Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 30.08.2021, Az.: 3 A 364/21

Befangenheit; Besorgnis der Befangenheit; Jagd; Jagdausübungsberechtigter; Jagdbezirk; Jäger; Jägerin; Landesjägerschaft; Landesjägerschaft Niedersachsen; Pächter

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
30.08.2021
Aktenzeichen
3 A 364/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70922
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Der bloße Umstand, dass eine Richterin oder ein Richter Jägerin bzw. Jäger ist und die Jagd ausübt, rechtfertigt nicht die Annahme, sie oder er werde in jagdrechtlichen Verfahren nicht unparteilich, unvoreingenommen und unbefangen entscheiden.
2. Von diesem Grundsatz bedarf es in Verfahren wegen der Befriedung von Grundflächen aus ethischen Gründen grundsätzlich keiner Ausnahme.
3. Allein die Mitgliedschaft in der Landesjägerschaft Niedersachsen e.V. vermag nicht die Annahme der Besorgnis der Befangenheit zu begründen.

Tenor:

Die Gesuche der Kläger vom 14. Juli 2021, den G. H. und den Richter am Verwaltungsgericht I. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, werden zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Kläger beantragen die Ablehnung von zwei am Klageverfahren beteiligten Richtern der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Lüneburg.

Mit der am 5. Juli 2021 erhobenen Klage begehren die Kläger die Befriedung ihres im Miteigentum stehenden Buchgrundstückes aus ethischen Gründen. Mit demselben Schriftsatz beantragen die Kläger, „die Befriedung mit sofortiger Wirkung zu bescheiden“ (Bl. 4 der Gerichtsakte). Letzteres wurde (zunächst) als Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes – 3 B 20/21 – eingetragen.

In dem Schriftsatz vom 5. Juli 2021 baten die Kläger zudem um Mitteilung, ob ein Richter der 3. Kammer Jäger ist, eine Jagdpacht hat, Mitglied einer Jagdgenossenschaft ist oder einen Jagdschein hat oder erwirbt.

Mit Schreiben vom 12. Juli 2021 zum (damals noch) anhängigen Eilverfahren – 3 B 20/21 – teilte der Richter am Verwaltungsgericht I. als Berichterstatter den Beteiligten Folgendes mit:

„Der Kammervorsitzende, der J. H., ist Jäger und Inhaber eines Jagderlaubnisscheins. Der Jagdbezirk befindet sich nicht im Landkreis Uelzen.

Der Berichterstatter der Kammer, der Richter am Verwaltungsgericht I., ist Jäger und Mitpächter eines Jagdbezirkes. Auch dieser Jagdbezirk befindet sich nicht im Landkreis E..“

Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2021 zum Eilverfahren – 3 B 20/21 – stellten die Kläger klar, dass ein Eilantrag nicht gestellt werden sollte und sie hiervon Abstand nehmen. Zudem haben die Kläger zur Hauptsache beantragt,

„entsprechend der Mitteilung vom 12.07.2021, falls nicht von sich aus eine Befangenheit erklärt wird, den Kammervorsitzenden H. und den Berichterstatter Herrn Richter I. als befangen abzulehnen.“

Zur Begründung machen sie im Wesentlichen geltend, dass bei der Bewertung der ethischen Ablehnung der Jagd die Auffassung von Jagdgegnern (jedenfalls bezüglich ihres eigenen Grundstücks) und Jägern direkt aufeinanderprallen würden. Ein Jäger sehe – anders als die Kläger – die Jagd auch auf dem streitgegenständlichen Grundstück als erforderlich, notwendig und richtig an. Aufgrund dieser widerstreitenden Grundeinstellungen könne ein Jäger über einen Befriedungsantrag nicht entscheiden.

Mit Schreiben vom 15. Juli 2021 hat der Berichterstatter den Beteiligten mitgeteilt, dass das Eilverfahren – 3 B 20/21 – nach Klarstellung des Klagevertreters mit Schriftsatz vom 14. Juli 2021 ohne die Erhebung von Kosten ausgetragen wird. Er kündigte zudem an, dass in Bezug auf den gestellten Befangenheitsantrag eine gesonderte Mitteilung erfolgen werde.

Am selben Tag hat der Berichterstatter – unter Verzicht auf weitere Amtshandlungen – zu dem Ablehnungsgesuch folgende dienstliche Erklärung abgegeben:

[…]   

1. Ich bin Inhaber eines Jagdscheines und übe die Jagd aus.

2. Ich bin Mitpächter eines Jagdrevieres, welches nicht im Gebiet des Beklagten liegt.

3. Ich bin kein Mitglied eines jagdlichen Interessenverbandes (Landesjägerschaft etc.).“

Der Vorsitzende der Kammer hat am 19. Juli 2021 folgende dienstliche Äußerung abgegeben:

