Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 25.04.2006, Az.: 10 A 8098/05
Aufgabe der Gefahrenabwehr; Aufgabenzuweisung; Erstattungsanspruch; Erstattungspflicht der Verwaltungsbehörde; Finanzausgleich; Gefahrenabwehr; Gefahrenabwehrbehörde; gemeinsame Gefahrenabwehrzuständigkeit; interner Kostenausgleich; Kostenerstattung; Kostenerstattungsanspruch; Kostentragung; Kostentragungspflicht; Ordnungsmaßnahme; Ordnungsmaßnahme gegen Nichtstörer; polizeiliche Maßnahme; sachliche Zuständigkeit; Zuständigkeit von Polizeibehörden; Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden; örtliche Zuständigkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 25.04.2006
- Aktenzeichen
- 10 A 8098/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 53176
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs 1 S 1 GefAbwG ND
- § 1 Abs 2 GefAbwG ND
- § 105 Abs 1 GefAbwG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Polizei besitzt keinen Erstattungsanspruch gegen die kommunale Ordnungsbehörde für Kosten, die ihr bei einer Ordnungsmaßnahme gegen Nichtstörer entstanden sind.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung von Kosten, die ihm im Rahmen eines Polizeieinsatzes entstanden sind.
Dem Polizeikommissariat Springe ging am 10. November 2004 um 21:26 Uhr ein Telefax des Herrn I., des Betreuers der in Springe wohnhaften Frau J., aus K. zu. Da diese ihm gegenüber Suizidgedanken geäußert habe und er sie nicht habe erreichen können, bitte er um eine polizeiliche Überprüfung. Zwei Beamte des Polizeikommissariats Springe fanden gegen 21:45 Uhr die Wohnung von Frau L. verschlossen vor. Auf das Klingeln wurde die Wohnungstür nicht geöffnet. Der herbeigerufene Schlüssel-Notdienst öffnete die Türe um 23:05 Uhr. Frau L., die nicht in ihrer Wohnung war, kehrte ca. 5 Minuten später von einem Spaziergang zurück. Der Schlüssel-Notdienst stellte dem Polizeikommissariat Springe für die Türöffnung 162,40 € in Rechnung, die der Kläger beglich.
Unter Hinweis auf einen Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 25. Januar 1999 forderte der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 9. März 2005 zur Erstattung der durch die Türöffnung entstandenen Kosten auf. Zusätzliche Kosten von Maßnahmen, die durch Eilmaßnahmen der Vollzugspolizei entstanden seien, seien von den Kommunen nach § 105 Abs. 1 Nds. SOG zurückzufordern.
Die Beklagte verwies auf das Urteil des VG Osnabrück vom 14. Juli 2004(Az.: 3 A 176/02) und lehnte die Kostenerstattung ab. Den Verwaltungsbehörden und der Polizei stehe die Aufgabe der Gefahrenabwehr gemeinsam zu, so dass der Kläger auch selbst zur Tragung der ihm im Rahmen dieser Aufgabenwahrnehmung entstehenden Kosten verpflichtet sei.
Der Kläger hat am 23. November 2005 Klage erhoben: Zwar hätten Verwaltungsbehörden und Polizei gemäß § 1 Abs.1 S.1 Nds. SOG die Aufgaben der Gefahrenabwehr gemeinsam wahrzunehmen. Nach § 1 Abs. 2 Nds. SOG werde die Polizei aber lediglich tätig, soweit die Gefahrenabwehr durch die Verwaltungsbehörden nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheine. Dabei handele es sich um eine eigenständige, subsidiäre Zuständigkeit der Polizei für den ersten Zugriff bei unaufschiebbaren Maßnahmen. Generell seien nach § 101 Abs. 2 Nds. SOG die Gemeinden die zuständigen Verwaltungsbehörden für Aufgaben nach dem Nds. SOG, soweit für diese Aufgaben keine besondere Zuständigkeitsregelung bestehe. Der Subsidiaritätsgrundsatz begründe keine „besondere“ Zuständigkeit der Polizeibehörden i.S.d. § 101 Abs. 2 Nds. SOG, weil insoweit nicht im Nds. SOG enthaltene anderweitige Zuständigkeitsvorschriften gemeint seien. Handele die Polizei - wie im vorliegenden Fall - bloß subsidiär im Rahmen einer Maßnahme des „ersten Zugriffs“ i.S.d. § 1 Abs. 2 Nds. SOG, müsse die Gemeinde nach § 105 Abs. 1 Nds. SOG die entstandenen Kosten tragen. Diese Auffassung vertrete auch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg im Urteil vom 23. Juni 1994 (Az.: 12 L 6214/92, OVGE 45, 321).
