Amtsgericht Lüneburg
Urt. v. 29.06.2000, Az.: 10 C 92/00

Nachfragepflicht bei der Entgegennahme einer Kauforder für Aktien; Fehlende Differenzierung nach Stamm- oder Vorzugsaktien; Unerfahrenheit des Kunden im Wertpapiergeschäft

Bibliographie

Gericht
AG Lüneburg
Datum
29.06.2000
Aktenzeichen
10 C 92/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 33928
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGLUENE:2000:0629.10C92.00.0A

Fundstellen

  • DB 2000, 2054 (Volltext)
  • FB 2000, 596
  • NJW-RR 2000, 1649-1650 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZBB 2000, 428

Verfahrensgegenstand

Schadensersatz

In dem Rechtsstreit
...
hat das Amtsgericht Lüneburg
auf die mündliche Verhandlung vom 25.05.2000
durch
den Richter am Amtsgericht
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.)

    Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 2.057,46 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 25. Februar 2000 zu zahlen.

    Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

  2. 2.)

    Von den Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten 4/10, der Klägerin 6/10 auferlegt.

  3. 3.)

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die vorläufige Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3.500,00 DM, die Klägerin wegen der auf sie entfallenden Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.200,00 DM abwenden, sofern nicht jeweils der betreibende Gläubiger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin hat seit Mai 1997 über die Beklagte Wertpapiergeschäfte getätigt (Blatt 64 ff der Akten). Am 02. September 1998 hat sie eine Kauforder für SAP-Aktien gegeben (Blatt 28 der Akten), Die Order ist ausgeführt und abgerechnet (Blatt 7 der Akten). Der Abrechnung und einem nachfolgenden Depotauszug vom 31. Dezember 1998 hat die Klägerin nicht widersprochen. Die jeweils dort bezeichneten SAP-Aktien sind die Stammaktien der Gesellschaft. Daneben gibt es SAP-Vorzugsaktien. Diese sind im Aktienindex DAX verzeichnet. Zur fraglichen Zeit hatten sie ein deutlich höheren Kurs als die Stammaktien.

2

Die Klägerin wollte die genannten SAP-Aktien am 16. Dezember 1999 verkaufen. Der Verkauf ist tags darauf storniert worden (Blatt 8, 9 der Akten). Die Klägerin hat die Aktien schließlich am 24. Februar 2000 verkauft (Schriftsatz vom 29. Februar 2000, Blatt 16 f der Akten).

3

Die Klägerin trägt vor, sie habe die im DAX verzeichneten SAP-Aktien kaufen wollen. Dass es andere als dort verzeichnete Aktien der Gesellschaft gebe, habe sie nicht gewußt. Sie sei darüber nicht unterrichtet worden. Dadurch, dass sie nicht an der günstigeren Kursentwicklung der DAX- notierten SAP-(Vorzugs-) Aktien habe teilnehmen können, sei ihr Schaden entstanden. Diesen errechnet sie, bezogen auf den Verkauf am 24. Februar 2000 (Blatt 16 f. der Akten) und beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.298,90 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 25. Februar 2000 zu zahlen.

4

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

5

Sie macht geltend, die Klägerin stehe seit 1984 mit ihr in Geschäftsverbindung. Seither bestehe ein Aktiendepot. Nach den Angaben, die die Klägerin im Jahre 1997 gemacht habe, sei sie in die Risikoklasse 3 eingeordnet worden. Dieser Risikoklasse würden Standardaktien zugeordnet. Die SAP-Stammaktien, wie die SAP-Vorzugsaktien gehörten zu dieser Aktenkategorie. Die Klägerin sei eine im Wertpapiergeschäft erfahrene Kundin. Ihren Kundenwunsch habe sie präzise vorgetragen. Beratung habe sie nicht gewünscht, weshalb Beratungsverschulden nicht in Betracht komme. Schadensersatz komme auch um deswillen nicht in Betracht, weil die Klägerin der Kaufabrechnung und nachfolgend dem Depotauszug nicht widersprochen habe. Aus diesen habe sie entnehmen können, dass SAP-Stammaktien gekauft worden seien.

6

Schließlich könne die Klägerin keinesfalls den geltend gemachten Betrag sondern lediglich den Betrag verlangen, der sich bei einem Verkauf am 16. Dezember 1998 ergeben habe.

7

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und insbesondere die hervorgehobenen Aktenbestandteile verwiesen.

8

Gemäß dem Beweisbeschluß vom 27. April 2000 ist am 25. Mai 2000 Beweis erhoben worden. Auf Beschluß und Protokoll wird ebenfalls verwiesen (Blatt 47 f, 76 ff der Akten).

Entscheidungsgründe

9

Die auf den Kommissionsvertrag vom 02. September 1998 Und die Regeln der positiven Forderungsverletzung gestützte Schadensersatzklage ist teilweise begründet.

10

Der Ausgangspunkt der Rechtsverteidigung der Beklagten ist unrichtig. Die Klägerin hat nicht einen präzisen Kundenwunsch vorgebracht. Unstreitig hat sie SAP-Aktien kaufen wollen. Unstreitig hat sie nicht differenziert.

11

Bei Entgegennahme des Auftrages hätte die Beklagte jedenfalls nachfragen müssen, ob SAP-Stammaktien oder SAP-Vorzugsaktien gewünscht wurden. Dabei kommt es noch nicht entscheidend darauf an, ob die Klägerin im Wertpapiergeschäft erfahren war oder nicht. Eine allgemeine Verkehrssitte, dass in dem Falle, in dem eine Gesellschaft Stammaktien und Vorzugsaktien ausgegeben hat, bei einem Kauf von Aktien dieser Gesellschaft ohne genaue Bezeichnung immer Stammaktien gemeint sind, gibt es nicht (so schon OLG Köln, Urteil vom 05. Mai 1970, WM 70, 892 f ).

