Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 14.11.2000, Az.: 6 B 499/00

Drogen; Entziehung; Fahreignung; Fahrerlaubnisentziehung; Kokain

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
14.11.2000
Aktenzeichen
6 B 499/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 41257
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wiederholte Verurteilung wegen Drogenbesitzes und langzeitiger Drogenkonsum (Kokain) rechtfertigt ohne Weiteres die Entziehung der Fahrerlaubnis. Der Nachweis der erneuten Eignung obliegt dem Antragsteller. (Bestätigt: OVG Lüneburg, Beschl. vom 05.12.2000, 12 M 4179/00)

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.000,-- DM festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der im Jahre 1961 geborene Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse 2.

2

Durch eine Mitteilung der Polizeidirektion Braunschweig vom 13. Juli 2000 erhielt die Antragsgegnerin davon Kenntnis, dass aufgrund von Angaben anderer Personen gegen den Antragsteller ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eingeleitet worden war. Dieses Verfahren wurde schließlich am 24. Juli 2000 von der Staatsanwaltschaft Braunschweig eingestellt, weil das Verhalten des Antragstellers bereits strafgerichtlich geahndet worden war. Eine Einsichtnahme der Antragsgegnerin in die Strafverfahrensakten ergab, dass bei einer Überprüfung des Antragstellers im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz, wegen Nötigung und gefährlicher Körperverletzung, Drogenrückstände im Blut festgestellt worden waren.

3

Durch Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 20. Januar 1999 wurde der Antragsteller außerdem wegen unerlaubten Besitzes von Kokain zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 20,-- DM verurteilt.

4

Schließlich wurde vom Amtsgericht Braunschweig durch Urteil vom 29. März 2000 wegen des unerlaubten Besitzes von Kokain eine Freiheitsstrafe von 4 Monaten verhängt, deren Vollstreckung für die Dauer von 2 Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde.

5

Mit Verfügung vom 28. August 2000 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller daraufhin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung dieser Maßnahme die Fahrerlaubnis. Hiergegen hat der Antragsteller am 13. September 2000 Widerspruch erhoben, über den - soweit ersichtlich ist - noch nicht entschieden worden ist.

6

Am 16. Oktober 2000 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Braunschweig um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Er trägt vor:

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Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei rechtswidrig. Es treffe zwar zu, dass er am 20. Januar 1999 und am 29. März 2000 wegen unerlaubten Besitzes von Kokain verurteilt worden sei; die Tatsache eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz lasse jedoch nicht den Schluss auf die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls in ein drogenbedingtes Fehlverhalten zu. Nach den Verurteilungen sei ihm die Fahrerlaubnis belassen worden. Erst aus Anlass eines weiteren Ermittlungsverfahrens, das schließlich eingestellt worden sei, habe die Antragsgegnerin angenommen, dass er weiterhin Drogen konsumiere. Das Ermittlungsverfahren habe sich jedoch auf einen Vorgang bezogen, der bereits Gegenstand eines zurückliegenden Strafverfahrens gewesen sei. Indem die Antragsgegnerin angenommen habe, dass ein erneuter Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz vorgelegen habe und deswegen ein Strafverfahren gegen ihn anhängig sei, sei sie in der Entziehungsverfügung von falschen Tatsachen ausgegangen. Auf diese unzutreffenden Annahmen habe sie ihr Ermessen gestützt. Seit Oktober 1999 habe er keine Drogen mehr konsumiert. Dies hätte durch geeignete Untersuchungen wie ein Drogenscreening oder eine Haaranalyse festgestellt werden können. Es werde deshalb angeregt, regelmäßig überraschend angesetzte Drogenscreenings zum Nachweis dafür durchzuführen, ob er den Kokainkonsum aufgegeben habe. Die Fahrerlaubnis benötige er zur Ausübung seines Berufes als Kraftfahrer.

8

Der Antragsteller beantragt,

9

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Fahrerlaubnisentziehungsverfügung der Antragsgegnerin vom 28. August 2000 wiederherzustellen.