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Kosten für eine Türöffnung am 10.11.2004 im Rahmen der Gefahrenabwehr in Höhe von 162,40 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft ihr vorprozessuales Vorbringen. Das vom Kläger herangezogene Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg sei für den vorliegenden Fall nicht einschlägig, weil bei dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt eine Vereinbarung zwischen Polizei und Verwaltungsbehörde bestanden habe, wonach die Polizei im Auftrage und auf Kosten der Verwaltungsbehörde bestimmte Maßnahmen habe treffen dürfen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Klägerin Bezug genommen. Ihr Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zahlung der 162, 40 € durch die Beklagte.
Die Rechtslage beurteilt sich nach den Bestimmungen des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes in der Fassung vom 20. Februar 1998 (Nds. GVBl 1998, 101), weil die der Forderung zugrunde liegende polizeiliche Maßnahme im Geltungszeitraum dieses Gesetzes vorgenommen wurde.
Der Kläger kann seinen Anspruch nicht mit Erfolg auf § 105 Abs. 1 NGefAG stützen.
Das Verwaltungsgericht Osnabrück hat in der o.g. Entscheidung vom 14. Juli 2004 hierzu ausgeführt:
“Gemäß § 105 Abs. 1 dieses Gesetzes sind die Kosten, die den Verwaltungsbehörden und der Polizei bei Aufgaben der Gefahrenabwehr entstehen, von der Körperschaft zu tragen, deren Behörde für die Erfüllung der Aufgaben zuständig ist. Entsprechend der in §1 Abs.1 Satz 1 NdsGefAG normierten, Verwaltungsbehörden und Polizei „gemeinsam“ obliegenden Aufgabe der Gefahrenabwehr sieht diese Bestimmung somit eine Kostentragungspflicht der Trägerkörperschaft anderer, dritter Behörden vor, die für die Erfüllung einer Aufgabe zuständig sind, die im Rahmen der gemeinsamen Gefahrenabwehrzuständigkeit von Verwaltungsbehörde und/oder Polizei wahrgenommen worden ist. Damit steht diese Bestimmung in sachlichem Zusammenhang mit der Regelung über die sachliche Zuständigkeit in §101 Abs.3 NdsGefAG und der auf dieser Grundlage ergangenen Zuständigkeitsverordnung. Anwendungsbereich des §105 Abs.1 NdsGefAG ist hingegen nicht der interne Kostenausgleich zwischen den Körperschaften der gemeinsam zur Aufgabe der Gefahrenabwehr berufenen Verwaltungsbehörde einerseits und der Polizei andererseits.
