Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 13.04.1988, Az.: 9 U 114/87

Streupflicht auf einem öffentlichen Parkplatz; Verletzung der Verkehrssicherungspflicht wegen Nichträumung eines gefrorenen öffentlichen Parkplatzes; Amtshaftung wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
13.04.1988
Aktenzeichen
9 U 114/87
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1988, 19760
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1988:0413.9U114.87.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 17.03.1987 - AZ: 5 O 392/86

Fundstelle

  • NJW-RR 1989, 1419-1420 (Volltext mit amtl. LS)

In dem Rechtsstreitverfahren
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 1988
durch
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 17. März 1987 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - geändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.296 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 15. Januar 1987 zu zahlen; im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin 52 % und die Beklagte 48 % zu tragen mit Ausnahme der Kosten der ursprünglich verklagten Stadt Hoya, die der Klägerin allein zur Last fallen.

Von den Kosten des Rechtsstreits in zweiter Instanz haben die Klägerin 5 % und die Beklagte 95 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschwer für die Klägerin: 160 DM,

Beschwer für die Beklagte: 3.296 DM.

Entscheidungsgründe

1

Die Berufung bleibt, soweit sie sich gegen den Grund der Haftung wendet, ohne Erfolg; sie führt lediglich zu einer Ermäßigung des geltend gemachten Anspruchs der Höhe nach.

2

I.

Auch der Geschädigten gegenüber, für die die Klägerin Ersatzansprüche aus übergegangenem Recht geltend macht (§ 1542 RVO), bestand auf dem öffentlichen Parkplatz, auf dem sie am 24. Februar 1986 gegen 11.30 Uhr gestürzt ist, eine Streupflicht.

3

1.

Die Verkehrssicherungspflicht obliegt der Beklagten gemäß § 10 Abs. 1 des Nds. StrG als Amtspflicht (vgl. allgemein BGH NJW 1980, 2194, 2195). Grundlage der Haftung ist demgemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG. Auf das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich die Beklagte nicht berufen (vgl. BGH NJW 1981, 682).

4

Unstreitig stürzte die Klägerin im vorliegenden Fall nicht auf einem Gehweg, sondern auf der Zuwegung zu den Stellplätzen eines öffentlichen Parkplatzes (vgl. den Lageplan Bl. 29 d.A.). Eine Streupflicht auf Fahrbahnen zugunsten der Fußgänger besteht innerhalb geschlossener Ortschaften hauptsächlich an belebten, unentbehrlichen Fußgängerüberwegen (vgl. § 52 Abs. 1 c Nds. StrG). Eine allgemeine Streupflicht für alle Straßen oder Plätze besteht dagegen nicht. Insbesondere braucht der Verkehrssicherungspflichtige nicht bloßen Unbequemlichkeiten vorzubeugen, etwa wenn ein Kraftfahrer bei Winterglätte seinen Wagen auf einer Straße am Bürgersteig zum Parken abstellen und mit wenigen Schritten den bestreuten Bürgersteig oder andere sichere Straßenteile erreichen kann. Dann besteht keine Streupflicht auf dem zum Parken benutzten Straßenraum. Anders liegt es jedoch, wenn ein Parkplatz so angelegt ist, daß die Fahrzeugbenutzer notwendigerweise die von den Kraftfahrzeugen befahrenen Flächen auf eine nicht nur unerhebliche Entfernung betreten müssen, um ihr Fahrzeug zu verlassen oder es wieder zu erreichen. Wenn hierfür nicht nur wenige Schritte erforderlich sind und es sich um eine belebten Parkplatz handelt, müssen solche Straßenteile gestreut werden (BGH NJW 1966, 202 f; BGH VersR 1983, 162 f). So liegt es im vorliegenden Fall: Es handelt sich um einen verhältnismäßig großen Parkplatz, an dem auch eine öffentliche Toilette liegt. Um vom abgestellten Fahrzeug aus zu einem bestreuten Fußweg zu gelangen, müssen die Wageninsassen eine ziemlich lange Strecke über den Zufahrtsweg des Parkplatzes zurücklegen. Die Beklagte geht auch selbst davon aus, daß sie nach den erwähnten Grundsätzen der Rechtsprechung verpflichtet ist, den Zuweg, auf dem sich der Unfall ereignet hat, zum Schutz solcher Fußgänger zu streuen, die ein geparktes Fahrzeug verlassen haben oder zu ihrem geparkten Wagen zurückkehren wollen (Bl. 74 d.A.).