„Im Jahr 2014 habe ich den Jagdschein erworben und habe die Mitgliedschaft in der Landesjägerschaft Niedersachsen e.V., einem anerkannten Naturschutzverband, begründet. Ich bin dort einfaches Mitglied und entrichte meinen Jahresbeitrag; eine aktive Vereinstätigkeit übe ich nicht aus bzw. Ämter in diesem Verband bekleide ich nicht. Ich übe die Jagd gelegentlich in der Gemeindejagd K. aus und bin im Besitz eines Jagderlaubnisscheins. Die Kläger sind mir nicht bekannt und zu der Jägerschaft im Landkreis E. habe ich keinen Kontakt.“

Die dienstlichen Äußerungen sind den Beteiligten am 19. Juli 2021 mit der Möglichkeit zur Stellungnahme binnen drei Wochen übersandt worden. Die Kläger haben keine weitere Stellungnahme abgegeben. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 23. Juli 2021 vorgetragen, dass keine Anhaltspunkte für eine Befangenheit bestehen würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Die Gesuche auf Ablehnung von zwei Richtern der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Lüneburg –L. H. und Richter am Verwaltungsgerichts I. – wegen Besorgnis der Befangenheit haben keinen Erfolg.

Gemäß § 54 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit § 42 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) setzt die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Ausreichend ist insoweit, dass vom Standpunkt der Beteiligten aus gesehen hinreichende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an der Unparteilichkeit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.7.2012 - 2 BvR 615/11 -, juris Rn. 13; BVerwG, Beschl. v. 10.10.2017 - 9 A 16.16 -, juris Rn. 2). Der Ablehnungsgrund muss sich auf die persönliche oder sachliche Beziehung des Richters zu den Verfahrensbeteiligten oder zum Streitgegenstand beziehen (vgl. BVerfG, Stattg. Kammerbeschl. v. 1.7.2021 - 2 BvR 890/20 -, juris Rn. 14; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage, § 54 Rn. 10). Die Gründe, die bei den Verfahrensbeteiligten die Besorgnis der Befangenheit ausgelöst haben, müssen substantiiert dargelegt werden. Nach § 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 44 Abs. 2 ZPO muss der Ablehnungsgrund, sofern er nicht offenkundig oder anhand der Akten bekannt ist, glaubhaft gemacht werden (vgl. Schoch/Schneider, Verwaltungsgerichtsordnung, 40. Ergänzungslieferung, Februar 2021, § 54 Rn. 48).

1.  Das Gesuch, den Vorsitzenden, L. H., wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, ist unbegründet.

Unter Berücksichtigung der dargestellten Maßstäbe liegen Gründe, die eine Besorgnis der Befangenheit begründen würden, nicht vor.

a) Der Vorwurf, der Richter sei befangen, weil ein Jäger die Jagd auf dem klägerischen Grundstück – grundsätzlich – als erforderlich, notwendig und richtig ansehe, ist unberechtigt.

Der bloße Umstand, dass ein Richter Jäger ist und die Jagd ausübt, rechtfertigt nicht die Annahme, er werde in jagdrechtlichen Verfahren nicht unparteilich, unvoreingenommen und unbefangen entscheiden. Von diesem Grundsatz bedarf es in Verfahren wegen der Befriedung von Grundflächen aus ethischen Gründen – auch unter Berücksichtigung der besonderen Prüfungsanforderungen des § 6a Bundesjagdgesetz (BJagdG) – grundsätzlich keiner Ausnahme. Soweit die Kläger der Ansicht sind, dass ein Jäger allein aufgrund seiner Eigenschaft als solcher die Jagd stets befürworte und ihm daher eine Bewertung der ethischen Gründe für die Ablehnung der Jagdausübung nicht möglich sei, vermag das Gericht dem nicht zu folgen.

Die politische, religiöse oder sonstige Auffassung des Richters zu einem bestimmten Thema ist im Rahmen eines Ablehnungsgesuchs grundsätzlich unbeachtlich, es sei denn, es ergibt sich aus den konkreten Umständen des Einzelfalles, dass ein Richter sich in der Sache festgelegt hat und dem Vorbringen nicht mehr aufgeschlossen gegenübersteht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage, § 54 Rn. 11a).

Letzteres ist hier nicht der Fall. Allein die subjektive Besorgnis, der Richter werde sich an persönlichen Motiven orientieren, für die – wie hier – bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht zur Ablehnung nicht aus (st. Rspr., vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 29.1.2014 - 7 C 13.13 -, juris Rn. 16 m.w.N.; Sächsisches OVG, Beschl. v. 4.5.2021 - 3 C 43/21 -, juris Rn. 7). Es sind keine konkreten individuellen Umstände ersichtlich, aus denen sich die Besorgnis einer Voreingenommenheit ergibt.

