Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 17.09.2010, Az.: 1 B 210/10

Unterlassungsbegehren eines Justiziars hinsichtlich der öffentlichen Behauptung "einer wochenlangen Akteneinsichtnahme" in seinem Büro i.R.e. sozialrechtlichen Verfahrens; Verzögerung einer Entscheidung der Verwaltung durch das Vorenthalten der Verfahrensakten und späteres Einreichen einer Untätigkeitsklage

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
17.09.2010
Aktenzeichen
1 B 210/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 32241
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2010:0917.1B210.10.0A

Verfahrensgegenstand

Unterlassungsanspruch
hier: Antrag nach § 123 VwGO

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Göttingen - 1. Kammer -
am 17. September 2010
beschlossen:

Tenor:

Dem Antragsgegner, insbesondere dem Ersten Kreisrat J. K., wird untersagt, öffentlich wörtlich oder sinngemäß zu behaupten,

der Antragsteller habe in sozialrechtlichen Verfahren "wochenlange Akteneinsicht in seinem Büro" genommen und "selbst dafür gesorgt, dass dem Landkreis die Akten über mehrere Wochen entzogen wurden".

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag,

dem Antragsgegner, insbesondere dem Ersten Kreisrat J. K., im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, es bis auf Weiteres zu unterlassen, öffentlich wörtlich oder sinngemäß zu behaupten,

  1. 1.

    die durch den Antragsteller erhobenen Untätigkeitsklagen in sozialrechtlichen Streitigkeiten seien "Beutelschneiderei" oder der "Versuch der Beutelschneiderei",

  2. 2.

    solche Klagen seien "ohne materielle Interesse der Kläger" erfolgt, um Anwaltsgebühren "generieren zu können",

  3. 3.

    der Antragsteller habe in einem der hier zugrundeliegenden sozialrechtlichen Verfahren " wochenlange Akteneinsicht in seinem Büro" genommen, oder

  4. 4.

    der Antragsteller habe selbst dafür gesorgt, dass dem Landkreis die Akten über mehrere Wochen entzogen wurden,

2

hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

3

Im Übrigen ist er erfolglos.

4

Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, weil das geltend gemachte Unterlassungsbegehren aus einem öffentlich-rechtlichen Sachverhalt folgt. Der Erste Kreisrat hat seine Äußerungen in seiner Eigenschaft als Justitiar im Rahmen seiner Aufgaben als Prozessvertreter in gerichtlichen Verfahren und damit als öffentlicher Amtsträger abgegeben.

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Der Antrag ist aber nur teilweise begründet.

6

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand nur ergehen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch, also das Bestehen eines subjektiv-öffentlichen Rechts auf das begehrte Verwaltungshandeln, und einen Anordnungsgrund, also die Unzumutbarkeit, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, glaubhaft gemacht hat (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO).

7

In Anwendung dieser Grundsätze hat der Antragsteller hinsichtlich seines Unterlassungsbegehrens zu 3. und 4. einen den Erlass einer sogenannten Sicherungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO rechtfertigenden Anordnungsanspruch und -grund glaubhaft gemacht (1.). Hinsichtlich der Äußerungen zu 1. und 2. fehlt es dagegen an einem Anordnungsgrund (2.).

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1.

Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass sich im Hauptsacheverfahren für den Antragsteller ein Anspruch auf Unterlassung der im Streit stehenden Äußerungen des Antragsgegners zu 3. und 4. ergeben wird. Der Antragsteller begehrt in der Hauptsache auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs in entsprechender Anwendung des § 1004 BGB die Unterlassung der oben näher beschriebenen Aussagen des Antragsgegners. Dieser Anspruch setzt voraus, dass durch hoheitliches Handeln des Antragsgegners in ein subjektives Recht des Antragstellers eingegriffen und dadurch ein rechtswidriger Zustand geschaffen wurde. Solche subjektiven Rechte stehen dem Antragsteller hier zur Seite. In diese hat der Antragsgegner mit seinen beanstandeten Äußerungen auch eingegriffen. Nach der im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung ist festzustellen, dass der so geschaffene Zustand rechtswidrig ist.