Aber auch wenn man diese Bestimmung für einen solchen internen Kostenausgleich heranzöge, wäre die Klage unbegründet. Kostentragungspflichtig wäre dann die Körperschaft, deren Behörde für die Erfüllung der Aufgabe zuständig ist. Für eine Differenzierung im Sinne eines ein bisschen mehr oder weniger zuständig geben die Bestimmungen des NdsGefAG nichts her. Vielmehr enthält das Gesetz neben den Zuständigkeitsregelungen im eigentlichen Sinn, nach denen sowohl für die Kommunen als allgemeine Verwaltungsbehörden (§96 Abs.1 NdsGefAG) als auch für die Polizeibehörden (§87 NdsGefAG) Regelungen zur örtlichen (§100 NdsGefAG) und sachlichen (§§101, 102 NdsGefAG) Zuständigkeit auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr gelten, insbesondere die durch diese Zuständigkeitsregelungen in Bezug genommene Aufgabenzuweisungsnorm des §1 NdsGefAG, welche gerade normiert, dass die Aufgabe der Gefahrenabwehr den Verwaltungsbehörden und der Polizei „gemeinsam“ obliegt. Jede Verwaltungsbehörde und jede Polizeibehörde ist somit im Rahmen der angesprochenen Zuständigkeitsregelungen „zuständig“ im Sinn des §105 Abs.1 NdsGefAG und damit selbst - die jeweilige Körperschaft - kostentragungspflichtig, so dass insoweit ein Kostenerstattungsanspruch untereinander ausgeschlossen ist. Dem entspricht es, wenn in §105 Abs.2 NdsGefAG mit Blick auf Art.57 Abs.4 NdsVerfassung eine Kostendeckung lediglich für die kommunalen Gebietskörperschaften im Rahmen des Finanzausgleichs geregelt wird, während für die Polizeibehörden als Landesbehörden es einer diesbezüglichen Normierung nicht bedarf.“
Die Kammer macht sich diese Ausführungen zu eigen. Der vom Kläger angeführten Entscheidung des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 23. Juni 1994 ist hingegen nicht zu folgen. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass der Entscheidung eine Vereinbarung zwischen der Polizei und der Verwaltungsbehörde zugrunde lag. Soweit darüber hinaus das Oberverwaltungsgericht in einem obiter dictum auch ohne eine Vereinbarung einen Kostenerstattungsanspruch angenommen hat, ist diese Auffassung nicht überzeugend. Denn die dieser Entscheidung zugrunde liegende Vorschrift des § 79 Abs. 2 Nds. SOG - hier ist der damit übereinstimmende § 101 Abs. 2 NGefAG maßgeblich - gibt für die Abgrenzung der Zuständigkeiten der Verwaltungsbehörden und der Polizei nichts her. Die Bestimmung trifft lediglich eine Aussage dazu, wer als „Verwaltungsbehörde“ zuständig ist, nämlich die Gemeinde. Das setzt aber bereits voraus, dass die Entscheidung zuvor getroffen ist, ob die Verwaltungsbehörde oder subsidiär die Polizei zuständig ist.
Schließlich ist eine Erstattungspflicht der Verwaltungsbehörden für Kosten, die der Polizei entstehen, auch mit dem Sinn und Zweck des § 105 NGefAG nicht vereinbar. Nach Abs. 2 werden die Kosten, die den Gemeinden und Landkreisen nach diesem Gesetz entstehen, im Rahmen des Finanzausgleichs gedeckt. Da es aber nach der Auffassung des Klägers keine generelle Zuständigkeit der Polizei im Bereich der Gefahrenabwehr gibt, müssten insoweit alle Kosten von den Gemeinden bzw. Landkreisen getragen werden. Denn die Kosten im Sinne des § 105 Abs. 1 NGefAG sind nach dem einschränkungslosen Wortlaut des Gesetzes nicht auf die im Erlass des Nds. Innenministeriums vom 25. Januar 1999 genannten „zusätzlichen Kosten“ beschränkt. Das würde nicht nur durch das ständige Geltendmachen von Kostenforderungen zu einem unermesslichen Verwaltungsaufwand, sondern auch zu einem Rückfluss von finanziellen Mitteln der Kommunen an das Land außerhalb des § 105 Abs. 2 NGefAG führen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 ZPO.
Die Berufung gegen das Urteil ist gemäß § 124a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.