10

Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

12

Sie entgegnet:

13

Der Antragsteller sei wiederholt mit dem Besitz bzw. Konsum von Kokain aufgefallen und in zwei Fällen verurteilt worden. Wie er selbst eingeräumt habe, habe er bis Ende Oktober 1999 die "harte Droge" Kokain konsumiert. Im Hinblick auf das erhebliche Suchtpotential des nicht nur einmaligen, sondern längeren Konsums von Kokain sei von einer Betäubungsmittelabhängigkeit auszugehen. Für die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen fehlender Eignung sei allein der nachgewiesene Drogenkonsum maßgeblich gewesen. Der letzte Konsum habe im Zeitpunkt der Entziehungsverfügung, auf den im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO abzustellen sei, weniger als ein Jahr zurückgelegen. Der Antragsteller habe deshalb als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen werden müssen.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen. Dem Gericht haben außerdem die Strafakten 802 Js 47019/99 a der Staatsanwaltschaft Braunschweig vorgelegen.

II.

15

Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.

16

Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung in formell ordnungsgemäßer Weise angeordnet (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) und in ausreichender Weise schriftlich begründet, warum das besondere Interesse an dem Sofortvollzug als gegeben erachtet wird (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).

17

Auch aus materiell-rechtlichen Gründen besteht keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid erhobenen Rechtsbehelfs wiederherzustellen. Nach § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung, sofern nicht die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde besonders angeordnet wird. Eine derartige Vollziehungsanordnung setzt zu ihrer Rechtswirksamkeit voraus, dass ohne sie das öffentliche Interesse in schwerwiegender Weise beeinträchtigt würde, so dass demgegenüber die privaten Interessen des von der Vollziehungsanordnung Betroffenen zurücktreten.

18

Ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung, mit der die Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG entzogen worden ist, ist regelmäßig anzunehmen, wenn sich die an der Fahreignung des Betroffenen bestehenden Zweifel so weit verdichtet haben, dass die ernste Besorgnis gerechtfertigt erscheint, er werde andere Verkehrsteilnehmer in ihrer körperlichen Unversehrtheit oder in ihrem Vermögen ernstlich gefährden, wenn er bis zur endgültigen gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung weiterhin am motorisierten Straßenverkehr teilnimmt (Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rn 1273 m.w.N.). Eine solche Gefahr für die Allgemeinheit ist insbesondere dann anzunehmen, wenn besondere Umstände eine Gefährlichkeit gegenwärtig begründen, die im Wege der Abwägung zu Lasten der Allgemeinheit und damit im öffentlichen Interesse nicht hingenommen werden kann.

19

Nach der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sachlage hat der Rechtsbehelf des Antragstellers nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand keine Aussicht auf Erfolg. Es überwiegen außerdem die Gesichtspunkte, die dafür sprechen, den Antragsteller mit sofortiger Wirkung von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr auszuschließen.

20

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG hat die Straßenverkehrsbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber dieser Fahrerlaubnis als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen hat. Von einer fehlenden Fahreignung ist insbesondere dann auszugehen, wenn ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) vorliegt, durch den die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird (§ 11 Abs. 1 Satz 1 FeV). Ein solcher Mangel ist die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11 f. FeV), ohne dass bereits eine Abhängigkeit von diesen Stoffen bestehen muss. Im Anschluss an den Nachweis der Einnahme von Betäubungsmitteln der genannten Art ist in aller Regel eine Abstinenz von einem Jahr nachzuweisen, bevor von einer Dauerhaftigkeit der Entwöhnung oder von einer Abkehr vom Drogenkonsum ausgegangen werden kann. Diese in den §§ 11 Abs. 1 und 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i.V.m. Anlage 4 normierten Eignungskriterien entsprechen den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den Auswirkungen eines Drogengenusses auf die Fahreignung, wie sie in die vom Bundesminister für Verkehr herausgegebenen Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung (Heft M 115 vom Februar 2000) Eingang gefunden haben. Diesen Vorgaben entspricht die getroffene Maßnahme der Antragsgegnerin, die auch sonst den rechtlichen Erfordernissen für eine sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis genügt.