5

2.

Diese Verkehrssicherungspflicht bestand auch gegenüber der Geschädigten, die den Parkplatz unstreitig nur benutzt hat, um ihren Fußweg abzukürzen, dort aber kein Fahrzeug geparkt hatte. Selbst wenn sie - was dahinstehen kann - nicht befugt war, den Parkplatz zu diesem Zweck zu betreten, war sie vom Schutzbereich der an dieser Stelle bestehenden Streupflicht nicht ausgenommen. Auch ein Verkehrsteilnehmer, der gegen Verkehrsvorschriften verstoßt, hat Anspruch auf den für den berechtigten Verkehr erforderlichen Schutz; er darf nicht für sich allein gesehen, sondern muß stets zugleich als Glied des gesamten Verkehrs betrachtet werden (BGH NJW 1966, 1456 f; Stoffen, in: RGRGK, BGB, 12. Aufl. § 823 Rn 161 ff). Die im Hinblick auf die eigentlichen Parkplatzbenutzer begründete Verkehrssicherungspflicht schützt also mittelbar auch andere Fußgänger, wie hier die Geschädigte, um der allgemeinen Sicherheit auf diesem von Fußgängern benutzten Straßenteil willen. Daß sich die Geschädigte möglicherweise widerrechtlich im Gefahrenbereich aufgehalten hat, ist demgegenüber ohne Bedeutung (vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, 1980, Seite 188 ff).

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II.

Nach der vom Landgericht ordnungsgemäß durchgeführten Beweisaufnahme ist davon auszugehen, daß die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht an der Unfallstelle nicht erfüllt hatte. Der Zeuge ..., der nach dem Vortrag der Beklagten am Unfalltage die Zuwegungen zum Parkplatz und damit auch die Unfallstelle gestreut haben sollte (vgl. Bl. 28 d.A.), hat bekundet, seine Aufgabe bestehe lediglich darin, die Fußgängerwege abzustreuen; er streue zwar auch noch in der Ausfahrt, nicht aber bis zu der Stelle, an der sich der Unfall zugetragen hat. Hierfür sei allein der Zeuge ... zuständig (Bl. 53 d.A.). Nach dem Vorbringen der Beklagten ist die Unfallstelle am 21. Februar 1986 von dem Zeugen ... mit einem Salz/Sandgemisch gestreut worden; danach aber bis zum Unfalltage nicht mehr. Unstreitig herrschte, am 22., 23. und 24. Februar 1986 trockene Kälte ohne Niederschlag (vgl. Bl. 3, 21, 78 d.A.). Die Geschädigte hat in erster Instanz ausgesagt, daß der gesamte Fahrstreifen, den sie zur Überquerung des Parkplatzes betreten hatte, vereist und spiegelglatt gewesen sei (Bl. 53 f d.A.). Zweifel an dieser Aussage hatte das Landgericht nicht (Bl. 63 d.A.). Für die Richtigkeit spricht vielmehr, daß das am 21. Februar 1986 gestreute Salz zunächst zum Auftauen geführt, dann aber seine Wirkung verloren haben dürfte, so daß der fragliche Bereich infolge der Kälte bis zum Unfalltage wieder überfrieren und durch das Befahren mit Kraftfahrzeugen glatt werden konnte. Der Vortrag in der Berufungsbegründung, vier Tage nach dem Unfall, am 28. Februar 1986, sei der von der Geschädigten benutzte Weg jedenfalls im Bereich der Fahrspuren schnee- und eisfrei gewesen (vgl. Bl. 77 d.A. sowie die Fotos Bl. 80 d.A.), spricht nicht dagegen, daß der Weg am Unfalltage in voller Breite glatt war. Selbst wenn die Temperaturen in der Zeit zwischen dem 24. und 28. Februar 1986 nicht angestiegen sind, kann das Eis im Bereich der Fahrspuren restlos "weggefahren" worden sein. Der Beweisantritt der Beklagten für den Zustand des Weges am 28. Februar 1986 ist danach ohne Bedeutung. Die Beklagte hätte den Bereich der Unfallstelle auch in den Tagen nach dem 21. Februar 1986 und insbesondere am Unfalltage ebenso streuen müssen, wie dies durch den Zeugen ... auf den Fußwegen geschehen ist. Wenn die Berufungsbegründung dahin zu verstehen sein sollte, daß die Klägerin unmittelbar Beweis dafür antreten will, daß es auf den Fahrspuren schon am Unfalltag nicht glatt war (vgl. Bl. 76 unten), fehlt es insoweit an der nötigen Substanz. Daß der Zeuge ... am Unfalltage irgendwelche Feststellungen getroffen hätte, wird nicht vorgetragen; die Klägerin zieht vielmehr Rückschlüsse aus dem Zustand am 28. Februar.