9

Als subjektive Rechte des Antragstellers sind hier insbesondere seine Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) sowie sein allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) berührt. Mit den oben beschriebenen Äußerungen zu 3. und 4. hat der Antragsgegner in diese Grundrechte eingegriffen. Sie bringen zum Ausdruck, dass der Antragsteller durch das Vorenthalten der Verfahrensakten erst eine Entscheidung der Verwaltung verzögert und dann (auch noch) eine Untätigkeitsklage gegen sie eingereicht habe. Damit wird ihm eine bewusst missbräuchliche Arbeitsweise vorgeworfen, was als amtliche Äußerungen den Antragsteller in seiner beruflichen Ausübung als Rechtsanwalt als auch in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzen kann. Amtliche Äußerungen eines Hoheitsträgers, die in den Schutzbereich eines Grundrechts eingreifen, sind nur dann gerechtfertigt, wenn sich der Hoheitsträger im Rahmen der ihm zugewiesenen Aufgaben bewegt und die rechtsstaatlichen Anforderungen an hoheitliche Äußerungen in Form des Sachlichkeitsgebots gewahrt sind. Dies erfordert es, dass mitgeteilte Tatsachen zutreffend wiedergegeben werden und Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen und den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten sowie auf einem im Wesentlichen zutreffend und zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 02.02.2010 - 15 B 1723/09 -, [...], Rn. 13).

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Bei den Äußerungen des Justitiars des Antragsgegners, dass der Antragsteller in den sozialrechtlichen Verfahren wochenlange Akteneinsicht in seinem Büro genommen und damit selbst dafür gesorgt habe, dass dem Landkreis die Akten über mehrere Wochen entzogen wurden, handelt es sich um Tatsachenbehauptungen, da sie einem Beweis zugänglich sind. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass diese Tatsachenbehauptungen unwahr sind. Durch Vorlage entsprechender Schreiben und Auszüge aus dem Postausgangsbuch der Kanzlei des Antragstellers steht fest, dass der Antragsgegner dem Antragsteller die Verwaltungsakten mit Schreiben vom 13.01.2010 zugeleitet hatte, die am 18.01.2010 in seinem Büro angekommen waren. Der Antragsteller hat die Akten dann mit Schreiben vom 20.01.2010 am 21.01.2010 an den Antragsgegner zurückgeschickt. Damit ist eindeutig widerlegt, dass der Antragsteller wochenlang Akteneinsicht genommen hat. Soweit der Antragsgegner vorträgt, mit den Äußerungen sei gemeint gewesen, dass ihm die Akten insgesamt über mehrere Wochen nicht zur Bearbeitung zur Verfügung gestanden hätten, weil sie dem Sozialgericht aufgrund von in derselben Sache gestellten Eilanträgen des Antragstellers hätten vorgelegt werden müssen, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Die eigentliche Akteneinsicht des Antragstellers hat nämlich nur drei Tage gedauert. Wenn dem Antragsgegner die Akten aufgrund der Aktenvorlage bei Gericht zur Bearbeitung nicht zur Verfügung gestanden haben, liegt das nicht im Verantwortungsbereich des Antragstellers, sondern des Antragsgegners selbst. Durch Anlage von Retenten wäre er in der Lage gewesen, die Bearbeitung fortzusetzen. Durch die Äußerungen in der Presse hat der Antragsgegner diesen Umstand verschleiert und zu Unrecht die Verantwortung dem Antragsteller zuschieben wollen. Die Äußerungen in der Presse lassen ein anderes Verständnis nicht zu. Sie lauten: "...hat in Sachen der Großfamilie H. Untätigkeitsklage erhoben, obwohl er mit vorheriger wochenlanger Akteneinsicht in seinem Büro und Eilanträgen bei Gericht selbst dafür gesorgt hat, dass dem Landkreis die Akten über mehrere Wochen entzogen wurden. Er habe damit selbst ganz wesentlich die Ursache für die Fristüberschreitung gesetzt. Als Motiv könne man neben Gewinnsucht auch Schikane vermuten...". Damit verstoßen diese Äußerungen gegen das Sachlichkeitsgebot, so dass dem Antragsteller ein Unterlassungsanspruch zusteht.