21

Bei dem Antragsteller sind anlässlich einer toxikologischen Untersuchung auf Betäubungsmittel im Rahmen eines gegen ihn gerichteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens Abbauprodukte von Kokain im Blut gefunden worden. In der Folgezeit ist der Antragsteller außerdem wiederholt mit dem Besitz dieser Droge in Erscheinung getreten, so dass er Anfang 1999 und ein weiteres Mal im März 2000 wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt wurde. Den Angaben des Antragstellers zufolge stand der Besitz von Drogen im Zusammenhang mit einem Konsum von Kokain, den der Antragsteller bis zum Oktober 1999 eingeräumt hat. Die Tatsache, dass der Antragsteller noch nicht einmal ein Jahr nach seiner ersten Verurteilung wegen unerlaubten Drogenbesitzes sich erneut Kokain beschafft und eingenommen hatte, zeigt, dass er eine deutlich ausgeprägte Neigung hat, Rauschgift zu konsumieren. Ob der Antragsteller schon zu einem früheren Zeitpunkt wieder Kokain konsumiert hatte - was in Anbetracht seines Gesamtverhaltens anzunehmen naheliegt -, kann letztlich dahingestellt bleiben. Dieser neuerliche Rückfall macht jedenfalls deutlich, dass der Antragsteller die für eine dauerhafte Abkehr von der Drogeneinnahme erforderliche innere Festigkeit nach der ersten gerichtlichen Ahndung noch nicht erreicht hatte. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller nach der Verurteilung vom März 2000 diese Neigung endgültig und dauerhaft überwunden hat, sind nicht ersichtlich. Insoweit streiten für den Antragsteller lediglich seine unsubstantiierten Beteuerungen, seit Oktober 1999 Drogen nicht mehr konsumiert zu haben. Mit der Antragsgegnerin geht das Gericht deshalb davon aus, dass der Antragsteller derzeit als ungeeignet im Sinne des § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV Anlage 4 Nr. 9.1 anzusehen ist. Die bei dem Antragsteller als noch nicht überwunden anzusehende Neigung zum Drogenkonsum begründet den dringenden Verdacht, dass er jederzeit erneut rückfällig werden und Drogen konsumieren könnte. Im Hinblick auf die mit einem solchen Rückfall verbundenen Auswirkungen auf die psychische und physische Verfassung des Betreffenden ist die Annahme seiner Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Art begründet, wie sie für einen derartigen Fall in Nr. 9.1 der Anlage 4 zu § 46 Abs. 1 FeV für den Regelfall angenommen wird. Im Hinblick auf die nach dem bisherigen Sachstand deutlich gewordene Neigung des Antragstellers, eine sogenannte harte Droge im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes zu konsumieren, bedurfte es vor der von der Antragsgegnerin angeordneten Maßnahme nicht zunächst einer fachärztlichen oder medizinisch-psychologischen Untersuchung des Antragstellers über das Ausmaß einer Drogenabhängigkeit. Einer fachärztlichen oder medizinisch-psychologischen Untersuchung bedarf es erst im Zusammenhang mit der zu gegebener Zeit durchzuführenden Prüfung, ob der Antragsteller seine schädlichen Neigungen dauerhaft überwunden hat und ihm die Fahrerlaubnis wieder erteilt werden kann.

22

Das Vorbringen des Antragstellers gibt keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis wiederherzustellen. Soweit der Antragsteller unter Hinweis auf die Einstellung des polizeilichen Ermittlungsverfahrens vom Juli 2000 der Antragsgegnerin die Annahme eines unzutreffenden Sachverhalts anlastet und die von ihm angefochtene Entscheidung für ermessensfehlerhaft hält, verkennt er, dass es sich bei der Entscheidung nach § 3 StVG nicht um eine Ermessensentscheidung handelt. In der angefochtenen Verfügung vom 28. August 2000 hat die Antragsgegnerin überdies deutlich herausgestellt, dass der von dem Antragsteller eingeräumte Drogenkonsum und die Verurteilungen vom Januar 1999 und März 2000 im Wesentlichen der Anlass zu der Entziehung der Fahrerlaubnis waren. Dass dem Antragsteller nicht unmittelbar nach der Verurteilung vom Januar 1999 oder dem Urteil vom März 2000 die Fahrerlaubnis entzogen worden ist, beruht darauf, dass die Antragsgegnerin hiervon keine Erkenntnis erhalten hatte.

23

Wegen der bei einer Verkehrsteilnahme von dem Antragsteller ausgehenden Gefährdung für andere Personen ist dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung der angefochtenen Maßnahme der Vorzug einzuräumen vor den persönlichen und wirtschaftlichen Interessen des Antragstellers, bis zu einer rechtskräftigen Klärung der Fahrerlaubnisentziehung vorerst weiterhin Kraftfahrzeuge führen zu dürfen. Der Antrag ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

24

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG und berücksichtigt, dass im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die Hälfte des Streitwertes anzusetzen ist, der in einem Verfahren zur Hauptsache festzusetzen wäre (16.000,-- DM).