12

Im vorliegenden Falle kommt hinzu, dass die Klägerin erkennbar unerfahren im Wertpapiergeschäft war. Das Vorbringen der Beklagten, die Klägerin stehe seit 1984 mit ihr in Geschäftsverbindung und seither bestehe ein Aktiendepot führt in die Irre. Tatsächlich hat die Klägerin erst nach dem Tode ihres Mannes selbst Wertpapiergeschäfte ausgeführt. So hat sie es vorgetragen. So ist es vom Zeugen bestätigt worden. So ergibt es sich schließlich auch aus dem Datum der "routinemäßigen Befragung" nach den Vorschriften des Wertpapierhandelsgesetzes im Jahre 1997 (genau: am 29.05.1997, Blatt 64 fr. der Akten).

13

Der Zeuge hat auch überzeugend dargestellt, dass er bei dieser Kundin habe Vorsicht walten lassen und zwar in dem Sinne, dass die Kundin vor übereilten, risikoreichen Entschlüssen bewahrt werden müsse. Er hat weiter berichtet, dass er Gelegenheit genommen habe, bei einer Dienstbesprechung auf diese Kundin (und auf die Notwendigkeit der Beratung) aufmerksam zu machen.

14

Dass die Klägerin nicht erfahren war, ergibt sich auch aus der Bekundung der Zeugin Diese hat zwar vordergründig behauptet, sie habe die Kundin als sehr gut unterrichtet empfunden. Sie hat aber auch davon gesprochen, dass sie gelegentlich eines Verkaufs von Wertpapieren, als die Klägerin "Gewinnmitnahme machen" wollte, sich veranlaßt gesehen habe, nachzufragen. Dass sie dann sich mit dem wiederholten Wunsch der Klägerin zufrieden gegeben und nicht etwa nachgefragt hat, ob die Kundin den verwendeten Begriff so verstehe, wie sie, die Bankangestellte, steht auf einem anderen Blatte. Sicher ist, dass auch in diesem Falle die Unsicherheit der Klägerin zutage getreten ist.

15

Für den zu entscheidenden Fall ergibt sich daraus und aus dem eigenen Vorbringen der Beklagten die Notwendigkeit, dass bei Entgegennahme der Kauforder hätte nachgefragt werden müssen.

16

Die Beklagte hat an anderer Stelle dargestellt, dass immer dann, wenn von einer Gesellschaft Stamm- und Vorzugsaktien ausgegeben werden, jeweils nur eine Gattung der Aktien in einen Index aufgenommen wird (hierzu: Schriftsatz vom 19.04.2000, Seite 2, Blatt 43 der Akten). Wenn dann ein Kunde ohne Differenzierung Aktien einer solchen Gesellschaft verlangt, ist jedenfalls nachzufragen. Das wäre auch dann der Fall, wenn - wie hier offenkundig nicht - Veranlassung zu der Annahme bestünde, der Kunde habe möglicherweise taktische/strategische Erwägungen zum Anlagegeschäft angestellt, wie sie die Beklagte in dem genannten Schriftsatz auf Seite 3 oben (Blatt 44 der Akten) wiedergegeben hat. Dafür, dass die Klägerin etwa auf besseren Kurs zugunsten eines Stimmrechtes verzichten wollte, dass die Klägerin etwa Aktien haben wollte, die nicht im Index verzeichnet waren, spricht nichts. Darin, dass die Beklagte hier nicht auf Klarstellung hingewirkt hat, liegt ihr Beratungsverschulden.

17

Demgegenüber kann die Beklagte nicht ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen ins Feld führen. Weder aus der Kaufabrechnung noch aus dem Depotauszug geht hervor, dass es sich bei den bezeichneten Aktien um Stammaktien und nicht Vorzugsaktien gehandelt hat. Es ist aus den beiden Papieren nicht zu ersehen, dass es unterschiedliche Kategorien von Aktien dieser Gesellschaft gibt. Von der Klägerin, die darüber unaufgeklärt geblieben ist, war nicht zu erwarten, dass sie über den Umweg der mitgeteilten Kurse etwa herausfinde, dass es verschiedene Aktien gibt und sie nicht diejenigen bekommen hat, die sie haben wollte, nämlich die in den allgemeinen Veröffentlichungen gemeinten Vorzugsaktien.

18

Hinsichtlich der Schadensberechnung ist allerdings der Beklagten zu folgen. Rechnungszeitpunkt ist der 16. Dezember 1998, an welchem Tage die Klägerin ursprünglich verkaufen wollte. Eine weitere Spekulation auf Risiko der Beklagten kommt nicht in Betracht. Nachdem die Klägerin von ihrem ursprünglichen Antrag abgewichen und bezifferten Schadensersatz verlangt hat, kann sie nur den Schaden ersetzt verlangen, der am 16. Dezember 1998 errechenbar war. Das Rechenwerk der Beklagten insofern ist von der Klägerin nicht angegriffen.

19

Das führt zu teilweise Verurteilung und Klagabweisung im übrigen.

20

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 92, 708 Ziffer 11, 711 ZPO.

21

Gebührenstreitwert: 5.299,00 DM.

Richter am Amtsgericht