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Insoweit hat der Antragsteller auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dies erfordert grundsätzlich, dass es dem Antragsteller nicht zumutbar ist, den erstrebten Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren zu erreichen. Wird vorläufiger Rechtsschutz zur Sicherung eines behaupteten Anspruchs auf Unterlassung von ehrverletzenden oder geschäftsschädigenden Äußerungen begehrt, kann eine Sicherungsanordnung nur ergehen, wenn eine Wiederholung der streitbefangenen Äußerung zu befürchten ist (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 02.12.2008 - 13 E 1108/08 -, [...] Rn. 3; Finkelnburg/ Dombert/ Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Auflage 2008, Rn. 161). Hat ein rechtswidriger Eingriff bereits stattgefunden, liegt die Gefahr der Wiederholung nahe (Finkelburg/Dombert/Külpmann, a.a.O., Rn. 165 m.w.N.). Da der Erste Kreisrat des Antragsgegners an seinen Äußerungen festhält, wie sich aus den im vorliegenden Streitverfahren vorgelegten Schriftsätzen ergibt, besteht weiterhin die Gefahr der Wiederholung.

12

Damit sind dem Antragsgegner die Äußerungen zu 3. und 4. zu untersagen.

13

2.

Hinsichtlich der Äußerungen zu 1. und 2. hat der Antragsteller dagegen keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ob in Bezug auf die Äußerungen ein Anordnungsanspruch besteht, kann deshalb offen bleiben.

14

Wie oben bereits ausgeführt, liegt im Fall eines behaupteten Anspruch auf Unterlassung von ehrverletzenden oder geschäftsschädigenden Äußerungen die Gefahr der Wiederholung bereits dann nahe, wenn ein rechtswidriger Eingriff schon stattgefunden hat. Im Gegensatz zu den Äußerungen zu 3. und 4. hat der Erste Kreisrat des Antragsgegners die Äußerungen, bei dem Verhalten des Antragstellers handele es sich um "Beutelschneiderei", allerdings nicht von sich aus in die Öffentlichkeit gebracht. Vielmehr hat der Antragsteller selbst sie durch eine Pressemitteilung vom 25.08.2010 veröffentlicht. Den Begriff hatte der Antragsgegner in einem Schriftsatz an das Sozialgericht verwendet, um die Kostentragungspflicht der Kläger zu begründen. Sie waren damit nur für das Gerichtsverfahren und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Die Presseberichterstattung erfolgte erst nach Abgabe der Pressemitteilung des Antragstellers. Aus den Zeitungsberichten geht hervor, dass der Erste Kreisrat lediglich die Angaben aus der Pressemitteilung auf Nachfrage bestätigte. Beruhen aber die Dringlichkeit und die zu befürchtenden Nachteile auf einem eigenen vorwerfbaren Verhalten eines Antragstellers, ist es ihm zumutbar, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten (vgl. Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Auflage 2006, § 123 Rn. 84). So liegt es hier. Der Antragsteller hat in seiner Pressemitteilung die Äußerungen aus dem Schriftsatz des Antragsgegners zitiert sowie gleichzeitig eine Definition des Begriffes "Beutelschneider" geliefert. Der Antragsgegner hat gegenüber Anfragen von Journalisten lediglich die Angaben aus der Pressemitteilung bestätigt. Der Antragsteller hat durch seine Pressemitteilung die Veröffentlichung der von ihm als ehrverletzend empfundenen Äußerungen gezielt gefördert und sogar beabsichtigt. Er musste auch damit rechnen, dass Journalisten sich beim Antragsgegner über den Wahrheitsgehalt der Mitteilung erkundigen und darüber berichten. Der Antragsteller hat damit die von ihm befürchteten Nachteile der Rufschädigung selbst verursacht. Hinsichtlich dieser Äußerungen fehlt es deshalb an der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Dringlichkeit. Dabei ist zu beachten, dass die Äußerungen zu 1. und 2. einheitlich zu betrachten sind, weil es sich bei der Äußerung zu 2. lediglich um eine Ausfüllung des Begriffes der Beutelschneiderei handelt.

15

Dem Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO war deshalb nur teilweise stattzugeben.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. Der Hauptsachestreitwert in Höhe von 5.000 Euro wird im Hinblick auf den vorläufigen Charakter des gerichtlichen Eilverfahrens halbiert (Nr. 1.5 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 2004, 1525 ff.).

18

Rechtsmittelbelehrung

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Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg zulässig.

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21

Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 Euro übersteigt.

22

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