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III.

Da die Geschädigte auf Glatteis gestürzt ist, spricht der Anschein dafür, daß die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht für den Unfall ursächlich geworden ist. Für ihre Behauptung, die Geschädigte sei gestolpert, hat die Beklagte Beweis nicht angetreten (Bl. 78 d.A.). Daraus, daß die Geschädigte nach eigenem Bekunden gerade zu einem auf der anderen Seite gehenden Ehepaar geschaut hatte, als sie zu Fall kam, läßt sich nicht die Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs entnehmen, der ihren Sturz auch dann erklären würde, wenn es an der Stelle nicht glatt gewesen wäre.

8

IV.

Vielmehr ist der Geschädigten aus diesem Grund lediglich ein Mitverschulden anzulasten, weil sie sich vorsichtiger und sorgfältiger hätte verhalten können. Auch gegenüber der nur fahrlässigen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht scheint jedoch ein höherer Mitverschuldens- und Mitverursachungsbeitrag der Geschädigten, als ihn das Landgericht angenommen hat, nicht angebracht. Zwar hätte die Geschädigte, die bereits zwei oder drei Schritte auf dem eisglatten Weg zurückgelegt hatte, als sie zur Seite schaute und fiel, auf die Gefahr aufmerksam geworden sein müssen und zu besonderer Vorsicht Anlaß gehabt. Daß die Geschädigte aber, schon bevor sie das Eis betreten hatte, hätte erkennen müssen, in welche Gefahr sie sich begab, und daher von vornherein auf die gewählte Abkürzung verzichten und auf den gestreuten Fußwegen bleiben müssen, ist weder dargetan noch ersichtlich. Andererseits würde eine geringere Mitverschuldensquote als die vom Landgericht angenommene der Sachlage auch nicht gerecht werden.

9

V.

Von der Rechnung der Klägerin für erstattete Krankenhauspflegekosten (Bl. 5 d.A.) abzusetzen sind die ersparten häuslichen Verpflegungskosten (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 46. Aufl., vor § 249 Anm. 7 D b). Der Senat schätzt ihren Betrag auf 10 DM pro Tag. Bei 32 Krankenhaustagen sind daher vom Gesamtbetrag der Rechnung

in Höhe von6.912,00DM
abzusetzen320,00DM.
Von dem Rest in Höhe von6.592,00DM
stehen der Klägerin unter Berücksichtigung des Mitverschuldens der Geschädigten 50 %, d.h. zu.3.296,00DM
10

Nicht die Beklagte, sondern die Stadt ... ist von der Klägerin gemahnt worden (Bl. 4 f d.A.). Nach dem Vorbringen der Klägerin war es auch die Stadt ... und nicht die jetzige Beklagte, die mit Schreiben vom 19. Juni 1986 jede Zahlung verweigert hat. Die Beklagte ist erst durch Parteiwechsel im Termin vom 15. Januar 1987 in den Prozeß eingetreten (Bl. 43 d.A.); sie braucht daher auch erst von diesem Tage an Zinsen auf die Klageforderung zu zahlen (§§ 284, 286, 288, 291 BGB).

11

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97, 269 Abs. 3 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Beschwer für die Klägerin: 160 DM,

Beschwer für die Beklagte: 3.296 DM.