b) Soweit die Kläger mit ihrem Vorbringen geltend machen wollen, dass der Richter fachlich ungeeignet sei, ihre ethischen Gründe gegen die Jagdausübung rechtlich zu prüfen, ist auch dies nicht geeignet, einen Ablehnungsgrund zu rechtfertigen. Denn im Ablehnungsverfahren geht es allein um die Parteilichkeit des Richters und nicht um die Richtigkeit seiner Handlungen und Entscheidungen, deren Überprüfung dem Rechtsmittelgericht vorbehalten ist. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nur geboten, wenn die Verfahrensgestaltung oder die Entscheidungen des Richters sich so weit von den anerkannten rechtlichen – insbesondere verfassungsrechtlichen – Grundsätzen entfernen, dass sie aus der Sicht des Beteiligten nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheinen und dadurch den Eindruck einer willkürlichen oder doch jedenfalls sachfremden Einstellung des Richters erwecken (vgl. zu Vorstehendem Bayerischer VGH, Beschl. v. 4.2.2015 - 22 CS 15.33 -, juris Rn. 10; Beschl. v. 21.12.2010 - 3 B 09.1843 - juris Rn. 7 m.w.N.). Derartige Gründe ergeben sich weder aus dem Vorbringen der Kläger noch aus dem Verhalten des abgelehnten Richters.

c) Auch im Übrigen sind keine Umstände ersichtlich, die Anlass geben würden, an der Unparteilichkeit des Richters zu zweifeln.

Der abgelehnte Richter übt die Jagd außerhalb des hier betroffenen Gebietes und außerhalb der örtlichen Zuständigkeit des Beklagten aus.

Allein die Mitgliedschaft in der Landesjägerschaft Niedersachsen e.V. vermag ebenfalls nicht die Annahme der Besorgnis der Befangenheit zu begründen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die bloße Mitgliedschaft in einem – auch prozessbeteiligten – Verein nicht die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 17.12.2020 - 1 KN 155/20 -, juris Rn. 7 ff. m.w.N.). Das könnte etwa dann anders zu beurteilen sein, wenn der Verein sich gerade zu einem anhängigen Verfahren geäußert und der Richter diese Äußerung in einer Weise unterstützt hätte, die ihn als Argumenten zur Überprüfung seines Standpunktes nicht mehr zugänglich erscheinen lässt (BVerfG, Beschl. v. 2.12.1992 - 2 BvF 2/90 -, juris Rn. 29). Dies ist hier nicht der Fall. Nach seiner dienstlichen Stellungnahme ist der L. H. ausschließlich einfaches Mitglied der Landesjägerschaft und leistet einen jährlichen finanziellen Beitrag. Eine darüberhinausgehende aktive Beteiligung an der Vereinsarbeit ist ausdrücklich verneint worden.

2. Das Ablehnungsgesuch gegen den Berichterstatter, Richter am Verwaltungsgericht I., hat ebenfalls keinen Erfolg.

a) Der bloße Umstand, dass der Berichterstatter Jäger ist und die Jagd tatsächlich ausübt, begründet unter keinem Gesichtspunkt die Annahme, er werde nicht unparteilich, unvoreingenommen und unbefangen in der vorliegenden Sache entscheiden. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht auf seine Ausführungen unter Ziffer II. 1. a) und b), die hier entsprechend gelten.

b) Auch im Übrigen sind keine Umstände ersichtlich, die Anlass geben würden, an der Unparteilichkeit des Richters zu zweifeln.

Der Berichterstatter hat mit seinem Verhalten in dem Verfahren keinen Anlass zur Besorgnis der Befangenheit gegeben. Das Schreiben des Berichterstatters an die Beteiligten vom 12. Juli 2021 rechtfertigt keinen Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit. Es beantwortet die Anfrage der Kläger aus der Klageschrift zur jagdlichen Betätigung der erkennenden Richter in sachlicher Form und gibt im Übrigen ebenso sachlich die Rechtsauffassung des Berichterstatters zu dem (zunächst) als Eilantrag gewerteten Antrag wieder und bittet um entsprechende Stellungnahme. Derartige Hinweise dienen der rechtlichen Klärung und liegen im Interesse einer sachgerechten Verfahrensgestaltung. Solche im Rahmen einer zulässigen richterlichen Aufklärungstätigkeit getroffenen Maßnahmen sind zudem üblich und daher schon nicht geeignet, Misstrauen zu begründen (zu Vorstehendem vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.8.2011 - 2 BvE 3/11 -, juris Rn. 2 m.w.N.).

Der Berichterstatter hat zudem erkennbar kein persönliches, ideelles oder wirtschaftliches Interesse am Prozessausgang. Er gehört weder zu dem Kreis der Anhörungsberechtigten in dem Befriedungsverfahren gemäß § 6a Abs. 1 Satz 5 BJagdG – hierzu zählen die (betroffene) Jagdgenossenschaft, der Jagdpächter, angrenzende Grundeigentümer, der Jagdbeirat sowie die Träger öffentlicher Belange, deren Belange die Behörde bei ihrer Entscheidung abzuwägen hat – noch besteht eine vergleichbare Nähe bzw. Interessenlage. Vielmehr ist er Mitpächter des Jagdausübungsrechts für einen Jagdbezirk (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 Niedersächsisches Jagdgesetz – NJagdG –), der weder an das streitgegenständliche Gebiet angrenzt noch sonst unmittelbar von dem Ausgang des Verfahrens betroffen ist.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 146 Abs. 2 VwGO).