.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 467 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG.